Würfelwelt 20
Schädelstadt
Commarvahn)
v. Michael Breuer
(Die Legende v. Hogan Flammenlanze (Teil2)
Nachdenklich stand der junge Barbarenkrieger Hogan Flammenlanze an der Reling und blickte hinaus auf das weite Meer. Es lag bereits mehrere Tage zurück, daß er aus Creagans Strafgefangenenlager auf Lo- Pan geflüchtet war, doch manchmal meinte er, immer noch das Gewicht der Ketten an seinem Körper zu spüren. Bald würde dies für immer vorbei sein - wenn er Patena erreichte, um sich als Krieger für Tally-O- Dan zu verdingen.
Hogans stahlgraueAugen verengten sich leicht, als er des Anführers der Patena-Barbaren gedachte, denn nur allzu gut konnte er sich an die Worte der Hexe Sindra erinnern, die angekündigt hatte, auf Patena das kosmische Gleichgewicht wiederherstellen zu wollen - eine Tat, die nur durch den Tod von Dan geschehen konnte.
Es verhielt sich tatsächlich so, daß Hogan mit jener seltsamen Waffe, die er im Gollar-Ratth gefunden hatte, einen Trumpf für die Mächte des Guten auf der COMMARVAHN darstellte, und da das Gleichgewicht stets ausgeglichen sein sollte, mußte ein anderer Champion des Guten dafür abtreten. Dies sollte augenscheinlich der „lange" Dan sein, was Hogan jedoch zu verhindern wissen würde.
Er seufzte abermals.
Seit zwei Tagen befand er sich an
Bord der JEN-MALOR, eines kleinen, malorischen Frachtschiffes, das unterwegs zu einer der Feary-Inseln war und den Barbaren bei dieser Gelegenheit auf Patena absetzen wollte.
Hogan war froh, direkt nach Verlassen des Sumpfgebietes auf eine malerische Küstensiedlung getroffen zu sein, deren Bewohner tatsächlich Seehandel betrieben -
eine Sache, die einigermaßen ungewöhnlich für dieses rauhe Reitervolk war.
Der junge Barbar atmete tief durch, als er aus dem Krähennest
einen heiseren Schrei in malerischem Dialekt vernahm, der ihn aus
seinen Gedanken riß und nur bedeuten konnte, daß man endlich die
Küste der Barbareninsel erreicht hatte.
Angestrengt blickte er geradeaus. und tatsächlich konnte er in einiger
Entfernung einen dunklen Landstreifen erkennen, bei dem es sich um
Patena handeln mußte.
Ein grimmiges Lächeln huschte über Hogans narbige Züge, als er der
drei Hexen gedachte, deren Pläne er gründlich durchkreuzen würde.
Es handelte sich tatsächlich um die Küste der Barbareninsel
, und so verließ Hogan Flammenlanze in geringer Entfernung zur Hauptstadt im Schein der Morgendämmerung die JEN-MALOR, die ihn von der Küste
Irrghs bis hierher gebracht hatte
Froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, atmete
der junge Barbar aus und wurde sich wieder einmal bewusst, wie stark das malorische Blut in seinen Adern war.
Auf dem Wasser hatte er sich seit jeher unwohl gefühlt, was nicht ver-
wunderte, waren die Maloren doch ein wildes, urwüchsige; Reitervolk.
Gutgelaunt machte sich Hogan auf den Weg und verschwendete keinen Gedanken an mögliche Gefahren.
Hier auf Patena würde ihm nichts geschehen.
Schließlich war er selbst ein Ausgestoßener, und nur hier würde er eine Heimat finden können.
Auf einer Anhöhe blieb der Barbar stehen und blickte hinab auf Patena-Stadt.
Die Ansiedlung lag an der großen Tsskidan-Bucht und war der Anlaufpunkt für alle ankommenden Schiffe.
Hogan selbst hatte jedoch darauf bestanden, die Stadt zu Fuß betreten zu wollen,
was nicht zuletzt auf seine immer stärker werdende Seekrankheit zurückzuführen war.
Hogan lächelte. In der Mitte der Stadt erhob sich ein großer Berg, auf welchen sich ein prachtvolles Gebäude befand,
das zweifellos der Sitz des „ Langen Dans „ war. Um diesen Hügel herum,
befanden sich zahllose Wohnhäuser, Vergnügungsviertel und Basare.
Ein atemberaubender Duft stieg von den Dächern zu Hogan auf,
und kurz verzog er das Gesicht bevor er sich daran machte weiterzugehen.
Als er endlich die ersten Häuser von Patena-Stadt erreichte,
war es Abend geworden, und es dürstete ihn.
Vor seinem geistigen Auge sah er bereits prall gefüllte Bierhumpen tanzen,
woraufhin er entschied, daß es nicht schaden könne,
wenn er vor seinem Besuch bei Tally-O Dan noch einen Abstecher in eine der unzähligen
Schänken Patenas machen würde.
So geschah es also.
Frohen Mutes betrat Hogan ein
Lokal mit dem klangvollen Namen
ZUM KNOCHENBRECHER, und abermals huschte ein Lächeln über
sein Gesicht, als er jene Szenerie erblickte, die sich jedem Fantasy-Leser bei der Schilderung des Treibens
in einer solchen Schänke schon einmal offenbart hat. In seinem jungen Leben hatte er noch nicht oft Gelegenheit gehabt,
eine Schänke zu betreten, er war ja schließlich in Gefangenschaft aufgewachsen.
Nun jedoch würde er alle Versäumnisse nachholen!
Nichtsdestotrotz fühlte sich Hogan beunruhigt, wenngleich er auch nicht zu sagen vermochte, weshalb.
Müde vom langen Wandern ließ er sich auf einem der Hocker an der Theke nieder und musterte den fetten Wirt,
der gerade einige Krüge füllte.
„Heda!" rief er laut, um den Lärm der Musiker im hinteren Teil des Raumes zu übertönen.
Der Wirt reagierte nicht. Überhaupt schien niemand von dem Neuankömmling Notiz zu nehmen.
Hogan rief abermals, doch immer noch machte der Mann hinter der
Theke keine Anstalten zu reagieren.
Der Barbar fühlte einen leichten Groll in sich aufsteigen.
„Holla, schöner Kree-Krieger!"
wurde da eine sanfte Stimme an seiner Seite hörbar.
„Darf ich mich zu Euch setzen?"
Mißmutig blickte Hogan neben sich und sah eine grell geschminkte Dirne, die sich -
ohne seine Antwort abzuwarten - bereits niedergelassen hatte.
„Ihr sitzt doch schon, Mädchen!" stellte er brummelnd fest,
konnte sich jedoch ein Lächeln nicht verkneifen.
„Mein Name ist Linah, Fremder, nicht Mädchen."
Hogans Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen, als er des gespielten Hochmuts in ihrer Stimme ge- wahr wurde.
Unaufgefordert trat der Wirt hinzu und stellte Linah einen Krug Bier auf die Theke.
Der Barbar runzelte die Stirn.
„Ich rufe ihn schon fünf Minuten - aber ich bekomme kein Bier!"
stellte er murrend fest.
„Oh, das kann passieren!" erwiderte Linah, als wäre dies vollkommen selbstverständlich.
„Tassoq ist manchmal etwas abwesend."
Ihre Augen zeigten ein schelmisches Lächeln, als sie weitersprach
„Aber seid Ihr nur hergekommen, um zu trinken, Fremder?
Wollt Ihr nicht von den verbotenen Genüssen kosten, die mein Körper Euch zu bieten hat?"
Prüfend blickte Hogan an Linah herunter und stellte fest, daß ihr
Körper allerdings einige verbotene Genüsse zu bieten hatte.
Also verschob er das Bier auf später.
Sanft griff die Dirne nach seiner Hand, um ihn mit sich zu ziehen.
Sie wollte offensichtlich in einen hinteren Teil der Schänke,
doch so etwas hatte Hogan bereits erwartet.
Obwohl er sich in Gedanken bereits mit
dem Kommenden beschäftigte,
hatte er immer noch dieses dumpfe Gefühl der Unruhe,
das er sich einfach nicht erklären konnte.
Während sie gerade durch eine kleine Tür den Schankraum verlassen wollten,
blickte der Barbar noch einmal über die Schulter zurück.
Stirnrunzelnd beobachtete er, wie Tassoq, der Wirt, ein weiteres Glas Bier zapfte
und dieses genau an den- selben Platz stellte wie einige Augenblicke zuvor.
Das erste Glas wurde hierdurch von der Theke gedrängt
und landete klirrend auf dem Fußboden,
wo es zerbarst.
Der Wirt jedoch würdigte es keines Blickes, was Hogan reichlich seltsam vorkam.
Unwillkürlich griff er nach dem Schultergurt seiner seltsamen, neuen Waffe
und zog diese näher an sich heran
- eine Angewohnheit, die er sich schon während der Seereise zu eigen gemacht hatte.
Dann hatte er mit Linah den Schankraum verlassen und befand
sich nun in einem langen, schwach beleuchteten Gang mit zahlreichen
Türen, hinter denen Lärm und Gelächter zu hören war.
„Mädchen!" sagte Hogan - und mittlerweile war ihm die Lust auf ein
Schäferstündchen gründlich vergangen.
„Ich weiß nicht, was hier nicht stimmt, aber..."
Der Rest des Satzes verlor sich in unverständlichem Gebrummel.
Kurz entschlossen trat Hogan an eine der Türen heran und stieß sie auf.
Der Barbar traute seinen Augen nicht.
Er erblickte eine Horde bärtiger. trinkender Männer, die sich die Zeit damit vertrieben, mit einem kugelförmigen Gegenstand 12 Kegel zu treffen,
die am Ende einer hölzernen Bahn standen.
Hogan kannte dieses Spiel.
Er hatte es unter vielen Namen kennen- gelernt,
doch diese Variante war ihm gänzlich neu, handelte es sich bei der verwendeten Kugel doch um nichts anderes als einen ausgebleichten menschlichen Schädel!
Hogan fluchte - und mit einen--- mal war ihm auch klar,
was ihn vor- hin im Schankraum so gestört hatte.
Die Bewegungen der Menschenwiederholten sich. Sie taten immer dasselbe - ohne die geringste Abweichung - als seien sie Puppen. Es schien, als besäßen sie keinen eigenen Willen.
Vielleicht handelte es sich noch nicht einmal um menschliche Wesen,
um Dämonen oder Gespenster...
Hogan hütete sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken, denn er ge- fiel ihm ganz und gar nicht.
„Mädchen.'' zischte er. „Was für ein verfluchter Ort ist dies?"
Linah lächelte maliziös.
„Dies ist die Schädelstadt!" erwiderte sie.
„Eine Falle für all jene, die glauben, sie könnten heimlich nach Patena kommen, um unlautere Dinge zu tun." Die Schädelstadt!
Hogan erschauerte.
Wie hatte er nur annehmen können, daß er heimlich hierher kommen könne,
daß die Barbareninsel keine Sicherheitsvorkehrungen gegen Eindringlinge hätte?
-Was geschieht nun?" fragte er stockend
und ahnte bereits, daß die 'Antwort nichts Gutes verheißen würde.
„ Du wirst zu einem Bewohner der Schädelstadt werden- genau wie ich
und einige andere- und auf Ewigkeit deinen Dienst für Patena tun! „
„ Lebst du oder bist du ein Geist? „
fragte er, hegte er doch die ungute Befürchtung, von Untoten umgeben zu sein.
Nein. Ich lebe - in einem gewissen Sinne - auch die Spieler dort drüben!" erwiderte Linah.
„Doch die Menschen im Schankraum sind Projektionen,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O Dans Hof Dienst tun."
Hogan war ehrlich verblüfft.
„Du meinst, im Endeffekt ist die Schädelstadt nichts anderes als eine perfekte Gaukelei irgendwelcher Magier? „
Linah nickte.
“Ja ich muß zugeben, als solches erfüllt sie ihren Zweck!" murmelte der Barbarenkrieger.
„Wie dem auch sei, ich muß Tally-O Dan sprechen!"
Die Augen des Mädchens begannen zu funkeln.
„Ich fürchte, das ist unmöglich, starker Mann. Wir können dich nicht gehen lassen!"
Hogan brachte das „Gewehr" in Anschlag, welches ihm schon im Gol- lar-Ratth das Leben gerettet hatte.
„Hör mich an, Mädchen!" zischte er wütend.
„Das Leben von Tally-O Dan ist in großer Gefahr, und ich werde versuchen, ihn zu warnen!
Solltest du mich aufhalten wollen, so sei gewiß, daß ich keinen Augenblick zögern werde, dich zu töten!"
Linah kicherte, und plötzlich begannen ihre Umrisse zu zerfließen.
Hogan glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als aus dem wunderschönen Mädchen, mit dem er vor wenigen Minuten noch hatte schlafen wollen,
plötzlich etwas wurde, das frappante Ähnlichkeit mit einem halbverwesten Leichnam hatte.
Die vorher so üppigen Brüste Linahs wurden faltig und nahmen eine graubraune Färbung an.
Das Gesicht dessen sanfte Züge Hogan so sehr gereizt hatten,
verzerrte sich zu einer entstellten Fratze, aus der zwei leere Augenhöhlen den Barbaren voll unverhohlener Gier anstarrten.
Aus dem abscheulichen Maul lief gelber Schleim, der zähflüssig zu Boden tropfte.
„Bei den Göttern!" fluchte Hogan entsetzt und beobachtete keuchend,
wie sich eine Made aus Linahs rechtem Ohr ringelte.
„Willst du mich nicht küssen, Barbar?" hauchte die Untote, breitete ihre Arme aus und spitzte die fauligen Lippen.
Dann machte sie einen weiteren Schritt auf ihn zu.
Wie gelähmt blickte Hogan auf seine Waffe hinunter und versuchte
sich an die Tastenkombination zu erinnern, die ihm im Gollar-Ratth das Leben gerettet hatte.
Wahllos begann er auf den Bedienungsfeldanzeigen und Tasten her- umzutippen, bis er plötzlich die richtige gefunden zu haben schien.
Wie schon vor Tagen in den Sümpfen löste sich auch jetzt ein fingerbreiter Feuerstrahl aus der Waffe und traf Linah an jener Stelle, an der sich bei einem Menschen das Herz befand.
Mit einem Schrei, der direkt aus der Hölle zu kommen schien, ging die Untote in Flammen auf.
Der Blitz hatte ein faustgroßes Loch in ihren Brustkorb gerissen, so
daß der Barbar regelrecht durch Linah hindurchsehen konnte.
Ihre Haare fingen ebensoschnell Feuer
wie die Kleidung des Mädchens.
Eitrige Blasen bildeten sich auf der ver- westen Haut, und ein abscheulicher Gestank breitete sich in dem Gang aus.
Es war schnell vorbei.
„Teufelswerk!" fluchte Hogan, als er einen Augenblick später über Linahs rauchenden Überresten stand.
Erst in diesem Moment wurde er wieder der Gruppe von Spielern gewahr,
die das Drama aufmerksam verfolgt hatte und langsam näher rückte.
Hogan fröstelte.
Die Augen der sechs Spieler brannten voll unheiligem Zorn. Auch ihre Haut hatte jene Ekel erregende graubraune Färbung angenommen,um sich an einigen Stellen in eitrigen Schwären vom Körper zu lösen.
Es gab keinen Zweifel, daß diese Geschöpfe ihn bei lebendigem Leibe zerfleischen würden, wenn er nichts unternahm.
Hogan blickte hinunter auf seine Waffe und tat das einzig Richtige.
Der feuerrote Strahl traf die Untoten etwa in Hüfthöhe, trennte den Rumpf von ihren Körpern - das
schien jedoch nicht zu reichen, denn immer noch streckten sie die Arme nach Hogan aus, dem sich angesichts dessen die Nackenhaare aufstellten.
Noch einmal betätigte er die Taste und löste Dauerfeuer aus, bis von den lebenden Leichen nicht mehr übrig war als ein Haufen stinkender Schlacke.
Doch immer noch gestattete der Barbar sich kein Aufatmen.
Wer konnte schließlich schon sagen, was sich sonst noch in diesen Gängen aufhielt!
Nach kurzem Überlegen entschied sich Hogan dafür, daß es besser sei, erst einmal ins Freie zu gelangen. Zögernd drehte er sich her- um und schlich lauernd zurück in den Schankraum, in dem sich glücklicherweise keine Untoten verbargen,
sondern nur - wie Linah es ausgedrückt hatte -
magische Projektionen.
Der Barbar atmete auf - allerdings nur so lange, bis er die Schänke verließ
und sich vor einer rund fünfzigköpfigen Horde geifernder lebendiger Leichname
in verschiedenen Stadien der Verwesung wieder fand.
Ohne weiter zu zögern, legte Hogan einen Finger auf jenes matt leuchtende Bedienungsfeld seiner Waffe,
welches den Blitz auslöste.
und -
Nichts geschah!
Ungläubig blickte der Barbar auf jene Waffe, die ihm in den vergangenen Tagen so gute Dienste geleistet hatte.
Verzweifelt versuchte er, irgendeinen Schaden an ihr zu entdecken, fand ; jedoch keinen- sah man von der Tatsache ab, dass eine rot leuchtende Anzeige erloschen war und nun einer gelb leuchtenden Platz gemacht hatte.
Hogan, der die Bedienungsanweisungen auf dem Display nicht verstand,
konnte nicht ahnen, dass die Waffe- eine Strahlenwaffe aus einer fernen Zeit, von einem sich selbst erneuernden Energieelement gespeist wurde, das jedoch in gewissen Abständen Regenerationspausen brauchte.
Nach dem langen Zeitraum, den das komplexe Gerät in der Waffenkammer im Gollar-Ratth geruht hatte, hatten sich die Energiespeicher schnell entleert,
so daß es noch eine ganze Weile dauern würde, bis der Barbar wieder wie gewohnt feuern konnte.
Die Untoten gerieten in Bewegung.
Grunzend und stöhnend stolperten sie vorwärts- auf die Schänke.
Auf Hogan zu,
dem jetzt nur noch die Möglichkeit blieb, sein Heil in der Flucht zu suchen,
denn er wußte nur zu gut, dass er alleine mit seinem Schwertarm nicht gegen eine Horde von Monstern bestehen konnte.
Schwer atmend rannte er zurück in den Schankraum und entschloß sich nach einem kurzen Überlegen dazu,
erneut in den Gang zu flüchten, in den ihm vormals schon Linah gelockt und in dem er die Untoten zerstrahlt hatte . Irgendwo musste dieser Weg ja münden. Und wenn es in der Hölle war.
Müde bahnte sich Hogan seinen Weg, durch das schwach erleuchtete Labyrinth,
bis er schließlich in eine größere Halle gelangte.
Er wußte nicht, wie lange er schon gegangen war, aber es mussten wohl einige Stunden gewesen sein.
Er schluckte, als er eine Gruppe von prachtvoll gekleideten Männern erblickte,
die im Kreis auf dem Boden saßen.
Ihre Augen waren in tiefer Konzentration geschlossen, und wäre nicht der verkniffene Zug um ihre Münder gewesen, hätte man meinen mögen, sie schliefen nur.
Doch diese Männer schliefen nicht - nein, was sie taten, drohte Hogans Fassungsvermögen zu übersteigen. Ungläubig rief er sich Linahs Worte ins Gedächtnis.
Wie hatte sie zu ihm gesagt?
„Die Menschen im Schankraum - nun, sie sind nichts anderes als eine geschickte schwarzmagische Projektion,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O- Dans Hof Dienst tun."
Demnach waren die Männer, die hier in tiefer Konzentration auf dem Boden hockten,
niemand anders als jene Magier, die die Schädelstadt erschaffen hatten
und ihr den Anschein reger Lebendigkeit gaben!
Hogan lächelte trotz der eben erst ausgestandenen Todesängste.
Tally-O-Dan. mußte ein sehr weiser und gleichzeitig verdammt gerissener Herrscher sein.
wenn er sich auf solche Tricks verstand, um sein Reich zu schützen.
Vielleicht würde er ja Hogans Hilfe gar nicht brauchen.
„ Was machst du hier?"
fragte eine harte, befehlsgewohnte Stimme und riß den jungen Barbaren aus seinen Gedanken.
Blitzartig fuhr er herum - das Schwert bereits in der Hand.
Hogan starrte in das Gesicht eines etwa zwei Meter große
weißhaarigen Greises, in dessen Augen der Zorn funkelte.
Plötzlich fühlte er sich verlegen, hier so heimlich eingedrungen zu sein.
„Ich...", begann er, „mein Name ist Hogan, ich bin von Lo-Pan geflüchtet
und habe eine wichtige Botschaft für Euren Herrscher Tally-ö Dan! "
Nun war es an der Reihe des Alten, sich vorzustellen.
„Ich bin Zoquar, der Wächter, mein junger Freund!
Ich wache über die Gemächer und halte unbefugte Eindringlinge davon ab, die Zauberer in ihrer heiligen Ruhe zu stören,
auf daß die Schädelstadt weiterbesteht!
Aber sag mir, welcher Art ist deine Botschaft?"
„Nun...", Hogan zögerte. „Ich habe von Attentatsplänen erfahren, die
gegen Euren Herrscher gehegt werden - und die Mörder sollen bereits
auf der Insel sein!"
Der alte Mann lächelte gütig.
„Ich höre kein Fehl in deiner Stimme, Hogan.
Wenn dem tatsächlich so ist, dann sollst du reich belohnt werden. Folge mir - ich führe dich nach oben..."
So sprach der Alte und griff nach Hogans Hand. Gemeinsam betraten sie wieder das Labyrinth aus Gängen, aus dem der Barbar vor wenigen Minuten gekommen war.
Während sie schweigend durch das Dunkel marschierten, kam eine Frage in Hogan auf.
„Was wäre eigentlich geschehen, wenn ich versucht hätte, Euch anzugreifen, Zoquar?"
Der alte Mann kicherte leise in sich hinein, bevor er antwortete.
„Sei versichert, Junge, der Tod wäre schneller als ein Lidschlag über dich gekommen!"
Von da an stellte Hogan keine Fragen mehr.
Eine Stunde später betraten Hogan Flammenlanze und Zoquar einen kleinen Raum, der sich nach den
Worten des alten Mannes bereits im Inneren des Herrscherpalastes befand.
Aus einem kleinen Fenster konnte der Barbar die Stadt Patena -
die wahre Stadt Patena - mit all ihren prachtvollen Bauten erkennen, und zum ersten Mal seit vielen Tagen fühlte er so etwas wie innere Ruhe aufkommen.
„Komm, Junge!" sprach der Alte „Ich bringe dich in den Thronsaal."
So geschah es dann.
Zum ersten Mal in seinem Leben betrat der Krieger die kühlen Hallen
der Residenz Tally-O-Dans und fühlte eine tiefe Ehrfurcht in sich aufsteigen.
Als sie kurz darauf durch ein riesiges Portal in den Thronsaal eintraten,
nickte der alte Mann Hogarn noch einmal lächelnd zu,
um sich zu verabschieden.
Am gegenüberliegenden Ende des Saales konnte der Barbar eine hochgewachsene,
kräftige Gestalt erkennen, die nachdenklich aus dem Fenster schaute.
Kein Zweifel, es war der Lange Dan, der dort auf sein Reich hinab sah!
Hogan Flammenlanze öffnete den Mund, um den Herrscher Patenas zögernd anzusprechen,
doch dazu kam es nicht mehr.
Denn in jenem Moment brach die
Hölle los.
ENDE der zweiten Teils
© 26. und 27.04.1993
by Mike Breuer/
Commarvahn)
v. Michael Breuer
(Die Legende v. Hogan Flammenlanze (Teil2)
Nachdenklich stand der junge Barbarenkrieger Hogan Flammenlanze an der Reling und blickte hinaus auf das weite Meer. Es lag bereits mehrere Tage zurück, daß er aus Creagans Strafgefangenenlager auf Lo- Pan geflüchtet war, doch manchmal meinte er, immer noch das Gewicht der Ketten an seinem Körper zu spüren. Bald würde dies für immer vorbei sein - wenn er Patena erreichte, um sich als Krieger für Tally-O- Dan zu verdingen.
Hogans stahlgraueAugen verengten sich leicht, als er des Anführers der Patena-Barbaren gedachte, denn nur allzu gut konnte er sich an die Worte der Hexe Sindra erinnern, die angekündigt hatte, auf Patena das kosmische Gleichgewicht wiederherstellen zu wollen - eine Tat, die nur durch den Tod von Dan geschehen konnte.
Es verhielt sich tatsächlich so, daß Hogan mit jener seltsamen Waffe, die er im Gollar-Ratth gefunden hatte, einen Trumpf für die Mächte des Guten auf der COMMARVAHN darstellte, und da das Gleichgewicht stets ausgeglichen sein sollte, mußte ein anderer Champion des Guten dafür abtreten. Dies sollte augenscheinlich der „lange" Dan sein, was Hogan jedoch zu verhindern wissen würde.
Er seufzte abermals.
Seit zwei Tagen befand er sich an
Bord der JEN-MALOR, eines kleinen, malorischen Frachtschiffes, das unterwegs zu einer der Feary-Inseln war und den Barbaren bei dieser Gelegenheit auf Patena absetzen wollte.
Hogan war froh, direkt nach Verlassen des Sumpfgebietes auf eine malerische Küstensiedlung getroffen zu sein, deren Bewohner tatsächlich Seehandel betrieben -
eine Sache, die einigermaßen ungewöhnlich für dieses rauhe Reitervolk war.
Der junge Barbar atmete tief durch, als er aus dem Krähennest
einen heiseren Schrei in malerischem Dialekt vernahm, der ihn aus
seinen Gedanken riß und nur bedeuten konnte, daß man endlich die
Küste der Barbareninsel erreicht hatte.
Angestrengt blickte er geradeaus. und tatsächlich konnte er in einiger
Entfernung einen dunklen Landstreifen erkennen, bei dem es sich um
Patena handeln mußte.
Ein grimmiges Lächeln huschte über Hogans narbige Züge, als er der
drei Hexen gedachte, deren Pläne er gründlich durchkreuzen würde.
Es handelte sich tatsächlich um die Küste der Barbareninsel
, und so verließ Hogan Flammenlanze in geringer Entfernung zur Hauptstadt im Schein der Morgendämmerung die JEN-MALOR, die ihn von der Küste
Irrghs bis hierher gebracht hatte
Froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, atmete
der junge Barbar aus und wurde sich wieder einmal bewusst, wie stark das malorische Blut in seinen Adern war.
Auf dem Wasser hatte er sich seit jeher unwohl gefühlt, was nicht ver-
wunderte, waren die Maloren doch ein wildes, urwüchsige; Reitervolk.
Gutgelaunt machte sich Hogan auf den Weg und verschwendete keinen Gedanken an mögliche Gefahren.
Hier auf Patena würde ihm nichts geschehen.
Schließlich war er selbst ein Ausgestoßener, und nur hier würde er eine Heimat finden können.
Auf einer Anhöhe blieb der Barbar stehen und blickte hinab auf Patena-Stadt.
Die Ansiedlung lag an der großen Tsskidan-Bucht und war der Anlaufpunkt für alle ankommenden Schiffe.
Hogan selbst hatte jedoch darauf bestanden, die Stadt zu Fuß betreten zu wollen,
was nicht zuletzt auf seine immer stärker werdende Seekrankheit zurückzuführen war.
Hogan lächelte. In der Mitte der Stadt erhob sich ein großer Berg, auf welchen sich ein prachtvolles Gebäude befand,
das zweifellos der Sitz des „ Langen Dans „ war. Um diesen Hügel herum,
befanden sich zahllose Wohnhäuser, Vergnügungsviertel und Basare.
Ein atemberaubender Duft stieg von den Dächern zu Hogan auf,
und kurz verzog er das Gesicht bevor er sich daran machte weiterzugehen.
Als er endlich die ersten Häuser von Patena-Stadt erreichte,
war es Abend geworden, und es dürstete ihn.
Vor seinem geistigen Auge sah er bereits prall gefüllte Bierhumpen tanzen,
woraufhin er entschied, daß es nicht schaden könne,
wenn er vor seinem Besuch bei Tally-O Dan noch einen Abstecher in eine der unzähligen
Schänken Patenas machen würde.
So geschah es also.
Frohen Mutes betrat Hogan ein
Lokal mit dem klangvollen Namen
ZUM KNOCHENBRECHER, und abermals huschte ein Lächeln über
sein Gesicht, als er jene Szenerie erblickte, die sich jedem Fantasy-Leser bei der Schilderung des Treibens
in einer solchen Schänke schon einmal offenbart hat. In seinem jungen Leben hatte er noch nicht oft Gelegenheit gehabt,
eine Schänke zu betreten, er war ja schließlich in Gefangenschaft aufgewachsen.
Nun jedoch würde er alle Versäumnisse nachholen!
Nichtsdestotrotz fühlte sich Hogan beunruhigt, wenngleich er auch nicht zu sagen vermochte, weshalb.
Müde vom langen Wandern ließ er sich auf einem der Hocker an der Theke nieder und musterte den fetten Wirt,
der gerade einige Krüge füllte.
„Heda!" rief er laut, um den Lärm der Musiker im hinteren Teil des Raumes zu übertönen.
Der Wirt reagierte nicht. Überhaupt schien niemand von dem Neuankömmling Notiz zu nehmen.
Hogan rief abermals, doch immer noch machte der Mann hinter der
Theke keine Anstalten zu reagieren.
Der Barbar fühlte einen leichten Groll in sich aufsteigen.
„Holla, schöner Kree-Krieger!"
wurde da eine sanfte Stimme an seiner Seite hörbar.
„Darf ich mich zu Euch setzen?"
Mißmutig blickte Hogan neben sich und sah eine grell geschminkte Dirne, die sich -
ohne seine Antwort abzuwarten - bereits niedergelassen hatte.
„Ihr sitzt doch schon, Mädchen!" stellte er brummelnd fest,
konnte sich jedoch ein Lächeln nicht verkneifen.
„Mein Name ist Linah, Fremder, nicht Mädchen."
Hogans Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen, als er des gespielten Hochmuts in ihrer Stimme ge- wahr wurde.
Unaufgefordert trat der Wirt hinzu und stellte Linah einen Krug Bier auf die Theke.
Der Barbar runzelte die Stirn.
„Ich rufe ihn schon fünf Minuten - aber ich bekomme kein Bier!"
stellte er murrend fest.
„Oh, das kann passieren!" erwiderte Linah, als wäre dies vollkommen selbstverständlich.
„Tassoq ist manchmal etwas abwesend."
Ihre Augen zeigten ein schelmisches Lächeln, als sie weitersprach
„Aber seid Ihr nur hergekommen, um zu trinken, Fremder?
Wollt Ihr nicht von den verbotenen Genüssen kosten, die mein Körper Euch zu bieten hat?"
Prüfend blickte Hogan an Linah herunter und stellte fest, daß ihr
Körper allerdings einige verbotene Genüsse zu bieten hatte.
Also verschob er das Bier auf später.
Sanft griff die Dirne nach seiner Hand, um ihn mit sich zu ziehen.
Sie wollte offensichtlich in einen hinteren Teil der Schänke,
doch so etwas hatte Hogan bereits erwartet.
Obwohl er sich in Gedanken bereits mit
dem Kommenden beschäftigte,
hatte er immer noch dieses dumpfe Gefühl der Unruhe,
das er sich einfach nicht erklären konnte.
Während sie gerade durch eine kleine Tür den Schankraum verlassen wollten,
blickte der Barbar noch einmal über die Schulter zurück.
Stirnrunzelnd beobachtete er, wie Tassoq, der Wirt, ein weiteres Glas Bier zapfte
und dieses genau an den- selben Platz stellte wie einige Augenblicke zuvor.
Das erste Glas wurde hierdurch von der Theke gedrängt
und landete klirrend auf dem Fußboden,
wo es zerbarst.
Der Wirt jedoch würdigte es keines Blickes, was Hogan reichlich seltsam vorkam.
Unwillkürlich griff er nach dem Schultergurt seiner seltsamen, neuen Waffe
und zog diese näher an sich heran
- eine Angewohnheit, die er sich schon während der Seereise zu eigen gemacht hatte.
Dann hatte er mit Linah den Schankraum verlassen und befand
sich nun in einem langen, schwach beleuchteten Gang mit zahlreichen
Türen, hinter denen Lärm und Gelächter zu hören war.
„Mädchen!" sagte Hogan - und mittlerweile war ihm die Lust auf ein
Schäferstündchen gründlich vergangen.
„Ich weiß nicht, was hier nicht stimmt, aber..."
Der Rest des Satzes verlor sich in unverständlichem Gebrummel.
Kurz entschlossen trat Hogan an eine der Türen heran und stieß sie auf.
Der Barbar traute seinen Augen nicht.
Er erblickte eine Horde bärtiger. trinkender Männer, die sich die Zeit damit vertrieben, mit einem kugelförmigen Gegenstand 12 Kegel zu treffen,
die am Ende einer hölzernen Bahn standen.
Hogan kannte dieses Spiel.
Er hatte es unter vielen Namen kennen- gelernt,
doch diese Variante war ihm gänzlich neu, handelte es sich bei der verwendeten Kugel doch um nichts anderes als einen ausgebleichten menschlichen Schädel!
Hogan fluchte - und mit einen--- mal war ihm auch klar,
was ihn vor- hin im Schankraum so gestört hatte.
Die Bewegungen der Menschenwiederholten sich. Sie taten immer dasselbe - ohne die geringste Abweichung - als seien sie Puppen. Es schien, als besäßen sie keinen eigenen Willen.
Vielleicht handelte es sich noch nicht einmal um menschliche Wesen,
um Dämonen oder Gespenster...
Hogan hütete sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken, denn er ge- fiel ihm ganz und gar nicht.
„Mädchen.'' zischte er. „Was für ein verfluchter Ort ist dies?"
Linah lächelte maliziös.
„Dies ist die Schädelstadt!" erwiderte sie.
„Eine Falle für all jene, die glauben, sie könnten heimlich nach Patena kommen, um unlautere Dinge zu tun." Die Schädelstadt!
Hogan erschauerte.
Wie hatte er nur annehmen können, daß er heimlich hierher kommen könne,
daß die Barbareninsel keine Sicherheitsvorkehrungen gegen Eindringlinge hätte?
-Was geschieht nun?" fragte er stockend
und ahnte bereits, daß die 'Antwort nichts Gutes verheißen würde.
„ Du wirst zu einem Bewohner der Schädelstadt werden- genau wie ich
und einige andere- und auf Ewigkeit deinen Dienst für Patena tun! „
„ Lebst du oder bist du ein Geist? „
fragte er, hegte er doch die ungute Befürchtung, von Untoten umgeben zu sein.
Nein. Ich lebe - in einem gewissen Sinne - auch die Spieler dort drüben!" erwiderte Linah.
„Doch die Menschen im Schankraum sind Projektionen,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O Dans Hof Dienst tun."
Hogan war ehrlich verblüfft.
„Du meinst, im Endeffekt ist die Schädelstadt nichts anderes als eine perfekte Gaukelei irgendwelcher Magier? „
Linah nickte.
“Ja ich muß zugeben, als solches erfüllt sie ihren Zweck!" murmelte der Barbarenkrieger.
„Wie dem auch sei, ich muß Tally-O Dan sprechen!"
Die Augen des Mädchens begannen zu funkeln.
„Ich fürchte, das ist unmöglich, starker Mann. Wir können dich nicht gehen lassen!"
Hogan brachte das „Gewehr" in Anschlag, welches ihm schon im Gol- lar-Ratth das Leben gerettet hatte.
„Hör mich an, Mädchen!" zischte er wütend.
„Das Leben von Tally-O Dan ist in großer Gefahr, und ich werde versuchen, ihn zu warnen!
Solltest du mich aufhalten wollen, so sei gewiß, daß ich keinen Augenblick zögern werde, dich zu töten!"
Linah kicherte, und plötzlich begannen ihre Umrisse zu zerfließen.
Hogan glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als aus dem wunderschönen Mädchen, mit dem er vor wenigen Minuten noch hatte schlafen wollen,
plötzlich etwas wurde, das frappante Ähnlichkeit mit einem halbverwesten Leichnam hatte.
Die vorher so üppigen Brüste Linahs wurden faltig und nahmen eine graubraune Färbung an.
Das Gesicht dessen sanfte Züge Hogan so sehr gereizt hatten,
verzerrte sich zu einer entstellten Fratze, aus der zwei leere Augenhöhlen den Barbaren voll unverhohlener Gier anstarrten.
Aus dem abscheulichen Maul lief gelber Schleim, der zähflüssig zu Boden tropfte.
„Bei den Göttern!" fluchte Hogan entsetzt und beobachtete keuchend,
wie sich eine Made aus Linahs rechtem Ohr ringelte.
„Willst du mich nicht küssen, Barbar?" hauchte die Untote, breitete ihre Arme aus und spitzte die fauligen Lippen.
Dann machte sie einen weiteren Schritt auf ihn zu.
Wie gelähmt blickte Hogan auf seine Waffe hinunter und versuchte
sich an die Tastenkombination zu erinnern, die ihm im Gollar-Ratth das Leben gerettet hatte.
Wahllos begann er auf den Bedienungsfeldanzeigen und Tasten her- umzutippen, bis er plötzlich die richtige gefunden zu haben schien.
Wie schon vor Tagen in den Sümpfen löste sich auch jetzt ein fingerbreiter Feuerstrahl aus der Waffe und traf Linah an jener Stelle, an der sich bei einem Menschen das Herz befand.
Mit einem Schrei, der direkt aus der Hölle zu kommen schien, ging die Untote in Flammen auf.
Der Blitz hatte ein faustgroßes Loch in ihren Brustkorb gerissen, so
daß der Barbar regelrecht durch Linah hindurchsehen konnte.
Ihre Haare fingen ebensoschnell Feuer
wie die Kleidung des Mädchens.
Eitrige Blasen bildeten sich auf der ver- westen Haut, und ein abscheulicher Gestank breitete sich in dem Gang aus.
Es war schnell vorbei.
„Teufelswerk!" fluchte Hogan, als er einen Augenblick später über Linahs rauchenden Überresten stand.
Erst in diesem Moment wurde er wieder der Gruppe von Spielern gewahr,
die das Drama aufmerksam verfolgt hatte und langsam näher rückte.
Hogan fröstelte.
Die Augen der sechs Spieler brannten voll unheiligem Zorn. Auch ihre Haut hatte jene Ekel erregende graubraune Färbung angenommen,um sich an einigen Stellen in eitrigen Schwären vom Körper zu lösen.
Es gab keinen Zweifel, daß diese Geschöpfe ihn bei lebendigem Leibe zerfleischen würden, wenn er nichts unternahm.
Hogan blickte hinunter auf seine Waffe und tat das einzig Richtige.
Der feuerrote Strahl traf die Untoten etwa in Hüfthöhe, trennte den Rumpf von ihren Körpern - das
schien jedoch nicht zu reichen, denn immer noch streckten sie die Arme nach Hogan aus, dem sich angesichts dessen die Nackenhaare aufstellten.
Noch einmal betätigte er die Taste und löste Dauerfeuer aus, bis von den lebenden Leichen nicht mehr übrig war als ein Haufen stinkender Schlacke.
Doch immer noch gestattete der Barbar sich kein Aufatmen.
Wer konnte schließlich schon sagen, was sich sonst noch in diesen Gängen aufhielt!
Nach kurzem Überlegen entschied sich Hogan dafür, daß es besser sei, erst einmal ins Freie zu gelangen. Zögernd drehte er sich her- um und schlich lauernd zurück in den Schankraum, in dem sich glücklicherweise keine Untoten verbargen,
sondern nur - wie Linah es ausgedrückt hatte -
magische Projektionen.
Der Barbar atmete auf - allerdings nur so lange, bis er die Schänke verließ
und sich vor einer rund fünfzigköpfigen Horde geifernder lebendiger Leichname
in verschiedenen Stadien der Verwesung wieder fand.
Ohne weiter zu zögern, legte Hogan einen Finger auf jenes matt leuchtende Bedienungsfeld seiner Waffe,
welches den Blitz auslöste.
und -
Nichts geschah!
Ungläubig blickte der Barbar auf jene Waffe, die ihm in den vergangenen Tagen so gute Dienste geleistet hatte.
Verzweifelt versuchte er, irgendeinen Schaden an ihr zu entdecken, fand ; jedoch keinen- sah man von der Tatsache ab, dass eine rot leuchtende Anzeige erloschen war und nun einer gelb leuchtenden Platz gemacht hatte.
Hogan, der die Bedienungsanweisungen auf dem Display nicht verstand,
konnte nicht ahnen, dass die Waffe- eine Strahlenwaffe aus einer fernen Zeit, von einem sich selbst erneuernden Energieelement gespeist wurde, das jedoch in gewissen Abständen Regenerationspausen brauchte.
Nach dem langen Zeitraum, den das komplexe Gerät in der Waffenkammer im Gollar-Ratth geruht hatte, hatten sich die Energiespeicher schnell entleert,
so daß es noch eine ganze Weile dauern würde, bis der Barbar wieder wie gewohnt feuern konnte.
Die Untoten gerieten in Bewegung.
Grunzend und stöhnend stolperten sie vorwärts- auf die Schänke.
Auf Hogan zu,
dem jetzt nur noch die Möglichkeit blieb, sein Heil in der Flucht zu suchen,
denn er wußte nur zu gut, dass er alleine mit seinem Schwertarm nicht gegen eine Horde von Monstern bestehen konnte.
Schwer atmend rannte er zurück in den Schankraum und entschloß sich nach einem kurzen Überlegen dazu,
erneut in den Gang zu flüchten, in den ihm vormals schon Linah gelockt und in dem er die Untoten zerstrahlt hatte . Irgendwo musste dieser Weg ja münden. Und wenn es in der Hölle war.
Müde bahnte sich Hogan seinen Weg, durch das schwach erleuchtete Labyrinth,
bis er schließlich in eine größere Halle gelangte.
Er wußte nicht, wie lange er schon gegangen war, aber es mussten wohl einige Stunden gewesen sein.
Er schluckte, als er eine Gruppe von prachtvoll gekleideten Männern erblickte,
die im Kreis auf dem Boden saßen.
Ihre Augen waren in tiefer Konzentration geschlossen, und wäre nicht der verkniffene Zug um ihre Münder gewesen, hätte man meinen mögen, sie schliefen nur.
Doch diese Männer schliefen nicht - nein, was sie taten, drohte Hogans Fassungsvermögen zu übersteigen. Ungläubig rief er sich Linahs Worte ins Gedächtnis.
Wie hatte sie zu ihm gesagt?
„Die Menschen im Schankraum - nun, sie sind nichts anderes als eine geschickte schwarzmagische Projektion,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O- Dans Hof Dienst tun."
Demnach waren die Männer, die hier in tiefer Konzentration auf dem Boden hockten,
niemand anders als jene Magier, die die Schädelstadt erschaffen hatten
und ihr den Anschein reger Lebendigkeit gaben!
Hogan lächelte trotz der eben erst ausgestandenen Todesängste.
Tally-O-Dan. mußte ein sehr weiser und gleichzeitig verdammt gerissener Herrscher sein.
wenn er sich auf solche Tricks verstand, um sein Reich zu schützen.
Vielleicht würde er ja Hogans Hilfe gar nicht brauchen.
„ Was machst du hier?"
fragte eine harte, befehlsgewohnte Stimme und riß den jungen Barbaren aus seinen Gedanken.
Blitzartig fuhr er herum - das Schwert bereits in der Hand.
Hogan starrte in das Gesicht eines etwa zwei Meter große
weißhaarigen Greises, in dessen Augen der Zorn funkelte.
Plötzlich fühlte er sich verlegen, hier so heimlich eingedrungen zu sein.
„Ich...", begann er, „mein Name ist Hogan, ich bin von Lo-Pan geflüchtet
und habe eine wichtige Botschaft für Euren Herrscher Tally-ö Dan! "
Nun war es an der Reihe des Alten, sich vorzustellen.
„Ich bin Zoquar, der Wächter, mein junger Freund!
Ich wache über die Gemächer und halte unbefugte Eindringlinge davon ab, die Zauberer in ihrer heiligen Ruhe zu stören,
auf daß die Schädelstadt weiterbesteht!
Aber sag mir, welcher Art ist deine Botschaft?"
„Nun...", Hogan zögerte. „Ich habe von Attentatsplänen erfahren, die
gegen Euren Herrscher gehegt werden - und die Mörder sollen bereits
auf der Insel sein!"
Der alte Mann lächelte gütig.
„Ich höre kein Fehl in deiner Stimme, Hogan.
Wenn dem tatsächlich so ist, dann sollst du reich belohnt werden. Folge mir - ich führe dich nach oben..."
So sprach der Alte und griff nach Hogans Hand. Gemeinsam betraten sie wieder das Labyrinth aus Gängen, aus dem der Barbar vor wenigen Minuten gekommen war.
Während sie schweigend durch das Dunkel marschierten, kam eine Frage in Hogan auf.
„Was wäre eigentlich geschehen, wenn ich versucht hätte, Euch anzugreifen, Zoquar?"
Der alte Mann kicherte leise in sich hinein, bevor er antwortete.
„Sei versichert, Junge, der Tod wäre schneller als ein Lidschlag über dich gekommen!"
Von da an stellte Hogan keine Fragen mehr.
Eine Stunde später betraten Hogan Flammenlanze und Zoquar einen kleinen Raum, der sich nach den
Worten des alten Mannes bereits im Inneren des Herrscherpalastes befand.
Aus einem kleinen Fenster konnte der Barbar die Stadt Patena -
die wahre Stadt Patena - mit all ihren prachtvollen Bauten erkennen, und zum ersten Mal seit vielen Tagen fühlte er so etwas wie innere Ruhe aufkommen.
„Komm, Junge!" sprach der Alte „Ich bringe dich in den Thronsaal."
So geschah es dann.
Zum ersten Mal in seinem Leben betrat der Krieger die kühlen Hallen
der Residenz Tally-O-Dans und fühlte eine tiefe Ehrfurcht in sich aufsteigen.
Als sie kurz darauf durch ein riesiges Portal in den Thronsaal eintraten,
nickte der alte Mann Hogarn noch einmal lächelnd zu,
um sich zu verabschieden.
Am gegenüberliegenden Ende des Saales konnte der Barbar eine hochgewachsene,
kräftige Gestalt erkennen, die nachdenklich aus dem Fenster schaute.
Kein Zweifel, es war der Lange Dan, der dort auf sein Reich hinab sah!
Hogan Flammenlanze öffnete den Mund, um den Herrscher Patenas zögernd anzusprechen,
doch dazu kam es nicht mehr.
Denn in jenem Moment brach die
Hölle los.
ENDE der zweiten Teils
© 26. und 27.04.1993
by Mike Breuer/
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:10
