Würfelwelt 65

Zu neuen Ufern
(Isbrytt'arhe)
von Winfried Brand
" He, Leif, wo bleibt der Met? ",erklang
eine Stimme durch die Rauchschwaden, die aus dem Kamin in den überfüllten Raum drangen.
Der so Angeschriene zuckte zusammen, griff dann nach dem Halter mit
den Trinkhörnern und beeilte sich, den
Rufer zufriedenzustellen. Schließlich
war Grint dafür bekannt, daß er nicht
gerne wartete, schon gar nicht auf etwas zu trinken.
Vor Grint schälte sich also eine kleine, schmächtige Gestalt aus dem Nebel und
stellte vorsichtig ein Trinkhorn auf den Tisch.
" Na endlich! " Grints Faust schlug
krachend neben dem Trinkhorn auf.

Leif zuckte zusammen, dann beeilte er sich,
aus diesem Teil des Raumes zu verschwinden.
Doch ein Hand griff
nach seinem Arm und hielt ihn zurück.
" Wohin denn nur so schnell, Kleiner?
Die anderen hier wollen auch noch was zu trinken haben."

Hastig griff Leif nach den anderen
Trinkhörnern in seinem Halter, doch
bei dem Ruck, mit dem ihn Grint zurückgehalten hatte,
waren einige von
ihnen umgefallen und hatten ihren
Inhalt von sich gegeben.Mit einer gemurmelten Entschuldigung zog er sich zurück.
Er wäre froh
gewesen, wenn er nicht mehr zu den
Männern gemußt hätte, doch auch sie
waren ganz normale Gäste in diesem
Lokal.
Und wenn er sie nicht bediente, konnte er seinen Job verlieren.
Etwas, das er auf keinen Fall riskieren wollte.
Eigentlich hätte er mit solchen Zwischenfällen rechnen müssen,
als er den
Job angenommen hatte.
Schließlich war dies eine Hafenkneipe, und in ihr
fand man hauptsächlich Eissegler,
die schon aufgrund ihres Berufes zu den
mehr groberen Angehörigen ihrer Rassen zählten.
Yrgen, die eigentlichen
Bewohner von Ebba GrØn Drottning,
fand man in dieser Umgebung kaum.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis
Leif mit einem vollen Halter Trinkhörner wieder zurückkehrte.
Mit gemischten Gefühlen stellte er die Hörner ab und griff nach den leeren.
Bis jetzt hatte sich Grint zurückgehalten, doch als Leif sich wieder entfernen wollte,
stellte er ihm unversehens ein Bein, so daß Leif in voller Länge vor den Tischen auf den Boden knallte.

" He, kannst du nicht aufpassen? "
grölte er durch den vollen Raum.
" Hat man so was Ungeschicktes schon mal gesehen? "
Heiseres Gelächter folgte seinen Worten.

Leif rappelte sich langsam auf.
In seinem Gesicht stand die Zornesröte.
" Warte nur. Irgendwann werden auch dir die Späße vergehen,
du wirst schon sehen.
Eines Tages wirst du bewundernd zu mir aufschauen! "
Grint konnte sich vor Lachen nicht mehr halten.
Laut prustend kippte er von der Bank und landete auf dem Boden,
der von dem verschütteten Met regelrecht klebte.
" Grint, laß den Kleinen doch. Du hast ihn jetzt genug geärgert.
" Schlagartig wurde der auf dem Boden liegende still.
Er stand auf und sah in die Runde.
" Wer war das? "
" Ich, Grint. Und du weißt, daß ich Recht habe, nicht wahr? "
Grint blickte auf den alten, weißhaarigen Yrgen, der ihn angesprochen hatte.
" Ulvang, halt dich besser da raus.
Das geht dich nichts an. "
Grints Stimme klang bedrohlich,
doch der Alte ließ sich nicht beeindrukken.
" Du weißt genausogut wie ich, daß
du langsam zu weit gehst. Also setz
dich hin und trink lieber weiter. "
Grint brummte etwas in seinen
schwarzen, ungepflegten Bart, setzte sich aber wieder hin.
Der Alte sprach weiter: " Weißt du,
Grint, der Junge erinnert mich irgendwie an den jungen Leif,
er hat sogar den gleichen Namen wie er."

Während sich der Junge beeilte, die
heruntergefallenen Trinkhörner einzusammeln und wieder zu verschwinden,
stahl sich ein leises Lächeln auf
Grints Gesicht, das man unter seinem
Bart jedoch mehr erahnen denn sehen konnte.
" Ach ja, Leif Reiksson. Erinnere mich nicht daran,
sonst komm ich aus
dem Lachen gar nicht mehr heraus. "
Die anderen Gäste waren jedoch
auf die Szene aufmerksam geworden
- und auch neugierig. Sie bedrängten
Ulvang, ihnen die Geschichte zu erzählen,
bis dieser schließlich nachgab.

" Na gut, weil ihr.s seid. Aber bringt
mir erst noch was zu trinken. "
In Sekundenschnelle tauchte ein
gefülltes Trinkhorn vor Ulvang auf.
Im Hintergrund stimmte einer der
Männer eine leise Melodie an, denn
nichts mochten sie mehr als eine Geschichte
mit Musikbegleitung.
Dann sprach der Alte wieder:
" Ihr alle habt doch zumindest schon einmal von Leif Reiksson gehört,
dem ungestümen Hux von Huvudstupa,
der noch tatendurstiger war als die
anderen seiner Art. Und wie alle Hux
dachte auch er nicht nach, bevor er
etwas unternahm....

Leif Reiksson hatte sich in den Kopf
gesetzt, ein neues Land zu finden, das
noch nie ein Bewohner dieser Ebene
betreten hatte. Und so formte sich in
ihm der Plan, mit seinem Eissegler
nach Westen zu segeln, so weit nach
Westen, wie noch niemand vor ihm
gesegelt war.

Wäre er kein Hux gewesen, hätten
ihn seine Bekannten sicherlich von
diesem Vorhaben abgehalten, aber so
waren seine Bekannten eben auch
Hux. Und wir alle kennen diese Volk
ja. Denken war noch nie ihre Stärke
gewesen, und so dachten sie auch
nicht über Leifs Plan nach.

Es war sowieso schon erstaunlich, daß ein Hux
vorher einen Plan machte und dann
erst handelte.
Leif fand also für seinen wirren
Plan tatsächlich eine Mannschaft, die
ihn begleiten wollte.
Kurze Zeit später hatten sie ihren Eissegler zusammengezimmert
und fuhren los gen Westen.
Sie starteten südwestlich von Hanthfall., und so hatten sie erstmal
ein paar Tage an der Küste Huvudstupas entlangzusegeln,
bis sie endlich die freie Eiswüste erreicht
hatten.
Eigentlich war es ein Wunder, daß
der Eissegler überhaupt aus dem Hafen herauskam,
doch Leif hatte ja schon bewiesen,
daß er ein ungewöhnlicher Vertreter seines Volkes war.
Er hatte es auch hier geschafft,
einen zwar klappernden, aber nichtsdestotrotz funktionstüchtigen Eissegler
herzustellen und auch nicht vergessen, genügend Proviant und Wasser
für die lange Reise an Bord zu holen.

Zwei Tage waren sie schon über die
Eiswüste Norranha gesegelt, bis Leif
erste Bedenken kamen. Er hatte das
Gefühl, doch ein wenig unüberlegt gehandelt,
ja sogar irgendetwas vergessen zu haben.
Doch er wäre kein Hux
gewesen, wenn er diesen Gedanken
nicht schleunigst von sich geschoben
hätte.
Stattdessen segelte er unverdrossen weiter über die Eiswüste.
Wenige Tage später hatten sie
schließlich die letzten Ausläufer Huvudstupas hinter sich gelassen, und
nach weiteren zwei Tagen erklang
zum ersten Mal der Ruf :` Land in
Sicht!´ vom Ausguck.
Der Hux, der sich dort gerade aufhielt,
hatte tatsächlich Land entdeckt, doch als die Besatzung, nach
dem sie jubelnd den Kurs des Seglers
geändert hatte,
schließlich das Land
erreichte, begann Leif Reiksson vor
Wut zu toben.
Bei dem Land handelte es sich zwar um ein bisher unbekanntes,
doch mit Sicherheit auch um
eines, das vollkommen uninteressant war.
Der Hux im Ausguck hatte eine kleine Sandbank entdeckt,
die sich aus der Eiswüste erhob.
Immerhin hatte sie eine Fläche von vielleicht 600 Quadratmetern,
jedoch keinerlei Vegetation.

Leif überließ es seinem ersten Offizier,
das Land zu taufen, das sie entdeckt hatten.
Er war zu enttäuscht dazu.
Das Land, das seinen Namen tragen sollte, sollte schon etwas größer und vor allem
reicher an Schätzen sein, vorzugsweise mit einer kleinen Süßwasserquelle,
wie er sich in seinen Träumen immer wieder ausgemalt hatte.
Dann hätte er für den Rest seines Lebens ausgesorgt.
Kurzzeitig spielte Leif sogar mit dem Gedanken,
den Ausguck zur Strafe zu Fuß über die giftige Eiswüste wandern zu lassen,
ohne Wasser, versteht sich.
Aber dann entschied er sich doch dagegen
- ein wirklich seltsamer Hux war er schon gewesen, dieser Leif Reiksson.

Wenig später waren sie dann aber
wieder unterwegs nach Westen,
auf der Suche nach dem Land,
das Leif entdecken wollte.
Sie segelten viele Tage,
ohne von ihrem Kurs abzuweichen
- naja, halbwegs ohne abzuweichen, denn Leif
wollte unbedingt auch die Nächte durchsegeln,
um möglichst schnell in seinem Traumland anzukommen.
Dabei vergaß er jedoch,
daß er ein ungewöhnlicher Hux war,
im Gegensatz zu seiner Mannschaft.
Und so kam es,
daß er den Segler morgens regelmäßig wieder auf den richtigen Kurs bringen mußte,
nachdem die Nachtwachen ihn mehr oder weniger unkontrolliert hatten segeln lassen.
Meistens hatten sie ein Huxsches Bedürfnis zu erfüllen
oder auch einfach nur Durst oder Hunger,
weshalb sie ihren Posten am Ruder für einige Zeit verließen
und den Eissegler inzwischen führerlos machen ließen,
was ihm gerade so in den Sinn kam.

Während den Wochen ihrer Reise,
die die Mannschaft des Seglers durch
fast das halbe Norranha
und fast bis ins Medelha hinunterführte,
kam Leif noch mehrmals der Gedanke, er könnte
etwas Wichtiges vergessen haben.
Doch wie gewöhnlich fiel es ihm nicht ein,
und so segelten sie weiter bis zu jenem schicksalsschweren Tag,
an dem Leif endlich seine Eingebung hatte.
Es war bereits dunkel,
und Leif lehnte gerade am Heck des Eisseglers,
als er von oben aus dem Ausguck ein lautes Schnarchen hörte.
Er blickte auf und wußte zuerst nicht,
was er mit diesem Geräusch anfangen sollte.
Spätere Befragungen des Postens ergaben,
daß dieser müde geworden war und sich niedergelegt hatte,
ohne darüber nachzudenken,
daß er eigentlich wachbleiben sollte
- typisch Hux eben.

Da ereilte Leif die Erkenntnis;
plötzlich wußte er, was er bei seinem Plan übersehen hatte.
Eilig stolperte er auf die andere Seite des Seglers
und griff nach dem großen Eishaken.
Stöhnend wuchtete er ihn hoch und warf ihn über Bord.
Glücklicherweise war das Seil,
an dem der Eishaken hing, am Segler befestigt,
denn in der Eile hatte Leif Reiksson
nach Hux-Art mal wieder gehandelt,
ohne zu denken.
Der Haken rammte sich in die Eiswüste,
und mit einem scharfen Ruck
kam der Segler zum Stehen.
Leif hörte ein Poltern vom Bug des Eisseglers,
doch dachte er sich nichts dabei.
Er war erst einmal froh darüber,
den Segler zum Stehen gebracht zu haben.
Dann legte er sich schlafen.

Als es wieder hell wurde, war Leif Reiksson der erste,
der wieder auf den Beinen war.
Zuerst wunderte er sich darüber,
daß der Segler stillstand;
dann erinnerte er sich wieder an die Geschehnisse der letzten Nacht,
und danach wunderte er sich, daß der Segler anscheinend doch nicht ganz so still stand,
wie er eigentlich sollte. Leif spürte ein leichtes Schwanken,
so, als ob der Segler auf einer Klippe stehen würde.
Er schwankte leicht nach vorn,
dann wieder zurück.
Schließlich blickte Leif nach vorn zum Bug des Seglers, erblickte dort
den Ausguck
und erinnerte sich daran, daß er in der letzten Nacht dieses Rumpeln gehört hatte.
Der Ruck hatte den Hux wohl von seinem erhöhten Posten hinuntergeschleudert,
und so lag er nun auf dem Deck des Seglers
- bewegungslos.
Leif wollte schon zu ihm hineilen,
da blickte er noch einmal genauer hin
und fiel fast in Ohnmacht.
Er hatte den Segler buchstäblich in letzter Sekunde zum Stillstand gebracht,
denn das, was ihm in der Nacht eingefallen war,
war schon fast eingetreten.
Der Segler hing mit dem Bug über den Rand der Ebene.
Vielleicht ein Viertel des Rumpfes war bereits nicht mehr auf festem Boden.
Leif hatte sich letzte Nacht endlich daran erinnert,
daß sie auf der Ebene eines Würfels lebten und man den Rand nicht überwinden konnte.
Unter vielen Mühen zogen sie also den Segler auf die Ebene zurück
und segelten schließlich wieder zurück nach Hause,
wo sie drei Jahre später nach einer wahren Odyssee auch ankamen.
....Und dies war die Geschichte von
Leif Reiksson, dem Hux, der neues Land finden wollte. " ,
beendete Ulvang seine Erzählung.
Der überfüllte Raum bebte vom Lachen der Zuhörer,
und auch der Musikant, der den Alten bis zum Ende tapfer begleitet hatte,
brach nun in schallendes Gelächter aus.
Es war eine der Lieblingsgeschichten der Eissegler,
und sie konnten sie immer wieder hören,
ohne ihrer satt zu werden.
Einzig Leif,
der Junge, der ihnen jetzt wieder neue Trinkhörner mit Met vorsetzte,
lachte nicht, obwohl auch er die Geschichte schon so oft gehört hatte,
daß er sie auswendig kannte.
" Wartet nur ", dachte er.
" Eines Tages werde ich euch zeigen,
daß mein Urgroßvater nicht zu Unrecht von dem Land geträumt hat,
das er entdecken wollte.
Und dann werdet ihr nicht mehr über ihn lachen. "
ENDE © 25.02.96 by Winfried Brand /

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