Würfelwelt 18

Passage nach Patena
(Commervahn)
v. Michael Breuer
1. DER ATTENTÄTER
Es war Nacht, und das Pferd hatte bereits Schaum vorm Maul, doch der
Reiter kannte kein Erbarmen. Unbarmherzig trieb er es weiter an.
Immerhin ging es hier um sein Leben; denn nichts Geringeres würde er
- verlieren, wenn König Creagans Truppen ihn in die Hände bekämen.
Er war jetzt seit einer Woche unterwegs; - und endlich sah es so aus,
als habe er seine Feinde abgehängt, obwohl er sich da nicht sicher war. So
schnell würden sie gewiß nicht aufgeben; schließlich hatte er versucht,
in den Thronsaal von Vazzkor einzudringen. um den fettleibigen Tyrannen
endlich zu töten - so wie es der Plan Tally-O Dan's - des 'langen' Dan's
war. der nicht umsonst so hieß,
überragte er u.a. doch sämtliche Einwohner der Barbareninsel,
von der unser Attentäter kam, um mindesten zwei Kopfeslängen;
ansonsten so munkelte man unter den weiblichen Bewohnern Patenas)
war er allerdings auch recht lang!

Der Reiter erschrak, als er sich umblickte und hinter sich
am nächtlichen Horizont die Silhouetten der Feinde entdeckte,
die seine Spur offensichtlich wieder gefunden hatten.
Fluchend trieb er das Pferd noch mehr an, bis er vor sich plötzlich die
Stadttorevon Kroykkah sah, die sein
Ziel waren.
Ja. hier im Getümmel der riesigen Handelsstadt
würde er sich sicherlich gut verbergen können!
Das hoffte der Reiter zumindest,
denn ansonsten war sein Leben verwirkt...
2.TRAGAN, DER BLUTDURSTIGE
Loo Ahns verrufene Schänke am
Nordrand von Kroykkah war schon
immer gut besucht gewesen, doch am
heutigen Tag wurden alle bisherigen
Rekorde gebrochen. Immer mehr
Menschen strömten mit durstigen
Kehlen von der Straße herein, und
fast kam sich Loo Ahn vor wie auf
den berühmten Schwarzen Basaren
der Stadt Lebaah, die er in seinen
Jugendjahren einmal gesehen hatte.

'CREAGANS LOCH' hieß die
Kneipe - in Anspielung auf den
furchtbaren Tyrann, der von Vazzkor
aus das Land regierte und auf den
vor wenigen Tagen ein Attentat verübt worden war; leider war es fehlgeschlagen.
Dessen Besatzungstruppen war solch ein Name freilich ein
Dom im Auge, so daß Loo Ahn tagtäglich um seine Konzession bangen
mußte, doch bislang hatte noch niemand bei ihm vorgesprochen - kein
Wunder, war der Wirt doch schon
eine Institution in Kroykkah. Selbst
Edelleute hatten schon in seinem
Lokal verkehrt - und das in bei weitem mehr als einem Sinne.
Der vollschlanke Wirt, der entfernt von den Ureinwohnern der Insel Lo-Pan abstammte,
seufzte auf, als sich die Schwingtür ein weiteres
Mal öffnete und einen Sekundenbruchteil später wieder zuschlug,
ohne daß jemand hereingekommen wäre. „Scherzbold!" grunzte LooAhn kopfschüttelnd.

Da wurde plötzlich einer der Barhocker vor der breiten Theke wie von Geisterhand zurückgeschoben - und
als der Wirt das nächste Mal hinsah, glaubte er seinen Augen nicht zu
trauen, denn direkt vor seiner Nase saß ein zwei Fuß großer, grüngekleideter, freundlich lächelnder... Zwerg!
Loo Ahn grinste breit und beugte sich zu der kleinen Gestalt herunter.
Das Gesicht des Grüngekleideten wirkte trotz seines augenscheinlich hohen Alters recht jung, und der ellenlange weiße Bart unterstützte diesen Eindruck noch auf merkwürdige Weise. Die riesige rote Zipfelmütze mit der
unvermeidlichen Bommel
an der Spitze hatte etwas seltsam Groteskes.

„Was darfs denn sein?" fragte der Wirt gutgelaunt.
„Ein Glas Wurzelsaft?"
In den Augen des Zwerges blitzte es gefährlich - das heißt, sofern die Augen eines Zwerges überhaupt gefährlich blitzen konnten.
„Hast du nichts Besseres als dieses verwässerte Zeug, das alle hier saufen, Wirt!" zischte er in Loo Ahns Richtung.
„Ich will Wein, Mann!"
Achselzuckend korrigierte Loo Ahn seine vorgefaßte Meinung über
Zwerge und wandte sich ab.
Als er einen Augenblick später zurückkehrte, fand er den unbekannten Gnom
in eine heftige Diskussion mit einem Seefahrer von Irrgh -
offensichtlich einem Kree-Krieger - vertieft. Loo Ahn stellte den Weinkelch ab,
der fast ebenso groß wie der Zwerg war, und hörte den beiden interessiert zu.

„Ach, die Kree...", sagte der Gnom gerade gelangweilt, „das sind
doch bloß plündernde und mordende Barbaren!"
Die Augen des Krees verengten sich zu messerscharfen Schlitzen, als er langsam aufstand. „Zwerg, Ihr beleidigt mein Volk!" grollte er.
„Wir Kree sind ehrenvolle Krieger!"
„Natürlich", nickte der kleine Mann lächelnd, „wenn man Bäucheaufschlitzen und Vergewaltigungen als ehrenvoll bezeichnet, habt Ihr zweifellos recht!"
In Erwartung der kommenden Ereignisse hängte Loo Ahn den großen Spiegel ab
und begann, die Theke leerzuräumen.
Langsam griff der dunkelhaarige Kree, der den Zwerg um mehr
als fünf Haupteslängen überragte, an
seinen Rücken und zog dort seine mächtige Streitaxt hervor.
Seine Augen blitzten vor unterdrückter Wut, als er sagte:
„Kommt her, Zwerg! Ich will Euch ein schmerzloses Ende bereiten..."

Die nächsten Ereignisse bekam Loo Ahn nur schemenhaft mit
- zu träge war sein menschliches Auge, als daß er hätte sehen können, mit welch eleganter Bewegung der Zwerg auf die Theke sprang, sein kleines Schwert zog und es dem verdutzten Kree an die Kehle hielt.
„Laßt uns lieber trinken, junger Krieger - trinken ist besser als raufen!" lachte er grimmig.
„Außerdem könnte es sein, daß ich eine Aufgabe für Euch weiß, der nur ein Kree gewachsen sein mag!"
Sprach's und steckte sein Schwert wieder ein.

Atemlos staunend beobachtete Loo Ahn, wie der Kree seine Streitaxt sinken ließ
und stattdessen nach dem Weinkelch griff.
„Verzeiht mir, Sir, aber darf ich Euren werten Namen erfahren?" fragte der Wirt neugierig.
Der Zwerg lächelte, und noch bevor er sprach, wußte Loo Ahn seine Antwort bereits.
„Man nennt mich Tragan - Fandor Tragan!"
Sprachlos stieß der Wirt die Luft aus.
Dies war also der Blutdurstige Tragan - der einzige Barbarenkrieger, den das Zwergenvolk jemals her- vorgebracht hatte,
und dessen Name bereits zu seinen Lebzeiten zur Legende geworden war!

Mit einem munteren Achselzukken zog der barbarische Zwerg den für ihn riesigen Weinkelch zu sich
heran, tauchte gleich seinen ganzen Kopf in die rote, berauschende Flüssigkeit und begann schlürfend zu saufen.
Als sein Kopf wieder zum Vorschein kam, ließ der Blutdurstige Tragan ein markerschütterndes Rülpsen hören,
das einem Kree- Häuptling alle Ehre gemacht hätte,
warf den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen.
3. DES ZWERGEN WUNSCH
„Ihr besitzt doch ein Schiff, nicht wahr?"
sagte Fandor Tragan schmatzend und biß ein weiteres Mal herzhaft in die Rinderkeule,
die das Doppelte seines Kopfes maß, sich aber
unter seinen Bemühungen stetig verkleinerte.
Der junge Wikinger, der auf den Namen Fenryk Schädelspalter hörte,
nickte stumm.
Nach ihrem Disput an der Theke hatten sich die bei- den in ein ungestörtes Hinterzimmer
von CREAGANS LOCH zurückgezogen,
wo sie bei ihrem Gespräch nur von Zeit zu Zeit von Loo Ahn unterbrochen wurden,
der neue Getränke und Essen brachte.
„Nun gut, ich möchte eine Passage bei Euch buchen!" fuhr der Zwerg
fort, woraufhin Fenryk erstaunt die Augenbrauen hob.
„Es gibt genug Fähren, die Ihr nutzen könnt!" sagte er abweisend. Der Kree sah kein Abenteuer darin,
einen Zwerg - und sei es auch der
Blutdurstige Tragan - an sein Reiseziel zu befördern.
„Nun, es ist nicht ganz so einfach...", holte Fandor aus und blickte sich um, als erwarte er, irgendwo unwillkommene Zuhörer zu entdekken.
„Ich möchte nach Patena!"

Unwillkürlich erschrak Fenryk.
„Creagan hat die Insel geächtet!"
erinnerte er den Zwerg, als ob dieser das nicht selbst gewußt hätte.
„Außerdem dachte ich, Ihr kämt von dort!"
Fandor lächelte, wobei die tausend Falten
seines Gesichts in Bewegung gerieten und auf
seltsame Weise zu tanzen schienen,
„Natürlich lebe ich dort, verehrter Schädelspalter,
aber momentan komme ich aus Vazzkor und will in
meine Heimat zurück."
Fenryk blickte nun ziemlich mißtrauisch, denn er wußte, daß vor einer Woche in Vazzkor ein Attentat auf König Creagan verübt
worden war, dem der Tyrann jedoch mit knapper Not entkommen war.
„Ihr werdet gesucht, nicht wahr?" fragte er geradeheraus

Fandor Tragan nickte. „Natürlich, sonst würde ich weder nach Patena wollen noch diese Aktion heimlich durchführen!"

Bei Oskys Klumpfuß!" fluchte der Kree anerkennend,
„IHR seid der Attentäter'."
Fandor lächelte stumm - auch als ihm der junge Krieger überschwenglich auf die kleine Schulter schlugund seine Knochen entsetzt aufstöhnten.

„Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. "

sinnierte der barbarische Zwerg und wurde dann übergangslos wieder ernst.
„So denn, bringt Ihr mich nach Patena?" „Natürlich!" lachte Fenryk Schädelspalter und nahm einen Schluck Wein.
„Ich mag Creagan ebensowenig wie Ihr - und, im Vertrauen, mein Fürst - der Wilde Isir - plant längst ebenfalls, ihn zu stürzen..."
Leise öffnete sich die Tür, und ein junges Mädchen huschte herein.
Fandor und Fenryk flogen gleichzeitig auf ihren Stühlen herum,
die Hände bereits auf den Schwertgriffen.

„Was ist los, Mädchen?"
rief Fenryk mit lauttönender Stimme, und in seinen Augen blitzte milder Zorn über die Störung.

Mein Herr sagt, Ihr sollt gehen! Truppen sind auf dem Weg hierher..."

Der Blutdurstige Tragan stieß einen heftigen Fluch aus,
der an dieser Stelle aus Gründen des Jugendschutzes nicht wiedergegeben werden kann,
und fügte hinzu: „Ich hab's doch gewußt!"

Stellen wir uns dem Kampf, Freund Fandor?" fragte der Kree überflüssigerweise, stand ihrer bei- der Entscheidung doch schon längst fest.

Das Mädchen huschte wieder hinaus.
Aus dem Innenraum der Schänke wurden laute Stimmen hörbar
, die darauf schließen ließen, daß die
Truppen bereits eingetroffen waren.
Fandor und Fenryk zückten ihre Waffen und verließen das dunkle Hinterzimmer.
4. WENN WAFFEN SPRECHEN
CREAGAN S LOCH war immer noch voll, wenngleich sich auch keine Gäste
mehr in der Schänke befanden.
Diese waren vom Hauptmann der patrouillierenden Truppe auf die
Straße geschickt worden, nachdem man sich vergewissert hatte, daß sich
der Gesuchte nicht unter ihnen befand.
Lediglich einen Löffel hatten die Soldaten gefunden -
also, so folgerte der junge Hauptmann Irgim- Ta von der königlichen Besatzungstruppe Kroykkahs, mußte sich der Zwerg noch in der Schänke befinden.
Einen Sekundenbruchteil später sah und hörte er ihn.
Der kleine Mann, der hinlänglich als Blutdurstiger Tragan bekannt
war und momentan im Lande Caanan der Staatsfeind Nr. l war,
stieß einen schrecklichen Kampf- schrei aus, als er den Raum betrat.
Die Überzahl der Feinde, die sich in den letzten Minuten hier eingefunden hatten, um ihn zu töten, schreckte ihn nicht. Furchtlos stürzte Fandor sich ins Getümmel.
Fenryk, der seine Streitaxt gezückt hatte, tat es ihm gleich.
Der Kampf begann.
Wacker wehrten sich die beiden Männer gegen die Legion der Soldaten
. Mancher Kopf wurde von seinem Rumpf getrennt, um über den Boden zu kullern,wie es sonst Golfbälle zu tun pflegten.
„Bei Creagans Hoden!" fluchte Irgim-Ta laut, als er in einer Blutlache ausglitt und zu Boden ging,
wo bei die Streitaxt des Kree seinem Hals bedenklich nahe kam.
Sofort parierte er den Hieb mit seinem langen Beidhänder -
einem Schwert, das normalerweise ob seiner Schwere bevorzugt von Kree getragen wurde, das jedoch auch Irgim-Ta
schon oft gute Dienste geleistet hatte.
„Holla!" rief Fandor fröhlich und bohrte die Waffe einem Soldaten in
jene äußerst empfindliche Stelle, auf der man normalerweise zu sitzen pflegte.
Die Laune des Zwerges hatte sich in den letzten Minuten sehr gebessert, denn er - der schon in so vielen Schlachten gekämpft hatte -war hier in seinem Element!
Die Gefahr, in der er sich befand, schreckte ihn längst nicht mehr.
Zu oft schon hatte er um Leben und Tod gefochten - und den Sieg davongetragen...
Freund Fenryk erging es ganz ähnlich.
Auch er fühlte sich am wohlsten, wenn um ihn herum das Schreien der Verletzten und der Gesang der
Schwerter ertönte.. Gut gelaunt parierte er mit einer Hand einen neuerlichen Hieb des hageren Hauptmanns,
der erneut ausrutschte und sich den behelmten Schädel anschlug,
um übergangslos in tiefe Bewußtlosigkeit zu fallen. Gleichzeitig schwang Fenryk die Streitaxt in der
anderen Hand, woraufhin erneut ein Soldat fortan kopflos sein weiteres
Dasein fristen mußte, das jedoch naturgemäß nicht mehr lange währte.
Aber dennoch - die Zahl der feindlichen Krieger nahm nicht ab,
so daß es allmählich an der Zeit war, den
Rückzug zu planen.
Listig ließen sie sich in die hinteren Räume der Schänke zurückdrängen,
wo sich eine Art Lastenschacht befand, der in den Keller führte und
aus dem mit einemSeilzug die frischen Weinfässer herausgehievt
wurden. Fenryk und Fandor wechselten einen stummen Blick, dann hüpften sie hinein.
Der Zwerg stöhnte schmerzerfüllt auf, als er am Boden ankam.
„Ahhh...", seufzte er, „das ist nichts mehr für meine alten Knochen!"
Als Fenryk hochblickte, sah er die Köpfe der Soldaten über der Luke schweben
und wußte, daß es nur noch Sekunden dauern würde, bis ihre Feinde auch herunterkämen. „Komm, Freund!" rief er. „Wir müssen laufen!"
Und das taten sie auch.

Hals über Kopf rannten sie immer tiefer in die labyrinthischen Kellergewölbe unter der Schänke, die
schon manchem Flüchtling Asyl geboten haben mochten.
„Toller Plan!" grunzte Fandor, der kaum mit dem Kree Schritt halten konnte.
„Kannst du mir verraten, wie wir hier wieder rauskommen?"
„Ganz einfach!" gab Fenryk Schädelspalter zurück, ohne langsamer zu werden.
„Wir hüpfen in die Kloake!"
Fandor riß empört die Augen auf,
als Fenryk an der kreisrunden Öffnung der Verbindung zur Kanalisation Kroykkah's stehenblieb,
aus welcher ein atemberaubender Duft nach oben stieg.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst?" rief er. „Du erwartest, daß ich lieber durch Scheiße wate, als mich einem ehrlichen Kampf zu stellen..."
Wenn der Blutdurstige Tragan noch etwas sagen wollte, so kam er jedenfalls nicht mehr dazu, denn schon hatte der Kree ihn beim Kragen gegriffen und war herunter gesprungen.
Mit einem platschenden Laut landete das ungleiche Paar in einer feuchten, übel riechenden Masse.
Lediglich durch die kreisrunde Öffnung über ihnen drang ein wenig Licht,
und was Fandor sah, gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Verdammt, Kree!" fauchte er übelgelaunt und rümpfte die Nase.
„Wie willst du das jemals wieder gutmachen?"
5. IRGIM-TA'S RACHESCHWUR
Das erste, was Irgim-Ta hörte, als er wieder zu Bewußtsein kam, waren die verzweifelten Rufe des Wirtes Loo Ahn.
„Oh, nein!" rief der kleine dickliche Mann immer wieder.
„Was habt ihr nur mit meiner Schänke gemacht? Wie soll ich nun mein Geld verdienen?
Wer kommt mir für den Schaden auf?"
Irgim-Ta fluchte leise und wollte sich gerade vom Boden hochstemmen,
als eine kalte, arrogante Stimme ihn in seinen Bemühungen unterbrach.
„Bleibt ruhig liegen, Hauptmann!" sagte sie
- und wütend wälzte sich der Angesprochene herum, um dem Fremden gehörig die Leviten zu lesen.
Dann erstarrte er.
Vor ihm stand ein Mann, der ihm aus vielen Berichten nur allzu be- kannt war.
Die goldbeschlagene Rüstung, die ihn als General auswies, blinkte im spärlichen Licht und ließ ihn wie einen antiken Sonnengott erscheinen.
Lediglich die Augen des Fremden wirkten so kühl, daß sie Irgim-Ta an Eiskristalle erinnerten.
Völlig unvermittelt begann er wieder zu sprechen.
Seine Stimme klang unpersönlich und distanziert.
„Ich bin General Klaaw von der hochköniglichen Palastgarde
und von seiner Majestät, dem göttlichen Creagan, beauftragt worden,
vom Hauptmann der Besatzungstruppen den gefangenen Attentäter in Empfang zu nehmen..."

Irgim-Ta fluchte leise in sich hinein, als Klaaw fortfuhr.
„Ich nehme nicht an, daß Ihr ihn tatsächlich gefangen habt, oder?"
fragte der General, und sein Blick wurde noch eine Spur kühler.
Irgim-Ta senkte den Kopf.
„Seit dem Attentat in Vazzkor bin ich dem feigen Meuchelmörder auf den Fersen; seit einer Woche sitze ich im Sattel -
und nun scheitert meine Mission allein an EURER Unfähigkeit!"
Verächtlich spie Klaaw die letzten Wort aus.
„Nun, ich denke, daß der König nicht sehr erfreut sein wird, von Eurem Versagen zu hören!"
Das dachte sich Irgim-Ta im Stillen auch, allerdings sah er sich momentan außerstande, etwas daran zu ändern.
Stattdessen versuchte er erst einmal aufzustehen.
Auch das schaffte er jedoch nicht, denn ein brutaler Hieb des Generals warf ihn zurück auf den Boden.
„Bemüht Euch nicht, Hauptmann, Ihr gefallt mir dort unten!"
höhnte er und wurde sofort wieder ernst.
„Habt Ihr eine Ahnung, wohin er geflohen sein könnte?"
„Ich denke...", antwortete Irgim- Ta mit hochrotem Gesicht, „daß der Kerl ein Schiff kapern wird, denn in Kroykkah wird er nicht bleiben können..."
Ohne ein weiteres Wort warf sich Klaaw herum und verließ
mit wehendem Umhang die Schänke, bzw. was von ihr übrig geblieben war.
Zutiefst gedemütigt blieb Irglir.- Ta zurück.
„Ich werde dich verfolgen, Attentäterl" schwor der Hauptmann bitter.
„Und ich werde dich auch fangen - selbst wenn es das letzte ist, was ich tue!"
Nach einer Weile raffte er sich hoch, suchte seine verbliebenen Männer zusammen
und machte sich ebenfalls zum Hafen auf,
den er ganz zu Recht als Ziel unserer Helden vermutete...
6. KINDER DES SCHLAMMS
„Wenn man es sich recht überlegt", sinnierte Fenryk während einer Rast
auf ihrer Odyssee durch Kroykkah's Kanalisationssystem,
„dann hat Creagan doch eine Menge Gutes für uns getan!"
Die beiden ungleichen Gefährten saßen gerade auf einem kleinen Mauervorsprung,
wehrten von Zeit zu Zeit hungrige Ratten ab
und bemühten sich, ihre Beine nicht in die übel- riechende Masse unter ihnen baumeln zu lassen.
Als Fandor die Worte des Krees vernahm, brauste er wütend auf.
„Ja?" rief er empört. „Was denn zum Beispiel?"
„Naja", begann Fenryk kleinlaut, „zum Beispiel die Kanalisation! Bedenke doch mal. wie es früher immer stank..."

„Die haben die Lebaaher eingeführt..."

Ungerührt fuhr Fenryk fort: „Und der Vazzkor'sche Wein..."

„Ist kein Vergleich zu dem aus Patena!"

„Und keine Frau konnte früher sicher über die Straße gehen!"

„Das können sie heute auch noch nicht!" sagte Fandor trocken.

. 'Bin ich im falschen Film?', dachte der Zwerg bitter und beschloß, das Thema zu wechseln.
„Wie lange dauert es noch, bis wir hier raus sind?"
fragte er seinen großen Freund.
„Meinen Berechnungen zufolge müßten wir uns in der Nähe des Hafens befinden!" antwortete der Kree grübelnd.
Kurz darauf machten sie sich wieder auf den Weg,
wateten mürrisch durch den in allen Regenbogenfarben schimmernden Schlamm,
wobei Fandor des öfteren auf Fenryks Schultern Platz nehmen mußte,
da dieser schon bis zur Hüfte in der zähflüssigen Masse versank -
und der Kree maß immerhin gute zwei Meter! Fandor wäre wahrscheinlich hilflos im Matsch ertrunken, was kein sonderlich rühmliches Ende
für den berühmtesten Krieger des Zwergenreiches dargestellt hätte.
So vergingen einige weitere Stunden, als plötzlich ein spitzer Schrei
die beiden Gefährten aus ihren Gedanken riß.
„Eine Dame in Not!" erkannte Fandor -
in Erwartung eines Kampfes - fröhlich,
sprang (ohne an die Folgen zu denken) von Fenryks Schultern herunter
und versank wortlos in der Kloake.
„Wo bist du, mein Freund Fandor?" rief Fenryk entsetzt,
als er das Gewicht des Gefährten nicht mehr spürte.
Im letzten Moment sah der Kree die rote Bommel von Fandors Mütze
auf dem Schlamm treiben, beugte sich hinunter und zog ihn an der schlohweißen Haartracht aus der stinkenden Brühe heraus.

In diesem Augenblick vernahmen sie erneut einen Schrei,
der sich je- doch nun bedeutend näher anhörte.
„Grrgrgll!" gurgelte der Zwerg, während er angeekelt Flüssigkeit
und diverse Kleinstlebewesen ausspuckte, die er bei seinem Ausflug verschluckt hatte.
„Entschuldige!" sagte Fenryk sanft, nachdem er den Freund wieder auf seine
Schulter gesetzt hatte.

„Was hast du gesagt?"
„Grorogrogll!" gurgelte er erneut. „Ehmm.. .", begann der Kree, als ihm Fandor auch schon ins Wort fiel.
„Grorogrogll - so nennen wir sie in der Sprache unseres Volkes,
das heißt 'Kinder des Schlamms' - große, braune, stumpfsinnige Kreaturen,
die mit den degenerierten Daaih-Ta aus den Gollar-Ratth-Wäldern verwandt sind und in den Kloaken und Sümpfen hausen.
Wie es aussieht, sind sie auch hier heimisch geworden!"
„Oh!" machte Fenryk anerkennend.
„Du verfügst über großes Wissen, Freund!"
Dann sahen sie die junge Frau.
Sie kam um eine Biegung geschossen, als sei der Teufel hinter ihr her,
aber natürlich war es nicht der Gehörnte, sondern nur die großen, braunen, stumpfsinnigen Grorogrogll, aber das war ja auch schon schlimm genug!

Als das leicht bekleidete und trotz des Schlamms äußerst liebreizende
Geschöpf unserer Helden ansichtig wurde, warf es sich ehrfürchtig zu ihren Füßen in den Matsch und rief:
„Helft mir, Ihr Herren! So helft mir doch!"
Fandor und Fenryk wechselten einen kurzen Blick und zückten dann in stummem Einverständnis ihre Waffen.
Da kamen auch schon die Grorogrogll um die Biegung gekrochen,
und der Kree - der schon viel Scheußliches gesehen hatte,
aber noch nichts DERARTIGES - zuckte schaudernd zusammen.
Die Schlammgeschöpfe waren ungefähr so groß wie er,
besaßen jedoch keine festen Konturen,
sondern waren ständig in gräßlicher Bewegung begriffen.
Schmierig braune Gliedmaßen entstanden aus dem Nichts,
nur um Sekunden später wieder ins Nichts zurückzukehren.
Gelbe Augen brannten in stumpfsinniger Wut, und auf einer anderen Welt
hätten sich unsere Protagonisten vielleicht an eine Story von H.P. Lovecraft erinnert gefühlt; so aber stießen sie nur ein angewidertes „Blääh!" aus und stürzten sich in den Kampf.

In Ermangelung eines Stockdegens
setzten sie Schwert und Streitaxt ein -
allerdings auf sehr effektive Weise,
denn obwohl die Kreaturen keine feste
Konsistenz besaßen,
erwiesen sie sich doch als sehr
furchtsam und begannen sich bereits nach dem dritten Hieb zurückzuziehen.

„Nun denn, wie heißt Ihr, Maid?" fragte Fenryk mit jenem offenkundigen Interesse,
das Kree leicht- bekleideten Frauen stets entgegenbringen,
nachdem sich die Kinder des Schlamms endlich winselnd zurückgezogen hatten.
Das Mädchen hob schüchtern den Kopf und stand dann langsam auf
„Mein Name ist Lyssa."
„Das ist ein guter Name!" lächete Fandor freundlich.
„Ein heiliger Name!"
In der Tat war Lyssa der Name einer Schutzgöttin des Zwergenvolkes, die unser Held seit jeher verehrte.
„Was ist dir widerfahren, Kind? " begehrte nun Fandor zu wissen.
„Was hast du mit den Grorogrogll zu schaffen?"
„Sie wollten mich ihren schwarzen Gottheiten opfern, da ich noch jungfräulich bin." hauchte Lyssa
schüchtern und schlug die Augen nieder.
„Soso, die Jungfräulichkeit wollten sie dir rauben...", murmelte Fenryk leise und
dachte im Stillen darüber nach, daß er das ganz gerne selbst getan hätte.

Dann besann er sich jedoch und fragte: „Willst du mit uns reisen, Lyssa?"
„Wohin führt denn Euer Weg?"
fragte das Mädchen, das nicht viel älter als sechzehn Sommer sein konnte.
„Wir reisen nach Patenal" antwortete Fandor fröhlich,
und die Augen Lyssas erhellten sich, denn sie hatte schon in ihrer Kindheit soviel von den todesmutigen Männern der Barbareninsel gehört,
daß die Aussicht, nun dorthin zu reisen, für sie wie der Hauptgewinn beim GLÜCKSRAD war.
„Ja!" sagte Lyssa schlicht. Damit waren sie zu dritt.
7. DIE SCHLEICHENDE KBAHE
Nachdem sie Lyssa in ihren Kreis
aufgenommen hatten, dauerte es tatsächlich nicht mehr allzulange, bis
sie die Kanalisation verließen und sich wieder oberirdisch bewegten.
Unsere drei Gefährten waren nun im Hafen angekommen, wo sie Fenryk
gutgelaunt an zahlreichen stolzen Galeeren und Barkassen vorbeiführte, bis sie schließlich vor dem letzten
Schiff im Hafen stehenblieben.
„Bei Lyssas Zitzen!" fluchte Fandor und vergaß einmal mehr seine gute Kinderstube.
„Ja, was ist?" fragte Lyssa, aus ihren Träumereien bezüglich Patena aufgeschreckt.
„Herrgott'. Doch nicht DU!" blaffte der Zwerg;
dann, an Fenryk gewandt: „Was ist denn das für eine Nußschale?
Damit willst du doch nicht aufs offene Meer?"
Der kleine Segler vor ihnen faßte eine Besatzung von vielleicht zehn Mann
und sah aus, als habe er schon wiederholte Male auf dem Grund des Ozeans gelegen.

Die Segel waren grau und zerschlissen.
Im Mastbaum hing ein einäugiger, betrunkener Kree-Matrose,
der sich nur mit Mühe dort halten konnte.
Alles in allem - das Schiff, mit dem die drei nach Patena übersetzen wollten,
sah alles andere als vertrauenswürdig aus!
„Das", sagte Fenryk stolz, „ist die SCHLEICHENDE KRÄHE - das schnellste Schiff des Reiches Kree!"
„Verdammt, das Ding kommt doch nicht mal heil aus dem Hafen!" rief Fandor empört.
„Hör mal, ich war mit der KRÄHE schon in allen Ecken der COMMARVAHN, Kleiner!" erwiderte der Kree trocken,
winkte seinen Gefährten zu und machte sich dann daran, auf den Bootssteg zu kletten, als hinter ihnen plötzlich Lärm ertönte.
„Oh, nein!" hauchte Lyssa in leisem Entsetzen und deutete mit
ausgestrecktem Arm auf die waffenstarrende Horde,
die in einiger Entfernung sichtbar wurde und bei denen es sich um die blutrünstigen Soldaten General Klaaws handelte, die immer noch auf der Jagd nach dem Attentäter waren.

Eilig hüpften die drei Gefährten an Bord und machten sich ans Ablegen.
„Hey!" rief Fenryk dem Betrun kenen im Mastbaum zu.
„Komm runter, Cuuley! Wir haben's eilig!"
Hatte der Mann vorher noch einen ziemlich trägen Eindruck gemacht,
so kam nun Leben in ihn.
Wie ein Affe hangelte er vom Mastbaum herunter,
begann den Anker einzuholen und setzte die Segel,
was jedoch in Anbetracht der völligen Windstille etwas grotesk wirkte.
Fenryk war währenddessen unter Deck verschwunden
und kam die nächsten Minuten nicht mehr zum Vorschein.
„Und jetzt?" fragte Lyssa ängstlich
und drückte den ächzenden Fan-dor an ihre üppige Brust.
„Ich weiß nicht!" antwortete dieser, wobei er feststellte,
daß ihm die Nähe Lyssas recht gut gefiel.
„Aber wenn nicht bald etwas passiert, dann sind wir geliefert!"
Creagans Häscher waren dem Schiff jetzt schon bedenklich nahe gekommen,
und noch immer zeichnete sich kein Lüftchen am Himmel ab.
Dann geschah plötzlich das Wunder!
Mit einemmal wurde ein Brausen hörbar, das Fandor in den Ohren
wehtat. Zischend blähten sich die Segel auf,
während der Himmel eine dunkle Färbung annahm,
die auf Sturm hindeutete.
Langsam zu- nächst, dann immer schneller, gewann die SCHLEICHENDE KRÄHE an Fahrt,
verließ den ungastlichen Hafen von Kroykkah und schoß hinaus aufs offene Meer,
während Klaaws Mannen nun verblüfft am Kai standen und das einzige taten, das ihnen noch zu tun blieb -
nämlich ziemlich belämmert dreinzuschauen!

Und noch jemand hatte sich auf dem Kai eingefunden
- unser bereits bekannter Gardehauptmann. Er schaute zwar nicht wesentlich klüger drein, doch sein Herz war bitter und voller Haß.
Irgim-Ta stieß einen derben Fluch aus
und beschloß dann, sich Klaaws Soldaten anzuschließen.
8. MAGIER UND JUNGFRAUEN
So verließ die SCHLEICHENDE KRÄHE also die Bucht von Beenkumir
und machte sich endlich auf den Weg nach Patena.
Lyssa und Fandor, allseits bekannt als der Blutdurstige Tragan, standen gemeinsam an der Reling,
betrachteten den Sonnenuntergang
und waren sich in den Stunden seit dem Aulbruch beträchtlich näher gekommen.
Sanft flüsterten sie sich süße Koseworte ins Ohr und tausch- ten gerade erste Zärtlichkeiten miteinander aus,
als Fenryk wieder an Deck kam.
Mißmutig peilte er die Lage,
gab sich jedoch dann einer- Ruck und ging zu den beiden her- über.
„Kommt mit runter, ich möchte euch jemanden vorstellen!"
sagte er in nur gespielter Fröhlichkeit; denn er hatte selbst ein Auge auf Lyssa geworfen.
Und überhaupt - was wollte sie eigentlich mit diesem Zwerg?!
Der mochte vielleicht gut das Schwert schwingen können,
aber das reich nun mal nicht aus...
Mißmutig verdrängte Fenryk seine
eifersüchtigen Gedanken und führte die beiden Verliebten unter
Deck, wo sie von einem hellhäutigen hageren Mann erwartet wurden.
einen dunklen, mit seltsamen Symbolen
verzierten Umhang trug.

„Mein Name ist Wmha-Ta-Glick! „

begann der weißhaarige Fremde mit sonorer Stimme.

„Aber ich gestatte Euch, mich Glic zu nennen!"

'Kling wie eine verhinderte Darmblähung!', dachte Fandor im Stillen,
hütete sich aber, diesen Gedanken auszusprechen;
er ahnte, daß es sich hier um einen Zauberer handelte -
um eben den Zauberer, der ihnen mit Hilfe eines Windzaubers die Flucht aus dem Hafen ermöglicht haben mußte.

„Ich verzeihe dir deine unschönen Gedanken, Blutdurstiger Tragan!"

fuhr der Magier fort, und Fandor zuckte zusammen.

„Schließlich weiß ich um die geringen Geistesgaben des Zwergenvolkes..."

Unser Held bekam einen hochroten Kopf, beherrschte sich aber, denn
es hing weiterhin von der Gunst Glics ab, ob sie Patena erreichten
oder schon vor der Insel Lo-Pan von Creagans Truppen eingeholt wurden.
„Seid gnädig, Meister!" sagte er
darum und setzte seinem Gesicht ein etwas bemüht wirkendes Lächeln auf.
„Aber Ihr müßt zugeben, daß Euer Name wirklich etwas lächerlich klingt!"
Der Magier begann ebenfalls zu lächeln, wissend, daß Fandor Recht hatte- irgendwie klang sein Name wirklich wie eine Darmblähung...
„Ist mir eine Frage gestattet?" fragte unser kleinwüchsiger Held
zögernd und fuhr nach einem gefälligen Nicken des Magiers fort:
„Gehört Ihr einer der Gilden an - oder seid Ihr ein Patena-Magier?
Euer Elementarzauber - wenn es denn ein
solcher war - war sehr wirksam!"

Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist leicht erklärt.
Bei den Gilden handelt es sich um uralte Zusammenschlüsse von Zauberern,
deren größte im Faiidah-Massiv beheimatet war,
welches rund um die Regierungshauptstadt Vazzkor im Reich Creagans lag.
Die Gilden waren sehr konservativ, stur und nicht für neue Ideen zu begeistern.
Sie führten auch die Magier-Schulen,
welche jährlich von hunderten junger Leute aufgesucht wurden,
die glaubten, zum Zaubern geboren zu sein.
Wurde man von der Akademie akzeptiert, dann wurde man ziemlich hart rangenommen, konnte aber sicher sein, daß man anschließend sein Handwerk perfekt beherrschte.
Nach fünf Jahren wurde man zu den Abschlußprüfungen zugelassen und er- hielt bei Bestehen derselben ein Zertifikat
mit der Aufschrift
„Mitglied der Magier-Gilde" -
mit diesem Zertifikat hatte man gute Chancen für einen Job als Hofzauberer.

Die jenigen, welche die Prüfungen jedoch nicht bestanden, wurden freie Magier.
Manche zogen über den Kontinent und beeindruckten arglose Dörfler mit drittklassigen Taschenspielertricks.
Der Großteil jedoch ging nach Patena - zur Barbareninsel - wo es für ungebundene Magier immer etwas zu tun gab...
Insofern war Fandors Frage etwas indiskret- bedeutete sie doch im Grunde nichts anderes als:
Habt Ihr die Gilden-Prüfung geschafft oder nicht?

Wmha-Ta-Glic nahm ihm dies jedoch nicht krumm,
sondern erwiderte:
„Ich bin ein freier Magier, wenngleich
ich auch noch nie einen Fuß auf die Barbareninsel gesetzt habe.
Ebensowenig habe ich einen Gildenausbildung genießen dürfen -
wozu auch?!
Die verknöcherten Faiidah- Greise wissen doch gar nichts von den WAHREN Geheimnissen der Magie!
Warum sollte ich fünf Jahre meines Lebens an sie verschwenden?"

Nun lächelte auch Fandor wieder.
„Ihr seid ein sehr selbstsicherer Mann, Lord Glic!" sagte er.

„Ich bin erfreut, Euch kennenlernen zu dürfen!"
Wmha-Ta-Glic nickte freundlich und ließ die Maske der Arroganz,
hinter der er sein wahres Ich ver- barg, endgültig fallen.
„Wenn Ihr es nicht vorzieht, allein zu speisen,
so würde ich mich geehrt fühlen, wenn Ihr mir beim Abendbrot Gesellschaft leisten würdet!" sagte er
und meinte es ehrlich.
„Ich nehme an, ihr und Eure reizende junge Freundin möchtet Euch bis
dahin noch ein wenig frischmachen..."
Fandor und Lyssa nickten eifrig.
Fenryk, der bis jetzt stumm neben ihnen gestanden und vor sich hin gegrübelt hatte, schaltete sich jetzt erstmals ins Gespräch ein. „Kommt, ich zeige euch eure Kabinen!" sagte er,
wobei seine Stimme immer noch etwas mürrisch klang.

Er führte Fandor und Lyssa zurück auf den kleinen Gang und
brachte sie zu zwei getrennten Zimmern,
in denen sich je ein großer Waschzuber voll heißem Wasser befand.
Lyssa zog sich sofort zurück, um zu baden.
Einige Sekunden standen Fandor und Fenryk noch auf dem Flur,
dann ging auch Fandor in sein Zimmer.
Der Kree begab sich wieder an Deck.
Nach kurzer Zeit öffnete sich Fandors Tür.
Der Zwerg kam heraus, klopfte an Lyssas Tür,
und als diese sich öffnete, huschte er schnell in die Kabine.
„Hast du mich erwartet, Kind?" fragte der Blutdurstige Tragan
und ließ seine Blicke begehrlich über ihren wohlgeformten,
nackten Körper gleiten.
Lyssa lächelte.

Wieder etwas später hörte man
aus dem Zimmer des Mädchens leises Seufzen und Stöhnen,
und mit der Erkenntnis, daß die Jungfrau seiner Geschichte
nicht mehr länger eine solche war, zog sich auch der Erzähler zurück...

Die waffenstarrende Galeere,
die der SCHLEICHENDEN KRÄHE schon seit deren Aulbruch aus Kroykkah folgte
und auf der sich General Klaaw (der sich selbst auch gern als „der Unerbittliche" bezeichnete) und Hauptmann Irgim-Ta befanden, tat dies jedoch nicht!
9. FEINDGEDANKEN
Hauptmann Irgim-Ta von der Stadtgarde Kroykkahs lag auf der Pritsche
in seiner kleinen Kajüte an Bord der Galeere und starrte an die Decke
. Seine Gedanken waren schwermütig.
Er dachte an die Tage, bevor er Soldat geworden war und sich
damit in die Dienste eines der blutrünstigsten Tyrannen der bekannten
Welt gestellt hatte. Sein Vater hatte zu Lebzeiten immer gehofft, daß eines Tages dessen Hof übernehmen würde, um Felder zu bestellen oder als friedlicher Bauer sein Dasein zu fristen.
Nach seinem Tod hatte sein Sohn das Gut jedoch verlassen und war nach Vazzkor gegangen,
da die prachtvolle Stadt mit ihren geheimnisvollen, dunklen Freuden
schon immer einen großen Reiz auf den Knaben
und später auf den Mann namens Irgim-Ta ausgeübt hatte.
Schon bald war er in die Armee eingetreten, die er damals für etwas Gutes und Ehrenwertes hielt doch Creagans brutale Machtpolitik hatte ihn schon bald eines besseren belehrt
- und so erkannte er, daß KEINE Art von Armee gut oder gar ehrenwert war.
Heutzutage bedauerte Irgim-Ta seine Entscheidung oft,
doch konnte der Soldat in ihm nicht mehr aus seiner Haut.
Das Attentat auf den König hatte ihn verblüfft, und insgeheim bewunderte er den Täter für seinen Mut, aber er würde Jagd auf ihn machen und ihn zur Strecke bringen - so wie es Creagans Befehl war.
Daß er ins- geheim verbotene Sympathien für den Zwerg auf Patena hegte,
würde ihn nicht an der Durchführung seines Auftrags hindern.

Zudem war die durch Klaaw erlittene Demütigung zu tief in sein Bewußtsein eingebrannt, als daß Irgim-Ta jetzt von seinem gewählten Pfad hätte abweichen können!
Irgendjemand würde dafür büßen müssen, und momentan war dem Hauptmann ziemlich egal, wer!
Tief in seinem Inneren begann sich ein piepsendes, kleines Stimmchen bemerkbar zu machen,
das 'Gewissen' hieß. Aber Irgim-Ta hörte nicht darauf...
10. EIN SCHERZENDER DÄMON
Sie befanden sich jetzt auf dem offenen Meer.
Die auf Lo-Pan stationierten Truppen König Creagans hatten sich nicht gerührt,
und so hatte die SCHLEICHENDE KRÄHE unbeschadet weitersegeln können,
ohne daß jemand ahnte, daß sie längst verfolgt wurden.
Der nach Alkohol stinkende, einäugige Matrose,
den Fenryk zu Beginn als Cuuley bezeichnet hatte,
torkelte durch die Gänge und schlug den Essensgong.
Sein faltiges, altes Gesicht war in Erwartung der bevorstehenden Nahrungsaufnahme zu
einer fröhlichen Grimasse verzerrt.
„ESSSSEENN!" rief er, und es war schlicht unmöglich,
seine rauhe, kratzige Stimme zu überhören.

So fanden sich nach einer Weile alle Gäste zum Essen unter Deck ein.
In Fenryks großer Kajüte stand eine reich gedeckte Tafel,
an der rund zehn Männer Platz gefunden hätten.
Der Raum selbst war dunkel.
Die roten Samtvorhänge waren zugezogen, und nur die Kerzenleuchter,
die auf der Tafel standen, spendeten ein wenig Licht.
Als mit einiger Verspätung auch Fandor (der nach den aufregenden Ereignissen in Lyssas Kajüte, die keinen Eingang in diese Geschichte gefunden haben,
etwas schwach auf den Beinen war)
und das Mädchen ihren Weg in die Kajüte des Krees fanden,
erblickten sie dort folgende Gäste:
Am Kopf der Tafel saß Fenryk Schädelspalter;
rechts neben ihm war Cuuley damit beschäftigt, eine Rinderkeule zu vernichten;
daneben wiederum saß der große Wmha-Ta- Glic und ihm gegenüber
- Fandors Hand zuckte zum Schwertgriff,
als er des halbdurch- sichtigen, grauenvollen DINGS an- sichtig wurde, das dem Magier gegenüber saß
und aus einem reich verzierten Pokal Wein in sich hinein- schüttete, als handele es sich um Wasser.
„Beim Uurp!" schrie Lyssa und fiel in Ohnmacht.
„OH, JA!" sagte der Dämon.

„Oh, ja!" riefen auch die anderen im Chor.
„Seht ihr es denn nicht?!" fragte Fandor ungläubig.
„Seid ihr mit Blindheit geschlagen?"
Der Dämon lachte gutmütig, und seine riesigen, gelben Augen,
die ein Drittel des unförmigen Kopfes vereinnahmten, blitzten voller Schalk.
„NATÜRLICH SEHEN SIE MICH, ZWERG!" sagte er fröhlich.
„WOLLTE ICH EUCH VERNICHTEN, SO HÄTTE ICH MICH DAZU
NICHT AUF EURE UNBEDEUTENDE KLEINE REALITÄTSEBENE
HERABBEMÜHEN MÜSSEN!"
Fandor blickte ungläubig in die Runde und wunderte sich
über das unverständliche Grinsen der anwesenden Männer,
während sich seine Gefährtin langsam wieder erholte,
aber immer noch ziemlich verängstigt aussah.
„Was willst du dann?" fragte er - immer noch schockiert -
und fuhr dann, an den Magier gewandt, fort:

„Ihr müßt ihn bannen, Lord Glic!"

„Warum sollte ich meinen eigenen Dämon bannen, Freund Fandor?"
entgegnete dieser lachend
. „Kommt und speist endlich mit uns!"
„Euer... Dämon?" stammelte der Zwerg.
„NUN JA", warf der Dämon ein.
„WER HIER WEM GEHÖRT, STEHT NICHT SO GANZ FEST,
ABER ICH BIN TATSÄCHLICH DER FAMILARIS-DÄMON EURES MAGIER-FREUNDES..."
Fandor verwünschte sich selbst und schlug sich mit der flachen Hand vor die runzlige Stirn
. Natürlich - ein Familaris-Dämon!
Viele unabhängige Magier besaßen einen solchen,
um sich von diesem von Zeit zu Zeit Rat zu holen.
Warum also sollte Glic keinen haben?!
„Oh, verzeiht!" murmelte Fandor lahm
und nahm endlich Platz.
Lyssa folgte seinem Beispiel einen Moment später,
so daß das Mahl endlich beginnen konnte.

Es stellte sich heraus, daß der Dämon ein angenehmer Gesprächspartner
mit einem sehr ausgeprägten Sinn für Humor war;
er unterhielt die Gäste der Tafel mit einigen äußerst lustigen Anekdoten
aus seiner höllischen Heimat.
Darüber hinaus hatte er die Fähigkeit, Feuer zu spei
en, was beim Flambieren mancher Speisen recht hilfreich war.

„Wie heißt Ihr eigentlich, Freund Dämon?"
fragte Fandor nach einiger Zeit, da er es leid war, ihn ständig mit 'Freund Dämon' anreden zu müssen,
was in seinen Augen unhöflich war.
Wmha-Ta-Glics Familaris-Dämon
schlug schüchtern die Augen nieder
Seine blaßblaue, halbdurchsichtigr Haut verfärbte sich rosa und sah für einen kurzen Moment fast menschlich aus.
„MEIN NAME IST LAPISLAZuLI...", sagte er zögernd,
als befürch te er, es könne jemand über ihn lachen.
Gutgelaunt widmete sich Fandor wieder seinem Essen und proste dem Dämon zu
. Im Stillen wundererte er sich über all die seltsamen Gestaten,
die ihm in letzter Zeit über den Weg gelaufen waren:
Der Kree mit einem Schiff namens SCHLEICHENDE KRÄHE,

dessen einziges anderes Besatzungsmitglied ständig betrunken war;

die sechzehnjährige Maid, die sich in der Geborgenheit ihres Federbettes so unersättlich gezeigt hatte,
daß Fandor an seinem Verstand zu zweifeln begann;
der Zauberer, dessen Name sich wie eine Darmblähung anhörte
- und nun auch noch dieser Dämon!
Manchmal ging das Leben seltsame Wege...
„Was wollt Ihr eigentlich in Patena?" fragte Glic nach einer Weile
kauend an Fandor gewandt.
„Oh", erwiderte dieser lächelnd,
„ich komme von dort.
Mein Auftrag war es, den Tyrannen Creagan zu stürzen, aber ich habe versagt."
„EIN MEUCHELMÖRDER ALSO?" fragte der Dämon interessiert.
„JA, SOLCHE LEUTE KENNE ICH VIELE!
ES GIBT SIE ZUHAUF IN MEINEM HEIMATREICH.
SIE SORGEN IMMER FÜR ANGENEHME UNTERHALTUNG -
BESONDERS, WENN MAN SIE AUF KLEINER FLAMME GART!
ICH KANNTE DA EINMAL EINEN TYPEN NAMENS KAIN, DER..."
„Ich kämpfe für eine gerechte Sache!" empörte sich Fandor.
LAPISLAZULI lachte dröhnend.
„ES WAR NUR EIN SCHERZ, STERBLICHER!"

beschwichtigte er den Zwerg, der in seiner Wut starke Ähnlichkeit mit einer irdischen Märchengestalt namens Rumpelstilzchen hatte.

Grummelnd widmete sich Fandor wieder seinem Essen, und plötzlich war die unbeschwerte Fröhlichkeit verflogen.
11. SCHWERT DER VERGELTUNG
„SCHIFF NÄHERT SICH VON BACKBORD!" rief Cuuley von seinem Stammplatz im Mastbaum herunter,
und die Passagiere der SCHLEICHENDEN KRÄHE erstarrten in eisigem Schrecken.
Seit dem Essen in Fenryks luxuriöser Kajüte waren rund zwei Stunden ver-gangen.
Fandor, der das Schiff gleichzeitig mit Cuuley entdeckte,
befand sich immer noch in einer leicht niedergedrückten Stimmung,
als er den Ruf des Kree-Matrosen vernahm,
doch nun - in Erwartung eines Kampfes -
huschte erstmals wieder ein Lächeln über sein Gesicht.
„Was ist los?" fragten Fenryk, Lyssa und der Zauberer gleichzeitig,

als sie atemlos an Deck gestürmt kamen. LAPISLAZULI war bereits vor geraumer Zeit wieder entmaterialisiert,
um - wie er sagte - ein wenig zu ruhen.
Fandor deutete hinaus aufs Meer,
wo sich die waffenstarrende Galeere
General Klaaws näherte und langsam in Schußweite geriet.
„Das dürfte Ärger geben!" stellte er überflüssigerweise fest,
sah aber nicht so aus, als würde ihm das et- was ausmachen.
„SCHWERT DER VERGELTUNG!" las Lyssa mit zitternder Stimme vom Schiffsrumpf der Gegner ab.
„Bei Osky!" staunte Fenryk, der schon viel von diesem Schiff gehört hatte.
General Klaaw hatte durch seine brutale Vorgehensweise und die fröhlichen Gemetzel in den Dörfern in Creagans Reich so etwas wie eine traurige Berühmtheit erlangt.Darüber hinaus war er jedoch auch ein brillanter Schlachtenführer,
und manchmal wurde gemunkelt, daß er mit den Dunklen Mächten im Bunde stehe.
Derlei Gerüchte waren bislang allerdings unbestätigt geblieben.
Fest stand nur, daß General Klaaw eindeutig geisteskrank war.
„Da haben wird uns auf was Feines eingelassen!"

Glic schüttelte stumm den Kopf und sah etwas niedergeschlagen aus.
„Ich schätze, ich muß meine Fähigkeiten noch einmal bemühen!" murmelte er,
woraufhin Fenryk nickte.
Es war zwar nicht die Art des Krees, vor einem Kampf davonzulaufen,
doch gegen die Männer der SCHWERT DER VERGELTUNG anzutreten,
wäre kein Kampf, sondern glatter Selbstmord gewesen!
Ohne ein weiteres Wort schloß Glic die Augen.
Leise murmelte er fremdartige Verse vor sich hin -
dunkle, blasphemische Verse zur Anrufung der Elementargeister.
Seine langen, schlanken Finger krampften sich so fest um die Reling,
daß sich seine Knöchel weißlich verfärbten.
Und wieder geschah das Wunder - ein geisterhaftes Brausen wurde hörbar,
das an das Heulen blutgieriger Dämonen aus den tiefsten Tiefen der Hölle erinnerte. Zischend blähten sich die Segel auf, während der Himmel ein dunkle, fast schwarze Färbung annahm, die auf Sturm hindeutete.
Langsam zunächst, dann immer schneller begann die SCHLEICHENDE KRÄHE an Fahrt zu gewinnen, als plötzlich ein,
schmerzerfülltes Stöhnen die Besatung des kleinen Seglers,
der sich immer noch in Schußweite der SCHWERT DER VERGELTUNG
befand, aus ihrer Faszination auf- schreckte.
Im nächsten Moment sahen sie, wie Glic sich an die Schulter griff,
wo sich der Stoff seines Umhangs rot verfärbt hatte
und aus der der Schaft eines Pfeils ragte. Ohnmächtig sank
der Zauberer zu Boden - unfähig, seine begonnene Beschwörung zu Ende zu führen.

„Verdammt!" fluchte Fandor, als er erkannte,
was geschehen war. „Was machen wir nun?"
Fenryk schaute etwas hilflos drein.
Er bediente sich zwar eines Magiers, hatte aber ansonsten keine Ahnung von Zauberei - geschweige denn davon, wie man ein Dutzend entfesselter Elementargeister besänftigte.
Der schwarze Strudel, der die SCHLEICHENDE KRÄHE ergriffen hatte,
nahm nun tornado- mäßige Ausmaße an,
so daß unsere Helden unter Deck flüchten mußten, um nicht von Bord gerissen zu werden.

„Oh, großer Osky!" riefen Fenryk und Cuuley dort im Chor.
„Laß uns nicht über den Rand der Welt fallen...
laß uns nicht über den Rand der Welt fallen... laß uns nicht..."

Fandor begann ebenfalls zu beten.
Stumm kauerte er sich in eine Ecke und schwor sämtlichen Schutzgöttern seines Volkes, immer ein braver Zwerg zu sein, wenn es ihm nur vergönnt sei,
dieser mißlichen Lage zu entkommen!
Lyssa war dabei, den verletzten Magier notdürftig zu verarzten,
doch ihre Hände zitterten, und Tränen liefen über ihre Wangen.
Wenn das Schiff nicht bald zur Ruhe kam,
würde der Zauberer unter ihren Fingern wegsterben,
denn mit jedem Stoß, der die SCHLEICHENDE KRÄHE erschütterte, bohrte sich der Pfeil tiefer in seine Schulter,
und sie hatte nicht die Kraft, das Geschoß zu entfernen...
12. GESTRANDET IM NICHTS
Das Krachen, mit dem die SCHLEICHENDE KRÄHE auf Grund lief,
erschütterte das Schiff bis ins Mark. Fandor stieß einen erleichterten
Seufzer aus, als nun endlich wieder Ruhe eingekehrt war, und die Elementargeister
schienen sich zurück- gezogen zu haben. Cuuley, der zum ersten Mal seit Beginn der Reise
stocknüchtern war, schaute aus dem kleinen Fenster über sich, zuckte
dann zusammen und blinzelte Fenryk verwirrt an.
„Öörph!" sagte er
„Rülps mich nicht an!" tobte Fenryk und plazierte zornig eine Faust im Gesicht des Seemanns, der daraufhin zu Boden sank und beschloß,
daß es das beste sei, fortan zu schweigen.
„Ob das so klug war, Fenryk?!"
stellte der verwundete Glic stöhnend fest.
„Wir können jetzt jeden Mann gebrauchen!"
„Wir sollten feststellen, wo wir sind und wie groß der Schaden ist!"
schlug Fandor vor - und das taten sie dann auch.

Der Zwerg, der Kree und auch Cuuley gingen mutig an Land,
während Lyssa an Bord den verletzten Magier pflegte.
Wie es sich herausstellte, waren sie an den Ufern einer kleinen Insel gestrandet,
die über keinerlei Vegetation verfügte, sondern nur aus kahlem Felsgestein bestand
- aus jenem Felsgestein, das der SCHLEICHENDEN KRÄHE zum Verhängnis geworden war!
„Ich höre etwas!"
murmelte Cuuley plötzlich und stürmte eine Anhöhe hinauf.
„Vielleicht finden wir je- mand, der uns helfen kann!"
Die Anderen lauschten ebenfalls
kurz, um sich dann an Cuuleys Fersen zu heften, der jedoch plötzlich wie angewurzelt stehenblieb.
„Öörph!" wiederholte der Matrose, als der Rest der Gruppe ihn erreicht hatte,
und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Gipfel des kleinen Berges,
wo eine seltsame Kreatur hockte und die wackeren Helden böse anblickte.
„ DREI! DREI! DREI! DREI! DREI ! DREI! " sagte die seltsame Kreatur.

„Bei Osky's Eiternase!" fluchte Fenryk fassungslos, als er endlich erkannte, wo sein prachtvolles Schiff auf Grund gelaufen war.
„Was ist das, und wo sind wir hier?"
fragte Fandor mit einem An- flug von Ärger in der Stimme.
„Öörph!" sagte nun auch Fenryk, was eine Antwort auf beide Fragen war,
aber für Fandor ziemlich unverständlich blieb. Der Zwerg zuckte daher die Achseln und ging auf das pelzige, affenähnliche Wesen zu, das
ihn böse anblickte.
„Hallo!" grüßte Fandor. „Kannst du uns sagen, wo wir sind?"
„Öörph!" riefen Cuuley und Fenryk.
„ DREI; DREI; DREI; DREI .", murmelte das Wesen.
Kopfschüttelnd ging der Zwerg zu den anderen zurück, wo er von dem Kree an den Schultern ergriffen wurde.
. „Du Wahnsinniger!" tobte er.
„Weißt du denn nicht, wer das ist?"
Fandor verneinte.

„Wir Kree nennen ihn 'Den affengesichtigen Murmler mit der schlechten Laune', andere nennen ihn Zhe oder Öörph - wie auch diese Insel heißt!"
Fenryk holte Atem, bevor er fortfuhr:
„Niemand - ich wiederhole - NIEMAND darf ihn je in seinem Gemurmel unterbrechen, denn sonst..."
Urplötzlich materialisierte LAPISLAZULI in ihrer Mitte.
Er grinste breit und sah auch sonst sehr fröhlich aus.
„WAS DANN, KREE?" fragte er.
„WIRD DANN DIE ZEIT DES GROSSEN WÜRFELBECHERS KOMMEN...?"
Die scherzhafte Frage des Dämons blieb unverständlich.
Niemand lachte,
schon gar nicht der finster dreinblickende Kerl in der goldenen Rüstung,
dessen Schiff die Insel kurz nach der SCHLEICHENDEN KRÄHE erreicht hatte und der sich durch die blaßblaue Dämonengestalt nicht im geringsten beeindruckt zeigte, sondern ungerührt sein Schwert zog.
13. BLUTIGE KLINGEN
„Wenn ihr mir den Zwerg gebt, werde ich euch schnell tötenl"
versprach General Klaaw mit einem eiskalten
Grinsen und fuhr mit seinen behandschuhten Fingern fast zärtlich über
die Klinge seines schweren Beidhänders, als sich plötzlich eine zweite Gestalt näherte. Es war Irgim-Ta, der gekommen war, um Rache für die erlittenen Demütigungen zu nehmen. „Was wollt Ihr, Hauptmann?" fragte Klaaw abfällig, ohne den Blick von seinen Gefangenen abzuwenden. „Ich habe doch allen befohlen, auf dem Schiff zu bleibenl"
„Damit Ihr allein den Ruhm erntet, den Attentäter gefangen zu haben'."
erwiderte Irgim-Ta müde und erntete einen verächtlichen Blick seines Vorgesetzten.
„Verschwindet! Ihr habt Euch schon einmal als unfähig erwiesen,
Irgim-Ta! Es wäre ohnehin besser für Euch gewesen, wenn Ihr in
Kroykkah geblieben wärt!"
„'Nein'." erwiderte Gardehauptmann fest.
„Widersetzt Ihr Euch meinen Befehlen...?"
Die Stimme Klaaws bekam einen lauernden Unterton.
Irgim-Tas Gesicht zeigte einen Ausdruck ernsthaften Überlegens, der sich darauf begründete, daß sich wieder dieses kleine Stimmchen
- das Gewissen - in seinem Inneren regte.
„Ich habe es satt'." brummte er dann und zog ebenfalls sein Schwert.

„Ich habe EUCH satt'."

Klaaw lachte laut auf, während unsere Helden sich nur stumm anblicken konntenund beobachteten, wie sich die beiden unverhofften
Kontrahenten abschätzend betrachteten
und einander umkreisten wie zwei lauernde Raubtiere.
Es war der General, der den ersten Schlag führte.
Brutal schlug er mit seinem Schwert nach der ungepanzerten Stelle
zwischen Irgim-Tas Beinen, doch geschickt wich der
Hauptmann aus und parierte den Hieb mit seinem Beidhänder. Inner- halb weniger Sekunden entstand so eine Art grotesker Tanz
- ein Tanz ums Überleben allerdings, denn en- den konnte er nur mit dem Tod eines der beiden Kämpfer.
„Wollt Ihr nicht eingreifen, Freund Dämon?" wandte sich Fandor an LAPISLAZULI, als er sah,
wie Irgim-Ta unter Klaaws wütenden Schwerthieben in immer stärkere Bedrängnis geriet.
Der Dämon stand jedoch mit verschränkten Armen in der Landschaft herum
und betrachtete augenscheinlich mit höchstem Interesse ein einsames Edelweiß,
das zwischen zwei Felsen wuchs und das einzige Anzeichen von Vegetation auf ganz Oörph darstellte.
„ICH KANN NICHT'." sagte LAPISLAZULI freundlich.
„LAUT MEINEM ARBEITSTARIFVERTRAG BIB ICH LEDIGLICH DER BERATER DES MAGIERS UND DARF NICHT AKTIV EINGREIFEN'."
Sprach's und widmete sich wieder seinem Edelweiß.

Die Hände Fandors und Fenryks näherten sich den Schwertgriffen,
als sie den Fortgang des ungleichen Kampfes betrachteten, der sich nun seinem Ende zuzuneigen schien.
Immer größere Anzeichen von Erschöpfung zeigte Irgim-Ta.
Schweiß lief in breiten Bächen an seinem Gesicht herab,
und offenkundig hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten,
während Klaaw immer noch wie ein Wahnsinniger auf ihn einschlug.
Der Hauptmann sank jetzt aufstöhnend in die Knie,
wobei er sein Schwert schützend nach oben gerichtet hielt.
Das war auch sehr vernünftig von ihm, denn als der General nun zum letzten Stoß ausholte und dabei über einen kleinen Stein stolperte,
von dem er sich vollkommen sicher war, daß dieser zuvor nicht dort gewesen war, stürzte er direkt in Irgim-Tas Waffe hinein,
die mit einem alptraumhaften Knirschen durch seinen Brustpanzer drang.

Röchelnd torkelte Klaaw zurück, riß sich das Schwert aus dem Leib
und beobachtete bestürzt, wie sich seine Eingeweide in einem grauroten Sturzbachauf das uralte Sedimentgestein der Insel Öörph ergos-sen.
„Verdammt seid Ihr!" sagte er schweratmend,
bevor er ohne ein weiteres Wort hintenüber fiel und tot am Boden aufschlug.
„Der Stein war vorher tatsächlich nicht da!"
stellten Fandor, Fenryk und Cuuley gleichzeitig fest und blickten den Dämon an.
Freundlich lächelnd zuckte LAPISLAZULI die Schultern.
„VERTRÄGE SIND DA, UM GEBROCHEN ZU WERDEN..."
, sagte er. „DAS HABE ICH VON EUCH MENSCHEN GELERNT!"
14. IRGIM-TAS ENTSCHEIDUNG

Der junge Hauptmann betrachtete erschöpft und ein wenig furchtsam
die bizarren Gestalten, in deren Händen
jetzt sein Leben lag - ein Zwerg; ein einäugiger Kree-Pirat;
ein weiterer Kree, der ihm wie ein Riese erschien...
und dieses schreckliche, blaßblaue Ding, dem Irgim-Ta sein Leben zu verdanken hatte,
obgleich er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte.
„Tötet mich!" rief er eine Spur zu theatralisch. „Ich will in Ehre sterben!"

Die seltsame Gruppe lächelte einmütig.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein!" sagte der Zwerg.
„Für heute ist genug Blut vergossen worden!" „Ihr seid ein wackerer Kämpfer!" fügte der riesige Kree freundlich hinzu
und reichte Irgim-Ta die Hand, um dem Erschöpften beim Aufstehen zu helfen
. „Was wird nun geschehen?" fragte er, nachdem er wieder auf seinen eigenen Füßen stand
und sie einan- der vorgestellt hatten. „Ich vermute, man wird den Kampf beobachtet haben!"

stellte Fandor fest und deutete auf die SCHWERT DER VERGELTUNG,
deren Mannschaft bis jetzt noch keine Anstalten machte,
irgendetwas zu unternehmen, was er reichlich ungewöhnlich fand.
„Wenn das so ist, werden sie nicht gut auf Euch zu sprechen sein..."
Irgim-Ta senkte den Blick und bedachte die Konsequenzen seines Handelns.
Wenn er nach Kroykkah zurückging, würde man ihn ohne lange zu fackeln hinrichten!
Das war kein sonderlich erstrebenswertes Schicksal, fand er.
„Nun, wenn Ihr mögt, so könnt Ihr mit uns reisen!" schlug Fenryk vor und erntete einen dankbaren Blick des Hauptmanns.
„Wohin führt denn Euer Weg?" fragte Irgim-Ta.
„Wir segeln nach Patena!"
„Patena...", murmelte der Hauptmann und dachte einen Moment nach.
Auch ihn hatte es immer gereizt, die Barbareninsel einmal zu besuchen,
und in seiner jetzigen Si-tuation blieb ihm wohl kaum eine andere Wahl.
Schließlich nickte Irgim-Ta.
„Ja", sagte er dann, „Patena..."

Er wußte, daß er nun in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten war -
und bis jetzt gefiel er ihm recht gut!
Mit seiner Hauptmanns-Laufbahn hatte er ein für allemal abge- schlossen.
Lächelnd löste Irgim-Ta die roten Rangabzeichen von seiner Rüstung
und warf sie in den Staub. „Was geschieht nun?" fragte er.
„NUN", sprach der Dämon LAPISLAZULI, „SOLLTEN WIR UNS UM UNSER SCHIFF KÜMMERN..."
Die blaue Gestalt machte ein paar sehr kompliziert aussehende Gesten
und murmelte aufregende Verse aus einer uralten Sprache,
die schon alt gewesen war, als die Menschen sich noch von Ast zu Ast gehangelt und bevorzugt Bananen verspeist hatten.
Das Schiff bewegte sich. Unsere Helden glaubten ihren Augen nicht zu trauen,
doch die SCHLEICHEN- DE KRÄHE bewegte sich.
Die Wunden, die das harte Felsgestein in ihren Leib gerissen hatte, heilten.
Knirschend schlössen sich die klaffenden Öffnungen im Rumpf des Schiffes
, und nach etwa einer Minute sah es so aus, als könne es die Fahrt wieder aufnehmen.
LAPISLAZULI betrachtete prüfend sein Werk, verbeugte sich,
tippte zum Abschied mit den Fingern an einen imaginären Hut und löste sich in Luft auf.
„NUN HABE ICH MEINEN VERTRAG ZUM ZWEITENMAL GEBROCHEN!"
hörten unsere Helden seine Stimme aus dem Nichts.
„ICH HOFFE, IHR WISST DAS ZU SCHÄTZEN..." Mit diesen Worten verschwand er endgültig.
Müde verließen die vier wackeren Helden die sagenumwobene Insel
Öörph und gingen zurück an Bord, wo sie bereits sehnsüchtig von Lyssa und Glic erwartet wurden,
dem es bereits erheblich besser ging und der gerade in einen Zauber unbekannter Art
vertieft zu sein schien. Mur- melnd saß er im Schneidersitz auf
den Planken, und erst als die Freunde die Fahrt gen Patena wieder auf-
genommen hatten, löste er sich aus
seiner Erstarrung, um zu berichten, daß er es gewesen war, der mit Hilfe
eines Lähmungszaubers die SCHWERT DER VERGELTUNG in Schach gehalten hatte,
bis sich die SCHLEICHENDE KRÄHE außer Sichtweite befand.

So also setzten sie ihre Reise fort, die noch einige Zeit andauerte,
in der sich der Magier Glic zusehends von seiner Schulterverletzung erholte,
während Irgim-Ta den größten Teil grübelnd in seiner Kabine verbrachte
und nur langsam Vertrauen zu den anderen faßte.
Dann, am siebten Tag nach den Ereignissen auf Öörph,
war es endlich soweit.
„LAND IN SICHT!" grölte der einäugige Cuuley vom Mastbaum aus.
Sie waren am Ziel!
15. IN PATENA
Fandor Tragan stieß einen fröhlichen Jubelschrei aus,
als der einäugige Cuuley, der sich im Mastbaum befand, endlich Land meldete und die Reise sich ihrem Ende zuzuneigen
begann, hatte er doch nach all den unvorhergesehenen Zwischenfällen nicht mehr damit gerechnet,
die Barbareninsel jemals wiederzusehen. „Patena...", flüsterte Fandor mit Rührung in der Stimme, als sie in den Hafen der gleichnamigen Hauptstadt der Insel einliefen
und er vertrauter Häuser und Berge ansichtig wurde, die er so lange vermißt hatte.
Mit ihm an der Reling stand die junge Lyssa. Ihre Augen schimmerten feucht,
als sie fragte: „Willst du mich jetzt verlassen, Fandor?"
„Nein!" sagte er schnell, damit sie nur ja nicht auf dumme Gedanken kam
. „Nichts liegt mir ferner, Schätzchen..."
Er überlegte einen Moment und fügte dann hinzu:
„Und wenn du möchtest, Lyssa, werde ich nie wie- der kämpfen
- nie wieder in die Welt hinausziehen, um Tyrannen zu stürzen und meine Klinge in ihrem Blut zu baden - nie wieder..."
„Das wäre schön!" sagte Lyssa schlicht, obwohl sie wußte, daß er sie insgeheim belog, daß er dieses Versprechen gar nicht halten konnte.
Viel zu rastlos war der kleine Mann, um an einem Ort seßhaft zu wer- den...
So kam die Stunde des Abschieds.
„Wohl denn", sprach Fandor, als er mit Lyssa und dem ehemaligen Hauptmann Irgim-Ta die SCHLEICHENDE KRÄHE verließ
und mit Wohlgefallen endlich wieder den festen Boden Patenas unter seinen Füßen spürte.

„Lebt wohl, meine Freunde!"

Fenryk und Glic, dessen Schulter immer noch von einem dicken Verband geziert wurde, standen winkend an der Reling,
während Cuu- ley wie immer im Mastbaum schlummerte und so betrunken war, daß er unfähig war, auch nur die Hand zu heben.
Für einen kurzen Moment glaubte Fandor sogar, die blaßblaue Gestalt des Dämons an Bord zu sehen,
doch das mochte auch eine Täuschung gewesen sein.
Im Geist ahnte der Zwerg bereits, daß dies kein Abschied für immer sein würde!
„Kommt!" sagte er schließlich zu Lyssa und Irgim-Ta, und gemeinsam machten sie sich auf zum Hauptquar- tier des Herrschers von Patena,
um diesem über das fehlgeschlagene Attentat Bericht zu erstatten und -
vielleicht - einen neuen Plan zu ersinnen, wie man die grausame Tyrannei des Königs Creagan ein für allemal brechen konnte.
Irgendwann
ENDE
c-23.01.-28.01.1992 by Mike Breuer / DSP

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