Würfelwelt 59
Die Reisen im Inneren der Schlummerrolle
(nach „Die schönsten Märchen der Welt. Weltbild Bücherdienst
China: Die Reise ins Innere der Schlummerrolle
Der magische Spiegel
Gesammelt und herausgegeben von R.W.Pinson.
(Märchen der Völker: Japan: Kiohime, Weltbildverlag
Chinesische Märchen, Fischer Taschenbuch-Verlag, die sieben Schwestern.
Verzauberte Welten: Drachen
Aus der Redaktion der Time-Life-Bücher
Unheimliche Geschichten, Tosa Verlag
Raiko und der Kobold
(Die Ebene der Sechs Türme)
v. Uwe Vitz
La rastete in einer Herberge. Er setzte sich auf den Boden und stützte sich auf seinen Reisesack.
Er gehörte zum „ Orden der Suchenden“. Überall auf der Ebene der Sechs Türme zogen die Ordensmitglieder umher und suchten die Wahrheit, um sie aufzuzeichnen. Doch welche Wahrheit war die Richtige? All zu oft hatte jeder nur seine eigene Wahrheit. In diesen Augenblick trat ein bäuerlich gekleideter junger Mann herein. Es war der junge Lu. Er setzte sich neben dem Wandermönch, auf die gleiche Matte. Der junge Mann seufzte traurig auf und sagte zu La: „ Wenn man bedenkt, dass ich eigentlich für den Wohlstand geboren bin und so wenig Glück im Leben habe, ach es ist zum Verzweifeln.“
Der alte Wandermönch wundert sich und sprach: „ Ihr seid nicht ärmer als die meisten Menschen auf dieser Ebene, also was klagt Ihr?“
„ Ich schleppe mein Leben so dahin, das ist alles. Wo sind meine Freuden?“
„ Wenn Euer Leben so freudlos ist, was erwartet Ihr denn, um glücklich zu sein?“
„ Ein gebildeter und feinsinniger Mann muss im Leben große Leistungen vollbringen, muss sich einen Namen schaffen. Feldherr einer Armee, Ministerpräsident des Kaiserreiches oder Mandarin, ja, das wären würdige Aufgaben. Er darf nur aus dem Regierungstopf essen, darf selbstverständlich nur erlesene und wohlklingende Musik hören und mit niemand anderen als den vornehmsten Familien verkehren. Seine Familie und seine Güter müssen blühen und gedeihen, nur dann kann so jemand wie ich glücklich sein. O, ich bin vielseitig begabt, glaubt es mir. Als Kind glaubte ich an mich und meine große Zukunft, jetzt bin ich zum Mann geworden und was habe ich erreicht? Nichts!! Ich plage mich wie all die Toren auf den Feldern ab! Ist das nicht jämmerlich?“
Ein langes Schweigen folgte dieser Rede. Dann bemächtigte sich des jungen Mannes schwere Müdigkeit. Unterdessen kochte der schweigsame Herbergsvater Schmorfleisch mit Mais. Der alte Wandermönch zog eine Schlummerrolle aus seinem Reisesack und schob sie den Gefährten hin: „ Stützt Euch auf meine Schlummerrolle, dann werdet Ihr zu Ruhm, Wohlstand und Erkenntnis gelangen. Nehmt sie ohne Hemmungen.“
Es war eine Schlummerrolle aus Porzellan, blau gemalt und im Inneren hohl. Der junge Lu legte seinen Kopf darauf und bemerkte,
dass die Öffnung von Minute zu Minute größer wurde. Er ging hinein und durchquerte das Tor. Lu sah..
1. Das Leben des Staatsmann
Sein Name war immer noch Lu, aber er war jemand anderes. Ein anderes Dorf, ein anderes Leben, eine andere Zeit. Er heiratete ein Mädchen aus einer vornehmen Familie. Sie war weder schön noch klug, aber sie verhalf ihm zu einem guten Start. Sein Wohlstand wuchs rasend schnell. Lu meldete sich für die öffentlichen Prüfungen und bestand sie gut. Nun durfte er endlich die verhasste bäuerliche Kleidung ab- und die lang ersehnten Insignien eines Staatsmannes anlegen. Er wurde zu den kaiserlichen Prüfungen geladen, auch diese bestand er als einer der Besten. Man machte ihm zum Unterpräfekten von Hy-kang. Auch hier leistete er gute Arbeit und wurde schließlich zum kaiserlichen Zensor ernannt. Bald stand er an der Spitze der höchsten Würdenträger des Reiches, nachdem er zum Ordonanzoffizier des Drachenkaisers aufstieg.
Der gigantische Drache lag in seinem ungeheuerlichen Palast, dem Zentrum des größten Reiches der Ebene der Sechs Türme.
Botschafter aller Reichen gingen im Palast ein und aus, aber nur wenige sahen je den mächtigen Drachenkaiser persönlich.
Manchmal erschien ein Drachenkönig um mit dem Kaiser Drachenahngelegenheiten zu besprechen, dann hatte auch Lu die Gemächer des Herrschers zu verlassen, es gab Dinge die vor Menschen verborgen bleiben mussten. Seine Hauptaufgabe war die kaiserlichen Edikte zu formulieren. Drei Jahre später wurde er als Statthalter in die Provinz Hy-Shang versetzt. Er ließ den Shang-Kanal ausheben um die Schifffahrt zu erleichtern. Die Bevölkerung zog großen Nutzen daraus. Mit einigen Spenden sorgte er dafür, dass dankbare Bürger ein Denkmal aufrichteten „ zu Ehren des wohltätigen Statthalters“. Nach Ablauf seiner Amtsperiode als Statthalter und Generalinspekteur mehrerer Provinzen wurde er endlich Präfekt der Hauptstadt. In diesem Jahr waren die Mongs und die mit ihnen verbündeten Orks, durch Angriffe geheimnisvoller Dämonen geschwächt worden. So beschloss der Drachenkaiser sein Reich weiter nach Westen auszudehnen. Eine Armee von Drachenkriegern fiel in das Land der Mongs ein. Aber die Mongs, so wie die Orks leisteten erbitterten Widerstand und trieben die Drachenkrieger zurück bis zu einer Grenzstadt, ja sie besetzten gar diese Grenzstadt und erschlugen den kaiserlichen Oberbefehlshaben. Dieser war ein adeliger Offizier gewesen, dessen Ehrgeiz leider größer war, als seine militärische Sachkenntnis. Der Kaiser suchte nun einen neuen, fähigen Befehlshaber. Er verlieh schließlich Lu den
Oberbefehl in der gefährliche Zone und machte ihn zum Staatssekretär. Der Feldherr Lu brachte den Eindringlingen, unter großen Verlusten, eine Niederlage bei und trieb sie über die Grenze zurück. Er ließ an strategisch wichtigen Stellen drei große, befestigte Städte erbauen. Die Bevölkerung der Grenze errichtete eine Marmorsäule „zu Ehren des Siegers“.
Lu kehrte an den Hof zurück und stand hoch in der Gunst des Drachenkaisers, was den Neid der anderen Mandarine auslöste. Er wurde zum Innenminister, dann zum Finanzminister und schließlich zum Kanzler des Reiches. Der Ministerpräsident beschloss jedoch den Emporkömmling zu beseitigen, er bezahlte Verleumder, welche den Ruf Lus schwer schädigten. Beunruhigt durch die Gerüchte schickte der Drachenkaiser Lu als gewöhnlichen Präfekt in eine weit entfernte Gegend, vielleicht auch um ihn vor möglichen Mordanschlägen zu schützen. Drei Jahre später rief der Kaiser ihm an den Hof zurück, als ständigen Sekretär. Bald rückte er zum Mitglied des kaiserlichen Rates vor. Die Geheimbefehle des Kaisers gingen alle über seinen Schreibtisch, jeder Plan der großen Politik war ihn bekannt. Doch soviel Erfolg forderte Neider heraus. Die anderen Höflinge wollten ihn verderben und diesmal endgültig. Sie erhoben die Anklage gegen ihn, dass er mit einem Rebellenführer heimlich verbündet sei. Der Herrscher erließ einen Haftbefehl gegen ihn. Die Offiziere und die Palastwache führten ihn wie einen gewöhnlichen Verbrecher ins Gefängnis. Entsetzt und außer sich ahnte Lu das Allerschlimmste. Kurz vor seiner Festnahme vergoss er bittere Tränen vor seiner Gemahlin.
„ Einst besaß ich ein Dach über den Kopf, damals in den Feldern von Hy-Tang. Fruchtbare Erde gehörte mir, mehr als genug zum Leben. Warum, ach warum, war ich nicht zufrieden? Warum habe ich mich so gequält, nur um Ruhm und Ehre nachzulaufen?
Da stehe ich nun! Ich würde alles dafür geben, wenn ich die grobe Weste des Bauern wieder anziehen könnte, wenn ich fröhlich auf meinen Steppenpferdchen über die Straße reiten könnte, ohne mir Sorgen zu machen. Doch dies alles kehrt nie wieder, nur noch Schande und Elend erwarten mich im Leben, aber der Tod bietet Rettung.“
Nach diesen Worten zog Lu sein Schwert und versuchte sich die Kehle durchzuschneiden. Seine Frau fiel ihm in den Arm. Die übrigen Angeklagten des Komplotts wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nur Lu entrann der Todesstrafe, dank dem Ränkespiel der Eunuchen. Der Kaiser schickte ihn in die Verbannung auf die „böse Insel“ in der Hyknoschen See. Ein Jahr verging, in dem Lu furchtbares erlebte. Doch endlich konnte seine Unschuld erwiesen werden. Der Kaiser löschte sogleich seine Ungnade aus und gab ihm das Amt eines Staatssekretärs zurück. Von nun an stieg Lu immer höher in der Gunst des Drachenkaisers. Die Zeit verging. Lu hatte fünf Söhne, alle hochbegabt, sie nahmen wichtige Stellungen in der Verwaltung ein. Der Jüngste war schon mit achtundzwanzig Jahren Minister.
Die Brüder schlossen Heiratsverträge mit den vornehmsten Familien des Kaiserreiches. Das Glück des alten Lu fand seine Krönung in zehn prächtigen Enkelkindern. Doch schließlich erkrankte Lu so schwer, dass ihm auch die besten Ärzte des Kaiserreiches nicht mehr helfen konnten, so sandte er eine letzte Botschaft an den Kaiser.
„ Ich, Euer gehorsamer Diener, war einstmals ein einfacher Student aus Hy-Tang, mit nichts anderen beschäftigt als Ackerbau und Gartenpflege. Das Glück wollte es aber, dass ich von den hohen Geschicken des Drachenkaiserreiches berührt, in der Rangordnung der Staatsbeamten immer höher steigen durfte. Dann habe ich, dank der himmlischen Gnade, die in keinem Verhältnis zu meinen Verdiensten steht, die höchsten Ämter der Regierung und der Armee während vieler Jahre inne gehabt. Ich danke Euch für diese
Ehre, mein Kaiser.“
So starb Lu, der Staatsmann.
„ War dies ein Leben nach deinem Geschmack?“ Lu drehte sich um und sah La hinter sich.
„ Ich weiß es nicht, Meister La. Sicher es war alles so, wie ich es haben wollte. Doch es war so schnell vorüber.“
“ Jedes Leben ist schnell vorbei, Lu darum sollten Sterbliche ihre Zeit gut nutzen.“
„ Es erschien mir alles so blass, sein ganzes Leben verlief im Schatten des Drachenkaisers, welche Bedeutung hatte es darüber hinaus?“
„ Wer will dies beurteilen? Ich oder du? Selbst die Drachen sind nicht immer mit ihrem Leben zufrieden.“
„ Die Drachen?“
„ Auch sie sind den Gesetzen des Lebens ausgeliefert, doch siehe selbst.“ La deutete auf das Tor, welches sich im Inneren
der Schlummerrolle erneut öffnete. La ging hindurch. Wieder sah er ein neues Leben..
(nach „Die schönsten Märchen der Welt. Weltbild Bücherdienst
China: Die Reise ins Innere der Schlummerrolle
Der magische Spiegel
Gesammelt und herausgegeben von R.W.Pinson.
(Märchen der Völker: Japan: Kiohime, Weltbildverlag
Chinesische Märchen, Fischer Taschenbuch-Verlag, die sieben Schwestern.
Verzauberte Welten: Drachen
Aus der Redaktion der Time-Life-Bücher
Unheimliche Geschichten, Tosa Verlag
Raiko und der Kobold
(Die Ebene der Sechs Türme)
v. Uwe Vitz
La rastete in einer Herberge. Er setzte sich auf den Boden und stützte sich auf seinen Reisesack.
Er gehörte zum „ Orden der Suchenden“. Überall auf der Ebene der Sechs Türme zogen die Ordensmitglieder umher und suchten die Wahrheit, um sie aufzuzeichnen. Doch welche Wahrheit war die Richtige? All zu oft hatte jeder nur seine eigene Wahrheit. In diesen Augenblick trat ein bäuerlich gekleideter junger Mann herein. Es war der junge Lu. Er setzte sich neben dem Wandermönch, auf die gleiche Matte. Der junge Mann seufzte traurig auf und sagte zu La: „ Wenn man bedenkt, dass ich eigentlich für den Wohlstand geboren bin und so wenig Glück im Leben habe, ach es ist zum Verzweifeln.“
Der alte Wandermönch wundert sich und sprach: „ Ihr seid nicht ärmer als die meisten Menschen auf dieser Ebene, also was klagt Ihr?“
„ Ich schleppe mein Leben so dahin, das ist alles. Wo sind meine Freuden?“
„ Wenn Euer Leben so freudlos ist, was erwartet Ihr denn, um glücklich zu sein?“
„ Ein gebildeter und feinsinniger Mann muss im Leben große Leistungen vollbringen, muss sich einen Namen schaffen. Feldherr einer Armee, Ministerpräsident des Kaiserreiches oder Mandarin, ja, das wären würdige Aufgaben. Er darf nur aus dem Regierungstopf essen, darf selbstverständlich nur erlesene und wohlklingende Musik hören und mit niemand anderen als den vornehmsten Familien verkehren. Seine Familie und seine Güter müssen blühen und gedeihen, nur dann kann so jemand wie ich glücklich sein. O, ich bin vielseitig begabt, glaubt es mir. Als Kind glaubte ich an mich und meine große Zukunft, jetzt bin ich zum Mann geworden und was habe ich erreicht? Nichts!! Ich plage mich wie all die Toren auf den Feldern ab! Ist das nicht jämmerlich?“
Ein langes Schweigen folgte dieser Rede. Dann bemächtigte sich des jungen Mannes schwere Müdigkeit. Unterdessen kochte der schweigsame Herbergsvater Schmorfleisch mit Mais. Der alte Wandermönch zog eine Schlummerrolle aus seinem Reisesack und schob sie den Gefährten hin: „ Stützt Euch auf meine Schlummerrolle, dann werdet Ihr zu Ruhm, Wohlstand und Erkenntnis gelangen. Nehmt sie ohne Hemmungen.“
Es war eine Schlummerrolle aus Porzellan, blau gemalt und im Inneren hohl. Der junge Lu legte seinen Kopf darauf und bemerkte,
dass die Öffnung von Minute zu Minute größer wurde. Er ging hinein und durchquerte das Tor. Lu sah..
1. Das Leben des Staatsmann
Sein Name war immer noch Lu, aber er war jemand anderes. Ein anderes Dorf, ein anderes Leben, eine andere Zeit. Er heiratete ein Mädchen aus einer vornehmen Familie. Sie war weder schön noch klug, aber sie verhalf ihm zu einem guten Start. Sein Wohlstand wuchs rasend schnell. Lu meldete sich für die öffentlichen Prüfungen und bestand sie gut. Nun durfte er endlich die verhasste bäuerliche Kleidung ab- und die lang ersehnten Insignien eines Staatsmannes anlegen. Er wurde zu den kaiserlichen Prüfungen geladen, auch diese bestand er als einer der Besten. Man machte ihm zum Unterpräfekten von Hy-kang. Auch hier leistete er gute Arbeit und wurde schließlich zum kaiserlichen Zensor ernannt. Bald stand er an der Spitze der höchsten Würdenträger des Reiches, nachdem er zum Ordonanzoffizier des Drachenkaisers aufstieg.
Der gigantische Drache lag in seinem ungeheuerlichen Palast, dem Zentrum des größten Reiches der Ebene der Sechs Türme.
Botschafter aller Reichen gingen im Palast ein und aus, aber nur wenige sahen je den mächtigen Drachenkaiser persönlich.
Manchmal erschien ein Drachenkönig um mit dem Kaiser Drachenahngelegenheiten zu besprechen, dann hatte auch Lu die Gemächer des Herrschers zu verlassen, es gab Dinge die vor Menschen verborgen bleiben mussten. Seine Hauptaufgabe war die kaiserlichen Edikte zu formulieren. Drei Jahre später wurde er als Statthalter in die Provinz Hy-Shang versetzt. Er ließ den Shang-Kanal ausheben um die Schifffahrt zu erleichtern. Die Bevölkerung zog großen Nutzen daraus. Mit einigen Spenden sorgte er dafür, dass dankbare Bürger ein Denkmal aufrichteten „ zu Ehren des wohltätigen Statthalters“. Nach Ablauf seiner Amtsperiode als Statthalter und Generalinspekteur mehrerer Provinzen wurde er endlich Präfekt der Hauptstadt. In diesem Jahr waren die Mongs und die mit ihnen verbündeten Orks, durch Angriffe geheimnisvoller Dämonen geschwächt worden. So beschloss der Drachenkaiser sein Reich weiter nach Westen auszudehnen. Eine Armee von Drachenkriegern fiel in das Land der Mongs ein. Aber die Mongs, so wie die Orks leisteten erbitterten Widerstand und trieben die Drachenkrieger zurück bis zu einer Grenzstadt, ja sie besetzten gar diese Grenzstadt und erschlugen den kaiserlichen Oberbefehlshaben. Dieser war ein adeliger Offizier gewesen, dessen Ehrgeiz leider größer war, als seine militärische Sachkenntnis. Der Kaiser suchte nun einen neuen, fähigen Befehlshaber. Er verlieh schließlich Lu den
Oberbefehl in der gefährliche Zone und machte ihn zum Staatssekretär. Der Feldherr Lu brachte den Eindringlingen, unter großen Verlusten, eine Niederlage bei und trieb sie über die Grenze zurück. Er ließ an strategisch wichtigen Stellen drei große, befestigte Städte erbauen. Die Bevölkerung der Grenze errichtete eine Marmorsäule „zu Ehren des Siegers“.
Lu kehrte an den Hof zurück und stand hoch in der Gunst des Drachenkaisers, was den Neid der anderen Mandarine auslöste. Er wurde zum Innenminister, dann zum Finanzminister und schließlich zum Kanzler des Reiches. Der Ministerpräsident beschloss jedoch den Emporkömmling zu beseitigen, er bezahlte Verleumder, welche den Ruf Lus schwer schädigten. Beunruhigt durch die Gerüchte schickte der Drachenkaiser Lu als gewöhnlichen Präfekt in eine weit entfernte Gegend, vielleicht auch um ihn vor möglichen Mordanschlägen zu schützen. Drei Jahre später rief der Kaiser ihm an den Hof zurück, als ständigen Sekretär. Bald rückte er zum Mitglied des kaiserlichen Rates vor. Die Geheimbefehle des Kaisers gingen alle über seinen Schreibtisch, jeder Plan der großen Politik war ihn bekannt. Doch soviel Erfolg forderte Neider heraus. Die anderen Höflinge wollten ihn verderben und diesmal endgültig. Sie erhoben die Anklage gegen ihn, dass er mit einem Rebellenführer heimlich verbündet sei. Der Herrscher erließ einen Haftbefehl gegen ihn. Die Offiziere und die Palastwache führten ihn wie einen gewöhnlichen Verbrecher ins Gefängnis. Entsetzt und außer sich ahnte Lu das Allerschlimmste. Kurz vor seiner Festnahme vergoss er bittere Tränen vor seiner Gemahlin.
„ Einst besaß ich ein Dach über den Kopf, damals in den Feldern von Hy-Tang. Fruchtbare Erde gehörte mir, mehr als genug zum Leben. Warum, ach warum, war ich nicht zufrieden? Warum habe ich mich so gequält, nur um Ruhm und Ehre nachzulaufen?
Da stehe ich nun! Ich würde alles dafür geben, wenn ich die grobe Weste des Bauern wieder anziehen könnte, wenn ich fröhlich auf meinen Steppenpferdchen über die Straße reiten könnte, ohne mir Sorgen zu machen. Doch dies alles kehrt nie wieder, nur noch Schande und Elend erwarten mich im Leben, aber der Tod bietet Rettung.“
Nach diesen Worten zog Lu sein Schwert und versuchte sich die Kehle durchzuschneiden. Seine Frau fiel ihm in den Arm. Die übrigen Angeklagten des Komplotts wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Nur Lu entrann der Todesstrafe, dank dem Ränkespiel der Eunuchen. Der Kaiser schickte ihn in die Verbannung auf die „böse Insel“ in der Hyknoschen See. Ein Jahr verging, in dem Lu furchtbares erlebte. Doch endlich konnte seine Unschuld erwiesen werden. Der Kaiser löschte sogleich seine Ungnade aus und gab ihm das Amt eines Staatssekretärs zurück. Von nun an stieg Lu immer höher in der Gunst des Drachenkaisers. Die Zeit verging. Lu hatte fünf Söhne, alle hochbegabt, sie nahmen wichtige Stellungen in der Verwaltung ein. Der Jüngste war schon mit achtundzwanzig Jahren Minister.
Die Brüder schlossen Heiratsverträge mit den vornehmsten Familien des Kaiserreiches. Das Glück des alten Lu fand seine Krönung in zehn prächtigen Enkelkindern. Doch schließlich erkrankte Lu so schwer, dass ihm auch die besten Ärzte des Kaiserreiches nicht mehr helfen konnten, so sandte er eine letzte Botschaft an den Kaiser.
„ Ich, Euer gehorsamer Diener, war einstmals ein einfacher Student aus Hy-Tang, mit nichts anderen beschäftigt als Ackerbau und Gartenpflege. Das Glück wollte es aber, dass ich von den hohen Geschicken des Drachenkaiserreiches berührt, in der Rangordnung der Staatsbeamten immer höher steigen durfte. Dann habe ich, dank der himmlischen Gnade, die in keinem Verhältnis zu meinen Verdiensten steht, die höchsten Ämter der Regierung und der Armee während vieler Jahre inne gehabt. Ich danke Euch für diese
Ehre, mein Kaiser.“
So starb Lu, der Staatsmann.
„ War dies ein Leben nach deinem Geschmack?“ Lu drehte sich um und sah La hinter sich.
„ Ich weiß es nicht, Meister La. Sicher es war alles so, wie ich es haben wollte. Doch es war so schnell vorüber.“
“ Jedes Leben ist schnell vorbei, Lu darum sollten Sterbliche ihre Zeit gut nutzen.“
„ Es erschien mir alles so blass, sein ganzes Leben verlief im Schatten des Drachenkaisers, welche Bedeutung hatte es darüber hinaus?“
„ Wer will dies beurteilen? Ich oder du? Selbst die Drachen sind nicht immer mit ihrem Leben zufrieden.“
„ Die Drachen?“
„ Auch sie sind den Gesetzen des Lebens ausgeliefert, doch siehe selbst.“ La deutete auf das Tor, welches sich im Inneren
der Schlummerrolle erneut öffnete. La ging hindurch. Wieder sah er ein neues Leben..
Uwe Vitz - 7. Feb, 12:36
