Würfelwelt 60

Die Reisen im Inneren der Schlummerrolle
(Die Ebene der Sechs Türme)

2. Hu und Nuen


Hu, war ein junger Priester der zum Orden der Wahrsager gehörte, welcher sich nur mit der Deutung der Zukunft beschäftigt. Doch so genau er auch die Zukunft anderer Personen vorhersagen konnte, seine eigene blieb ihm stets verschlossen. Einmal im Jahr machte er eine Wallfahrt zu einem Tempel in den Bergen, wo er zu dem Drachengott der Zeit betete. Es war ein weiter beschwerlicher Weg den er zurück zu legen hatte. Fünfzehn Wegstunden vor dem Ziel lag ein kleines Dorf, dort kehrte er regelmäßig ein und übernachtete bei dem Ortsvorsteher. Der Ortsvorsteher hatte vor Jahren ein Kind aufgenommen, welches wohl von seinen leiblichen Eltern ausgesetzt worden war. Dieses Mädchen war unschön, ja missgestaltet. Dafür besaß sie aber einen scharfen Verstand, lernte sehr schnell lesen und schreiben und besaß große Kenntnisse über die Literatur. Der Name dieses Mädchen war Nuen. Wenn Hu die gelehrte kleine Nuen erblickte, welche ihm immer freundlich begrüßte, war er hoch erfreut. Er setzte sich zu ihr, hörte aufmerksam zu, wenn sie ihre selbst gedichteten Lieder vorlas, und erzählte in liebenswürdigerweise Geschichten, die sie noch nicht kannte. Voller Aufmerksamkeit richtete das arme Kind seine klugen, großen Augen auf den Erzähler und als er einst im Spaße sagte: „ Nuen, wenn du erst groß und erwachsen bist, so will ich dich heiraten und du sollst meine Frau werden, und mit mir in meine Heimat ziehen“, da lachte sie vor Freude hell auf.
So verstrich die Zeit, Nuen wurde nicht schöner, aber älter. Als einige Jahre später Hu abermals bei ihren Vater eingekehrt war, da trat sie in der Nacht an sein Lager, weckte ihm und sprach: „ Nun ist die Zeit gekommen, o Geliebter. Ich bin erwachsen, halte nun dein Versprechen und heirate mich. Ich bin bereit, morgen wenn du fort gehst, dir zu folgen.“ Als Hu ihre Worte hörte, war er sehr bestürzt. Er erklärte ihr, er habe nur im Scherz gesprochen und dürfe doch als Priester gar nicht heiraten. Doch Nuen ließ keine Entschuldigung gelten und drohte sogar den Priester wegen Wortbruchs und falscher Eheversprechungen ihrem Vater zu melden, der als Ortsvorsteher in dem Dorf Recht sprechen konnte. Hu war die Situation höchst unangenehm, er wusste nicht wie er ohne Gesichtsverlust aus dieser Lage herauskommen sollte und beschloss Nuen zu hintergehen. Er erklärte dem Mädchen nach seiner Wallfahrt, wenn er erneut im Haus ihres Vaters einkehre, wolle er sie heiraten, nachdem er im Tempel in den Bergen den Drachengott der Zeit um Erlaubnis gebeten hätte.
„ Er wird sie dir nicht verweigern, o Geliebter.“ sagte Nuen und der seltsam Klang ihrer Stimme ließ Hu erschauen. So ähnlich hatte die Stimme des Drachengottes geklungen, als er damals als Novize hörte, wie der uralte Drachen zu einen der Ältesten des Ordens sprach. Konnte es eine Verbindung zwischen dem Drachengott und diesen hässlichen Mädchen geben? Nein, gewiss nicht, er bildete sich alles nur ein, entschied Hu. Nuen war glücklich und legte sich wieder schlafen. Am nächsten Morgen als Hu sich von Nuen verabschiedete, reichte diese ihm einen Zweig, an dem ein Papier hing. Hu nahm den Zweig und las das Papier:
`Wohl warte ich ruhig, auf den künftigen Bund, ich habe dein Versprechen. Der Drachengott der Zeit wird unseren Bund nicht brechen. ´

Hu war froh, dass sich Nuen beruhigt hatte und so schrieb er rasch einige Verse zur Antwort auf die Rückseite und gab Nuen das Schreiben zurück. Sie las:

` Wenn der Drachengott uns gnädig gesonnen, bald alles Glück dieser Ebene wir gewonnen. ´

Sie las den Vers und ihre Augen leuchteten, sie war nun ganz getröstet. Hu konnte ungehindert fort ziehen und Nuen glaubte, dass ihr Glück gesichert sei. Hu aber atmete erleichtert auf, als er aus dem Haus war. Nie wieder würde er dieses Dorf betreten. Ja Abscheu befiel ihn, wenn er an dieses seltsame Mädchen nur dachte. Langsamer als sonst pilgerte er zum Tempel. Die unglückliche Nuen wartete voller Ungeduld auf seine Rückkehr, Tag um Tag verging und sie sah ihn nicht wieder. Schließlich wurde ihre Sehnsucht so stark, dass sie ihm entgegen lief, um den Geliebten früher zu umarmen. Als sie schon eine gute Strecke auf der Straße zurückgelegt hatte.
erblickte sie einen alten Priester. Sie stand still, mäßigte ihre Ungeduld und fragte den Ehrwürdigen ob er nicht einen jungen Priester namens Hu gesehen hätte. Dabei beschrieb sie den Geliebten so genau, wie nur sie es konnte. Der Priester dachte ein Weilchen nach, dann flog ein Lächeln über sein Gesicht. Ja, den Gesuchten hatte er gesehen, er kam etwa eine Viertelstunde hinter ihm. Nuen war hoch erfreut, sie dankte dem alten Priester und eilte Hu entgegen. Dieser jedoch sah sie mit Entsetzen schon von weiten. Als Priester des Ordens der Wahrsager, kannte er auch so manchen Zaubertrick. Rasch veränderte er seine Gestalt. Als Nuen ihm entgegen trat, erkannte sie ihn tatsächlich nicht und erkundigte sich enttäuscht nach dem Geliebten, den sie doch schon geglaubt hätte vor sich zu haben.
Hu beruhigte sie mit den gleichen Worten wie der vorherige Priester und erklärte, der Gesuchte käme eine Viertelstunde hinter ihn.
Nuen stürmte an ihm vorüber. Aber als sie eine Viertelstunde gelaufen war, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und sie begriff, dass sie betrogen war. Sie war ganz erfüllt von Leidenschaft und Zorn. Ein Krampf durchzog ihren Körper, aus ihren sonst so freundlichen Augen blitzten Rachgedanken und wie ein wütender Drache lief sie hinter dem letzten Priester her. Es kümmerte sie nicht, dass die Leute sie für einen Dämon hielten. Immer schneller lief sie, bis sie den großen Fluss Hy-nak kam. Hier sah sie eben noch wie ein Schiffer den verräterischen Hu übersetzte und dieser am anderen Ufer an Land stieg. Sie winkte den Schiffer wieder herüber zu fahren und auch sie über den Fluss zu bringen, doch so sehr sie auch flehte, es war vergeblich denn Hu hatte den Fährmann bestochen. Immer wilder gebärdete sich Nuen. Das Haar sträubte sich auf ihren Kopf, aus Mund und Nase schien Feuer zu sprühen. Hu wurde von Todesangst gepackt und eilte in einen nahen Tempel seines Ordens, um sich von den dortigen Priestern verstecken zu lassen. Nuen stürzte sich rasend vor Zorn in den Fluss. Sie versank sofort im Wasser, welches zu brodeln begann. Immer heftiger brodelte es, bis das Wasser auseinanderspritze und ein weiblicher Drache aus dem Fluss empor stieg und auf das andere Ufer zu schwamm. Nun hatte auch Nuen ihre wahre Gestalt angenommen. Der bestochene Fährmann flehte um Gnade, aber er wurde mit einem einzigen Klauenhieb zerschmettert.
Dann kroch Nuen mit vor Hass leuchtenden Augen zum Tempel. Die Priester hatten Hu unter der Glocke des Tempels versteckt.
Eitel Bemühen! Das Drachenweibchen verschlang alle Priester dieses Tempels. Dann ergriff Nuen mit ihren riesigen Krallen die Glocke und fauchte: „ Jetzt hab ich dich, Hu!“
So entfaltete sie ihre Drachenflügel und flog mit der Glocke und dem darin versteckten Priester davon. So verschwanden die beiden in den Wolken. Nie wieder hat man etwas von Hu und Nuen gehört.

„ Ein Drache sucht die Liebe eines Menschen?“ fragte Lu erstaunt. La lächelte traurig. „ Nuen war für die Menschen ein gewaltiger Drachen, aber für andere Drachen zu klein und daher missgestaltet. Sie nahm Menschengestalt an, um unter den Sterblichen einen Gemahl zu finden, doch auch diese Gestalt war hässlich, vielleicht auf Befehl des Drachenkaisers, der nicht wollte, dass ein Unwürdiger
eine Drachenfrau heiratet. So war die arme Nuen zwischen zwei Welten gefangen und wurde in beiden abgelehnt. Sie musste irgendwann böse werden. Hu konnte dies nicht ahnen. Seine Fehler waren menschlich. So war es das Schicksal, welches weder Hu noch Nuen ändern konnten, dass keiner von beiden Glück finden sollte.“
„ Hatten beide denn keine Chance?“
„ Vielleicht, hätten sie eine kleine Chance gehabt, wenn einer von beiden bereit gewesen wäre, für das Glück des anderen, auf sein eigenes ein wenig zu verzichten und ehrlich zu dem anderen gewesen wäre, auch wenn dies viel verlang scheint in ihrer Lage, doch dazu waren sie beide nicht in der Lage.“
„ So kennst du auch eine Geschichte in der jemand sein Glück findet?“
„ Vielleicht“, La seufzte auf. „ Es hängt davon ab, was ist Glück?“
Erneut öffnete sich das Tor in der Schlummerrolle, Lu trat hindurch und sah.

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