Das Ritual (Die Ring-Ebene)
Carmen Steiner
Guinevere zitterte.
Blass spiegelte sich im See der Mond und sein volles Rund wurde nur durch die Wellen durchbrochen, die das kleine Boot verursachte.
Zwei Diener führten die Ruder und brachten Guinevere mit jedem Stoß ihrem Schicksal unaufhaltsam näher.
Fest zog sie ihren knöchellangen Samtmantel um ihren sonst nackten Körper.
Nicht einmal Schuhe hatte ihr die Hohepriesterin für die Überfahrt zum Ritual gelassen. Fetzen von Musik wehten von dem mit Fackeln beleuchteten Ufer an ihr Ohr. Guinevere atmete tief die feuchte Frühlingsluft ein. Würde sie die auferlegte Prüfung bestehen und die Fruchtbarkeitsgöttin mit ihrer jungfräulichen Gabe gütig stimmen?
Ihre anfängliche Freude, die heilige Insel nach acht Jahren das Erste mal wieder zu verlassen schwand mit jedem Meter, den sie dem Ufer entgegenfuhr.
Sie rückte ihre goldene Augenmaske zurecht. Auch das Gesicht des Auserwählten würde hinter solch einer Keuschheitsmaske verborgen bleiben.
Sie wusste, es war obererstes Gebot, während der Zeremonie, diese weder zu entfernen noch ein Wort zu sprechen, um nicht die Göttin zu erzürnen.
Doch wer würde der Auserwählter sein?
Er konnte nicht, so wie sie, von der Hochpriesterin bestimmt werden, sondern musste sich durch die Jagd auf einen Hirsch bewähren. Nur der Jäger, dessen Pfeil das Herz des Tieres durchbohrte, durfte ihr die Unschuld nehmen, um für ein fruchtbares und ertragreiches Erntejahr zu sorgen.
Ein mulmiges Gefühl beschlich ihren Magen.
Wie würde es sein, die Unberührtheit zu verlieren? Viele Gerüchte waren von ihren Glaubensschwestern zu ihr getragen worden.
In einigen hieß es der Erwählte würde sich erregt von der tödlichen Jagd blutverschmiert auf sie stürzen um sich an ihr wieder reinzuwaschen. Andere Geschichten berichteten davon, dass der Jäger meist zu erschöpft sei, um noch das geforderte Ritual zu begehen.
Doch, was dann zu tun sei, wussten weder ihre Schwestern noch sie genau, waren sie doch alle unerfahren, da es auf ihrer Insel nur dienende Eunuchen gab.
Guineveres Herz machte einen Satz. Nur einmal vor zwei Monaten war sie einen wahren Mann begegnet. Der Sohn der Hohepriesterin kam zu Besuch. Von einer auf die andere Sekunde hatte ihr bei seinem Anblick das Herz bis zum Halse geschlagen. Sie schloss für einen Moment die Augen. Ja, er hatte ihren Körper mit seinen Blicken gestreichelt. Bei diesem Gedanken zogen sich sofort ihre Brustwarzen unter dem Mantel zusammen.
Seufzend und selbstvergessen strich sie über die Stelle, an der deutlich ihre rosigen Knospen durch den dünnen Stoff drückten. Wie gerne hätte sich ihr achtzehnjähriger Körper diesem Mann hingegen, doch war ihre Begegnung nur von kurzer Dauer, da es an sich keinem Mann erlaubt war einen Fuß auf die heilige Insel zu setzen und somit Lancelots Besuch eine einmalige Ausnahme war.
Stimmengewirr riss sie aus ihrer Gedankenwelt. Das Boot hatte sich bis auf wenige Meter dem Ufer genähert, schon spürte sie, wie der hölzerne Boden unter ihren Füßen über festen Boden schliff. Helfende Hände hoben sie ins kühle Gras. Die Musik wich dumpfem Trommelschlag. Vielleicht war es auch nur ihr Puls, der so laut in ihren Ohren dröhnte? Ihr Blick wandte sich den lächelnden Gesichtern entgegen, deren Wangen gerötet waren vom Tanz und Wein. Junge Frauen steckten flüsternd hinter vorgehaltener Hand die Köpfe zusammen. Ein Mädchen, wohl kaum älter als sie, trat vor, nahm ihre Hand und führte sie durch die Menge.
Zu ihren Füßen huschten Schatten, wie flüchtige Geister im Schein der lodernden Feuer über den Boden. Ein eigenartiges Gefühl beschlich Guinevere. Sie spürte es genau, ein besonders intensiver Blick ruhte auf ihr. Sie blieb stehen, die Trommeln setzten für Sekunden aus. Ihre Augen trafen den Blick eines Jägers. Er war einer von vieren, doch ihre Aufmerksamkeit galt nur ihm. Ein heißer Schauer durchflutete sie, trotz seiner Maske war ihr als erkenne sie ihn. Die Trommeln setzten wieder ein, holten sie zurück in das Geschehen. Die Körper der Auserwählten strafften sich und verschwanden getrieben vom peitschenden Rhythmus des Festes im angrenzenden Wald. Das Mädchen zog sacht an ihrem Arm. Guinevere Blick wanderte zurück zum See, doch die Menge hinter ihr war wie eine Mauer, von dem Boot war nichts mehr zu sehen. Ihr blieb nicht anderes übrig als den gewiesenen Weg weiter zu gehen. Über einen schmalen Pfad folgte sie dem Mädchen in den nahen Wald und die juchzenden Stimmen der Menschen und das Licht der lodernden Feuer wurde von den dicht gedrängten Riesen verschluckt. Abgestorbenes Nadellaub bohrte sich in ihre nackten Sohlen, bald folgte sie dem zügig vor ihr laufenden Mädchen nur noch auf Zehenspitzen und wich meist vergeblich den nach ihr greifenden Ästen aus.
Plötzlich, unvermittelt hielt das Mädchen an und zeigte stumm auf den Eingang einer Höhle, die im fahlen Mondlicht hinter einer Lichtung lag. Guinevere fröstelte. Hier an diesem Ort sollte sie ... Entsetzt wollte sie sich wieder ihrer Wegbegleiterin zuwenden, doch begriff sie von einem Herzschlag zum anderen: Sie war allein. Eng raffte sie ihren Mantel um ihre schmale Taille und lauschte mit angehaltenem Atem auf jedes Geräusch. War da nicht rechts von ihr ein leises Rascheln? Hastig sah sie sich um. So sehr sie sich auch bemühte etwas zu sehen, ihre Pupillen konnten nichts Verdächtiges fixieren, dennoch war es ihr als wisperten plötzlich unzählige Töne durch den Wald. Sie warf einen Blick auf den Eingang der Höhle. Sollte sie es wagen, die Deckung des Waldes zu verlassen, um über die Lichtung zur Höhle zu huschen? Der Schrei einer Eule erschrak sie bis ins Mark und ihre Füße nahmen ihr eigenständig die Entscheidung ab. Sie rannten so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Bereits nach wenigen Metern löste sich ihre Hochsteckfrisur und ihre dunklen Locken nahmen ihr neben der bereits einengenden Maske gänzlich die Sicht. Sie prallte gegen etwas. Benommen bekam sie für einen Moment keine Luft und sackte keuchend zusammen, doch bevor sie den Boden berührte, wurde sie aufgefangen. Guinevere schaute auf und blickte direkt einem maskierten Mann entgegen.
Nicht wissend ob sie nun erschrocken oder erleichtert sein sollte entwich ihrem Mund ein merkwürdiger Laut. Der junge Mann lächelte, hob sie sanft auf seine Arme und trug sie durch den schmalen Höhlengang. Guinevere war erstaunt das sie von einem Moment zum anderen ihre Angst verlor. Geborgen an diesem warmen Körper war ihr als könne nichts Böses mehr geschehen. Vollkommen entspannt betrachtete sie die sichtbaren Gesichtszüge ihres Trägers: Seine grünen Augen, die klar hinter der Maske hervorleuchteten, die fein geschwungenen Lippen, das leicht spitze Kinn. Es war das Antlitz des Jägers, dessen Blick ihr vorhin bereits begegnet war und es war das Antlitz, welches sie so sehr an Lancelot erinnerte. Bevor sie einen weiteren Gedanken fassen konnte, wurde sie mit leichtem Schwung auf einen weichen Untergrund abgesetzt. Der Gang hatte sich zu einem Raum erweitert.
Guinevere blickte sich um. Auf dem Boden und auf kleinen Felsvorsprüngen standen brennende Talklichter und am Fuße des breiten Bettes, auf dem sie sich befand, prasselte ein Feuer in einem in den Fels geschlagenen Kamin. Ihre Nase füllte sich mit dem Duft von Rosenöl und Kardamom. Die Kissen unter ihr waren schmiegsam und schienen mit feinen Daunen gefüllt. Alles war anschmeichelnd und warm und mitten in dieser Kulisse stand ihr Auserwählter.
Ängstlich suchte ihr Blick das Blut an seinem Körper, von dem ihre Schwestern gesprochen hatten, doch war nichts davon zu sehen und besonders abgekämpft sah er auch nicht aus, dennoch musste er es wohl gewesen sein der die Auswahlprüfung bestanden hatte, sonst währe er ja nicht hier bei ihr.
Er trat einen Schritt näher an das Bett. In einer Reflexbewegung rutschte Guinevere dichter zur rückwärtigen Wand und zog die Knie vor die Brust. Heißschoss ihr das Blut in die Wangen, als sie sah, wie der Mann ihrer nächtlichen Träume seine Stiefel von den Füßen streifte, sein Hemd zu Boden ging und er die Gürtelschnalle seiner Hose öffnete und sich vor ihr entblößte. Wie gebannt musste sie ihm zwischen den Ansatz seiner Schenkel starren. Die Jagd schien einen Mann wahrlich zu erregen. So etwas hatte sie zuvor noch nie gesehen. Nach einer Weile wurde ihr peinlichst bewusst, wie unerhört ihr Starren doch war. Beschämt senke sie den Kopf und fast hätte sie sich auf die Zunge gebissen, da ein unerwarteter Ruck an ihren Fußgelenken sie der Länge nach auf den Rücken zog. Angespannt beobachtete sie den Schattentanz an der Decke, während der Rest ihrer Sinne sich auf die Berührungen auf ihrer Haut konzentrierte. Von den Fußgelenken aus schob ihr Nachtgefährte ihr der Mantel hoch. Sie zuckte unter seinem warmen Atem, der langsam bis zu ihrem Schoß wanderte. Starr presste sie die Schenkel zusammen. Sein Körper schob sich über ihren. Geschickt streifte er ihr den Mantel ab.
Nach einer Weile gab ihr Widerstand einem ihr bisher unbekannten Verlangen nach, das stetig unter seinen warmen Händen, die ihre festen Brüste sachte massierten wuchs. Ganz gab sie sich dem verzückten Gefühl hin, als seine Lippen sich um ihre erregten kirschroten Knospen schlossen. Erst zaghaft, dann immer bestimmter ließ sie ihre Finger über seinen Rücken fahren. Ihre Augen suchten die Seinen, um ihm das Einverständnis für mehr zu geben. Mit dem Knie brachte er ihre Beine auseinander, während sie fordernd seine Lippen küsste. Keuchend hielt sie inne, als sie seinen Phallus an ihrem feuchten Scharm verspürte.
Ihr Blick tastete sich genauso langsam in das Grün seiner Augen, so wie er in sie drang. Am Punkt des größten Widerstandes drückten sich ihre Nägel in seine Haut und mit fest zusammengepressten Pobacken drängte sie sich ihm entgegen. Ganz sollte er sie, genau wie es das Ritual verlangte, nehmen. Seine Stöße wurden kräftiger, bis er ihr die Jungfräulichkeit nahm. Ihren kleinen Aufschrei küsste er ihr von den Lippen. Guinevere schlanke Finger wanderten zu seinem Po. Sie drückte ihr Becken seinem wieder einsetzenden Rhythmus entgegen. Ein unglaubliches noch nie da gewesenes Prickeln brachte ihren Körper zum vibrieren, bis unter einem lauten Aufseufzer sich ihr Schoß mit der Wärme des vollbrachten Rituals füllte.
Noch Minuten lang rauschte Guinevere das erhitzte Blut in den Ohren. Ihr Schicksal hatte sich erfüllt und sie wusste die Fruchtbarkeitsgöttin würde ihrem Volk ein besonders gutes Erntejahr bescheren.
Ende
C. by Carmen Steiner
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:49
Tödliche Schönheit
(Die Ring-Ebene)
von Daniel von Euw
Die Geschichte, die ich euch erzählen will, spielte in einem kleinen nebligen Königreich im Nordwesten der Herbstländer ab. Dieses Reich, Kantania genannt, das sich bis zum Rande des Kaukará-Gebirges erstreckt, lebte lange Zeit in Frieden und Ruhe, bis vor 100 Jahren den damaligen König Koronos der II die Neugier packte.
Es gab schon seit undenkbarer Zeit das Gerücht, im Westen des Königreiches - in den Lhoryt genannten Ausläufern des Kaukará - wäre ein kleines, von der Umwelt abgeschiedenes Dorf. Niemand wußte, wo es war oder ob es überhaupt existierte. Jedoch ließ den König die Vorstellung nicht in Ruhe, daß es in seinem Königreich eine ihm unbekannte Siedlung geben könnte. Und so begab er sich selbst auf die Suche nach diesem kleinen Dorf, das in den alten Sagen Helbatyan genannt wurde.
Er war 7 Monate unterwegs, ohne eine Spur des Dorfes zu finden. Dafür traf er jedoch auf eine der sagenumwobene Blutelfen, die den Berg Khorken auf dem Innenring bewohnten, diese Elfe war einem Lord ihres Volkes bis zum Außenring gefolgt, hier hatte der Blutelfenlord die junge Elfe verstoßen. In Liebe zum jungen König entbrannt, wäre diese Blutelfe sogar bereit gewesen, ihn zu lieben. Er jedoch machte sich über ihre Liebe lustig - nein, er wollte keine Verbindung mit einem dieser angeblich unsterblichen Monster eingehen - und machte sich wieder auf den Heimweg, nun in dem festen Gauben, daß es dieses mysteriöse Dorf doch nicht gäbe.
Wenige Jahre später verliebte sich der bisher ledige König und heiratete im Zuge prunkvoller Feiern.
Doch kommen wir uns nun zur unserer eigentlichen Geschichte. Sie begann mit einem einfachen jungen Mann namens Keran, der in dem Königreich Kantania lebte. Er war 20 Jahre alt und verliebt. Er konnte an nichts anderes mehr denken als nur an sie zu. Wer sie war, das wußte er nicht, aber seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen. Er lag nächtelang wach, in der Gewißheit, daß sie nie zusammenfinden würden. Selbst wenn sie für ihn das gleiche empfand wie er für sie - hatte sie ihn überhaupt wahrgenommen? - hätte seine Liebe keine Zukunft.
Er erinnerte sich immer wieder an ihre erste Begegnung: Er war auf dem Markt gewesen und beeilte sich, nach Hause zu kommen. Da er schwer beladen war, konnte er den Zusammenstoß mit einem jungen Mädchen, das aus einem Laden kam, nicht verhindern. Hochrot im Gesicht half er ihr auf, raffte ihre Sachen zusammen und stammelte eine Entschuldigung. Als er ihr dabei in die Augen blickte, wußte Keran, das er nur sie und keine andere wollte. Sie dankte ihm kurz und ging mit ihren beiden Begleitern davon, die bei dem Zusammenstoß eine drohende Haltung eingenommen hatten. Erst später kam ihm zu Bewußtsein, daß die beiden wohl Leibwächter gewesen sein mußten. Wenn er sich richtig erinnerte - er hatte ja nur Augen für ihr wunderschönes Gesicht gehabt - war sie in kostbare Gewänder gekleidet gewesen. Jedoch war ihm egal, wer sie war, er mußte sie unbedingt wiedersehen.
Keran erkundigte sich im ganzen Dorf nach ihr; doch keiner schien ein junges Mädchen aus reicher Familie zu kennen, auf das seine Beschreibung paßte - bis er an den alten Rebock gelangte. Als Keran ihm das Mädchen beschrieb, wußte dieser Bescheid und schüttelte traurig den Kopf: „Sie wird für dich immer unerreichbar bleiben.“ „Die Zeiten ändern sich, wenn sie mich liebt, ist auch ihr Stand von wenig Bedeutung - dort, wo ich herkomme, hat ein Mann, weniger als ich, die Tochter des reichsten Kaufmannes in der Gegend geheiratet. Du siehst also, nichts ist unmöglich.“ Der Alte schüttelte weiter den Kopf: „Gestern war nur ein junges Mädchen in der Stadt, auf das deine Beschreibung passen könnte - Xenia, die liebliche Tochter unseres allseits geliebten Königs Koronos des VII. Sie ist in die Stadt gekommen, um Blumen für das Grab ihrer Mutter zu kaufen, die vor einem Jahr gestorben ist.“
Auch diese Nacht hatte Keran wieder schlecht geschlafen. Als er am nächsten Tag seiner Arbeit nach ging, hörte er eine Nachricht, die ihn schockierte: Die Wehrfrau war wieder aufgetaucht. Jene tödlich schöne Bestie, welche die Gegend jedes Jahr im Frühling unsicher machte - und das schon seit 100 Jahren. Jedesmal, wenn sie auftauchte, holte sie sich sieben Opfer, deren schrecklich zugerichtete Leichen man im nahen Wald fand. Ob männlich oder weiblich, das spielte keine Rolle, nur jung und schön mußten sie sein.
Niemand, der sie aus der Nähe gesehen hatte, lebte noch, so daß keine genaue Beschreibung zu bekommen war. Es hieß, sie würde ihre Opfer zunächst verführen, um sich dann während des Liebesspiels in eine reißende Bestie verwandeln, die sich am Blut ihrer Opfer stärke. Niemand könne ihrer Schönheit und ihrer erotischen Anziehungskraft widerstehen, und derjenige, der sie zu Gesicht bekäme, würde von ihr magisch angezogen - wie eine Fliege vom Licht. Selbst die wenigen, die sie kurz vor Sonnenaufgang aus der Ferne erblickt hatten, sprachen von ihrer Ausstrahlung, welche sie über hunderte von Metern noch in ihren Bann gezogen hatte - sie waren nur durch das anbrechende Tageslicht gerettet worden, vor dem die Bestie floh.
Die Zeit verging, und kaum jemand wagte noch, sich der Bestie entgegenzustellen. Schon vor Jahren hatte der König versprochen - nachdem seine ältere Tochter der Bestie zum Opfer gefallen war - daß derjenige, der die Wehrfrau besiegte, seine jüngere Tochter Xenia an ihrem sechzehnten Geburtstag zur Frau bekäme. Trotzdem waren nur wenige Todesmutige das Wagnis eingegangen, und keiner von ihnen ward jemals lebend wiedergesehen.
Als Keran an diesem Abend zusammen mit dem alten Rebock in seiner Stammschenke saß, fragte er nachdenklich: „Meinte der König wirklich jeden, dem es gelänge?“, und „Ob das Angebot wohl noch immer steht?“ Rebock antwortete langsam und bedächtig: „Ja, jeder - und soweit ich weiß, gilt das Versprechen noch immer, aber nur noch zwei Monate lang. Denn dann ist Prinzessin Xenia’s sechzehnter Geburtstag, an dem sie nach altem Brauch heiraten wird. Es haben, wie ich hörte, schon viele Barone um ihre Hand angehalten, aber ihr Vater hat sich noch nicht entschieden“ Rebock musterte ihn scharf. „Du denkst doch hoffentlich nicht daran, selbst die Wehrfrau stellen zu wollen?“ „Nein, nein“ versuchte Keran zu beschwichtigen; „...war nur so ein Frage.“
Xenia stand auf dem Balkon ihres Zimmers und schaute sinnierend in die langsam hereinbrechende Dunkelheit. Sie dachte an die Warnungen ihres Vaters, bei Anbruch der Dunkelheit die Läden zu schießen und in ihrem Zimmer zu bleiben. Seit ihre Schwester vor Xenias Augen von der Bestie getötet worden war, lebte er in ständiger Angst um sie. Damals war es ihm im letzten Augenblick gelungen, sie zu retten; seine Männer hatten die Bestie noch lange gejagt, sie aber nicht erwischt.
Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich die Sache noch verschlimmert. Und jetzt, da die Bestie wieder ihr Unwesen trieb, fühlte sie sich fast wie eine Gefangene. Wenn doch nur ihre Mutter noch lebte! So aber war sie auf sich alleine gestellt. Trübsinnig dachte Xenia daran, daß sie schon in wenigen Monaten verheiratet sein würde - verheiratet mit einem Mann, der ihr Vater sein könnte und den sie gar nicht kannte. Ihr Vater würde sich Ende der Woche für einen der Bewerber entscheiden.
In Gedanken ging Xenia die Liste ihrer Verehrer durch. Nein, sie konnte wirklich nicht sagen, wer von ihnen nun das kleinere Übel sein würde. Wenn sie sich doch nur selbst ihren Ehemann aussuchen dürfte - vielleicht den netten jungen Mann, mit dem sie vor einigen Tagen beim Einkaufen zusammengestoßen war. Ja, er wäre genau der Richtige. Seit sie ihn getroffen hatte, mußte sie ständig an ihn denken.
‘Schluß jetzt’, unterbrach sie sich dann aber ärgerlich; diese Tagträume brachten ihr nichts. Niemals würde sie einen einfachen Stadtbewohner heiraten können, auch wenn sie ihn liebt. Seufzend ging sie in ihr Zimmer zurück.
Es war dunkel geworden, während Keran in seiner Kneipe saß und sich nicht entschließen konnte, ob er es wagen sollte oder nicht. Da hörte er, wie einer der anderen Gäste zum Wirt meinte: „Ende der Woche wird sich der König für einen Bewerber entschieden haben - das arme Ding“. Das beendete seine Grübeleien abrupt und Keran brach auf, um sich auf die Suche nach der Bestie zu machen.
Es war fast schon Mitternacht, und seine Suche nach einer Spur der Wehrfrau war immer noch erfolglos. Als er eine einsame, vom Mondschein beschienen Waldlichtung erreichte, ließ er sich am deren Rand nieder, um sich auszuruhen.
Xenia hielt es in ihrem Zimmer nicht mehr aus. Sie mußte hinaus, ein kurzer Spaziergang in Schloßnähe konnte doch nicht gefährlich sein, sie mußte halt nur in Rufweite bleiben. Und so setzte sie ihre verhängnisvolle Idee in die Tat um und schlich sich aus einer fast nie benutzten Hintertür.
Keran war kurz eingenickt, als ihn plötzlich der Schrei eines Käuzchens aufschreckte. Als er hochblickte, riß er die Augen vor Erstaunen weit auf. Er glaubte nicht, was seine Augen erblickten. Am gegenüberliegenden Waldrand stand eine überirdisch schöne Frau, die ein dünnes, anscheinend seidenes Gewand trug. Langsam schritt sie auf ihn zu. Er konnte im Mondlicht deutlich erkennen, daß sie darunter völlig nackt war.
Das konnte nur die Wehrfrau sein - eine so betörend schöne Frau und trotzdem eine Bestie? Er dachte an all die Leichen, die es schon gegeben hatte und zog ein Küchenmesser, das er als Waffe mitgenommen hatte.
Plötzlich kam er sich lächerlich vor, wie er mit dem Küchenmesser in der Hand dastand, um das zu vollenden, was selbst den Rittern des Königs nicht geglückt war. Die Frau blieb vor ihm stehen, hob ihre Arme und meinte lächeln: „Du willst mich also töten“. Zittern hob Keran die Klinge - nein, er konnte es nicht tun. Resignierend warf er das Messer weg. „Komm zu mir“, lockte sie ihn, „umarme mich, küsse mich“. Die Anziehungskraft, die sie ausstrahlte, war unbeschreiblich; trotzdem gab er nicht nach. Er dachte nur an seine Xenia und daran, daß er nur sie liebte. Wütend und erstaunt ließ die Frau ein tiefes Grollen hören. „So stirb denn, Elender“, knurrte sie und begann, sich in eine Bestie zu verwandeln, in eine unbeschreibliche Mischung aus Mensch und Tier.
Wild sprang sie ihn an und riß ihn zu Boden. Ihm blieb keine Chance. Während er nach seinem Messer tastete, riß die Bestie ihr Maul auf und setzte zu einem tödlichen Biß an. Unbewußt schrie Keran laut auf, während seine letzten Gedanken seiner großen Liebe galten. Dann, Sekundenbruchteile bevor ihre Fänge seine Kehle zerfetzten, wurde ihm schwarz vor Augen.
Die Wachen des Königs liefen wie aufgescheucht durch den dunklen Wald in der Nähe des Schlosses. Der König hatte die Abwesenheit seiner Tochter bemerkt und fürchtete nun um ihr Leben. Die Wachen hatten strickte Anweisung, nur mit Xenia wiederzukommen. Zwei der Wachen hörten plötzlich von ferne ein wildes Fauchen und einen Todesschrei. So schnell sie konnten, liefen sie in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen sein mußte, erfüllt von der Angst, daß sie zu spät kommen würden.
Keran kam langsam wieder zu Bewußtsein und wunderte sich, daß er noch lebte. Als er sich langsam aufrichten wollte, bemerkte er den leblosen Frauenkörper, der auf ihm lastete. Er wühlte sich darunter hervor und drehte die Frau herum.
Ein eisiger Schreck fuhr durch seine Glieder, denn vor ihm lag Xenia, die Tochter des Königs, in ein dünnes Nachtgewand gekleidet. Ängstlich tastete er nach ihrem Puls; ja, sie lebte noch. Während er so über sie gebeugt war, wurde Xenia wacht. Als sie ihn sah, glitt ein glückliches Lächeln über ihre Lippen; dann wurde sie wieder ohnmächtig. Seine Gedanken gerieten völlig durcheinander. Wo war die Bestie? Wie kam Xenia hierher? Und....
Plötzlich bemerkte Keran, wie zwei Männer auf ihn zuliefen. Während einer der Wachen ihn mit ihrem Schwert in Schach hielt, untersuchte die andere Wache Xenia. Sie drohten Keran; fragten, was passiert sei, und waren genau so ratlos wie er. Dann brachten sie die Xenia nach Hause und sperrten Keran in eine Zelle, in der er bleiben sollte, bis die Wahrheit ans Licht käme.
Während Keran so da lag, keinen Schlaf fand und nicht wußte, was er am nächsten Tag sagen sollte, kam ihm ein grausamer Verdacht - aber nein, das konnte doch nicht sein. Auf jeden Fall schwor er sich, nicht weiterzuerzählen, was er tatsächlich erlebt hatte - oder gar, was er nun befürchtete. Mit schweren Gedanken fiel er endlich in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen bekam Keran ein fürstliches Frühstück und wurde zum König und seiner Tochter gebracht, die ihm immer wieder dankten. Als der König wissen wollte, was genau passiert sei, begann er zu erzählen. Er sei aufgebrochen, um die Wehrfrau zu stellen, und sei gerade zur rechten Zeit aufgetaucht, als die Bestie Xenia habe töten wollten. Er habe sich sodann auf die Bestie gestürzt und mit ihr gekämpft. Gerade als er zu unterliegen drohte, gelang es ihm einen Dämonenbanner, den er vor Jahren von einem seltsamen alten Mann bekommen habe, gegen die Wehrfrau einzusetzen. Daraufhin habe sich der Dämonenbanner und die Bestie in einem grellen Lichtblitz, durch den er in Ohnmacht gefallen sei, aufgelöst. „Wie gut, daß ich in meiner Jugend dem alten Geschichtenerzähler meines Heimatortes gut zugehört habe.“, dachte Keran. Die kleine Schwindelei kam ihm glatt von den Lippen - schließlich beschützte er nur seine große Liebe. „Was möchtet ihr als Dank von mir haben?“ sprach darauf der König. „Nur das, was ihr dem versprochen habt, der die Bestie besiegt.“ antwortete Keran mit einem liebevollen Seitenblick auf Xenia.
Die Bestie tauchte in den folgenden Monaten nicht mehr auf, und so verkündete der König die Hochzeit seiner geliebten Tochter mit Keran, dem Mann aus dem Volk. Als der König starb, wurde dieser junge Mann der neue König des Reiches Kantania.
Sie lag im Sterben. Nie hätte sie für möglich gehalten, daß es soweit kommen würde.
Es war nun fast 100 Jahre seit jenem verhängnisvollem Treffen vergangen. In Liebe zu dem König eines fernen Reiches war sie bereit gewesen, alles aufzugeben, um ihm zu folgen. Als er sie jedoch zurückstieß und verhöhnte, schwor sie fürchterliche Rache. Sie sprach einen Fluch gegen die königliche Familie aus, der immer auf dem jeweils ältesten weiblichen Mitglied der Familie lasteten würde - nie sollte er mit einer anderen Frau glücklich zusammen leben können....
Nun ist der Fluch einer Blutelfe einer der mächtigsten Zauber der ganzen Würfelwelt. Die Elfe bindet dabei ihre gesammte Lebenskraft in den Fluch, welcher denn auch ihr ganzes Leben lang anhält, und wie jeder weiß sollen Blutelfen unsterblich sein. Es gibt immer nur eine einzige Möglichkeit, einen solchen Blutelfenfluch zu brechen - wodurch die Elfe dem Tode geweiht ist.
Während sie ihre letzten Atemzüge tat, zeigte ihr Gesicht den Ausdruck ungläubigen Erstaunens: Nie hätte sie gedacht, daß ihr Fluch gebrochen werden könnte. Aber nun hatte sich die alte Prophezeiung erfüllt: „Dieser Fluch, der immer auf dem ältesten weiblichen Mitglied der verfluchten Familie lastet, kann nur von einem Mann gebrochen werden, der die Bestie reinen Herzens liebt und der Verlockung des Bösen widerstehen kann“
Ende
C. by
Daniel von Euw
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:48
Uwe Vitz
Die Kinder von Bajath
(nach einer Idee von Dirk Küßner)
(Die Ring-Ebene)
" Schnell wir müssen fliehen. ", flüsterte die Mutter ängstlich.
" Wieso, was ist? ", fragte Neara verstört.
" Sie sind wieder gekommen, die Blutelfen sind da. "
Es waren dreizehn Reiter, dunkle Schatten, auf schwarzen Pferden. Die Dorfbewohner mit dem Häuptling an der Spitze traten ihnen entgegen. Bajath war ein großes Dorf, mit fast fünfzig Einwohnern. Aber diese dreizehn Reiter waren keine Menschen. Einer der Reiter ließ sein Pferd vortraben. Er hatte ein schönes Gesicht. Schmale, leuchtende Augen, lange spitze Ohren, eine fremdartige, breite Nase und einen zynischen Mund
" Es ist an der Zeit, wir werden jedes vierte Kind aus eurem Dorf mit uns nehmen. Habt ihr alles vorbereitet Sterbliche? "
Seine Stimme klang so melodisch und sanft.
" Nein ", schrie der Häuptling. " Nie wieder werdet ihr Monster unsere Kinder entführen! Niemals wieder! "
Der Blutelf lachte höhnisch
" Sterblicher, ihr seid für uns der Weizen, wir aber sind gekommen um zu ernten. Es gibt nichts, was euch gehört, nicht einmal eure Kinder. Ihr seid unser Eigentum. Damit ihr das endlich lernt, werden wir euch heute alle eure Kinder nehmen. "
" Verschwindet oder wir erschlagen euch! ", rief der Häuptling und die Blutelfen lachten laut auf, es klang wunderschön.
" Manchmal muß man ein Weizenfeld besonders gründlich mähen. "
Plötzlich hatten die Blutelfen Schwerter in den Händen. Sie waren unglaublich schnell. Selbst bewaffnete Krieger hätten kaum eine Chance gehabt, aber ihre Gegner waren nur mit Knüppeln bewaffnete Bauern.
Blut spritzte über die Wege des Dorfes, gegen Häuserwände und floß in den nahen Bach. Während des ganzen Gemetzels hörte man die Blutelfen lachen. Nach dem alles vorüber war, lebte nur noch der Häuptling, von den Menschen die sich den Blutelfen entgegen gestellt hatten. Fröhlich lachend folterten zwei Blutelfen ihn; während die elf übrigen die Frauen und Kinder des Dorfes zusammen trieben. Sie ließen ihn leben, damit er begriff, was sie mit den Unglücklichen taten. Als auch von den Frauen keine mehr lebte. Erklärten sie ihm auf das Genaueste, was sie in ihrem unterirdischen Reich mit den Kindern machen würden, dann stachen sie ihm die Augen aus und schnitten seine Zunge heraus. Seine Ohren ließen sie ihm, damit er die Schreie der Kinder welche die Blutelfen fort führten noch hören konnte. Nur das kleine Mädchen Neara und ihre Mutter Laera entkamen.
Laerea und ihre kleine Tochter führten den Blinden über die Landstraße, er hatte keine Augen mehr und konnte nur noch stammelnde Laute von sich geben. Das Kind drückte sich ängstlich an die Frau als eine dunkle Gestalt auf sie zu ritt.
Es war ein Ritter, der ganz in Schwarz gekleidet war. Sein Gesicht war unter einem schwarzen Helm verborgen, nur seine beiden leuchtenden Augen waren zu erkennen. An den Zügeln hielt er sein mächtiges Streitroß. Ein blitzendes Schwert hing an seinem Gürtel.
" Fürchtet euch nicht, ich bin gekommen um euch zu helfen. "
" Ich habe von dir gehört. ", sagte Laera. " Man nennt dich den Schwarzen Ritter, überall in den Herbstländern erzählt man sich von dir. Man sagt du bekämpfst das Unrecht. "
" Ja, ich versuche es. ", antwortete der Ritter. " Ihr seht aus wie Flüchtlinge, aber in dieser Gegend ist im Augenblick kein Krieg, "
" Unser Dorf Bajath wurde von den Blutelfen überfallen. " , berichtete die Frau. " Wir drei hier sind die einzigen Überlebenden. Außer den Kindern, die die Blutelfen entführten und die wären besser tot. " " Bei der Göttin! ", rief der Schwarze Ritter: " Aber der Berg Khorken ist doch viele Tagesritte entfernt. " " Ich verstehe es auch nicht. ", erwiderte Laera. " Aber seit einigen Jahren tauchen die Blutelfen immer wieder in kleinen Dörfern in dieser Gegend auf. Man sagt sie breiten sich jetzt in den Herbstländern aus. " " Warum hat euch euer Fürst nicht geholfen? ", fragte der Schwarze Ritter. " Die Ritter, Fürsten und Könige kümmern sich nicht um die Blutelfen, solange diese nur kleine Dörfer mit unwichtigen Bauern heimsuchen. Was sollten die großen Fürsten auch tun? Die Blutelfen sind unsterblich und unbesiegbar. "
" Das werden wir sehen. ", rief der Schwarze Ritter und bestieg sein Streitroß.
Die Burg war nicht besonders beeindruckend. Es war eine kleine Festung, an einem kleinen Fluß. Dies war der Sitz des örtlichen Königs. Ein Horn hing vor dem Burgtor. Ein Burggraben umschloß die kleine Festung, eine wacklige Brücke führte darüber. Der Schwarze Ritter wußte, daß ihm die Bewohner der Burg längst entdeckt hatten. Trotzdem blies er in das Horn. Knarrend öffnete sich das Burgtor. " Willkommen viel gerühmter Held. ", rief ein Mädchen, wahrscheinlich die hiesige Königstochter. Der schwarze Ritter dankte ihr für den Gruß und ritt in den Hof. Hier saß auf einem Holztrohn ein ziemlich ungewaschener König und um ihn herum standen vierzig Ritter. Elegant sprang der Schwarze Ritter vom Pferd und verneigte sich.
" Ich grüße Euch König Arox, den man auch den König mit den vierzig Rittern nennt. "
" Auch ich grüße Euch Schwarzer Ritter. ", sagte König Arox. " Von Euren Heldentaten spricht man überall in den Herbstländern. Sagt stimmt es, daß Ihr alleine eine Brücke gegen zwanzig Nordwölfe verteidigt habt? "
" Es stimmt. "
" Und erschlugt Ihr den Oger von Hams Burg? "
" Ich erschlug ihn. "
" Und habt Ihr den finstereren Zauberer Horth gefangen und dafür gesorgt, daß er auf die Winterinsel verbannt wurde? "
" Auch das tat ich. "
" Ihr seid ein wackerer Recke, weshalb verbergt Ihr Euer Gesicht? "
" Ich habe schwere Schuld auf mich geladen, bis ich diese Schuld nicht gesühnt habe darf ich den Helm nicht abnehmen. "
" Auch davon hörte ich. " , sagte König Arox. " Nach all Euren Heldentaten ist die Schuld immer noch nicht gesühnt? "
" Ich habe einst schlimme Dinge getan, bis mich eine Frau, die mich mit einer schweren Wunde gesund pflegte, obwohl ich ihre Familie ermordet hatte, auf den richtigen Weg brachte. "
" So sind doch manche Legenden wahr. ", bemerkte der König nachdenklich. " Ja, wie die Legende von den Blutelfen. ", sagte der Schwarze Ritter. " Die Blutelfen, laßt mich bloß mit denen in Ruhe. ", erwiderte der König unwirsch. " Meine Bauern liegen mir ständig in den Ohren. ` Die Blutelfen entführen unsere Kinder! Die Blutelfen verwüsten unsere Felder! ´ Alles nur Ausreden um keine Steuern zahlen zu müssen! "
" Es ist die Wahrheit, die Blutelfen verwüsten Euer Königreich und sie haben Kinder verschleppt; die Kinder von Bajath! " , sagte der Schwarze Ritter mit kalter Stimme. " Aber der Berg Khorken ist weit entfernt. ", erklärte der König verzweifelt. " Es gibt Höhlen und Tunnel, die weit in die Herbstländer hineinführen. " ; antwortete der Schwarze Ritter " Und es gibt Könige die sich fürchten ihrem Volk gegen die Blutelfen beizustehen." " Wollt Ihr mich beleidigen? ", rief König Arox. " Ich sprach nicht von Euch, denn ich bin gekommen um Euch um Hilfe gegen die Blutelfen zu bitten. ", erwiderte der Schwarze Ritter.
König Arox seufzte auf. " Gut, aber ich kann Euch nicht mehr als zehn Ritter zur Verfügung stellen. Wie Ihr sicher wißt, ist der Krieg gegen die Ägen noch nicht lange vorbei. Ich muß auch die Grenzen meines Reiches und meine Burg verteidigen, nicht nur meine Bauern. Aber zuvor, muß ich wissen ob Ihr wirklich der Schwarze Ritter seid, so eine Rüstung kann jeder tragen. "
" Wie wollt Ihr mich testen? "
König Arox gab einem seiner Knechte einen Wink, der Mann lief mit einer Stange durch das Tor und blieb auf der Brücke stehen. Er schlug mit der Stange einen Augenblick lang auf die Wasseroberfläche. Bis sich ein großes grüner Kopf aus der Tiefe hob. Eine ziemlich lustlos drein blickende Grabenschlange kroch auf die Brücke.
" Die Grabenschlange bespuckt ihre Gegner mit einer ächzende Flüssigkeit, von Euch jedoch heißt, es, Ihr könnt Euer Schwert schneller schwingen als eine Grabenschlange spuckt. ", erklärte König Arox genüßlich.
" Diese Schlange wird gleich einmal gegen die Burgmauer hinter euch spucken, wenn Ihr der berühmte Schwarze Ritter seid, wird es Euch gelingen den Tropfen mit Eurem Schwert abzufangen ehe er die Mauer erreicht. "
Der Ritter seufzte: " Wenn es denn sein mußt, ich bin dieser lächerlichen Tests müde. " Dann zog er sein Schwert. Der Knecht deutete mit der Stange auf die Mauer. Die Schlange spuckte und der Ritter bewegte sich blitzschnell. Der Tropfen hing an dem Schwert. Ziemlich gleichgültig sah die Grabenschlange sich um und kroch zurück in ihren Graben.
" Wahrhaftig Ihr seid wirklich der Schwarze Ritter. " , rief König Arox.
" Seid heute Nacht mein Gast, morgen könnt Ihr dann mit zehn Rittern aufbrechen. "
Calab starrte ängstlich auf die Tür. Er war zusammen mit den anderen Kindern des Dorfes, tief in die unterirdische Höhlenwelt der Blutelfen gebracht worden. Jetzt hockten sie alle zusammen in einen Kerker, mit weit offenem Ausgang. Die Blutelfen hatten sich nicht die Mühe gemacht, ihren Kerker mit Türen oder Käfiggittern zu verschließen. " Wir schließen euch nicht ein , jeder von euch darf versuchen zu fliehen. Ich hoffe ihr werdet Spaß dabei haben. Wir werden viel Spaß durch eure lächerlichen Fluchtversuche bekommen. " ,erklärte ihnen eine wunderschöne Blutelfin lächelnd, die dann den Raum verließ. Seitdem hatten sie nichts mehr von den Blutelfen gesehen. Im Kerker spendete eine Fackel, die die Elfin zurück gelassen hatte spärliches Licht. Nach einer Ewigkeit beschloß ausgerechnet Tira, ein kleines blondes Mädchen, daß sonst eher ängstlich war den Kerker zu verlassen. " Tu es nicht. ", sagte Calab und zog sie sofort zurück. " Sie warten nur darauf. " " Ich halte das nicht mehr aus. ", wimmerte das Mädchen verzweifelt. " Alles ist besser als dieses Warten, sie haben unsere Eltern ermordet was wollen sie uns denn noch antun? "
" Wir dürfen nicht fliehen, solange sie damit rechnen. Irgendwie müssen wir sie überlisten. "
" Aber wie? "
Die Sonne Mekos versank, rasch wurde es dunkel. Aber in einigen Stunden würde es genauso schnell wieder hell werden, wenn die größere der beiden Sonnen Makos über der Uhrebene aufstieg. Der Wanderer erreichte die Burg von König Arox kurz zuvor.
" Herumtreiber haben hier nichts zu suchen. ", beschied ihm der Wachposten am Tor. Der Wanderer blickte ihn nur an und der Posten ließ ihm ein. Drinnen sah er den verstümmelten Häuptling, Laera und ihre Tochter Naera, die zusammen im Stall bei den Tieren saßen. Der Wanderer ging zu ihnen. Laera blickte auf als er näher trat.
" Was willst du? "
" Ich bin gekommen um mit euch zu sprechen. "
" Wieso? "
" Weil ihr wichtige Dinge tun müßt. "
" Wir? " Laera lachte verzweifelt auf. " Eine Frau, ein Kind und ein stummer Blinder und daß auch noch auf dem Außenring? Heute befindet sich in dieser Burg der größte Held der Herbstländer. Sprecht lieber mit ihm. "
" Ich werde mit ihn sprechen, er wird tun was er vermag. Aber eure Aufgabe ist ebenso wichtig. "
" Welche Aufgabe? "
" Folgt den Helden und rettet die Kinder. Ihr müßt alle drei gehen, nur so kann es gelingen. "
" Du bist ja verrück. "
" Sicher, aber wer ist daß nicht? ", fragte der Wanderer und erhob sich.
Er gab Laera seinen Mantel. " Wenn ihr im Reich der Blutelfen seid, zieht diesen Mantel über und alle die ihr retten wollt, sollen sich an den Händen anfassen, so werden euch die Blutelfen nicht entdecken, wenn ihr vorsichtig seid. Ihr dürft weder sprechen, noch Fackeln benutzen. "
" Wie sollen wir die Kinder finden? "
" Euer Häuptling wird euch führen. " , sagte der Wanderer und berührte den Blinden an der Stirn.
" Du sollst blind sein, wo andere sehen, aber dafür sollst du sehen, wo andere blind sind. "
Der Häuptling zuckte zusammen. " Was habt Ihr getan? ", fragte Naera erschrocken.
" Ich habe ihn gesegnet und verflucht. ", sprach der Wander. " Nun lebt wohl und wenn ihr die Kinder retten wollt, denkt an meine Worte. "
Ruhig ging der Wanderer ins Innere der Festung, keiner der Ritter hinderte ihn und kein Knecht versperrte ihn den Weg. So trat er vor dem Schwarzen Ritter der einsam in einer Kammer lag und gegen die Wand starrte. Erschrocken griff er nach seinem Helm. Aber der Wanderer sagte: " Ruhig, ich kenne Euer Gesicht und ich kenne Euer Geheimnis schon seid vielen Jahren. Erinnert Euch, ich brachte Euch zu der Frau die Euch pflegte. "
Der Schwarze Ritter blickte ihm an.
" Du? Aber es ist schon soviele Jahre her, wieso bist du nicht gealtert? "
" Weil ich so unsterblich bin wie Ihr, bis auch meine Zeit gekommen ist. ", erwiderte der Wanderer.
" Wie ist das möglich? ", staunte der Ritter
" Vor vielen Jahren begegnete ich dem Versicherungsvertreter. Er gab mir eine Chance zu überleben, wir würfelten um meine Seele. "
" Und du hast gewonnen? ", fragte der Ritter.
" Nein, verloren. ", sagte der Wanderer. " Aber er gab mir die Chance ihm einige Jahrhunderte zu dienen, bis meine Versicherung abläuft. "
" Dann bist du ein Verdammter? "
" Ja, aber ich habe noch Hoffnung, vielleicht schaffe ich es eine andere Seele zu finden und meine wieder einzutauschen. "
" Bist du deswegen gekommen? ", fragte der Schwarze Ritter erschrocken. " Möchtest du meine Seele? "
" Ja natürlich, aber Ihr werdet Sie mir kaum freiwillig geben. "
" Das stimmt, also weshalb bist du gekommen? "
" Um Euch vorzubereiten, Euch steht der größte Kampf Eures Lebens bevor. Wenn Ihr mir Eure Seele versprechen würdet, wäre auch diesmal Euer Sieg gewiß. "
" Du solltest mich besser kennen, es ist mein größter Kampf, also muß ich ihm aus eigener Kraft bestehen, oder mein ganzes Leben wäre eine Lüge gewesen. ", flüsterte der Schwarze Ritter.
Der Wanderer nickte. " Jede andere Antwort von Euch hätte mich enttäuscht. " Er erhob sich und berührte den Ritter sanft an der Stirn. Sogleich sankt er auf das Bett und schlief. " So kann ich Euch wenigstens einen ruhigen Schlaf schenken. Morgen entscheidet sich Euer Schicksal. ", sprach der Wanderer und ging wieder. Niemand sah wie er in der Nacht verschwand. Aber es fragte auch niemand nach ihm.
König Arox versammelte all seine Ritter am Morgen um sich. Er saß wieder auf seinem Holztrohn im Hof, der Schwarze Ritter stand neben ihm.
" Meine Ritter! ", rief er, " Ich werde gleich zehn von euch auswählen, die mit dem berühmten Schwarzen Ritter gegen die bösartigen Blutelfen kämpfen werden. Euer Sieg ist gewiß, denn ihr seid alle Helden und der größte Krieger der Herbstländer wird euch anführen. Gebt den Blutelfen mächtig einst aufs Haupt, daß sich dieses Gesindel die nächsten tausend Jahre nicht mehr in die Herbstländer wagt. " Die Ritter jubelten begeistert und zogen ihre blitzenden Schwerter um sie hin und her zu schwenken. " Wir werden sie fertigmachen! " , schrien einige oder " Jetzt kriegen die Blutelfen eine Abreibung wie nie zuvor! " Der Schwarze Ritter hob seine rechte Hand und als alle wieder schwiegen sprach er: " Es wird ein harter Kampf werden und vielleicht wird ihn keiner überleben. Aber es ist wichtig die Blutelfen jetzt zu stoppen. Sie beginnen erst damit die Herbstländer heim zu suchen, wenn wir sie jetzt aufhalten können, retten wir mehr Leben als nur die Bewohner dieses Königreiches. Heute kämpft ihr für alle Bewohner und Bewohnerinen der Herbstländer, auf dem Außenring und auf dem Innenring. "
" Nun werde ich die Wahl treffen. ", sagte König Arox feierlich.
" Sir Octor, Sir Hymak, Sir Osman, Sir Galaga, Sir Bubama, Sir Yman, Sir Kunigi, Sir Lavan, Sir Raval und ..."
" Und ich. " Ein gauhaariger Ritter, mit narbigen Gesicht und gebeugten Rücken trat vor.
" Sir Anatol. ", sagte König Arox und seine Stimme klang ungewöhnlich sanft. " Ihr seid schon zu alt für ein solches Abenteuer. "
" Oh mein König, ich bin in Euren Dienst alt geworden. Es waren gute Jahre, aber ich habe keine Familie und alle meine alten Kameraden habe ich überlebt. Laßt mir dieses letzte Abenteuer noch. Wenn ich es überlebe kann ich den jungen Recken noch einige Jahre etwas erzählen, was noch nicht fernste Vergangenheit für sie ist, wenn nicht, hatte ich ein abenteuerliches Leben und einen ehrenvollen Tod. "
" Ihr habt ein Leben lang auf meine Befehle gehört, jetzt höre ich auf Euren Wunsch. ", sagte der König. " Es sei so. "
Der Schwarze Ritter zog sein blitzendes Schwert. " Für die Kinder von Bajath! "Die zehn Ritter taten es ihm gleich.
" Für die Kinder von Bajath! "
Knechte verstauten auf Packpferden rohes Ochsenfleisch und elf Fackeln.
" Folgt mir. ", rief der Schwarze Ritter und galoppierte durch das Burgtor. Zehn kühner Ritter folgten ihn. " Viel Glück. " , flüsterte der König leise.
Dann sah er wie die drei Flüchtlinge durch das Tor gingen. " Wo wollt ihr hin? " , fragte König Arox. " Wenn ihr wollt könnt ihr hier bleiben. Ich kann euch in einem anderen Dorf ein neues Heim bauen lassen. " Laera sah ihn traurig an. " Das geht nicht, wir müssen den Helden folgen und helfen, wenn wir können. "
" Ihr wollt ihnen helfen? Das ist Wahnsinn, eine Frau, ein Kind und ein stummer Blinder wollen zehn bewaffneten Rittern in einer Schlacht beistehen? "
" Mag sein, aber wir alle müssen tun was wir können. "; erwiderte Laera und dann ging sie und führte den Blinden an der einen Hand und ihre Tochter an der anderen. Der König blickte ihnen noch lange nach.
Die Fackel war fast herunter gebrannt, als Arek, ein muskelöser Junge entschied die Flucht zu wagen. Caleb wollte auch ihn zurück halten. Aber Arek stieß ihm mühelos zur Seite. Er verschwand lautlos in der Dunkelheit. Eine Weile hörten die Kinder nichts mehr, dann ein verzweifeltes Stöhnen und ein wunderschöne Elfenstimme lachte.
" Bitte nicht! ", schrie Arek und die Elfenstimme lachte noch lauter. Nach einer Weile wurde des dann wieder still. Einige der Kinder begannen jetzt zu weinen, auch Caleb.
" Wir reiten ja nach Goblinswald! " , rief Sir Octor. " So ist es. ", bestätigte der Schwarze Ritter. " So wollt Ihr auch gegen diese eckelhaften Goblins kämpfen? "
" Nein ", erwiderte der Schwarze Ritter, " ein Eingang in das Reich der Blutelfen liegt in Goblinswald. " " Woher wißt Ihr daß? ", fragte Sir Osman. " Fragt mich nicht, glaubt mir einfach. ", antwortete der Schwarze Ritter. " So ritten elf Krieger gen Goblinswald. Bald schon waren sie auf den Weg, den die Goblins mit Totenschädeln von unvorsichtigen Reisenden verziert hatten. Vor dem Waldrand befahl der Schwarze Ritter zu stoppen. " Was ist? ", wollte der junge Sir Lavan wissen. " Seid still. ", fauchte erbost der erfahrenere Ritter Sir Hymak. " Richt Ihr es denn nicht? Die Goblins sind in der Nähe! "
Der Schwarze Ritter stieg vom Pferd, zog sein Schwert und blieb vor einem Busch stehen. " Ihr kleinen Wesen mit den scharfen Zähnen, zeigt euch! "
Plötzlich war überall Bewegung, Zwischen den Ästen der Bäume, in fast jeden Busch und sogar aus der Tiefe der Erde, kamen die Goblins. Behaarte, kleine affenartigen Wesen, ihre Augen funkelten gierig und sie fletschten ihre Fangzähne.
" Wer ist euer Häuptling? ", rief der Schwarze Ritter furchtlos.
" Ich sein Häuptling. ", rief ein Goblin, an dessen Gürtel ein Messer
hing, welches fast ebenso groß war wie er.
" Ich bin der Schwarze Ritter, wie ist dein Name? "
" Ich sein Großes Messer. "
" Wir möchten durch deinen Wald reiten und bitten um freies Geleit, dafür bieten wir dir Fleisch aus unseren Vorräten. "
" Wir sind hungrig, sehr hungrig, so wenig Fleisch für soviele hungrige kleine Wesen? ", zischte Großes Messer.
" Wir sind elf bewaffnete Ritter und können uns den Weg auch frei kämpfen. Nehmt das Fleisch oder überhaupt nichts. "
" Oh starke Menschlinge, gutes Fleisch. Aber du riechen seltsam, für Menschling, Menschling mit leuchtenden Augen. Wir machen Geschäft, wenn es uns nicht schadet. Sagt was ihr wollen im Wald. Vielleicht anzünden, damit kleine Wesen umkommen? "
" In diesem Wald befindet sich ein Eingang in das Reich der Blutelfen, dort wollen wir hinein um gegen die Blutelfen zu kämpfen, denn sie haben Dörfer überfallen viele Menschen getötet und einige verschleppt. "
" Die Blutelfen? ", kreischte Großes Messer entsetzt. " Die Blutelfen sind schlimmer als Menschlinge. Früher wir kleine Wesen leben in Höhlen, aber dann kommen Blutelfen töten viele und der Rest müssen verstecken in Wäldern. "
" So werden wir gegen eure Feinde kämpfen und euch rächen. "
" Blutelfen werden euch tot machen. ", sagte der Goblin leise, fast klang es traurig, " Dumme Menschlinge, man geht nicht zu Blutelfen, man läuft weg vor ihnen, sonst sie machen tot. "
" Wir haben unseren Weg gewählt. ", sagte der Schwarze Ritter und nahm von dem Packpferden das rohe Ochsenfleisch. Vorsichtig legte er es vor dem Goblinhäuptling nieder.
" Haben wir freies Geleit? "
" Wir euch nicht aufhalten, aber Blutelfen werden alle töten, besser von kleinen Wesen getötet werden, geht schneller. "
Der Häuptling winkte einige Goblins herbei die das Fleisch rasch weg trugen. Er folgte ihnen. Einen Augenblick später waren die Goblins schon wieder scheinbar spurlos verschwunden.
Zwei Blutelfen betraten die Höhle, die Kinder wichen ängstlich an die Wand zurück. Es waren die Blutelfin von vorhin und jener hochgewachsener Elf, der auch den Angriff auf das Dorf angeführt hatte.
Caleb glaubte er müße vor Angst sterben. " Guten Morgen meine lieben Kleinen. ", sagte der Elf grinsend. " Ach ja, ihr wißt ja nicht, daß es Morgen ist, Ohne die beiden Sonnen zu sehen, ist es ein wenig schwieriger Tag und Nacht zu unterscheiden. Aber ihr müßt euch nicht umstellen, ich glaube kaum, daß ihr lange genug bei uns unten überleben werdet. Ihr habt uns gestern gelangweilt. Nur ein Fluchtversuch in einer Nacht, wir hatten uns so auf eine nette kleine Jagd gefreut. Aber nur einer von euch hatte genug Mut und sogar der ist vor Angst gestorben, als wir ihm erwischt haben. Es war wirklich keine große Jagd. Wir haben uns gelangweilt! " Ein schrecklicher unmenschlicher Zorn schwang in der Stimme des Blutelfen mit. " Wir haben uns gelangweilt! " So wie er das sagte, mußte Langeweile für die Blutelfen die tödlichste Sache auf der Uhrebene sein. " Aber das ist ja vorbei. ", flüsterte der Blutelf versöhnlich. " Wir werden uns jetzt einen von euch aussuchen, mit dem wir uns ein bischen die Zeit vertreiben werden. " Der Blutelf machte einen raschen Schritt stand direkt vor Caleb. Er packte ihn an der Schulter und zog ihm zu sich. " Ich bin tot! ", dachte Caleb. Er blickte in die leuchtenden Augen des Blutelfen und hörte die grausam schöne Stimme.
" Na kleiner Mann? Wen sollen wir mitnehmen. Dich? Möchtes du gerne sehen wie Unsterbliche mit Sterblichen spielen? " " Nein. ", würgte Caleb heraus. " Nein? ", rief der Blutelf in gespielter Überraschung. " Dann wähle doch einen anderen aus. Los du darfst wählen? Such unser nächstes Spielzeug aus! "
" Was sollte daß? ", fragte Sir Octor verärgert. " Mit Goblins verhandelt man nicht, man erschlägt sie. " " Ich nicht. ", sagte der Schwarze Ritter kalt. " Aber es sind doch bösartige Kreaturen! " " Sprecht leiser ", befahl der Schwarze Ritter. " Sie haben gute Ohren und wir müssen noch ein gutes Stück durch ihren Wald. " Sir Octor senkte die Stimme ein wenig, dennoch murmelte er: " Das verstehe ich nicht. " "Wieso sind die Goblins bösartiger als die Menschen? ", fragte der Schwarze Ritter. " Die Goblins versuchen zu überleben auf ihre Art, dafür kann ich niemanden hassen. Das tun wir alle. " " Seid Ihr wirklich so verständnisvoll? ", mischte sich Sir Yman ein. " Oder seid ihr zu feige um gegen die Goblins zu kämpfen?
Weshalb versteckt Ihr Euer Gesicht? Ich würde Euch gerne zu einem Zweikampf herausfordern, Schwarzer Ritter. " Der Schwarze Ritter blickte ihm kurz an. " Nach dem Kampf mit den Blutelfen stehe ich Euch zur Verfügung, wenn Ihr überlebt. " " Vielleicht wird keiner von uns überleben. ", sagte Sir Anatol ruhig. " Aber es wird ein großer Kampf werden. " " Das wird es zweifelos. ", stimmte der Schwarze Ritter zu.
" Und er wird jetzt gleich beginnen. " Er zügelte sein Pferd. Zwischen den Bäumen vor ihnen stand ein Hügel auf dem vier Felsen standen. " Das ist der Eingang. " " Wo, ich sehe keine Höhle oder ein Tor? ", fragte Sir Lavan verwirrt. Der Schwarze Ritter trat vor den Hügel, stellte sich vor die vier Felsen und hob sein Schwert, wie zum Gruß. Einen Augenblick lang schien er sich konzentrieren, dann trat er durch den Hügel hindurch und war verschwunden. " Illusionszauber um ihre Höhle zu tarnen. ", erklärte Sir Hymok, " typisch für Blutelfen. " " Kennt doch jeder. " , sagte Sir Anatol. Der alte Ritter stieg von seinem Pferd zog sein Schwert und ging hinter den Schwarzen Ritter her. " Jetzt geht es los Jungs. ", sagte er grinsend. Die anderen folgten. Sir Lavan als Letzter. Er war der Einzige dem man anmerkte, daß ihm die ganze Geschichte immer unheimlicher wurde.
Caleb blickte die anderen Kinder an, er sah die Angst in ihren Augen und spürte seine eigene Angst. Wen sollte er aussuchen? Sollte er sich selbst wie ein Held opfern? " Wenn du den Helden spielen willst, nehmen wir eben dich mit. ", erklärte der Blutelf lächelnd. " Aber denk daran, Helden sterben bei uns besonders langsam. " Caleb dachte sein Herz würde stehen bleiben und der Tod ihn von den Blutelfen befreien. Aber sein verdammtes Herz schlug immer weiter. Nein, er war kein Held. Er wollte nicht sterben. Auf jeden Fall wollte er nicht so grausam sterben. Aber was sollte er tun? Er konnte doch den anderen nicht in die Augen schauen und dann entscheiden wen die Blutelfen töten sollten, oder? " Entscheide dich, ", zischte der Blutelf. Da schloß Caleb die Augen, hob seine rechte Hand und zeigte einfach irgendwohin. " Na bitte, es geht doch. ", sagte der Blutelf freundlich. " Eine ausgezeichnete Wahl. "
Caleb öffnete die Augen wieder und sah, daß er ausgerechnet auf Tira gezeigt hatte.
Die drei Flüchtlinge erreichten eine Stunde nach den Rittern Goblinswald. Laera trat vor und rief: " Ihr kleinen Wesen mit den scharfen Zähnen, ich bin Laera, die Tochter Vakos und Varas, dies ist meine Tochter Naerea, der grausam mißhandelt Mann neben mir ist Häuptling Golgo aus dem Dorf Bajath. Wir bitten um eure Hilfe, im Namen des Alten Gesetzes. "
" Die Zeiten des Alten Gesetzes sein tot. " , krächzte eine Stimme. Ein Goblin trat aus einen nahen Gebüsch. Er trug ein Messer am Gürtel, welches fast so groß war wie er selbst. " Menschlinge und Blutelfen brachen Alte Gesetz. " , heulte der Goblin wild. " Heute Zeitalter des Versicherungsvertreters. " Alle drei Menschen zuckten zusammen, als sie den Namen des Schlimmsten aller Dämonen hörten. " Ihr kriegt kein freies Geleit, ihr seid frisches Fleisch. Kommt und wir fressen euch! Geht und lebt! "
" Oh zorniges kleines Wesen, so gib uns freies Geleit im Namen der Liebe, denn die Blutelfen haben die Kinder unseres Dorfes entführt und wir wollen sie befreien. " ; bat Laera erneut.
" Alle Menschlinge verrückt. Alle laufen zu Blutelfen anstatt weg zu laufen. Da kann auch Gro0es Messer nicht helfen! " , schrie der Goblin. " Gut freies Geleit für euch, grausamer Tod für euch, vielleicht wenigstens Blutelfen dann glücklich und lassen kleine Wesen in Ruhe. Menschlinge alle verrückt! " Der Goblin verschwand wieder zwischen den Büschen.
Naera faßte ihre Tochter und Golgo bei den Händen.
" Wir können weiter. ", sagte sie.
" Also du bist die Wahl. " , sagte der Blutelf und griff nach Tira, sie war vor Angst wie gelähmt. Caleb ebenfalls, er wollte schreien, sich auf die Blutelfen stürzen, irgendetwas tun, aber er konnte nicht. Er hatte Tira ausgewählt. Um sein eigenes Leben zu retten hatte er ihres geopfert. Der Blutelf strich Tira zärtlich über den Hals. Er drehte sich zu Caleb um, ihre Blicke trafen sich. Caleb sah in die leuchtenden Augen und ahnte wie alt diese böse Kreatur war. " Möchtes du nicht wissen, was wir mit der Kleinen machen werden? ", fragte der Blutelf freundlich. " Nein. ", würgte Caleb heraus. Der Bluelf lachte leise. " Aber du sollst es trotzdem hören. Wir werden sie.."
" Lord Asmorath. " Ein weiterer Blutelf trat in die Höhle. " Weshalb störst du mich? ", fauchte der Blutelfenlord. " Eindringlinge mein Lord, menschliche Eindringlinge in unserem Reich. " , berichtete der Elf rasch.
" Menschliche Kreaturen wagen es uns anzugreifen? " , fragte der Lord ungläubig und lachte. " Das ist endlich mal eine echte Abwechslung, laßt uns mit ihnen spielen. " Lord Asmorath verließ den Kerker, die beiden anderen Blutelfen folgten ihm. Die Kinder hatten sie offenbar vergessen. Caleb sankt neben Tira auf den Höhlenboden und umarmte sie.
" Wie sollen wir die Blutelfen finden? ", fragte Sir Galaga. " Das müssen wir nicht. ", antwortete der Schwarze Ritter. " Sie werden uns finden. Jetzt schweigt besser oder die Blutelfen werden uns noch überraschen. " Angespannt gingen die elf Krieger durch die dunkle Höhle. Jeder von ihnen hielt in der einen Hand eine Fackel, in der anderen ein Schwert.
Angespannt warteten sie darauf was wohl geschehen. Plötzlich blieb der Schwarze Ritter stehen. " Sie haben uns schon entdeckt. " , flüsterte er.
Der ganze Boden vor ihnen war bedeckt mit Gold und Edelsteinen. " Wer auch nur einen einzigen Edelstein oder eine der Münzen berührt ist verloren, es ist eine Falle. ", warnte der Schwarze Ritter. " Was Ihr nicht sagt? ", meinte Sir Yman zynisch grinsend. " Ich habe es mir doch gleich gedacht, es ging Euch nie darum diese Bauerngören zu befreien, Ihr wolltet den Schatz und jetzt wollt Ihr ihm alleine für Euch. Uns habt Ihr nur gebraucht um sicher durch Goblinswald zu kommen. " Sir Yman trat einen Schritt zurück und richtete sein Schwert auf den Schwarzen Ritter.
" Aber ich bin kein Narr! Ich nehme mir die Schätze, welche mir vor die Füße fallen, wenn Ihr mich daran hindern wollt müßt Ihr mich töten. "
" Das werdet Ihr selber tun, berührt es und Ihr sterbt! " , erklärte der Schwarze Ritter erneut. Sir Yman beugte sich höhnisch lächelnd herab und hob einen der Edelsteine auf. " So sterbe ich gerne. " sagte er noch und begann doch zu schreien, als der Edelstein sich in eine rote Flamme verwandelte. Er wollte ihm fort schleudern, aber es ging nicht, die Flammen griffen auf seinen Arm über. " Helft mir! ", schrie er entsetzt. " Es ist zu spät. " , sagte der Schwarze Ritter traurig und wandte sich ab.
" Diese minderwertigen Kreaturen sind doch alle gleich. ", sagte der Blutelf Racar verächtlich. " Ja, ob Menschen, Goblins, Kobolde, Gnome, Zwerge oder Orcs, es ist alles ein elendes Pack. ", stimmte ihn die Blutelfin Zandua zu. " Ihr irrt euch. ", erklärte Lord Asmorath und deutete auf seinen Zauberspiegel, wo er die vordringenden Ritter beobachten konnte. " Nur einer ist in unsere Falle gegangen, sein Anführer hat ihm sogar gewarnt. "
" Trotzdem wir werden sie alle vernichten. ", maulte Zandua. " Mit Sicherheit. " , sagte Lord Asmorath. " Aber an diesen Schwarzen Ritter ist etwas besonderes. Vielleicht wird er mir noch zu etwas Unterhaltung verhelfen. " Der Lord blickte zufrieden lächelnd in seinen Zauberspiegel.
" Nun laßt uns sehen, wie ihnen unsere zweite Prüfung gefällt. "
Laera sah die beiden anderen an und blickte zu dem Hügel. " Ich sehe keinen Eingang. ", sagte sie hilflos. " Aber Spuren die zu dem Hügel führen und verschwinden. " Der Häuptling Golgo gab einige krächzende Laute von sich. Die kleine Naera sagte: " Ich glaube er will sagen, daß die Blutelfen den Eingang weggehext haben, Mutter. " " Ja, vielleicht ein Illusionszauber. ", stimmte Laera zu. Sie zog den Mantel über, ergriff Naera und Golgo bei den Händen, schloß die Augen und ging auf den Hügel zu. Einen Schritt nach dem anderen, bis sie sich alle drei im unterirdischen Reich der Blutelfen befanden.
Von Sir Yman war nur noch verbranntes Fleisch, eine glühend heißte Rüstung, ein Schwert und eine Fackel übrig. " Laßt euch sein Schicksal eine Warnung sein. ", sagte der Schwarze Ritter zu seinen Gefährten. " Die Blutelfen sind Meister der Heimtücke. Wir werden noch viele tödliche Fallen überwinden müssen, bis wir am Ziel sind. " Die anderen nickten, dann gingen sie weiter durch diese dunkle Höhlenwelt. Die Fackel spendeten nur ein schwaches Licht, die bizarren Felsen zwischen denen sie wanderten ließen es nicht zu, daß sie weiter als einige Schritte voraus sehen konnten. " Hilfe, so helft mir doch! ", schrie da eine Frauenstimme.
Zehn Krieger fuhren herum und sahen eine junge Frau, in einer Felsennische, die an einen Tropfstein gekettet war. Sie war offenbar schwer mißhandelt worden. " So helft mir doch. ", flehte sie wieder. " Nein, es ist wieder eine Falle. ", sagte der Schwarze Ritter. " Seid Ihr Euch dessen sicher? ", fragte Sir Lavan. " Im Reich der Blutelfen kann sich niemand über irgendetwas sicher sein. ", antwortete der Schwarze Ritter. " Dann muß ich der Maid zur Hilfe eilen. ", sprach Sir Lavan und lief zu der Gefangenen. Mit einen kräftigen Schwertstreich durchtrennte er die Kette. Die Frau sah ihn dankbar an und verwandelte sich in eine lächelnde Blutelfin. Ehe Sir Lavan begriff wie ihm geschah, wurde er schon von der Blutelfin berührt und zu ihr gezogen. Ein Felsen rollte sofort vor die Nische, so daß die anderen nicht eingreifen konnten und auch nicht sahen was weiter geschah.
" Arata ist wirklich eine begabte Schülerin. "; bemerkte Lord Asmorath zufrieden. " Dieser dumme Mensch wird in meiner persönlichen Folterkammer von ihr weiter betreut werden. " " Welch große Ehre für ihn. ", sagte Racar. " Ich bin eben großzügig. ", antwortete Lord Asmorath.
" Mein Lord ", mischte sich Zandua ein, " mir wurden weitere Eindringlinge gemelde, es gelang uns aber bisher nicht diese Fremden zu finden. " " Weitere Eindringlinge? ", fragte Lord Asmoraht verärgert.
" Wo? "
" Bei dem Tor in Goblinswald. "
" Wahrscheinlich ein paar übermütige Goblins, kümmere dich darum Zandua, ich muß mich erst um diese Ritter kümmern, ehe ich mich anderen Problemen zuwende. "
" Jawohl mein Lord. "
Golgo übernahm in der Dunkelheit der Höhle automatisch die Führung. Es schien so, als kenne er sich in dem unterirdischen Reich genau aus. Er bewegte sich mit der Sicherheit eines Sehenden. Laera bedauerte es sehr, daß der Häuptling nicht erzählen konnte, ob er etwas sah oder ob andere Sinne ihm nun halfen? Welche besonderen Fähigkeiten hatte der Wanderer auf ihn übertragen? Er schien genau zu wissen, wo sich welcher Gang befand und wie sie den Blutelfen aus den Weg gehen konnten und doch immer näher an die Kinder kamen. Keiner von ihnen wagte es irgendeinen Laut von sich zu geben. Ihnen war klar, daß sie in höchster Gefahr waren. Um so mehr erschracken sie als sie ein Stöhnen hörten. Vor ihnen an der Decke hing ein Goblin, ein Goblin den man Arme und Beine abgeschnitten hatte, alle Wunden sauber verbunden und dann mit einer Kette an die Decke gehängt hatte. " Sein da jemand? ", fragte die unglückliche Kreatur. " Bitte sprecht mit mir. "
Laera hätte es fast getan, aber sie erinnerte sich an die Warnung des Wanders und sie drückte Naeras Hand etwas fester um auch sie zu erinnern. " Sprechen. ", flehte der Goblin weiter. Vorsichtig gingen die drei weiter. " Sprechen oder noch besser totmachen, bitte, bitte. " , heulte hinter ihnen der unglückliche Goblin.
Die neun Ritter eilten ebenfalls durch die Höhlenwelt. " Woher wißt Ihr, daß dies der richtige Weg ist? ", fragte Sir Octor den Schwarzen Ritter.
" Ich kenne die Blutelfen , glaubt mir, wir kommen ihnen näher, ich kann Euch nicht mehr erklären. " , antwortete der Schwarze Ritter.
Unzählige Gabelungen und Abzweigungen zu anderen Höhlen paßierten sie. Plötzlich hörten sie ein leises zischendes Geräusch, daß immer lauter wurde. " Bei der Göttin ", rief Sir Galaga, " was ist daß? "
Ein riesiger Feuerball rollte aus der Höhle vor ihnen auf sie zu. Sie konnten die Hitze schon spüren. " Es ist wahrscheinlich nur eine Illusion. " , erklärte der Schwarze Ritter. " Wir müssen jetzt ruhig stehen bleiben. " " Ich will nicht verbrennen! ", schrie Sir Octor in Panik und ehe ihm jemand daran hindern konnte, rannte er schon. " Ich auch nicht! ", heulte Sir Kunigi und lief hinter her. Sir Bubana sagte nichts, er rannte einfach los. Die anderen blieben stehen, ob sie den Worten des Schwarzen Ritters gehorchten oder einfach vor Schreck erstarrt waren, wer will das sagen? Der Flammenball rollte über sie hinweg und versengte ihnen nicht einmal ein Haar. Drei entsetzliche Schreie verhallten hinter ihnen. Der Schwarze Ritter sah zurück. Da wo es vorhin noch so ausgesehen hatte, als sei fester Boden war jetzt ein Abgrund zu sehen
mit messer scharfen Felsen am Boden. Der Feuerball hatte seine Opfer genau in diesen Abgrund hinein getrieben. Schweigend gingen die sechs Ritter weiter.
" Ausgezeichnet. ", sagte Lord Asmorath zufrieden. " Endlich einmal richtige Gegner, zwar nicht ganz ebenbürtig, aber doch schon unterhaltsam. " " Es sind noch sechs Krieger übrig und sie sind uns schon sehr nahe. ", meinte Racar besorgt. " Hast du etwa Angst vor Menschen? ", fragte Lord Asmorath lächelnd. " Nein mein Lord. ", antwortete der Blutelf.
" Ich mache mir nur Sorgen um Eure Sicherheit. "
" Rührend, aber unnötig. Merke dir Racar, du mußt nur eine Kreatur auf dieser lächerlichen Ebene fürchten und daß bin ich. "
" Jawohl mein Lord. "
" Und jetzt bereite die vierte Prüfung vor, ich möchte doch nicht, daß sich unsere Helden noch langweilen müssen. "
Sie wanderten weiter durch die Dunkelheit, Häuptling Golgo tastete sich mit der einen Hand immer weiter voran, während er mit der anderen Hand Laera hielt. Langsam gewöhnten sich auch die Augen von Laera und Naera etwas an die Finsternis . Es war eine bizarre Höhlenwelt. Zum Glück konnten sie nicht sehen, wie oft sie dicht an bodenlosen Abgründen entlang liefen.
Zandua blickte den Hängegoblin lächelnd an. " Was hast du gesehen? "
" Nichts, liebe Herrin. ",
" Was hast du gehört? "
" Nichts, liebe Herrin. "
" Was hast du gerochen? "
" Menschlinge, liebe Herrin. "
" Willst du mich verspotten? ", schrie die Blutelfin und gab der Kreatur einen Tritt. Der Goblin schrie schmerzerfüllt auf. " Es wahr liebe Herrin. ", rief er verzweifelt, ehe die Elfin noch einmal zu treten konnte. " Was bist du nur für ein elender Späher. ", zischte Zandua ärgerlich. "
" Ich tauge nichts liebe Herrin, bin mein Futter nicht wert, warum nicht töten? " Zandua lachte verächtlich. " Der Tod ist eine Gnade, die du dir noch nicht verdient hast. " Sie blickte lächelnd in die Dunkelheit. Andere Menschen waren also den Rittern gefolgt. Zandua ahnte, was sie wollten.
Es ging um die Kinder. Die Blutelfin zog ihr Schwert und lief los.
Der Schwarze Ritter hörte das Geräusch der hopsenden Schritte und zog sein Schwert, aus der Dunkelheit der Höhle tauchten genau sechs riesige weiße Kaninchen mit rot glühenden Augen auf.
" Killerkaninchen! ", rief Sir Galaga, " Sind die nun echt oder auch wieder nur Illusionen? " " Ich weiß es nicht. ", antwortete der Schwarze Ritter.
" Aber zieht besser eure Schwerter. Es kann nicht schaden. "
Eines der Kaninchen sprang den Schwarzen Ritter an, er wurde zurückgeschleudert und schlug mit seinem Schwert zu. Die Bestie wich der blitzenden Klinge mit einem blitzschnellen Sprung aus. Ein anderes Killerkaninchen sprang Sir Hymak an, der Ritter gab dem Tier den Todestoß, als es in seine Kehle biß. Beide stürzten zusammen sterbend zu Boden. Sir Raval wurde von der Schnelligkeit eines Killerkaninchens überrascht. Das Tier war über ihm, ehe er mit seinem Schwert zu schlagen konnte, für ihn war alles schnell vorbei. Sir Anatal und Sir Osman verteidigten sich gegen zwei Killerkaninchen, Rücken an Rücken. Sir Galaga wurde von einem Killerkaninchen an die Höhlenwand gedrängt. Der Ritter schlug wie wild mit seinem Schwert um sich. Doch das raffinierte Kaninchen wich immer wieder geschickt aus, um den Ritter sogleich noch heftiger zu bedrängen. Inzwischen hatte der Schwarze Ritter mit einem gewaltigen Schwertstreich , das Killerkaninchen welches ihm angegriffen hatte, erlegt. Das Killerkaninchen welches Sir Raval getötet hatte, beschloß von der Seite Sir Galaga anzugreifen. Gegen zwei Killerkaninchen hatte der Unglückliche keine Chance mehr. Als der Schwarze Ritter zur Hilfe eilte, war es schon zu spät. Der Ritter konnte nur noch , die beiden Ungeheuer welche den Körper Sir Galagas soeben zerrissen, mit zwei blitzschnellen Hieben enthaupten. Zur Trauer blieb keine Zeit, der Schwarze Ritter lief sofort weiter zur Sir Anatal und Sir Osman, welche wacker gegen die letzten beiden Killerkaninchen kämpfen. Zu dritt gelang es ihnen dann rasch die beiden Tiere zu töten. " Wir haben gesiegt. ", sagte Sir Anatol erschöpft. " Aber ich fürchte dies war unser letzter Sieg. "
" Bravo. ", rief Lord Asmorath begeistert. " Sie haben sogar die Killerkaninchen besiegt. So gute Gegner hatte ich seit dem letzten Jahrhundert nicht mehr. " Racar sagte: " Ich werde sofort die fünfte Prüfung vorbereiten. " " Nein ! ", entschied Lord Asmorath jedoch.
" Diese Helden haben immerhin vier Prüfungen schon bestanden, sie haben etwas besseres verdient, als weitere kindische Spielereien. "
" Was mein Lord? "
" Sie haben mich verdient. ", antwortete der Elfenlord lächelnd und ging.
Naera nahm das schwache Licht als Erste war. Sie deutete darauf und Laera klopfte Golgo auf die rechte Schulter, so daß auch er wußte, in welche Richtung sie gehen mußten. Was sie sahen war nicht zu glauben, die überlebenden Kinder von Bajath hockten verängstig in einer Höhle, die von einer Fackel beleuchtet wurde. Caleb, ein Junge aus dem Dorf sah auf, konnte, sie aber nicht sehen. Der Zaubermantel des Wanderers machte sie wirklich unsichtbar. Die Blutelfen hatten sich nicht die Mühe gemacht die Kerkerhöhle zu verschließen oder besonders zu bewachen. Aber nun war es nötig den Mantel auszuziehen und sich den Kindern zu zeigen. Laera zögerte, war wirklich keine der Blutelfen in der Nähe? Dieses Zögern rette ihnen das Leben, denn plötzlich hörte sie hinter sich eilige Schritte. Eine mit einem Schwert bewaffnete Blutelfin lief knapp an ihnen vorbei zu den Kindern. Caleb blickte entsetzlich verzweifelt auf die Elfin und Tira, ein kleines Mädchen begann zu wimmern. Die anderen Kinder weinten oder lagen zitternd am Boden. Was hatten die Blutelfen nur mit den Kindern gemacht? " Hallo meine lieben Kleinen. ", sagte die Blutelfin lächelnd.
" Ich weiß, daß irgend jemand in der Nähe ist, der euch befreien will. Aber ehe es soweit ist, habe ich euch alle umgebracht. "
Die drei noch lebenden Rittern gingen langsam weiter." Wir werden auch sterben. " , sagte Sir Osman. " Ja. " , antwortete der Schwarze Ritter. " Ihr habt es gewußt? ", fragte Sir Osman. "
" Ich habe es geahnt. "
" Aber weshalb habt Ihr uns dann alle ins Verderben laufen lassen? "
" Weil es nötig ist, daß jemand anfängt gegen die Blutelfen zu kämpfen, ehe sie die Herbstländer erobern. "
" Aber wir haben doch nichts erreicht, es war sinnlos. ", stöhnte Sir Osman. " Vielleicht haben wir noch nichts erreicht, aber es ist noch nicht vorbei. Und selbst, wenn wir nichts erreicht haben, außer daß sie ihre magischen Kräfte verbrauchen. Dann können doch andere nach uns kommen und Erfolg haben. Wer weiß, vielleicht werden die Kinder doch noch gerettet. ", erwiderte der Schwarze Ritter. " Ihr seid nicht ganz ehrlich. ", sagte Sir Anatol. " Es geht Euch auch darum Eure Schuld zu sühnen, Ihr glaubt daß gelingt Euch nur, wenn Ihr Euch einem übermächtigen Gegner stellt. Wenn auch Ihr euch dem Tod stellt. " " Das mag sein. " , gab der Schwarze Ritter zu. " Es ist auch keine Heldentat gegen Schwächere zu kämpfen. Stärkere Gegner als die Blutelfen sind kaum zu finden in den Herbstländern. Dennoch ist es wahr, daß die Blutelfen die Herbstländer in ein Schlachtfeld verwandeln werden, wenn sich ihnen niemand in den Weg stellt. " " Nun, ich wollte einen letzten großen Kampf ehe ich sterbe. ", meinte Sir Anatol zufrieden. " Ich glaube dies wird mein größter und ehrenhaftester Kampf. "
" Daran zweifele ich nicht. Aber jetzt wird es leider Zeit, daß auch die beiden anderen sterben. "
Mit dem Schwert in der Hand trat ihnen ein Blutelf entgegen.
Die Blutelfin ergriff Tira und hielt ihr das Schwert an die Kehle. " Du warst ja sowieso als nächstes Opfer vorgesehen. Also fange ich mit dir an. " " Nein! ", schrie Caleb stürzte sich auf die Blutelfin. Ein blitzschneller Faustschlag schleuderte ihm blutend zu Boden. " Nur nicht so ungeduldig, du kommst auch noch an die Reihe. Aber du hast Tira schließlich ausgesucht, also sollst du noch sehen, was ich mit ihr machen werden. " Die Blutelfin wich mit Tira bis an die Wand zurück, damit sie niemand von hinten angreifen konnte. " Also Befreier, ich weiß, daß ihr irgendwo in der Nähe seid und uns beobachtet. Wenn euch das Leben dieser kleinen Kreatur etwas bedeutet, zeigt euch jetzt! "
" Asmurath. ", stöhnte der Schwarze Ritter entsetzt. Der Blutelf lächelte böse. " Kennt Ihr dieses Ungeheuer etwa? ", fragte Sir Osman. " Wir sollten uns nähmlich sogleich zu dritt auf diesen Blutelfen stürzen und ihm um einen Kopf verkürzen. " Aber, aber.. ", sagte der Blutelf ,
" Drei gegen einen? Wo ist denn die Tapferkeit und die Ehre der sonst so edlen Ritter geblieben? "
" Ritterlichkeit zählt wenig, wenn man gegen Ungeheuer wie euch Blutelfen kämpft. ", erwiderte Sir Anatol. " Ungeheuer? Ihr verletzt meine Gefühle zu tiefs. ", spottete der Blutelf. "Aber wenn es euch Freude macht, ich bin gerne bereit gegen euch drei auf einmal zu kämpfen, ihr seid ja nur Menschen. Aber so ein Kampf macht mir leider keinen Spaß wenn ich nicht die Gesichter, aller meiner Gegner sehen kann. "
" Ich habe einen Eid geleistet. ", erwiderte der Schwarze Ritter. " Euer Eid ist unwichtig, wenn Ihr mich besiegt werden die Kinder frei gelassen, wenn Ihr euch an meine Bedingungen haltet, wenn Ihr jedoch Euren Helm aufbehaltet, werde ich sofort befehlen, die Kinder zu töten. " Der Schwarze Ritter und der Blutelfenlord blickten sich einen Augenblick lang an, dann nahm der Schwarze Ritter seinen Helm ab. Sir Osman und Sir Anatol sahen nun das Gesicht eines weiteren Blutelfen.
Laera fühlte blankes Entsetzen, als sie sah wie die Blutelfin die kleine Tira ergriff und ihr das Schwert an die Kehle hielt. " Du warst ja sowieso als nächstes Opfer vorgesehen, also fange ich mit dir an. ", zischte sie.
" Nein! ", schrie Caleb und wollte sich auf die Blutelfin stürzen. Die Elfin schickte ihm mit einem brutalen Faustschlag zu Boden. " Nur nicht so ungeduldig, du kommst auch noch an die Reihe. ", spottete sie
" Aber du hast Tira schließlich ausgesucht, also sollst du noch sehen, was ich mit ihr machen werde. " Laera wollte eingreifen, aber sie wußte egal was sie tat, jeder Versuch Tira zu retten, würde für sie alle den Tod bedeuten. Die Blutelfin wich mit Tira an die Wand zurück,. um einen freien Rücken zu haben. " Also Befreier, ich weiß, daß ihr irgendwo in der Nähe seid und uns beobachtet. Wenn euch das Leben dieser kleinen Kreatur etwas bedeutet, zeigt euch jetzt! "
Da riß sich Naera von Laeras Hand los. Entsetzt sah Laera wie Naera zu der Blutelfin lief. " Laß sie in Ruhe, du böses Biest! " Die Blutelfin ließ Tira tätsächlich los und ergriff Narea bei der Hand. " Na wen haben wir denn da? Für all den Ärger den du mir gemacht hast, sollte ich dich eigentlich lange foltern, aber ich will nett sein. " Sie hob ihr Schwert zum Schlag. " Ich töte dich sofort und bringe deinen Kopf meinem Lord. "
Laera wollte sich in ihrer Verzweifelung dazwischen stürzen, da ertönte eine andere Elfenstimme: " Halt Zandua, ich verbiete es. "
" Aslaron. " , sagte Lord Asmurath ruhig. " Ich hätte es wissen müssen. "
" Du hast es jedenfalls geahnt. ", erwiderte der Blutelf, der auch der Schwarze Ritter war. " So sind wir vollständig verraten worden. ", stöhnte Sir Osman. " Ihr tut dem Narren unrecht. ", erklärte Lord Asmurath. " Er glaubt wirklich den ganzen Unsinn den er Euch erzählt hat. "
" Weshalb kämpft Ihr auf unserer Seite gegen Euer eigenes Volk? ", fragte Sir Anatol den Schwarzen Ritter. Der Blutelf sah den alten Ritter traurig an. " Ich habe Euch die Geschichte doch erzählt, vor Eurem König. "
" Aber mir noch nicht. ", beschwerte sich Lord Asmurath.
" Erinnerst du dich noch, wie wir zusammen auf der Goblinsjagd waren und in einen Hinterhalt gerieten, Asmurath? "
" Natürlich. Das war im Berg Khorken. "
" Ich wurde von einem vergifteten Speer der Goblins getroffen und stürzte in eine Felspalte. "
" Ich dachte du wärest tot. "
" Ich fiel in einen Fluß und wurde über einen Wasserfall aus dem Berg Khorken heraus gespült, als ich verletzt am Ufer lag, fand mich der Wanderer. Er brachte mich zu einer Frau, deren Familie wir bei einen Raubzug getötet haben, sie hätte mich sterben lassen können, aber sie pflegte mich und rettete mir das Leben. "
" Für diese Dummheit hättes du der minderwertige Kreatur mit einem qualvollen Tod danken sollen. "
" Du hättest es getan, Asmurath, aber ich begann nach zu denken. All dieses Töten und Foltern, nur um sich an den Schmerzen anderer zu erfreuen, es ist krankhaft. Unser Volk ist krank. Wir Alten vererben unsere krankhafte Veranlagung an unsere Kinder . Ich wollte zeigen, daß auch Blutelfen einen anderen Weg wählen können und ich wollte der Frau und auch dem Wanderer auf diese Art danken. So wurde ich der Schwarze Ritter. "
" Das ist doch Heuchelei, auch als Schwarzer Ritter hast du getötet Aslaron. Ob du es zu gibst oder nicht, du hast es genossen. Nur daß dieses Töten irgendwie moralisch gerechtfertigt war. Menschliche Moralvorstellungen, Schwachsinn. "
" Ich habe versucht dagegen an zu kämpfen. ", versicherte Aslaron.
" Du bist ein Blutelf und wirst immer ein Blutelf sein. Wir sind nicht grausam, wir behandeln die minderwertigen Kreaturen, die diese lächerliche Ebene bevölkern, nur so wie sie es verdienen. "
" Nein, es ist eine Krankheit und sie muß enden! " , rief Aslaron.
" Weil du mein Bruder bist, gebe ich dir noch eine letzte Chance. " zischte Lord Asmurath. " Kehre zu deinem Volk zurück, werde wieder ein richtiger Blutelf. "
" Ich kann nicht Bruder. ", sagte Aslaron geqüält.
" Dann haben weitere Worte keinen Sinn. ", sagte Lord Asmurath.
" Beginnen wir, ich gegen euch drei. Es geht um euer Leben und um die Kinder. Tötet mich wenn ihr könnt! "
" Halt Zandua ich verbiete es! "
Die Blutelfin erstarrte und drehte sich um. Niemand war zu sehen. Auch Laera verstand nicht, woher die Stimme kam. " Wer spricht da? ", fragte die Elfin verwirrt.
" Erkennst du die Stimme deines Lords nicht mehr? "
" Doch, doch, natürlich. ", versicherte Zandua schnell. " Aber wieso zeigt Ihr Euch nicht, mein Lord? "
" Glaubst du etwa, ich wäre dir Rechenschaft schuldig? "
" Nein, nein, natürlich nicht. ", rief Zandua erschrocken.
" Du hast ausgezeichnet gejagt, aber ich will wissen, wie dieses Menschenbalg so tief in unser Reich eindringen konnte. Werf es zu den anderen! "
" Soll ich die Antworten aus ihr heraus holen, mein Lord? "
" Ich werde mich später persönlich um das Menschenbalg und die andere Brut kümmern, ich habe da einige amüsante Ideen. "
" Wunderbar mein Lord. ", sagte die Blutelfin.
" Für dich habe ich eine andere Aufgabe, einer der Ritter ist mir entwischt. Such ihn in den tieferen Höhlen. "
" Jawohl mein Lord. " , rief die Blutelfin. Verächtlich stieß sie Naera zu den anderen Kindern. " Bis später meine Kleine, wenn mein Lord seine Spiele mit dir treibt, werde ich zusehen. " Die Blutelfin lief mit ihren Schwert in der Hand sogleich in Richtung tiefere Höhlen. Laera und auch Golgo, dankten im Geiste der Göttin. Dann sahen sie den dunklen Schatten der hinter einem Felsen hervor trat und genau zu ihnen hinüber schaute.
" Worauf wartet ihr noch? ", fragte der Wanderer.
Die drei Ritter drängten mit einem gemeinsamen Angriff Lord Asmorath zurück, bis der Elfenlord mit dem Rücken an der Wand stand. " Gib auf, Asmorath. ", verlangte Aslaron, der Schwarze Ritter. " Nicht so vorschnell
Bruder. ", antwortete Lord Asmorath und trieb seine Gegner mit einigen gewaltigen Schwertstreichen wieder etwas zurück. " Ich will dich nicht töten, Bruder. ", rief Aslaron verzweifelt. " Du brauchst mich nicht
töten. " , sagte Lord Asmurath. " Statt dessen werde ich dich töten und dabei sogar noch viel Spaß haben. " " Es gibt keinen anderen Weg. " , keuchte Sir Anatol. " Wir müssen ihn umbringen, Aslaron, es tut mir
leid. " " Höre auf ihn, Bruder. ", rief Lord Asmurath höhnisch. " So spricht ein vernümftiger Mann. " " Du willst es nicht anders. " , sagte Aslaron bitter. Die drei Ritter begannen Lord Asmurath zu umkreisen, um den Elfenlord aus drei verschiedenen Richtungen gleichzeitig anzugreifen.
" Na endlich. ", meinte Lord Asmurath und schlug blitzschnell mit seinem Schwert zu, aber nicht die Gegner, sondern deren Fackeln waren sein Ziel.
Drei Fackeln stürzten zerschmettert zu Boden, es wurde dunkel.
Laera und Naera hatten alle Mühe die Kinder dazu zu bringen mit ihnen zu gehen, besonders der Anblick des verstümmelten Häuptlings gab vielen der Kinder einen weiteren Schlag. " Faßt euch alle an die Hände. ", befahl der Wanderer. Naera zog sich wieder den Mantel über und Golgo führte sie durch die Dunkelheit zurück. " Beeilt euch, ihr habt nicht mehr viel Zeit. ", rief der Wanderer hinter ihnen noch, dann ging auch er.
Die plötzliche Dunkelheit überraschte nur Sir Osman und Sir Anatol, aber Blutelfenaugen können die Dunkel durchdringen, so wurden sie von zwei blitzschnellen Schwertstößen Lord Asmuraths getroffen. Beide Männer stürzten sterbend zu Boden. Aslaron, der Schwarze Ritter schrie auf, als sei er selbst verwundet worden.
" Es tut mir leid Freunde! " Keiner der beiden konnte mehr antworten.
" Siehst du? Wie leicht war es diese beiden Menschenkrieger zu töten? Es sind minderwertige Kreaturen! " , stellte Lord Asmurath zufrieden fest.
" Jetzt sehe ich erst, was du für eine minderwertige Kreatur bist, Asmurath! ", sagte der Schwarze Ritter. " Jetzt werde ich dich töten. "
" Wie schön, daß du es endlich richtig versuchst. " , antwortete Lord Asmurath lächelnd.
Golgo führte Naera und die Kinder durch die unheimliche Höhlenwelt zurück, irgendwo aus den Höhlen hörten sie das Klirren von Schwertern. Aber Golgo führte sie unbeirrt weiter. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte Laera, der Schwertkampf würde ganau neben ihnen toben. Aber dann wurde das Geräusch der klirrenden Klingen wieder leiser. Erleichtert begriff Laera, daß sie sich von dem Kampfplatz entfernten. Was geschah dort wohl? Kämpften die Ritter gegen die Blutelfen? Waren sie siegreich? Laera hoffte es, bei der Göttin.
Lord Asmurath und Aslaron der Schwarze Ritter umkreisten sich, bis sie beide gleichzeitig los schlugen. Klirrend trafen sich die Klingen. Asmurath lachte auf und bewegte sich mit übermenschlicher Schnelligkeit. Aber Aslaron war ihm ebenbürtig. Schneller als das menschliche Auge, sausten die Schwerter der beiden Gegner hin und her. Es war ein Kampf, sie Sir Anatol ihm sicher gerne beobachtet hätte. Beide Brüder waren Meister des Schwertkampfes. Kein Laut der Erschöpfung, kein Keuchen, ja nicht einmal, daß einer der beiden schneller atmete war zu hören. Dann traten beide wieder zurück und begannen sich erneut zu umkreisen.
" Du bist gut Bruder, aber nich gut genug um zu überleben. ", zischte Asmurath. " Hauptsache du überlebst nicht. ", sagte Aslaron haßerfüllt und griff mit einem wilden Schwertstreich an. Asmurath duckte sich, um nicht enhauptet zu werden und wich erschrocken zurück. Er schaffte es noch gerade den zweiten Hieb seines Bruders zu parieren, dann ging auch er zum Gegenangriff über. Klirrend prallten die beiden Schwerter wieder zusammen. Zwei Paare leuchtender Elfenaugen starrten einander haßerfüllt an. Immer heftiger schlugen die beiden Blutelfen aufeinander ein. Funken flogen jetzt, wenn die Klingen sich berührten. Andere Blutelfen, welche den Kampf aus sicherer Entfernung über Zauberspiegel beobachteten,
murmelten leise anerkennende Worte. Einen solchen Kampf hatten selbst die meißten von ihnen, in den letzten Jahrhunderten nicht mehr gesehen.
Keiner der beiden Gegner konnte nachgeben. Ihre Bewegungen, Angriffe, Verteidigung, Gegenangriff waren so schnell, daß auch Blutelfen ihnen kaum noch folgen konnten. Bis es ganz plötzlich vorbei war, einer der beiden Blutelfenkrieger sankt durchbohrt vom Schwert seines Bruders zu Boden. Die Blutelfen wandten sich wieder von ihren Zauberspiegeln ab.
Das Schauspiel war zu Ende, sie mußten sich neue Unterhaltung suchen.
Der Wanderer betrat den Kampfplatz, der Sieger war schon fort. Rasch kniete der Wanderer neben dem Sterbenden nieder und flüsterte ihm etwas zu. Ruhig beobachtete der Wanderer dann wie ein Unsterblicher starb. Schon hörte er die Stimmen von anderen Blutelfen, die kamen um die Leiche zu holen. Der Wanderer mußte wieder einmal gehen, er drehte sich nicht einmal mehr um.
Golgo führte die Flüchtlinge durch das Tor zurück. Die Kinder schrien vor Freude auf als sie wieder in Goblinswald waren. Laera kamen vor Freude die Tränen.
" Darf ich jetzt um den Mantel bitten? ", sagte eine Stimme hinter ihr. Laera drehte sich um und sah den Wanderer. " Ja, habt vielen Dank für Eure Hilfe. ", sagte sie und gab dem Wanderer den Mantel.
" Aber sagt Herr, ist dieser Mantel von ihm? "
" Der Mantel stammt vom Versicherungsvertreter. "
" Aber von ihm geht doch nur Böses aus. "
" Es gibt kein lebendes Wesen von dem nur Böses oder nur Gutes ausgeht,
auch der Versicherungsvertreter ist nur ein ein Teil des Ganzen. "
" Warum habt Ihr uns geholfen? "
" Vielleicht auf Befehl meines Meisters, vielleicht aus einer Laune heraus, es ist doch nicht mehr wichtig. "
Naera drängte sich dazwischen. " Wir werden ein Riesenfest mit den Rittern feiern. " "Nein ", antwortete der Wanderer, " denn die Ritter sind alle tot. " " Das ist doch nicht möglich. " , sagte Laera entsetzt. " Denkt an sie als Helden, denn ohne ihr Opfer hätte euch niemand retten können. Wenn ihr zur Göttin betet für ihre Seelen, dann betet auch für Aslaron, dem Schwarzen Ritter, der ein Blutelf war. ", sprach der Wanderer und er fügte hinzu: " Nun beeilt euch lieber denn so bald es wieder dunkel wird, können euch die Blutelfen wieder verfolgen. "
" Seltsam", sagte Lord Asmurath, , " es bereitete mir mehr Spaß meinen eigenen Bruder zu töten, als hundert Goblins zu schlachten. "
" Ihr seid bewundernswert mein Lord. ", versicherte Racar.
" Natürlich . "
" Mein Lord ! ", schrie dieBlutelfin Zandua und warf sich vor Lord Asmurath auf die Knie. " Vergebt mir, ich habe versagt. "
" Aber Zandua. ", erklärte Lord Asmurath sanft, " ich vergebe nie jemanden. Was ist geschehen? "
" Die Kinder sind entkommen. "
" Wie war das möglich? "
" Sie haben mich überlistet, es ist ihnen irgendwie gelungen Eure Stimme nach zu ahmen. "
" Den Kindern soll das gelungen sein? " Asmurath lachte verächtlich. " Es gibt nur eine Menschenkreatur auf dieser lächerlichen Ebene, der das möglich ist und daß ist der sogenannte Wanderer. "
" In wenigen Stunden wird es dunkel, laßt mich sie verfolgen, ich werde sie alle töten. ", versprach die Blutelfin.
" Alle töten? Zandua, wieso denn? Laß sie ruhig heute Nacht noch in Ruhe, sie sollen glücklich sein, vielleicht noch ein paar Jahre leben und wenn sie sich dann endlich sicher fühlen, holen wir sie uns zurück. "
" Ihr seid so weise mein Lord. "
" Ja Zandua und deshalb werden wir beide gleich in die Folterkammer gehen, ich werde dir neue Welten des Schmerzes zeigen, damit du dich nie wieder von irgendjemanden überlisten läßt.
Zandua zuckte zusammen, kämpfte einen Augenblick mit sich, dann sagte sie: " Jawohl mein Lord. "
ENDE
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:44
Eingang zur Dunkelwelt
Die Ring-Ebene)
v. Heike Brand
Dies ist nur eine von vielen Geschichten der Würfelwelt, die sich meinen Unterlagen und Nachforschungen
zufolge genauso ereignet haben soll,
wie mein ausführlicher Bericht nun darlegt. Da die mir vorliegenden Aufzeichnungen jedoch keine Hinweise
über die Auslegung sprachlicher Details enthalten und verläßliche Ortsangaben ebenfalls nicht vorhanden sind, habe ich entsprechende Passagen soweit wie möglich durch Formulierungen ersetzt,
die ohne weitere Erklärungen für Euch verständlich sein müßten.
Ich hoffe, daß die Erzählung dadurch nicht allzuviel von ihrem ursprünglichen Reiz verliert.
Als erstes sollte man vielleicht grundsätzliche Dinge über die Begebenheiten in der düsteren Innerwelt wissen.
Immerhin kann man seiner Umgebung im Inneren einer Welt kaum ausweichen.
Dies ist ein Nachteil, wenn man beispielsweise der Elfenrasse angehört
und die direkte Nähe jedweden Metalls nicht besonders lange verkraftet;
wenn man Zwerg ist und auf bestimmte Mineralien allergisch reagiert;
oder wenn man - wie die Trolle - Metalle und Kristalle gleichermaßen verabscheut.
•Trolle bearbeiten Holz und Knochen mit Werkzeugen aus Holz und Knochen und sind ganz nebenbei auch noch beachtliche Töpfer,
jedenfalls diejenigen, die sich denn mal von Zeit zu Zeit zur Töpferei herablassen.
(Im Vertrauen, es sind mehr, als man vermuten könnte.)
Trolle sieht man kaum einmal, häufiger fallen da schon ihre Schnitz- und Töpferarbeiten auf.
Wortkarg, wie sie außerdem noch sind, verraten sie nicht gern ihre Handwerksgeheimnisse;
aber wer meint, gute Augen zu haben, den lassen sie gern alles genauestens begutachten,
denn sie wissen, daß niemand so gute Augen hat wie sie selbst.
In der Tat sehen die runden, pelzigen und schwarz bekrallten Trollhände viel ungeschickter aus,
als sie tatsächlich sind, und um ihnen wirklich etwas abgucken zu können,
müßte man schon selbst Troll sein, weil man sonst ihren Bewegungen einfach nicht folgen kann.
Es scheint, als seien Trolle die einzigen Innerweltwesen, die Farben erkennen können.
Zumindest sind sie die einzigen, die alle in der Innerwelt natürlich vorkommenden Farben kennen,
daraus auch Farbmischungen zubereiten und fast alles, was sie herstellen, irgendwie färben.
Niemand kann sich vorstellen, wie die Trolle mit ihren prankenähnlichen Greifwerkzeugen ihre einzigartigen Kunstwerke zu Stande bringen.
Ihre Arbeitsweise ist - mit einem Wort - undurchsichtig,
und wahrscheinlich glauben deshalb viele Leute, daß Magie dahinter steckt.
Dies konnte bis jetzt jedoch noch nicht nachgewiesen werden.
Die Zwerge sind fleißige Bergarbeiter und begnadete Schmiede, ganz egal, um welches Metall es geht.
Zwerge bearbeiten einfach alles, solange es nur metallisch ist.
Sie, die fleißig bis hin zum Ehrgeiz sind, außerdem redegewandt und auch oft sehr redselig
- vor allem in weinseligem Zustand - geben ihre wahren
Fertigungsgeheimnisse und Metallfundstellen stets nur im engsten Sippenkreis bekannt.
Zwerge halten zusammen, und soviel sie auch reden mögen,
es ist niemals auch nur ein einziges Wort zuviel dabei.
Für Kristalle haben sie keine Verwendung, und sie mögen sie auch nicht sonderlich,
daher - werfen sie sie einfach weg.
Zwerge lassen sich weder beim Schürfen des Metalls noch bei seiner Bearbeitung beobachten.
Außenstehende glauben oft, daß die kunstvollen, filigranen Verzierungen auf Waffen, Kelchen und anderen zwergischen Metallarbeiten durch unkontrollierbare Nebeneffekte irgendwelcher Zaubereien entstehen;
dies trifft jedoch nicht zu. Zwerge sind einfach nur ungeheuer geschickt.
Es ist nicht so, daß die Elfen das Graben nach irgendwelchen Kristallen von vornherein ablehnen.
Aber dabei ist - zumindest für Innerweltelfen - die Gefahr zu groß, auf irgendetwas Metallisches zu stoßen,
weshalb diese das Graben für gewöhnlich völlig unterlassen.
Die weitaus meisten Mineralien, die sie interessieren, entstehen auch nicht im Erdreich, sondern auf seiner Oberfläche
(bzw. dem, was in der Innerwelt Oberfläche zu nennen ist).
Und viele Mineralien FINDEN die Elfen einfach
- nämlich dort, wo Zwerge sie weggeworfen haben.
Wozu also sollte man sich mit unzulänglichen Werkzeugen irgendwelchen Strapazen aussetzen?
Wie Elfen die wunderschönen Schmuckstücke und Gebrauchsgegen-stände aus Edelsteinen. Kristallen und sonstige"-. Mineralmaterial herstellen::.
Ist niemanden bekannt.
Steine kann man nicht schmieden, und Elfen scheinen völlig lautlos zu arbeiten.
Allgemein wird vermutet, es könnte nicht anders vor sich gehen als so:
Ein Elf (oder eine Elfe) hält eine ausreichende Menge Kristall in seinen (ihren) Händen ,
stellt sich im Geist deutlich vor, was er/ sie daraus machen will,
und schon hält er/sie magischerweise das fertige Werkstück in der Hand.
Aber genau weiß man es eben nicht, und kein Elf würde so etwas je verraten.
Man sieht, daß die Trolle, Zwerge und Elfen hier ohne Probleme ganz gut miteinander zurechtkommen -
wenn sie es auch nur selten offen zugeben.
Auf der Uhr-Ebene, in den Lhoryt genannten Ausläufern des Kaukara- Gebirges, befand sich ein Dorf namens Helbatyan.
Dieses Dorf war aufgrund der umgebenden Hügel und Wälder so vollständig von der übrigen Welt abgeschnitten,
daß die meisten dort noch nicht einmal den derzeitigen Herrscher kannten
- und der Herrscher nicht wußte, daß es in der Gegend überhaupt noch ein Dorf gab.
In Helbatyan zählte nur, was der Dorfälteste und der Schamane sag- ten
- und das, was der kleinwüchsige Weise Arlem vorzubringen hatte.
Die Bevölkerung des Dorfes verschwendete keinen Gedanken an Menschen
oder andere Wesen, die in den umliegenden Regionen zuhause sein mochten.
Man dachte ebenso wenig daran, daß es auch unter dem Erdboden noch Leben geben könnte.
Nun, auch die Lebewesen unter dem Erdboden machten sich keine Gedanken darüber,
daß sie vielleicht doch nicht die einzigen auf der ganzen Welt wären.
Keines der beiden Völker wußte vom anderen, ja, keiner glaubte auch nur im Entferntesten an die Existenz der anderen.
Noch nie war jemand aus der Innerwelt an der Oberfläche gewesen,
und noch nie waren Vertreter der beiden Reiche einander begegnet.
(Zumindest wußte niemand mehr etwas davon, wenn ein solches Treffen jemals stattgefunden haben sollte
- und Oberweltler wie Innerweltler waren ganz sicher: andere als sie selbst gab es nicht.) Selbst die Legenden der jeweiligen Völker erwogen nur andeutungsweise und märchenhaft die Existenz
'anderer' Länder, die man sowieso niemals besuchen konnte, weil
- wie sollte es anders sein - böse Geister sie verborgen (oder vielleicht auch längst vernichtet) hatten.
Weit hinter den bekannten Gebieten von Bimugrema in der Innerwelt, wo die Geschichte ihren Lauf nahm,
endeten drei Wege an Wasserfällen.
Man konnte zwar die gesamte übrige Innerwelt von Bimugrema aus erreichen;
aber hinter diesen Vorhängen aus 'Lebendigem Wasser' ging es nicht mehr weiter - glaubte man.
Zumindest waren die wenigen, die es gewagt hatten,
durch die Wasserfälle zu gehen, niemals zurückgekehrt.
Dies waren die entscheidenen Gründe dafür, daß man grundsätzlich nicht versuchte,
von der Innerwelt aus die Wasserfälle zu durchdringen (zumindest nicht offiziell).
Nur deshalb konnte auch die Innerwelt so isoliert und unentdeckt bleiben.
Wohl kein Oberweltler hätte sich hier hinuntergewagt, geschweige denn hinter diesen tosenden Wasserwänden
weitere Höhlen oder gar lebende Wesen vermutet.
Aber eines Tages brachen einige Menschen 'von oben' in die düstere Innerwelt ein.
Eigentlich waren sie nur neugierig... nun ja, man wird sehen, wohin ihr Eifer sie führte.
Die rote Glut von Kohlen in der Mitte des großen, fensterlosen Raumes,
an denen die Gäste sich nach Belieben Erdhörnchen, kleine Springechsen oder auch Gelbknollen rösten konnten,
sorgte für eine eigenartige, abenteuerliche Atmosphäre.
Ansonsten war es aber ein fast ganz gewöhnliches Gasthaus - wenn man davon absah,
wie tief unter der Oberfläche es sich befand.
Um die länglichen Tische aus roh behauenen Felsblöcken standen Bänke, die man kunstvoll aus knorrigen Wurzeln gezimmert hatte.
An den Tischen saßen die verschiedensten Wesen:
Kobolde, Zwerge, Elfen, Trolle - und es waren sogar Menschen dazwischen.
Hier gab es keine unbedachten Worte, keine Spannungen,
keinen Streit wegen verschiedener Ansichten oder Traditionen: hier
herrschte eine friedliche, gemütliche Geselligkeit vor.
Die uralte Taverne 'Zum Füllhorn', gelegen im Herzen von Birnugrema, war etwas ganz besonderes,
selbst wenn man alle bisher bekannten Regionen des Innerweltreiches
Cirnolheg in Betracht zog.
Nirgendwo sonst wurden Frauen und Kinder, Trolle und Elfen, Barden
und Schamanen willkommener geheißen als hier.
Kriegsvolk wurde das Kämpfen leid und ließ die Waffen außen vor;
hier gab es Ruhe und Frieden für alle.
Auch wenn man eigentlich nicht dazugehörte, konnte man sich hier wohlfühlen - und auch geborgen.
Man wurde hier nicht schräg angesehen.
Die Zwerge Idugo, Irfed und Rexva waren zwar eigentlich 'nur' die Bedienung, hatten aber auch ein Auge darauf, wer die Taverne betrat, ohne daß man es ihnen ansah
. Sie und der Wirt, der alte Elf Yor, sorgten nötigenfalls für Ordnung.
Aber bisher war es nie nötig geworden.
Alte und Junge der verschiedensten innerweltlichen Rassen waren hier vorbehaltlos und vorurteilslos versammelt.
Man aß und trank;
manche unterhielten sich, spielten mit den Cmiaghetnaggethri-Steinen
und lachten, und andere lauschten dem Gesang und Saitenspiel des rotpelzigen Koboldbarden Urksma.
(Kobolde sind ganz hervorragende Dichter und hochbegabte Musiker,
wenn auch ihre Stimmen manchmal etwas zu schrill sind.)
Wieder andere starrten nur in die Glut und gaben sich ganz ihren Gedanken hin.
Einer von diesen war Yoltxur, ein junger Troll, dessen Lebensgefährtin Shirxil vor kurzem verschwunden war.
Von ihr fehlte jede Spur, als ob das Innere selbst sie verschlungen habe.
Yoltxur liebte Shirxil fast noch mehr als sein eigenes Leben, und er würde alles tun, was nur in seiner Macht stand,
um sie wiederzufinden. Allerdings wußte selbst hier niemand etwas über ihren Verbleib, und nur bei Wirt Yor regte sich eine vage Vermutung.
Nichts an diesem Frühsommerabed schien auf ein besonderes Ereignis hinzuweisen.
Tauben gurrten auf den Dächern der kleinen Behausungen; Verliebte sahen einander tief in die Augen;
die letzten noch draußen spielenden Kinder wurden von ihren Müttern
in die Häuser (hauptsächlich in die Bade- und / oder Schlafkammern gescheucht, und der
abendliche Sonnenschein vergoldete die Szenerie.
Das friedliche Umfeld vermochte vier verwegene Halbstarke jedoch nicht von ihrem Plan abzuhalten,
uralten Legenden und Erzählungen nachzuspüren und zu erkunden, was wirklich dahinterstecken mochte.
Der alte Arlem hatte ihre Phantasie reichlich geschürt, als er ihnen in den langen Jahren ihrer Kindheit
von einer dunklen, geheimnisvollen Welt namens Cirnolheg - tief unter dem Erdboden - erzählt hatte;
Geschichten aus einer Welt, die ihr eigenes schwaches Licht erzeugte und
die von Menschen und anderen Wesen bevölkert sein sollte.
Zwerge sollte es dort geben, Elfen, auch Trolle und Kobolde.
Außerdem sollte Friede dort herrschen - fast unmöglich hier oben auf der Ebene, denn die Menschen mußten sich, ob sie wollten oder nicht, noch das Cxras unter Ihren Füßen oder das Stück Himmel
über ihren Köpfen streitig machen.
Dies war sogar in Helbatyan so; und Helbatyan war nur ein etwas größeres Dorf, das etwa 800 Seelen beherbergte.
Oh, diese Dunkelwelt mußten die vier Freunde entdecken.
Sie kam ihnen wie das Paradies vor, und sie waren fest entschlossen, es zu finden.
Bei ihren ausgedehnten Streifzügen durch den nahen Wald
waren den Vieren riesige Felsblöcke aufgefallen,
die anscheinend teilweise ausgehöhlt waren. Zunächst hatten sie dort nur mit anderen Jungen Fangen und Verstecken gespielt.
Nachdem jedoch einer ihrer Kameraden im Elternhaus zu erzählen begann,
wo die Jugendlichen ihre Freizeit verbrachten, •war ihnen der Aufenthalt in der Nähe der Felsen verboten worden.
Die Vier aber hatten zusammengehalten und trafen sich jetzt einfach
heimlich dort. Ihre Neugier war geweckt, und sie rüsteten
sich mit Fackeln, Kerzen, Feuersteinen und Zunder aus,
damit sie die Höhlen genauer erforschen konnten
. Bald schon stellten sie fest, daß anscheinend nicht nur die Felsen hohl waren; lange Gänge waren tief in das Erdreich eingegraben.
Erst ängstigte sie das. Es dauerte jedoch nicht lange, da kamen ihnen Arlems alte Märchen und
Legenden wieder in den Sinn; und sie begannen, einen Plan zu schmieden
und die Gänge genauestens zu untersuchen.
Es schien ihnen, als gäben die Wände und der Boden dieser Höhlen tatsächlich
- wie Arlem immer behauptet hatte - ein schwaches Glühen von sich.
Für ihre Augen jedoch, die das blendende Licht der Sonnen gewohnt waren, reichte es nicht aus.
Sie würden ohne die vorsorglich mitgenommenen Kerzen und Fackeln nicht auskommen.
„Bring mir doch noch ein Bitterwurzelbier, Irfed, ich gebe dir auch zwei Shonjianbeeren extra.
Denk nur, zwei Shonjianbeeren!
Ich muß einfach noch ein Bier trinken, sonst schaffe ich den Weg nach Hause nicht." -
„Wenn du noch ein Bier trinkst, kommst du erst recht nicht heil nach Hause.
Und Beeren hattest du schon vorhin keine mehr!
Wir wollen hier Ruhe und Frieden haben und außerdem alle gleich behandeln.
Deshalb gibst du dich jetzt damit zufrieden, daß du zusätzlich dein Freibier bekommen hast,
und gehst heim, Rimaa. Nicht wahr?"
Aber die Zwergin wollte nicht gehen.
„Da kann ich mich ohne sie doch nie wieder sehen lassen", schluchzte sie auf.
Irfed stutzte. „Ohne wen?" wollte er wissen.
Rimaa zuckte zusammen und schluchzte dann noch ein wenig lauter.
, „Upaal, eine von meinen Nichten. Ich passe ab und zu auf sie auf.
Wir hatten die Wohnhöhlen meiner Familie verlassen; wir waren recht weit gegangen, um Wurzeln und Pilze zu sammeln
und vor allem nach den großen, reifen Shonjianbeeren Ausschau zu halten."
Geduldig hörte Irfed zu, ohne Rimaa zu unterbrechen.
„Wir hatten uns ein wenig voneinander entfernt, aber ich konnte Upaal hören.
Sie hatte mir noch Augenblicke vorher zugerufen, ihr Korb sei voll,
und auch in meinen paßte nicht mehr viel hinein.
Gerade hatte ich noch gerufen, daß wir uns dann wieder heimwärts wenden sollten-
aber ich konnte sie nirgends mehr sehen.
Von irgendwoher, anscheinend schon weiter weg, hörte ich dann nur noch ein Klicken - wie vor- rasch beiseite getretenen Steinchen.
Ich war wie gelähmt, und als ich mich endlich wieder bewegen konnte,
traute ich mich nicht mehr nach Hause..."
Rimaas Körper zuckte wieder auf. als sie erneut zu weinen begann.
Instinktiv legte Irfed seinen Arm um ihre Schultern
und richtete sie sanft auf.
„Weine nicht mehr, Rimaa. Ruhe heute einfach hier.
Ich werde schon dafür sorgen, daß du wieder heimgehen kannst."
Er wies ihr eine Gästehöhle zu, versorgte sie mit einem Krug Wasser und brachte ihr auch
ein paar getrocknete Süßpilze zum Knabbern; dann ließ er sie allein.
Yor nickte bedächtig, nachdem sein Gehilfe dies erzählt hatte. Bei ihm war außer Irfed nur noch Yoltxur. Die Vermutung, das Verschwinden von Shirxil und Upaal könne in irgendeinem Zusammenhang stehen, ließ Yor nicht los.
Aber dafür gab es keine Beweise. Und Yor wußte von Yoltxur, daß Shirxil von Zeit zu Zeit die Einsamkeit liebte.
Bisher war sie allerdings noch nie länger als einen halben Tag ausgeblieben.
Und Upaal? Yor kannte sie, erinnerte sich an ihren sturen Kopf und ihren Eigensinn.
Es war nicht unmöglich, daß sie von zuhause weggelaufen war, um ihrem Unmut
gegenüber den strengen Sitten der Zwergensippen Ausdruck zu geben.
So etwas hatte sie jedoch bisher noch nie getan.
Es gab keinen direkten Herrscher über ganz Cirnolheg. Bestimmte Gebiete hatten Könige oder Königinnen;
manche Bezirke standen unter der Herrschaft größerer Sippen.
In Bimugrema hörte man auf den Rat seiner Wahrsagerin, des Magiers oder des Schamanen.
Manche der birnugremischen Völker wünschten sich einen Fürst,
aber eigentlich wäre ein solcher nicht allzu nötig, denn man kam auch so ganz gut zurecht.
Jede Rasse Birnugremas war es gewohnt, eventuell auftretende Schwierigkeiten selbst zu bereinigen.
Ganz besonders galt das für die Trolle, in deren Angelegenheiten sich niemand einzumischen hatte
- nicht einmal ein Magier, es sei denn, unter den Trollen hätte es einen gegeben.
(Für die zu dieser Zeit lebenden Trolle waren trollische Magier jedoch nur noch Legende.)
Yoltxur bestand denn auch darauf, Shirxil selbst zu suchen.
Da er Rimaa und Upaal sowie deren Familie sehr gut kannte, erbot er sich, gleichzeitig auch nach dem Zwergenmädchen Ausschau zu halten.
Auch ihm war der Gedanke gekommen, daß das Verschwinden zweier Innerweltler so kurz hintereinander kein Zufall sein könne.
Er verabschiedete sich kurz von Yor und brachte - mit Irfeda Einverständnis Rimaa zurück nach Hause, um sich bei dieser Gelegenheit mit ihrer Familie zu beraten und sich anschließend sofort auszurüsten.
Bimugrema war nicht nur im Hinblick auf das friedliche Zusammenleben
seiner ansonsten doch so verschiedenen Bewohner etwas ganz
anderes als die übrigen Gebiete Cirnoihegs, auch anders als die Länder,
die vielleicht - wenn auch kein Innerweltler dies für möglich hielt - an
der Oberfläche liegen und deren Gesellschaftsstrukturen einfacher ersichtlich sein mochten.
Nicht, daß sich die Innerweltler darüber auch nur im mindesten Gedanken machten; für sie existiertekeine Oberwelt. Hätte jemand erzählt, man könne die Höhlen verlassen, draußen sei die Luft kühler und der Luftzug stärker,
und ein blendend helles Strahlen liege über der gesamten Umgebung,
dann wäre er wahrscheinlich ausgelacht worden.
Wissen, das schon seit langer Zeit verschollen war,
wurde aus dem einzigen Grund ignoriert, weil niemand Dinge für möglich halten wollte, die nur als vage Sagen überliefert waren.
Es gab hier keine Geschichtsschreirbung; und die Nacherzählungen der Nacherzählungen wurden irgendwann so ungenau wiedergegeben und so phantasievoll ausgeschmückt, daß man sie einfach nicht
mehr glauben konnte und wollte.
Viele der alten Erzählungen hatten Kriege, eine tatsächlich existierende Oberwelt, Gerüchte über die Würfelform der Welt sowie über kleine, pelzige, affenartige Wesen und unbekannte Ortsnamen zur Grundlage gehabt. Doch nun interessierte
sich niemand mehr für derartig phantastische Legenden.
Und selbst dann, wenn sich noch jemand an diese Dinge erinnern könnte, würde er sich hüten, darüber zu sprechen
- das war verpönt und wurde je nach dem Höhlengebiet, der Rasse und dem Ergebnis der Volksabstimmung mit
einer Art 'Umerziehung', Ausschluß
aus der Gemeinschaft ('Zwangsauswanderung') oder ähnlichem bestraft.
Nach dem Gespräch mit Yor und der anschließenden Beratung mit Upaals
Eltern und Großeltern hatte Yoltxur es eilig.
Dennoch bereitete er seinen Aufbruch mit Bedacht vor. Er wollte Shirxil finden - lebend natürlich - und auch sein eigenes Leben wollte er nicht so leichtfertig riskieren.
Darüber hinaus hatte er den Zwergen versprochen, sich außerdem noch nach Upaal umzusehen.
Erst als er die Felltaschen an seiner Kleidung mit einer vorsichtigen
Auswahl von Blasrohren, den dazu gehörigen Schlafgiftpfeilen und genügend Proviant versehen hatte -
Trolle tragen ihre Ausrüstung stets direkt auf ihrem etwas unförmigen, dafür aber sehr muskulösen Körper herum,
damit sie beide Hände frei haben
- machte er sich auf den Weg.
Es war eine Reise ins Ungewisse, aber niemand konnte ihn aufhalten.
Alle Verwandten und Freunde hatten den jungen Troll zur Grenze Birnugremas begleitet und wünschten ihm Glück. Indessen glaubte niemand so recht an seine Rückkehr.
Alle wußten, daß er durch das Lebende Wasser gehen müsse,
und bisher hatte es - wie gesagt - niemand geschafft, von 'Hinter dem Wasser' zurückzukommen.
Viele dachten bitter, daß Trolle nicht so leichtsinnig sein sollten,
das Wasser zu unterschätzen.
Wenn Shirxil und Upaal wirklich durch das Wasser gegangen waren, würden sie niemals mehr wiederkommen.
Zumindest waren sie in ganz Bimugrema und den direkt angrenzenden Gebieten nicht aufzufinden gewesen, und das war durchweg gleichbedeutend mit 'tot'.
Demnach sah man Yoltxur ebenfalls schon jetzt als verloren an.
Nicht einmal der Elfenmagier Zyl, den man den Allwissenden nannte, konnte sagen, ob Yoltxur jemals wiederkehren würde.
Als er nach sechs Ruhezeiten immer noch nicht zurück war, dachte man in Birnugrema nicht mehr all zu oft an ihn.
Man war nun einmal überzeugt, daß er nicht eine einzige Ruhezeit hinter dem Wasser hätte überleben können...
Natürlich können die Kreaturen der Innenwelt die Zeit nicht nach
dem Stand der Sonnen einteilen.
Allerdings gibt es - wie auch die in die Höhlen eindringenden Menschen bemerkten
- ein Glühen im Erdboden und im Gestein.
Dieses Glühen pulsiert, wird also in regelmäßigen Abständen stärker und wieder schwächer.
Die Innerweltkreaturen haben sich so auf diesen Rhythmus eingestellt,
daß sie sich in den Stunden zur Ruhe begeben, in denen das Licht am schwächsten ist,
und rechnen nur die Ruhezeiten zusammen. (Dies aber auch nur im Bedarfsfall - immerhin ist diese Methode recht umständlich.)
Der Einfachheit halber bezeichne ich die Zeiten teils als Tage, Nächte und Wochen,
obwohl das Pulsieren des Innerweltglühens nicht dem Tag- und-Nacht-Rhythmus auf der Oberfläche entspricht.
Umleth, Lorfud, Fedlar und Nelamu hatten sich für tagelange Reisen vorbereitet.
Zuerst kamen sie nur langsam voran, da sie noch viel Proviant schleppen mußten,
und sie rasteten oft.
Sie untersuchten die Höhlenwände auf irgendwelche Zeichen, entdeckten aber nichts von Belang -
wenn man von irgendwelchen Kritzeleien an den Wänden absah, die Jagd- und Kampfszenen, seltsame Tiere,
noch seltsamere Menschen und ähnliches zeigten, dem die Vier aber keine Bedeutung beimessen wollten
. Solche Dinge hätte schließlich auch ein zu Scherzen aufgelegter Kamerad zustande gebracht.
Dabei machten sich die vier Freunde jedoch nicht klar, wie tief sie schon in das Erdreich eingedrungen waren.
Wie lange sie schon hier unten waren, wußten sie ebenfalls nicht;
die Zeit, die sie kannten, schien hier anders zu vergehen.
Von dem Pulsieren des Lichts, das beunruhigenderweise aus den Wänden zu dringen schien, merkten sie nichts.
Dazu waren ihreAugen nicht geübt genug,
und die Fackeln, die sie bei sich hatten, waren viel zu hell.
Vielleicht wäre es ihnen aufgefallen, wenn sie versucht hätten, sich ohne zusätzliches Licht vorwärts zu bewegen.
So aber dachten sie sich nicht einmal etwas dabei, wie müde sie waren,
und rasteten auch nur noch, wenn sie wirklich absolut nicht mehr weiterkonnten.
Daß sie gerade den Übergang von der ständig unbewohnten in eine von Zeit zu Zeit besuchte Zone passierten,
kam ihnen nicht sofort in den Sinn.
Doch dann fiel Lorfud irgendetwas auf. „Kommt mal her!" rief er.
„Das hier sieht wie eine Feuerstelle aus'."
Seine Stimme hallte seltsam, und die anderen drei zuckten zusammen. Zögernd nur kamen sie näher.
Lorfud bemühte sich, seine Stimme zu senken, als er weitersprach.
„Könnte schon ein paar Wochen alt sein."
Umleth kam es vor, als zittere Lorfuds Stimme, aber er ließ sich nichts anmerken
Stattdessen stocherte er in der Asche herum. Er war sicher, daß er nichts finden würde;
dazu schien ihm dieser Platz schon zu lange verlassen. Nelamus geflüsterte Worte ließen ihn auffahren.
„Hier war jemand!"
klang es wispernd durch die Höhle. „Und es ist noch gar nicht so lange her.
Wir sind in den Bereich der anderen vorgedrungen!"
Umleth versuchte, seiner Stimme einen gelassenen Klang zu geben, aber es gelang ihm nicht so recht.
„Was meinst du denn, Nelamu? Ich sehe nichts, das diese..."
...Annahme rechtfertigen würde, hatte er sagen wollen.
Die Worte waren ihm im Hals steckengeblieben.
In einer Nische dieses Raums stand ein Krug.
Er war leer; aber neben dem Krug lagen zwei kleine angebissene Wurzelknollen.
Diese schienen vorher geröstet worden zu sein.
Umleth hob eine der Knollen auf und versuchte, sie zwischen Daumen und Zeigefinger zu zerdrücken.
Er schaffte es aber nicht, die Knolle war recht hart, und er schloß daraus, daß sie wohl frisch sein mußte.
Auf dem felsigen Boden gab es keine Spuren; aber nach und nach entdeckten die Vier weitere geringfügige Essensreste als Zeichen,
daß sich noch vor nicht allzulanger Zeit jemand hier aufgehalten haben mußte.
Sie hielten eine kurze Beratung ab und schlichen dann weiter.
Nach einer Weile hörten sie ein leise zischendes Geräusch. Noch vorsichtiger bewegten sie sich,
aber an dem Geräusch veränderte sich nicht viel;
es wurde nur immer lauter, je weiter sie vordrangen.
Es hatte sich inzwischen beinahe in ein Tosen verwandelt,
und keiner ihrer Schritte war mehr zu hören.
Selbst ein Stolpern oder eine leise Unterhaltung würde hier völlig unbemerkt verklingen.
- Der Gang machte eine Biegung, und dahinter lag ein Wasserfall.
Eine Weile staunten sie über dieses seltsame Ereignis.
Dann suchten sie Wege um das nasse Hindernis herum.
Aber außer zwei weiteren Wasserfällen fanden sie nichts;
kein Weg führte tiefer hinein in das Labyrinth der Höhlen.
Noch seltsamer fanden sie, daß es rund um die Wasserfälle zwar recht große, wenn auch flache Seen gab,
aber anscheinend keine Möglichkeit, daß das Wasser irgendwohin abfloß.
Ganz offensichtlich war die Wassermenge immer dieselbe.
Die Vier berieten wieder und kamen zu dem Schluß, daß die Dinge, die sie kurz vorher gefunden hatten,
doch von Oberweltmenschen stammen mußten und nicht von irgendwelchen
legendären Innerweltwesen.
Sie wollten sich gerade auf den Rückweg machen,
als der Wasserfall sich vor ihren Augen zu teilen schien.
So schnell es eben ging, verbargen sie sich.
Shirxil achtete kaum auf ihre Umgebung. Der Wasserfall hatte sie voll- kommen durchnäßt.
Das war die ein- zige unangenehme Nebenwirkung,
wenn sie sich wieder einmal ein Weilchen der Einsamkeit hingeben wollte.
Heftig schüttelte sie das Wasser ab.
Sie kam immer dann hierher, wenn sie ihre Ruhe brauchte und ansonsten niemanden bei sich haben mochte.
Die Höhlenregion, die nur 'Hinter dem Wasser' hieß, lag weit außerhalb Birnugremas und war gewiß niemandem außer ihr bekannt.
Das war der einzige Grund, weshalb! sie keine Vorsicht walten ließ: niemals hätte sie hier einen Fremden vermutet.
Und einzig und allein deshalb konnten die vier Oberweltler etwas vollbringen, das für gewöhnlich absolut undenkbar ist.
•Sie erschienen völlig überraschend für die Trollin aus dem Hin- terhalt.
Shirxil war zu keiner Regung fähig; das genügte den Vieren schon.
Der Trollin nützten ihre hervorragenden Sinne nicht mehr.
Sie erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf und merkte nicht, daß sie gefesselt und geknebelt wurde.
Sie wußte nicht so recht, wer oder wo sie war, als sie erwachte.
Sie hörte unverständliche Gesprächsfetzen, die von Rauschen und Pfeifen über- lagert waren.
Sie sah nichts, und als sie versuchte, sich zu bewegen, war es ihr nicht möglich.
Sie war sehr hungrig. Nach und nach begriff sie, daß sie überfallen und entführt worden war
. Aber von wem?
Der Geruch dieser Wesen kam ihr nicht bekannt vor
. Was mochten sie von ihr wollen?
Woher kamen sie?
Warum wählten sie nicht den friedlichen Weg?
Shirxil versuchte, sich ein wenig bequemer zu legen,
und wälzte sich leicht herum.
Dabei merkte sie, daß sie nicht allzulange bewußtlos gewesen sein konnte;
ihre Kleidung war noch feucht.
Shirxil machte sich Gedanken wegen ihrer Liebe zur Einsamkeit;
zumindest versuchte sie es.
Das Nachdenken machte ihr Mühe.
Sie bekam Kopfschmerzen.
Zur Zeit schien sie sich, in Anbetracht ihrer Situation,
in ziemlicher Sicherheit zu befinden.
Sie beschloß, sich zu entspannen, um für ihre Flucht Kräfte zu sammeln.
Denn fliehen würde sie sofort, sobald ihre Entführer in ihrer Aufmerksamkeit nachließen.
Schließlich war sie eine Trollin. Trolle sind zielstrebig und hartnäckig,
und außerdem sind sie stolz
. (Daß der Name einiger menschenerschreckenden Waldwesen bestimmter Sagen einer Welt namens 'Erde' ausgerechnet auch wie 'Troll' klingt,
kann nur ein Zufall oder ein Übersetzungsfehler sein.)
Irgendwann - das stand für Shirxil jetzt schon fest
- würden ihre Entführer sich gewiß eine Blöße geben.
Sie mußte diese einzige Gelegenheit für ihre Flucht sofort wahrnehmen können,
weil sie sicher war, daß sich eine solche Möglichkeit nicht wiederholen würde.
•Sie bemühte sich, so gut es ging, um eine entspannte Lage,
versuchte ihre Gedanken an Essen und Trinken zu verdrängen und wartete.
Soeben noch hatte Upaal Rimaa zugerufen, daß ihr Sammelkorb voll sei.
Sie wollte noch hinzugefügt haben,
daß es wohl an der Zeit für den Heimweg sei, aber sie kam nicht mehr dazu.
Sie spürte ein feuchtes Tuch auf ihren Lippen,
das sie am Schreien hinderte.
Ein nicht minder feuchter Arm umgriff ihren Körper und hob sie hoch.
Upaal hörte Rimaas Antwort, brachte aber keinen Ton mehr hervor.
Und irgendjemand mit durchnäßter Kleidung und einem ungewohnten Geruch trug sie fast lautlos, aber trotzdem schnell fort.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Nelamu stehenblieb.
Er hatte seine Kameraden noch nicht erreicht, aber er war außer Atem.
Und er wollte wissen, was er da erbeutet hatte. Sie wirkte auf ihn wie ein sehr kleines -
nein, ein viel zu kleines - wahrscheinlich wachstumsgeslörtes Mädchen.
Auch bei den Menschen kam so etwas schon einmal vor.
Aber nein, dies hier mußte eine Zwergin sein.
Es stand so in den Büchern, die er vor- gelesen bekommen
und später selbst gelesen hatte - in Arlems uralten Legendenbüchern.
Er ließ das Mädchen zu Boden und nahm vorsichtig das Tuch von ihrem Mund,
mit dem er sie eigentlich hatte knebeln wollen.
Sie schrie nicht; sie sah ihn nur an, mit großen, staunenden Augen und anscheinend ohne Angst.
Ein Gefühl herannahenden Unheils beschlich Nelamu;
diese Augen, dieser Blick, das behagte ihm nicht.
Fast wollte er bereuen, das Mädchen entführt zu haben,
wollte die Kleine einfach wieder laufenlassen, aber dann fielen ihm Umleths Worte wieder ein.
„Laßt uns noch ein wenig hierbleiben und uns genauer umsehen.
Dann entführen wir einfach einen
oder zwei von diesen primitiven Höhlenmenschen und nehmen sie als
Sklaven mit!"
Nelamu wußte, Umleth würde die fellbekleidete (und nach Meinung der Vier ziemlich häßliche) Frau,
die sie kurz vorher in ihre Gewalt gebracht hatten, nicht ohne weiteres wieder freilassen
. Umleth, das war ihr Vorbild; er war mutig und wortgewandt.
Sie eiferten ihm in allem nach. Deshalb faßte Nelamu nun den folgenschweren Entschluß,
das kleine Mädchen für sich zu behalten.
" Wer bist du?" Aber die Kleine sagte nichts
. „Sag mir deinen Na- men!" Es kam keine Antwort.
Doch Nelamu wollte noch nicht aufgeben.
Er zeigte auf sich selbst. „Nelamu!"
sagte er. Das Mädchen blieb jedoch stumm.
Seufzend wiederholte er die Prozedur - erfolglos.
Da fesselte er ihre Händchen auf ihren Rücken, legte eine Lederschnur um ihren Hals, knotete daran ein Bastband
und führte sie wie ein zahmes Haustierchen voran.
Nicht lange danach erreichten sie den Wasserfall und durchquerten ihn.
Nelamu merkte, daß die Kleine sich fürchtete.
Er nahm sie auf den Arm und trug sie durch den Wasserfall.
Wenig später langte er mit dem Zwergenmädchen bei seinen Kameraden und der anderen Gefangenen an.
Yoltxur war beinahe an dem Platz angekommen, den Shirxil ihm einmal gezeigt hatte.
Der Weg durch das sogenannte 'Lebende Wasser' hatte ihm nicht gefallen,
aber für Shirxil hatte er es auf sich genommen.
Offiziell existierte hinter dem Wasserfall 'nichts',
also hätte auch Yoltxur nicht weiterleben dürfen.
Shirxil jedoch hatte ihn eines besseren belehrt.
Sie wußte immer alles viel besser, und Yoltxur bewunderte sie sehr.
Ob er sie an dem geheimen Ort finden würde?
Vorsichtig tastete er sich weiter, bis er das Licht bemerkte.
Es war stärker als das diffuse Leuchten der Felswände, das den Innerweltkreaturen zum normalen Sehen ausreich- te.
Es war aber auch noch stärker als der rötliche Glanz der kleinen Feuer,
wie Shirxil sie manchmal anzündete, um sich Pilze und Gelbknollen daran zu rösten.
Er preßte seinen Körper so dicht wie irgend möglich an die Felsen und glitt mit größter Umsicht millimeterweise näher her- an.
Er hatte sich gedacht, daß es nicht ganz so einfach sein würde.
Natürlich war sie nicht hier.
Ihm fiel auf, daß das seltsame Leuchten von einer Lichtquelle hinter der nächsten
oder übernächsten Biegung auszugehen schien. Was für ein Licht!
Es war nicht der geringste Hinweis zu entdecken, daß Shirxil überhaupt hiergewesen wäre.
Dafür fiel Yoltxur ein schwacher, fremdartiger Geruch auf.
So etwas hatte er noch nie gerochen.
Er kannte die Ausdünstungen aller Innerweltrassen; jedenfalls hatte er das bisher gedacht.
Dieser Geruch aber war ihm völlig fremd.
Unruhig sah er sich um.
Er wußte, daß er nun der wirklichen Innerweltgrenze immer näher kam und daß dahinter das Allumfassende Nichts liegen mußte,
das fast alle anderen schon hinter den Wasserfällen vermuteten.
Er zweifelte an sich selbst; war es denn möglich, daß die, die er suchte, bis hierhin oder weiter verschleppt worden waren
und trotzdem noch lebten?
Seine Zweifel dauerten nur Sekunden.
Jeden Felsvorsprung als Deckung nutzend, schlich er voran.
Die wilde Hoffnung, vielleicht noch rechtzeitig eingreifen zu können, trieb ihn weiter.
Er wollte Shirxil nicht verlieren; und er wollte den anderen auch beweisen, daß das Überqueren der nassen Grenze nicht tödlich war.
Yoltxur glitt förmlich weiter, unter größter Vorsicht,
unsichtbar für ungeübte Augen und so lautlos wie ein Schatten
- nein, noch leiser, so lautlos, wie nur ein Troll sich bewegen kann.
Alles hing davon ab, daß man ihn nicht zu früh bemerkte.
Lorfud und Umleth hatten Nelamu ausgelacht.
Ja, sollte er ruhig die Kleine behalten, diesen Mißwuchs
würden sie ihm schon nicht streitig machen.
Fedlar hatte nur gestaunt. Umleth hatte manchmal den Eindruck, daß Fedlar nur Mitläufer war,
nur deshalb alle Ausflüge und Abenteuer mitgemacht hatte,
weil er sonst ganz allein gewesen wäre.
Nun aber sollten sie sich alle wundern.
Immer noch mit verwundertem Blick ging Fedlar zu dem Zwergenmädchen,
nahm dem Kind die Handfesseln ab
und sprach es mit Worten an, die sie nicht verstanden.
Sie rissen die Augen auf, als das Kind zunächst zurückwich,
Fedlar ungläubig ansah
und dann mit hoher, singender Stimme und ebenso unverständlichen Worten Antwort gab.
]Fedlar blickte sich um, und unmerklich lächelte er.
Nein, sie verstanden nicht ein Wort. Er würde, wenn er schon sonst nichts tun konnte,
zumindest ein Auge darauf haben. - daß diesem Kind nichts geschah.
Im stillen dankte er den Naturgeistem für die Neugier,
mit der sie ihn ausgestattet hatten und die ihn immer dazu getrieben hatte,
den alten Arlern nach allen Einzelheiten und auch nach seiner Sprache zu fragen.
Ihm als einzigem der Vier hatte Arlern anvertraut, was sonst niemand wußte:
daß er der Zwergenrasse angehörte und nicht, wie er früher immer behauptet hatte,
nur zufällig besonders kleinwüchsig war.
Mit Fedlar habe er Pläne, weshalb er ihm dies und anderes mitteilen müsse.
Er war aus seiner Familie ausgestoßen worden, weil er die verpönten Theorien
über die Oberwelt verbreitet hatte,
und durfte nicht in die höherliegenden Regionen der Dunkelwelt Cirnolheg auswandern.
Er musste den ungewissen, langen Weg zum Lebenden Wasser und den noch viel längeren Weg zur Oberfläche gehen...
und den Rest könnt Ihr Euch nun wohl denken.
Upaal wunderte sich so sehr darüber, einen dieser Fremden verstehen zu können,
daß es einen Moment dauerte, bis sie zu einer Antwort fähig war.
„Ich heiße Upaal, und ich war mit meiner Tante Rimaa aus, um Beeren und Pilze zu sammeln.
Was macht ihr hier?
Wieso verstehst du mich, die anderen drei aber nicht?
Wer seid ihr, und wo kommt ihr her? „
„ Beruhige dich nur, Upaal, dir wird nichts geschehen.
Dafür sorge ich. Mein Name ist Fedlar, und ein – äh, Nachbar brachte mir die Zwergensprache bei.
Wir – wollten eigentlich nur mal sehen, wie ihr hier unten so lebt.
Wir sind nämlich von der Oberfläche der Ebene, musst du wissen.
Meine Freunde sind euch nicht wohlgesonnen.
Sie wollen dich und eine Frau, die wir schon vorher hier abgefangen haben,
als Sklaven mitnehmen. Ich werde mein bestes tun, um das zu verhindern. „
Er hatte noch keine Ahnung, wie schwierig sich das gestalten würde.
Noch bevor Upaal erwas dazu sagen konnte,
mischten sich die anderen drei wieder ein.
" Sag sofort, was du erfahren hast:" - .Was willst du mit der Babysprache bezwecken?"
- „Ach, mach Schluß mit der Vorstellung!"
So riefen sie durcheinander.
Fedlar wandte ihnen nur langsam sein Gesicht zu und sah seine Freunde - Freunde? - ernst an.
„Das hier ist - kein Spiel mehr! "
Er nahm Upaal auch noch das Halsband ab und bedeutete ihr, sie möge vorerst aus dem Weg gehen.
„Laßt die andere auch laufen! " Er wurde ausgelacht.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er Upaals Erschrecken.
Er fühlte beinahe körperlich ihre Angst.
Aber da nahmen Umleth und Lorfud ihn wieder in Anspruch.
Es kann Fedlar nicht in den Sinn, daß die beiden ihn nur ablenken wollten.
Auch daß Nelamu jetzt hinter ihm stand, fiel ihm noch nicht auf.
„ Laßt sie bitte beide laufen. Was nützt es uns, diese Kreaturen mitzunehmen,
die uns eigentlich nur zur Last werden können?
Sie gehören hierher - wir nicht. Laßt sie nur gehen und hütet euch vor weiteren Feindseligkeitenl"
Umleth reagierte überhaupt nicht.
Lorfud lachte kurz auf, aber es klang nicht heiter.
Die beiden näherten sich ihm langsam;
Lorfud stand jetzt genau neben Upaal.
In diesem Moment spürte Fedlar irgendwie, daß sich jemand hinter ihm befand.
Er fuhr herum - und schrie auf, denn ihm war eine schwache Bewegung an der Höhlenwand aufgefallen.
Was er nicht mehr sehen konnte, war,
wie Umleth und Lorfud Upaal überwältigen wollten.
Upaal merkte es, duckte sich gerade noch rechtzeitig und
rollte sich dann aus dem Gefahrenbereich.
Lorfud stieß schmerzhaft mit Umleth zusammen,
während Upaal blitzschnell in einer Felsnische verschwand.
In der Zwischenzeit hatte Nelamu Fedlar in ein verbissenes Handgemenge verwickelt.
Fedlar •hatte sich noch nie geprügelt und
war Nelamu deshalb weit unterlegen;
er bekam furchtbare Angst, daß sein Ende nahe sei.
Er merkte, daß er gegen den kräftigen und wohltrainierten
Nelamu nicht die geringste Chance hatte.
Dieser wiederum hieb auf Fedlar ein,
als ginge es um sein eigenes Leben.
Doch auf einmal erstarrte er. Seine Augen blickten in eine unvorstellbare Ferne,
bevor er sie schloß und bewußtlos zu Boden sank.
Umleth und Lorfud hatten davon noch nichts mitbekommen,
denn sie suchten Upaal - allerdings erfolglos.
Und dann mußten sie beide Nelamus Schicksal teilen: sie erstarrten kurz,
dann brachen sie zusammen.
Fedlar konnte sie nur verständnislos anblicken.
Was war mit seinen 'Freunden' geschehen? Wie kam er dazu, sie nach alledem überhaupt noch als Freunde zu bezeichnen? Aber seine Gedanken fanden ein jähes Ende, denn er hörte jemanden hinter sich.
Er sah sich um, und all sein Schmerz und seine Anspannung,
verbunden mit neuem Schrecken, lösten sich in einem spitzen Schrei.
„ Du Upaal helfen, ich dir nichts tun. Ich freundlicher Troll ",
sagte die kehlige, heisere Stimme der riesigen, ungefügen Gestalt, die sich vor Fedlar aufbaute.
Da tauchte auch Upaal wieder auf; sie griff nach der Prankenhand des Riesen und rief:
„Yoltxur! Was - wie kommst du hierher?
Aber das hat noch Zeit, erstmal müssen wir jemand anders helfen!" Diesmal war die Reihe an Yoltxur, einen Schrei auszustoßen.
Mit ungeahnter Schnelligkeit lief er zu der Ecke,
in der die gefangene Frau lag.
'Aha, Trolle', dachte Fedlar.
Er erinnerte sich dabei an die amüsante Geschichte über einen kleinen Trolljungen,
die Arlern nur ihm erzählt hatte - der Kleine war in ein halbvolles Bitterwurzel-Bierfaß gekrochen.
Angeblich war er zuerst tagelang betrunken gewesen,
und anschließend wollte er unbedingt Bierbrauer werden,
was allerdings allein den Elfen vorbehalten bleiben mußte,
die sich auch um Shonjianwein sowie Heil- und Zaubertränke kümmerten.
Aber da mischte sich eine neue Stimme in das Gespräch.
Fedlar verstand diesmal kein Wort.
Dann kehrten drei statt zwei zu ihm zurück.
Die Trolle nickten Fedlar grüßend zu;
Upaal ergriff das Wort.
„Darf ich dir Shirxil und Yoltxur vorstellen?
Sie sind gute Bekannte meiner Familie,
und Yoltxur hat uns allen wahrscheinlich gerade das Leben gerettet.
Sie verstehen meine Sprache, genau wie du, deshalb sprechen wir meine Sprache auch weiter.
Diese drei Menschen, jetzt noch von Yoltxurs Pfeilen betäubt,
müssen zurück in deine Welt.
Bei uns ist kein Platz für solche Menschen.
Du aber bist herzensgut.
Wenn du also möchtest, bleibe lieber bei uns.
Wir wollen die anderen übrigens jetzt gleich zum Ausgang schaffen.
Da ihr von oben hereingekommen seid, muß es ja dort eine Öffnung geben,
aber ohne dich werden wir sie wohl nicht finden.
Bitte führe uns.
Wir werden die anderen dort zurücklassen.
Dann werden wir die Eingänge zu unseren Gebieten verbergen.
Keine Sorge, sie werden sie niemals wiederfinden können.
Nur du, Fedlar, sollst mit uns kommen.
Vor allem Shirxil besteht darauf.
Diese Menschen sind doch kein Umgang für dich, du bist bei uns viel besser aufgehoben. Was sagst du?"
Ein wenig wunderte sich Fedlar nun.
Bei einem Zwerg konnte man das Alter schlecht schätzen, aber er hatte Upaal nicht für älter als acht (Menschen-)Jahre gehalten.
Diese wohlüberlegte Ansprache bewies, daß entweder Zwergenkinder
„schneller" eine Denkweise Erwachsener übernehmen konnten als Menschenkinder - oder daß er sich mit
ihrem Alter sehr verschätzt hatte,
daß sie vielleicht schon etwa sechzehn war wie er selbst.
Er überlegte nur kurz. Er konnte gar nicht anders, als dieses Angebot anzunehmen.
Er spürte, daß es ernst gemeint war, und schließlich sagte er herzlich:
„Ich helfe euch, und ich Komme gern mit euch, Freunde."
Auf dem Weg zurück nach oben kam
Fedlar schlagartig zu Bewußtsein, wie lange er schon kein Tageslicht
mehr gesehen hatte und wie müde
und hungrig er war.
Sie waren noch nicht weit gegangen, aber seinetwegen mußten sie rasten.
Und sie mußten auf diesem langen Weg in Richtung Oberfläche häufiger rasten, als
ihnen lieb war - Fedlar hatte einfach
nicht ihre Kondition.
So konnten wohl zwei 'Tage' und 'Nächte'vergangen sein;
Yoltxur hatte die drei anderen immer nur gerade soweit erwachen lassen,
daß sie ein paar Schluck Wasser und ein Häppchen Essen zu sich nehmen konnten,
und dann etwas von seinem Pfeilgilt auf ihrer Haut verrieben,
so daß sie weiterschliefen.
•Als sie endlich in der unmittelbaren Nähe des Ausgangs angelangt waren,
legte Fedlar sich einfach auf den
Boden und schlief, so erschöpft war er.
Er merkte nichts davon, wie seine ehemaligen Freunde ziemlich achtlos auf den Felsboden gelegt wurden, wie Shirxil ihn selbst in ihre Arme nahm und in Sicherheit brachte -
und auch davon, wie Yoltxur fast einen Tag'damit zubrachte, die Gänge im Oberflächenbereich sorgsam
und säuberlich mit schweren Steinen zu verschließen, nahm er nicht das geringste wahr.
Er erwachte erst wieder, als seine drei neuen Begleiter sich einen Spaß daraus machten,
ihn naßzuspritzen.
Er hörte das Tosen eines Wasserfalls - bedeutete das etwa, daß er ganze zwei 'Tage' und
die dazugehörigen 'Nächte' einfach verschlafen hatte?
Yoltxur beruhigte ihn. „Du schlafen etwas mehr als ein Ruhezeit.
Shirxil tragen dich, Yoltxur tragen
Upaal, und Troll kann laufen so
schnell wie Lebendes Wasser. Mensch und Zwerg einfach zu langsam!"
Obwohl Yoltxurs Lächeln eher wie eine Grimasse wirkte,
merkte Fedlar doch, daß es nur scherzhalt gemeint war.
Aber er ging auf den Scherz nicht ein, denn er mußte auf
einmal an etwas anderes denken.
Er machte sich Gedanken über die Leute in Helbatyan
und über die drei, die er bisher als einzig wahre Freunde angesehen hatte.
Irgendwann einmal hatte Arlem mit Fedlar über
Nelamu, Umleth und Lorfud geredet.
Was hatte er dabei bloß noch gesagt...
Wie im Traum fielen ihm nach und nach Arlems Worte ein:
' Ich wünsche mir, Junge, daß du meine Dunkelwelt einmal siehst.
Nicht die anderen, die wollen nur spielen, lärmen
und groben Unfug treiben. Du bist anders als sie, hast neben
deiner Phantasie einen wachen Verstand und ein edles Herz.
Ich kann mein Volk und die anderen Völker
dort unten nie vergessen,
aber ich darf auch nie dorthin zurück, wenn nicht bewiesen wird,
daß ich recht hatte.
Wenn du einmal nach Bimugrema kommen solltest,
dann laß dich zur alten Taverne bringen, zum 'Füllhorn'.
Dort frage nach Ralka. Sage ihr,
daß ich noch lebe und daß sie ja jetzt sieht,
daß ich nicht gelogen habe. Erkundige dich, ob meine Familie mich wieder aufnehmen würde,
denn ich möchte mein Leben nicht gern hier oben beenden.
Wenn sie nichts dagegen haben, laß mich bitte holen.
Meine Zeit ist nahe, und ich möchte meine Leute noch einmal um mich haben,
bevor ich dahinscheiden muß.'
•Ohne Vorwarnung sprang Fedlar auf.
„Bitte, wir müssen weiter. Führt mich zu Ralka -
sie lebt doch noch? Sie muß glauben, daß Arlem die Wahrheit gesagt hat,
denn er möchte zurück. Er macht sich nur Sorgen,
daß er das nicht darf,
daß man ihn hier nicht mehr haben will..."
Yoltxur lachte lauthals. „Ich bringe zurück Shirxil, bringe zurück Upaal.
Keiner glaubt, das möglich ist.
Jetzt sie alle sehen. Shirxil immer wissen,
aber sagt nichts. Arlem immer dar- über sprechen, aber keiner glaubt,
darum er muß gehen.
Alle denken, er tot.
Nun er ruhig soll kommen zurück. Alle sehen Mensch von oben, also keiner können sagen,
Arlern lügt.
Er jetzt genauso willkommen wie du. Du werden sehen."
Upaal bestätigte lächelnd und nahm Fedlar bei der Hand.
„Yoltxur hat völlig recht, Fedlar.
Mach Dir keine Sorgen. Alles wird gut werden."
Die Innerweltler waren geradezu erschrocken, alle Vermißten plötzlich wiederzusehen - und dann brachten sie auch noch einen Fremden mit!
Diese Vorkommnisse erschütterten ihren bisherigen festen Glauben bis ins Mark.
Und es hatte eine ganze Weile gedauert, bis man Fedlar soweit glaubte, daß einige andere sich das Lebende Wasser auch einmal genauer ansehen wollten. Fedlar war dann mit von der Partie, als man Arlern zurückholte. Die Familien waren beschämt gewesen,
als sie erkennen mußten, was sie Arlem durch die Verbannung angetan hatten; besonders beschämt, als sie merkten,
wie glücklich es ihn machte, wieder hier zu sein .
Ihm und Fedlar zu Ehren war ein großes Fest gegeben wor- den.
Nun jedoch trauerte man, und besonders Fedlar war untröstlich.
Arlem war - für einen Zwerg - noch gar nicht so sehr alt gewesen. Aber als ehemaliger Innerweltler hatte er
das gleißende Licht der Sonnen nicht vertragen können...
Arlem mußte gespürt haben, was vorging.
Der Wunsch, für immer zurückzukehren, war in ihm über- mächtig geworden.
Man hatte ihn diesen Wunsch erfüllt; aber schon eine Woche nach seiner Rückkehr lag er im Sterben.
Seine letzten Worte richteten sich an Fedlar.
„ Mensch des Lichts, öffne nicht die Tore der Dunkelwelt, aber vereine ihre Geschöpfe!
Wenn Hell und Dunkel einander bekämpfen, siegt nur der Stärkere. Mach Cimolheg stark!"
1995/05/05 by Heike Brand
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:37
Verwandte Seelen.
(Die Ring-Ebene)
von Christel Scheja
" Wo sollen wir ihn hinlegen, Heilerin Jennike? " fragte einer der Männer,
die den bewußtlosen Fremden vom Strand des Sees in ihre Hütte getragen hatten.
Die Frau deutete auf ein breites Lager.
" Aber das ist doch dein Bett! ", protestierte der Mann.
Jennike schüttelte den Kopf. " Jetzt sollten wir nicht darüber diskutieren
- es ist groß genug für mehrere Menschen und der weichste Platz hier.
Ich muß den Fremden untersuchen und verbinden,
und er braucht dringend Wärme.
Schau ihn dir doch an! "
Besorgt blickte sie auf den Braunhaarigen hinunter, der ziemlich blaß und erschöpft aussah.
" Wo kommt er eigentlich her? "
fragte der aufmerksame Träger, der ihr noch weiter half.
" Ich weiß es nicht. Ich wusch gerade unsere Wäsche - Jhiruns und meine - am See,
als ich ein Klatschen hörte. Ich lief einige Schritte, und dann
fand ich ihn.
Mir war, als sei er aus dem Himmel gestürzt. "
Sie lachte leise auf. " Aber das kann ja wohl nicht sein. "
" Wer weiß. Schau dir einmal seine Ohren an. "
" Die habe ich schon gesehen.
Sie sind spitz, aber ansonsten sieht er ganz menschlich aus. Vielleicht ist er ein Elf..."
Sie lächelte nachdenklich. " Aus den Herbstländern hinter den Bergen,
wie die anderen Fremden, die sich manchmal hierhin verirren,
wenn die Ruthym sie nicht aufhalten!
Jedenfalls ist er keiner von ihnen,
dazu wirkt er zu fremdartig.
Doch laß uns nicht reden und spekulieren, sondern ihm helfen. "
So geschah es auch.
Jennike, die Heilerin, schiente den Arm und die gebrochenen Rippen, so gut sie konnte,
hüllte den Mann in eine warme Wolldecke
und flößte ihm dann ein bitteres Gebräu aus Kräutern ein.
Mehr konnte sie nicht tun; das andere mußte die Natur, sein Körper, bewirken.
Ihr Wissen war begrenzt, aber das größte aller Heiler der Dörfer am See,
und sie hatte schon schlimmer Verwundeten geholfen.
Dann erst gönnte sie sich Ruhe.
Der Fremde würde erst einmal ein paar Tage schlafen müssen,
um seinem Körper Ruhe zu gönnen.
Tyrgan erwachte durch ein helles Kinderlachen.
Er fühlte sich erschöpft, aber sein Geist war klar und leer.
Als er eine Bewegung auf seinem Lager spürte, öffnete er vorsichtig die Augen
und sah zuerst nur einen Schemen gegen das Licht, das durch das Fenster fiel.
Als er die Augen zusammenkniff, konnte er die Person besser erkennen.
Ein kleines Mädchen, vielleicht vier Jahre alt,
hockte auf dem riesigen Bett und stützte sich auf die Decken und seinen - nicht steifen - Arm,
doch ihre Berührung war leicht wie die einer Feder.
Das Kind hatte große gelbbraune Augen, die leicht schimmerten,
eine winzige Stupsnase und einen kleinen Mund.
Umrahmt wurde das Gesicht von einer wuseligen, lockigen Mähne aus goldbraunen Haaren.
" Ist das Dada? " fragte die Kleine und hob den Kopf.
" Nein, kleine Jhirun, das ist nicht dein Dada, sondern ein Fremder,
den ich aus dem See gerettet habe! ",
erklang eine andere, warme Stimme aus dem Hintergrund,
und nun tauchte auch das Gesicht einer erwachsenen Frau auf.
Sie hob das Kind vom Bett und beugte sich dann über ihn.
" Wie geht es Euch... Herr? ", fragte sie dann.
" Herr...", murmelte Tyrgan.
Dieser Titel kam ihm seltsam vor, und er mochte ihn nicht so recht.
" Ich bin Tyrgan.."
"Herr Tyrgan..." " Ich bin kein Herr! " unterbrach er sie und blickte auf die Frau.
" Wie kam ich hierher? "
" Ich habe Euch am Ufer des Sees gefunden.
Ihr wart dort schwer verletzt angetrieben.
Seid Ihr verunglückt? Aus einem Boot gefallen? "
fragte sie besorgt.
Tyrgan forschte in seinem Geist nach der Ursache.
Doch sein Kopf war leer.
So sehr er auch versuchte, nach der Ursache für seinen Zustand zu forschen
- er fand nichts in seinem Kopf außer einer großen, dumpfen Leere.
Sein Gesicht mußte das wohl verraten haben, denn die Frau schüttelte den Kopf.
" Ihr habt Euer Gedächtnis verloren, Tyrgan.
Das kann manchmal vorkommen.
Grabt nicht in Eurem Geist weiter - es könnte weh tun und alles schlimmer machen.
Erholt Euch - mit Eurer Genesung kommt auch die Erinnerung wieder.."
Sie lächelte und setzte einen kühlen Tonbecher an seine Lippen.
" Trinkt das, es wird Euch guttun. Ich bin Heilerin. "
Tyrgan gehorchte und schluckte den bitteren Kräutersud.
Die ganze Zeit beobachtete ihn mit großen Augen das kleine Mädchen,
das schon wieder Spielzeug, eine Puppe und einen Vogel aus Stoff,
in den Händen hielt.
" Warum ist das nicht Dada?! ",
fragte sie gerade, als Tyrgan so müde war, daß er einschlief.
Zu gern hätte er die Antwort der schwarzhaarigen Heilerin gehört,
aber da versank er schon in der Dunkelheit.
In der folgenden Zeit heilten seine gebrochenen Knochen und die inneren Verletzungen.
Tyrgan erfuhr, daß er im Haus der Heilerin Jennike lebte,
die in einem der acht Dörfer wohnte,
die es rund um den See gab.
Ihre Siedlung hieß Aridan und bestand aus vierzig Hütten und ungefähr dreihundert Bewohnern,
die sich überwiegend vom Ertrag ihrer kleinen Felder und vom Fischfang ernährten.
Die Berge ringsherum - die Ausläufer eines riesigen Massives, das auch Himinin genannt wurde -
schützten das breite Tal vor den Winden, aber auch vor dem Regen,
so daß die Felder durch den See und die nie versiegenden Bäche und Flüsse bewässert werden mußten.
Jennike war die Heilkundige und Hebamme des Dorfes und hatte immer wieder etwas zu tun -
sei es nun, einen unvorsichtigen Fischer zusammenzuflicken
oder einem Kind auf die Welt zu helfen.
Ihr eigenes, Jhirun, war für seine vier Jahre schon recht klug und quirlig,
was auch Tyrgan merkte, als er sich um sie kümmerte,
wenn die Mutter nicht da war.
Die Kleine war ebenfalls von einem Fremden gezeugt worden,
einem seltsamen Reiter, der nur einen Tag und eine Nacht bei der Heilerin geblieben war.
Aber nicht, daß sie deswegen in Ungnade gefallen wäre.
Tyrgan hörte, daß sich in den acht Dörfern die Frauen ihre Lebensgefährten wählten
und um das Einverständnis der jungen Männer buhlten -
nicht umgekehrt, wie er es gewohnt zu sein schien.
Gefährtenschaften gab es auch, aber sie banden nicht für ein Leben.
Die Partner konnten sich jederzeit trennen, und es bestand die Sitte, nach vier Jahren einen neuen Mann zu wählen.
So trugen Männer wie Frauen - denn es war nicht immer sicher, wer der Vater war -
mit Stolz den Namen der Mutter.
Jhirun etwa wurde auch Jhirun es Jennike genannt,
.Tochter der Jennike..
Das Talvolk war friedlich.
Kaum einer konnte kämpfen, da die acht Dörfer seit vielen Jahrzehnten nicht mehr angegriffen worden waren.
" Die Berge schützen uns. ", hatte Jennike ihm erklärt.
" Unser Tal ist von hohen Gipfeln umschlossen.
Dort leben die Ruthym, die .Wer-Herren.,
und solange sie uns nicht überfallen, sind wir sicher wie im Schoß unserer Göttin.."
Doch ihre Stimme hatte dabei gezittert, als verberge sie einen Teil der Wahrheit.
Neugierig, wie er war, hatte Tyrgan auch etwas über die Ruthym zu erfahren versucht,
aber da hatte Jennike den Kopf geschüttelt.
" Niemand weiß viel von ihnen -
nicht einmal, wie sie aussehen,
denn wenn sich einmal jemand in unser Tal verirrt,
dann trägt er eine alles verhüllende Rüstung,
dazu einen Helm aus Leder und einen Umhang.
Aber ihre Pferde sind merkwürdig - zottelig und Raubtieren ähnlicher als unseren Kleppern.
Sie kamen vor vielen Jahren aus dem Norden."
Mehr als mit Jennike hatte Tyrgan mit Jhirun zu tun.
Die Kleine beschloß schon nach ein paar Tagen, ihn als " Dada " zu adoptieren,
und kümmerte sich rührend um ihm.
Sie fütterte Tyrgan (auch wenn sie einiges über die Decken goß),
erzählte ihm Geschichten in kindlich-kluger Art,
machte kleine Kunststücke und lachte mit ihm.
Nachts schlief sie neben ihm in dem großen Bett und kuschelte sich manchmal an ihn, als sei sie wirklich seine Tochter,
die Schutz und Trost suchte.
Aber selbst wenn sie einmal weinte,
war ihr Gesicht nicht traurig
- Jhirun blieb ein sonniges, fröhliches Kind.
Tyrgan genoß
ihre Anwesenheit mehr, als er zuerst vermutet hatte; die Kleine hatte sein Herz im Sturm erobert,
und irgendwie hatte er das Gefühl, daß sie... mit ihm seelenverwandt war.
Als Tyrgan endlich aufstehen konnte,
spielte er mit Jhirun,
ließ das Kind auf seinen Knien schaukeln und erzählte ihm seinerseits Geschichten.
Er half im Haus und kochte Essen;
er entdeckte, daß er großes Geschick zum Nähen hatte,
und besserte die Gewänder seiner Retterin und des Kindes aus,
nähte ihnen später auch neue,
um wenigstens etwas Sinnvolles zu tun.
Er wunderte sich wie die Heilerin,
daß er seine Fähigkeiten nicht vergessen hatte
- sich aber an seine Vergangenheit nicht erinnern konnte.
Jennike hatte eine Vermutung, aber die hielt er selbst für unsinnig:
" Könnte es nicht so sein, daß du deine Vergangenheit vergessen wolltest?
Manchmal können Wesen das...."
Sie benutzte ungern das Wort " Menschen " in seiner Gegenwart.
Zumindest waren seine Ohren anders als die der Dorfbewohner.
Doch die wenigsten erschreckte oder störte das.
Sie schienen Wesen seiner Art - Elfen? - zu kennen,
und wenn auch nur aus alten Legenden:
" Vor vielen Jahren verschlug es unsere Vorfahren von den Ufern der salzigen Blaewina,
auf der Flucht vor einem dämonischen Magier und seine Kreaturen -
möge er auf die Winterinsel verdammt sein!
- in dieses Tal.
Unter den Führern, die uns sicher durch die Himdranas- Schluchten geleiteten,
war Marlianie, eine deiner Rasse - eine Elfe.
Schau dir die Statue an.
Du bist vielleicht kleiner als sie, aber vielleicht ist das in deinem Volk so....
Die Dorfbewohner nahmen ihn nach geringer anfänglicher Scheu
freundlich in ihrer Mitte auf
und boten ihm an, einer der ihren zu werden, wenn er es wollte.
Tyrgan überlegte nicht lange
- er stimmte ihnen zu,
denn er hätte sonst nicht gewußt,
wohin er hätte gehen sollen.
Jahre zogen ins Land,
die wechselhaft für die Bewohner der Dörfer waren.
In einem tobten trotz allen Schutzes Stürme über das Tal
und zerstörten die Felder kurz vor der Ernte;
in einem anderen Jahr blieben die Fischschwärme aus den Bergen aus.
Tyrgan fuhr mit den jungen Fischern auf den See und nähte Gewänder.
Er lebte weiterhin im Haus der Heilerin,
die nicht abgeneigt war, mit ihm das Bett zu teilen
und sich mit ihm zu lieben.
Sie war nicht einmal eifersüchtig auf die jungen Mädchen des Dorfes,
die, sobald sie herausgefunden hatten,
was für ein guter Liebhaber er war,
ebenfalls mit ihm tändelten
und .seine seltsamen Ohren besser kennenlernen wollten..
Hin und wieder gab es Streit mit eifersüchtigen Jünglingen und Männern,
die ihn als lästigen Nebenbuhler sahen;
aber der ansonsten so fröhliche und lebenslustige Tyrgan zeigte auch eine andere,
kämpferische und wilde Seite.
Die kleine Jhirun wurde größer und schlanker,
blieb dabei aber so verspielt,
wie sie immer gewesen war.
Noch immer brachte sie Tyrgan dazu, mit ihr zu spielen.
Sie tobte mit ihm am Strand herum,
schwamm und sammelte Muscheln oder schöne Steine
- und ab und zu fingen sie auch in einem der zufließenden Bäche Fische
für das Abendessen.
Tyrgan nannte das schlaksige Mädchen auch " Küken ",
weil es mit seinem schmalen Körper wie ein Vogel ohne Schwingen aussah,
und er fühlte sich nun ganz wie ihr Vater.
Das Kind war ihm ans Herz gewachsen.
Doch er mußte sie ausschimpfen,
wenn sie allzu leicht- fertig in den Klippen herumkletterte
oder auf einem rutschigen Felsen balancierte,
denn das war ihm doch zu unheimlich; er tröstete sie, wenn sie sich durch Stürze weh getan hatte
oder krank war, und unterrichtete sie in Dingen,
die ihm irgendwie einfielen.
Jhirun hatte nur eine Eigenart, die ihn immer wieder verwirrte
- sie träumte davon, fliegen zu können,
und baute mit den anderen Kindern Gestelle aus Holz und Stoff
- die natürlich zu schwer waren, um auf der Luft treiben zu können.
Bei einem solchen Flugversuch brach sie sich einmal das Bein.
Und doch wußte sie es besser:
" .Glaub mir, Dada, eines Tages werde ich fliegen können!
Das weiß ich genau! "
Jennike hatte über diese trotzigen Worte gelacht,
aber Tyrgan war ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen.
Er fühlte mit Jhirun.
Aber alles in allem war die Zeit ruhig und friedlich,
und Tyrgan gefiel das Leben mit den Freunden
, die ihn so akzeptierten und mochten, wie er war
- auch ohne Vergangenheit.
Nur ihn selber beschäftigte diese Frage oft genug.
Vielleicht schwiegen die Dorfbewohner absichtlich
- vielleicht wußten sie mehr.
Denn sie redeten ungern über die geheimnisvollen Bewohner der Berge,
die .Wer-Herren., wenn er in der Nähe war.
Ehe er sich versah, waren dreizehn Jahre vergangen.
An Jennike und Jhirun war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen.
Im Gesicht der Heilerin zeigten sich tiefere Falten als früher,
und ihre schwarze Lockenmähne wurde von ersten grauen Strähnen durchzogen.
Jhirun aber war zu einem hübschen jungen Mädchen herangereift,
das Tyrgan mittlerweile nicht mehr ganz mit väterlichen Augen betrachten konnte.
Sie war groß - sie überragte ihn um einen halben Kopf - und schlank,
mit schön geschwungenen Gliedern und einem kleinen festen Busen.
Die Augen waren groß geblie- ben und hatten ihren Schimmer behalten;
das Haar floß wie eine Goldmähne um ihren Kopf.
Jhiruns Haut war samtbraun.
Sie bewegte sich anmutig, grazil und schnell,
wie eine Wassernymphe aus den Geschichten der Bauern,
und war noch immer von sonnigem Gemüt.
Nichts konnte sie verbittern;
vielleicht, weil ihr so viel gelang:
Bei den Spielen im Herbst hatte sie Ältere im Laufen und Springen besiegt;
wann immer es um Geschick und Schnelligkeit ging,
übertraf sie die anderen im Dorf...
Nun stürmte sie wieder lachend auf Tyrgan zu und schmiegte sich an ihn,
barg den Kopf an seiner Schulter,
obgleich sie ein Stück größer war als er.
" Ach Dada, Dada, ich bin so glücklich! "
lachte sie und tanzte wieder von ihm fort.
" .Schau mal, was ich entdeckt habe.."
Tyrgan nickte verwirrt.
Er legte das Hemd nieder,
an dem er genäht hatte,
und beobachtete Jhirun
- sicherlich hatte sie wieder einen Trick gelernt,
den sie ihm nun in ihrem Übereifer zeigen wollte.
Er spürte noch immer ihre leichte Berührung auf seiner Haut,
dann jedoch wich dieses Gefühl einem kalten Schauder.
Jhirun fiel auf die Knie und war plötzlich von einem goldenen, warmen Leuchten umgeben.
Sie schien zu schrumpfen...
ihre Gestalt zerfloß...
dann rieb er sich verwirrt die Augen,
denn auf der Wiese vor ihm saß ein junger Falke mit braunem Gefieder,
der verwirrt krächzte und wie wild mit den Flügeln schlug.
Dann versuchte der Vogel zu fliegen, schaffte es abzuheben, stürzte aber nach nur wenigen Flügelschlägen hinter einem Abhang ab.
Tyrgan schlug das Herz bis zum Hals.
Einen Augenblick glaubte er, durch ihre Augen zu sehen, ihre Angst und ihre Verwunderung zu spüren;
dann sprang er auf, stürzte hinter Jhirun her
und fand sie schließlich - wieder in menschlicher Gestalt
- am Fuß des Abhangs auf der Wiese liegend.
Er beugte sich über sie und
stellte mit Erleichterung fest, daß das Mädchen noch lebte und nur bewußtlos war.
Vorsichtig hob er sie auf und trug sie in die Hütte ihrer Mutter.
Jennike war noch nicht von ihrem letzten Krankenbesuch zurückge- kehrt,
so daß er sich allein um sie kümmern mußte.
" Was hast du nur getan, Kind? " fragte er laut.
Die Antwort bildete sich in seinem Kopf.
" Haben mich die Bewohner des Dorfes belogen?
Sind sie selber die Ruthym, oder zumindest einige von ihnen?
Warum beherrscht Jhirun diese Fähigkeit...
und warum glaube ich zu wissen, daß ich mich gleichfalls verwandeln kann? "
Der letzte Gedanke ließ ihn zusammenzucken.
" Ich bin aus dem Himmel gefallen , schwätzte Mita, als wir einmal bei einander lagen...
Bin ich einer von ihnen? ", grübelte er noch,
als Jennike eintrat. Die Heilerin wurde bleich, als sie Jhirun sah
und er ihr von dem Geschehen erzählte.
Sie untersuchte flugs ihre leichtsinnige Tochter,
atmete erleichtert auf und ließ die Angst aus ihren Zügen weichen,
als sie feststellte, daß das Mädchen außer ein paar Beulen und Prellungen
keine Verletzungen davongetragen hatte.
Dann setzte sie sich hin und begann zu weinen.
Tyrgan war verwirrt und legte seine Arme um sie, wie er es schon oft getan hatte,
und plötzlich enthüllte ihm die Heilerin, was sie all die Jahre zurückgehalten,
verschwiegen hatte:
Christel Scheja
Verwandte Seelen
(Die Ring-Ebene)
Teil 2
" Jhiruns Vater ist kein unbekannter Fremder.
Er ist einer der Wer-Herren, die in den Bergen leben,
einer der mächtigen Lords, die das Rhim-Blut besitzen
- das ihnen die Macht über ihre eigene Gestalt
und das Wesen der Tiere verleiht.
Ich verband eine seiner Wunden,
und es blieb nicht bei dieser einzigen Begegnung.
Er kam mehrere Male und liebte mich
- bei der Göttin, ich war nicht abgeneigt,
mich ihm hinzugeben, auch wenn er es die ersten Male erzwang,
denn unsere Vereinigung war so leidenschaftlich und wild,
daß ich sie genoß.
Niemand von den anderen sah ihn, weil er die Gestalt eines Falken angenommen hatte.
Sein Samen trug in mir Frucht.
Und jetzt... und jetzt ist sie wie er.
Ich habe Angst, daß er eines Tages zurückkommen könnte
und meine Tochter fordern würde,
weil sie sein Blut ist - Rhim.
Doch ich habe auch Angst um sie.
Die Wer-Herren, die Tier-Lords sind so stolz
und so arrogant,
daß Jhirun sicherlich unter ihnen leiden wird
- wegen mir, weil ich nur eine Menschenfrau war.
Ich hatte so gehofft, daß sie nichts geerbt hätte
- aber nun, nun ist es zu spät.
Vielleicht hat er es gesehen, hat es geahnt.
Siebzehn Jahre gehörte sie mir, und nun... nun...."
Tyrgan hielt sie nur fest.
Er wußte nicht, was er sagen sollte,
aber sein Blick schweifte immer wieder zu dem ruhig schlafenden Mädchen hin.
Irgendwie verstand er jetzt die merkwürdige Vertrautheit,
die er immer zu Jennikes Tochter gehabt hatte,
auch wenn er den Grund nicht benennen konnte.
Sie war... Wichtiger aber erschien ihm, was Jennike über die Wer- Herren gesagt hatte.
" Ich... ich helfe dir., sagte er leise.
" Egal, was kommt. Doch du mußt mir jetzt die Wahrheit sagen!
Berichte mir alles,
was du über die Ruthym weißt,
und beantworte mir eine Frage:
Bin ich einer von ih nen? "
Seine Stimme klang drängend.
Schließlich galt es immer noch, die Schuld zu bezahlen,
die er Jennike gegenüber durch die Rettung hatte,
auch wenn sie niemals darauf beharrt hatte.
Und er wollte Jhirun beschützen, seine Tochter!
Jennike blieb eine Weile schweigend neben Tyrgan sitzen.
Sie hatte ihre dunklen Augen gesenkt, und das Haar hing ihr ein wenig ins Gesicht.
" Ich versuche mich zu erinnern. ", murmelte sie nach einer Weile und seufzte,
während Tyrgan Jhirun über das Haar streichelte.
Jetzt erst fiel ihm auf, wie fedrig es geworden war.
" Erzähl mir so viel, wie du weißt.
Vielleicht hilft es uns,
hilft es mir weiter.
Bisher kenne ich ja nur die wenigen Erzählungen....", sagte er
und rief sich das wenige,
was er von den Mädchen wußte,
mit denen er das Lager geteilt hatte, ins Gedächtnis.
Die .Wer-Herren. lebten irgendwo in den Bergen,
die sich am Horizont abzeichneten, und sie sollten sehr mächtig sein.
Die Bewohner des Tales glaubten das zumindest,
weil sie seit langer Zeit nicht mehr von anderen angegriffen worden waren,
aber sie hatten keine Beweise.
Die .Tier- Lords. sollten Gestaltwandler sein,
aber sie zeigten sich hier nur unter Umhängen und Hüten verborgen,
so daß man nicht einmal ihr Geschlecht erkennen konnte;
und ihre Pferde schienen Fleischfresser zu sein.
Dorfbewohner, die offensichtlich mehr von ihnen gesehen hatten, waren getötet worden...
So war wenig über ihre Gesellschaft bekanntgeworden.
Er schreckte hoch und legte Jennike eine Hand auf den Arm.
" Wie siehst es aus, bist du dazu bereit? "
"Ja., sagte sie langsam. "Ich glaube, ich beginne mit dem Anfang:
Es war eine schreckliche, stürmische Nacht,
in der wir uns alle in unseren Hütten verbarrikadierten.
Auch ich hatte alles verriegelt und verrammelt.
Ich lebte damals allein in der Hütte.
Jedenfalls hatte ich Angst vor den Blitzen und dem Donner
- und noch mehr, als etwas gegen meine Tür schlug.
Erst als ich eine menschliche Stimme hörte, wagte ich zu öffnen -
und zog einen blutüberströmten, schmutzigen Mann in meine Hütte.
Ich verarztete ihn,
wusch seine Wunden aus,
schiente seinen Arm und reinigte sein Gesicht
- schon da hatte ich das Gefühl, daß er keiner von uns sein konnte.
Er war ohne Bewußtsein.
Als er dann zu sich kam, fühlte ich mich plötzlich von seinen Augen gebannt.
Sie waren gelb und durchdringend - sie leuchteten wie die eines Tieres.
Ich wußte selbst nicht, was geschah,
aber ich mußte ihn genauer ansehen.
Er sprach kein Wort und wandte sich wieder ab,
so daß ich mich schließlich zum Schlafen hinlegte.
Als ich am Morgen erwachte,
war er verschwunden und hatte die Armschiene und seine Verbände zurückgelassen.
Aber er kam wieder.
Nur zwei Tage später flog ein Falke in meine Küche
und verwandelte sich,
als ich ihn hinausscheuchen wollte,
in den Mann zurück, dem ich geholfen hatte.
Und nun begriff ich, wer er war.
Er war einer der .Wer-Herren., der Gestaltwandler.
Ich bekam Angst, denn wenn er es wie die anderen Besucher unseres Tales hielt,
würde er mich jetzt töten.
Er beobachtete mich eine Weile und weidete sich an meiner Furcht,
und dann zog er mich plötzlich an sich.
` Ich will dich für deine Hilfe beschenken! ´ sagte er plötzlich mit rauher Stimme.
Ich versuchte mich loszureißen,
suchte nach seinen Wunden, die verschwunden waren - aber er war kräftiger als ich dachte -
seine Hände waren wie Klauen.
` Ich will dich an meinem Blut teilhaben lassen! ´ zischte er dann.
Kurzum - unsere erste Vereinigung war eine Vergewaltigung.
Dann ließ er mich zurück.
Ich war verzweifelt - aber er kam wieder und wieder.
Ich versuchte ihn zu hassen,
aber ich vermochte es nicht; irgendwann
- als er mich endlich an seinen Geheimnissen teilhaben ließ -
gewann ich Vertrauen zu ihm.
Er erzählte mir von den Festungen
- den .Horsten. und .Höhlen., in denen sie lebten
- befestigten Siedlungen, die auf oder in den Bergen liegen.
Die Rhim.yetora, so nennen sie sich selbst, ließen sich dort nieder,
nachdem sie aus ihrer Urheimat geflohen waren.
Wann und wie die Wer- Herren allerdings in das hiesige Gebirge gekommen waren
und wo ihre Urheimat wirklich liegt,
das weiß niemand hier. Das ist kaum zu glauben,
nicht wahr?
Sie kamen mit ihren Pferden oder Chemuns, die Raubtiere sind.
Sie sind in zwölf Clans unterteilt,
von denen drei dem Ruf des Windes, sieben dem der Erde und zwei dem des Wassers folgen.
Angeblich könnten sie sich in jedes Tier verwandeln,
zögen jedoch eines vor, das ihrer Natur entspricht.
Aber es sind alles Raubtiere, denn die Rhim waren schon immer Jäger und Krieger.
Ich weiß noch, wie verächtlich er von uns Menschen sprach,
und sein Geschenk war ein Kind mit seinem Blut,
denn das Rhim-Blut sei stark und mächtig...
und wir hätten es ihrer Gnade zu verdanken, daß sie uns nicht versklavten...
. Jennike holte tief Luft. Es gäbe ein langes Leben, wenn das Kind einmal ausgereift sei -
selbst ein Halbblut wie Jhirun würde Generationen überleben; es heilt Wunden sehr schnell,
es verleiht besondere Gaben... und ich glaube, sie können auch die Tiere verstehen,
wenn sie es lernen. Ich vermute das, denn Jhirun hat ja keine Ahnung von all dem,
ihr Vater aber vermochte meine Katze zu verstehen.
Und dann sagte er mir - daß er meine Tochter vielleicht zu sich holen und anerkennen würde,
wenn sie sich seinem Blute würdig erweise, wenn es stark in ihr wäre.
Vielleicht meinte er die Verwandlung damit.
Sie würde es bei ihm besser haben, viel besser als bei mir -
aber er tat sehr geheimnisvoll und lachte nur, wenn ich danach fragte.
Und ja - er hatte etwas Nichtmenschliches an sich.
Seine Augen, vor allem seine Augen verrieten ihn...."
Jennike beug- te sich vor und sah Tyrgan an.
Dann schüttelte sie den Kopf.
" Da war dieser Glanz in seinem Blick.
Ja, und seine Haare erinnerten mich immer an Federn.
Sonst weiß ich nicht mehr viel von ihm... es ist so lange her...."
Tyrgan nickte bedächtig.
" Das ist jedenfalls mehr, als ich bisher wußte.", meinte er dann.
" Und was ist mit meiner Frage? " drängte er die Heilerin.
Jennike biß sich auf die Lippen.
" Das ist schwer zu sagen. "
Sie atmete tief ein und aus.
" Doch eines weiß ich mit Gewißheit,
du bist keiner von ihnen!
Deine Augen glänzen nicht so, und da ist noch.
.. Ich kann es dir nicht genau erklären... Ich weiß es. Ich füh- le es! "
Tyrgan gefiel diese Antwort nicht,
da sie ihn nicht weiterbrachte, aber er mußte sich damit zufriedengeben.
Seufzend legte er Jennike eine Hand auf die Schulter.
Die Heilerin umfaßte diese:
" Wünschtest du dir etwa, einer von ihnen zu sein? " fragte sie dann ernst.
" Vielleicht? " grübelte Tyrgan.
" Dann wäre ich mir meiner Herkunft wenigstens sicher" , murmelte er.
" .Auf der anderen Seite erscheint es mir nicht begehrenswert, einer der Lords zu sein. "
Er grinste schief und wurde dann wieder ernst.
" Aber wenn sie versuchen sollten, Jhirun oder dir etwas anzutun,
werde ich zur Stelle sein.."
Jhirun erholte sich rasch von der Verwandlung und drängte darauf,
es wieder zu versuchen. Tyrgan und Jennike verboten es ihr mit scharfen Worten;
aber wann hat jemals ein Kind auf seine Eltern gehört?
Sie achteten auf das Mädchen, aber dann kam der Tag,
an dem eine der Freundinnen Jhiruns herbeieilte und heftig atmend erzählte:
" Jhirun ist in die Felder gelaufen,
als wir sie ärgerten. Du weißt, daß keiner von uns sie einholen kann.
Ich weiß auch nicht wieso, aber sie sah so entrückt aus, als Kyno sie neckte, und murmelte etwas von...
- sie würde ihm beweisen, daß ihr Traum Wirklichkeit geworden sei,
und daß sie fliegen würde! Ich hab. das nicht verstanden! Ist sie verrückt geworden? "
Tyrgan und Jennike verstanden sehr wohl und sahen sich bedeutungsschwer an.
Beide hatten das Gefühl, sie jetzt suchen und finden zu müssen.
" Wo ist sie hin? "
Das Mädchen deutete in Richtung der weißen Gipfel
und japste erschreckt, als die Eltern ihrer Freundin losrannten,
so schnell sie konnten... Die beiden wußten, daß ihre Tochter es wieder versuchen würde,
und wollten verhindern, daß sie eine neue Dummheit machte.
Tyrgan war der Heilerin bald weit voraus,
doch er konnte und wollte nicht auf sie warten.
Der Staub unter seinen Füßen wirbelte auf; dann trat er das Getreide nieder.
Weit vor sich sah er Jhirun. Das Mädchen hatte sich auf einer kleinen Erhebung hingekauert; seine Gestalt begann schon zu verwaschen und zu wabern.
" Nein! "
Tyrgan brüllte, so laut er konnte. " Laß das sein! Laß das sein, Küken! Du wirst dir noch einen Flügel oder schlimmeres brechen! "
Sie war wie ein unerfahrener Nestling,
kaum flügge geworden.
Sie brauchte Anleitung -
und wer wußte schon, ob die Anwendung ihrer Gabe nicht den leiblichen Vater anlockte.
Tyrgans Füße berührten kaum den Boden.
Er merkte nicht, wie er die Arme ausstreckte und hochsprang.
Erst als er sich vom Boden erhob, die langen Hinterbeine noch immer im Schwung gestreckt, spürte er die Verwandlung.
Eine neue, ungeahnte Kraft flutete durch seinen Körper,
und er wußte plötzlich wieder, wer und was er war!
Jennike brach auf dem Feldweg zusammen.
Sie hatte keine Kraft mehr.
Weinend kauerte sie sich zusammen und starrte Tyrgan nach,
der im schnellen Lauf das Feld durchkämmte.
" Hoffentlich kannst wenigstens du sie in ihrem Tun aufhalten! " schluchzte sie.
Dann aber stockte ihr der Atem.
Tyrgan sprang hoch - und im gleichen Augenblick veränderte sich sei- ne Gestalt.
An seiner Statt - erhob sich nun ein riesiger Adler aus dem Getreide - nein, es war nicht einmal ein Adler!
Braune Schwingen wirbelten Staub auf,
Dunst, der so braun wie das Fell des Hinterteils dieses Zwittergeschöpfes war.
Krallenbewehrte Hinterläufe und ein langer Schwanz verrieten Verwandtschaft mit Raubtieren,
die in den Legenden der Wüstengebiete dieser Ebene erwähnt wurden.
Vielleicht stammte er aus einem dieser Gebiete?
Vielleicht war Tyrgan ein uralter und mächtiger Geist,
den es auf die andere Hälfte der Ebene verschlagen hatte.
Jennike wagte gar nicht daran zu denken, daß sie ihn in ihrem Haus beherbergt hat- te.
" Die Göttin möge uns beschützen! ", stammelte Jennike und legte eine Hand auf ihr Herz.
Ihre Augen brannten.
Jetzt tat sie Tyrgan Unrecht. Er war nicht böse.
Er hatte sie all die Jahre beschützt und behütet -
und Jhirun aufgezogen.
Sie hatte ihn geliebt, ihm vertraut
- und jetzt fürchtete sie ihn, nur weil er seine wahre Gestalt zeigte?
Sie beobachtete mit zitterndem Körper,
wie das Geschöpf den Hügel umkreiste,
von dem ein kleiner Falke aufstieg, taumelnd und unge- schickt in die Höhe schoß
und der Sonne entgegenflatterte.
Eine Berührung schreckte sie auf. Dorfbewohner waren herbeigeeilt,
um das Schauspiel zu beobachten. Einer half ihr auf die Beine.
" Göttin, wer oder was ist das? " stammelte ihr Helfer.
Kaum einer bemerkte den kleinen Falken. Jennike schmiegte sich zitternd an den Mann.
" Keiner der Wer-Herren, glaubt mir! " rief sie den anderen zu, als erste furchtsame Rufe laut wurden.
" Ihr werdet sehen. Er ist gut. Er ist unser Freund! "
Dann starrte sie weiter auf das Schauspiel.
" Ich habe so etwas schon einmal gesehen! ", rief eine Frau namens Tamira dazwischen.
" Auf meinen Reisen erzählten mir die, bei denen ich nächtigte, davon.
Bei der Drachenkaiserin von Chainiz, das ist eines der unsterblichen Wesen - ein Greif! "
Gemurmel entstand unter den Dorfbewohnern.
Tamira war eine der wenigen Frauen, die das Tal der Acht Dörfer in jungen Jahren verlassen hatten,
weil sie das Abenteuer geliebt hatten und sich den Mann ihrer Träume erobern wollten.
Unsterblich oder nicht, Jennike hatte nur Augen für Tyrgan und hoffte,
daß er ihrer Tochter nichts antat.
Vor dem großen Leib des Greifen war der kleine Falke kaum zu erkennen,
aber die Heilerin konnte sehen, daß Tyrgan das kleinere Wesen sanft und behutsam anstupste und es anleitete,
ehe eine der großen Krallen vorstieß und den Falken wie in einem Käfig einfing.
Dann landete er, das eine Bein noch immer erhoben.
Jennike löste sich von der Menge und lief auf ihn zu; sie blieb vor dem Greifen stehen.
Ihr Herz pochte wie wild, als sie die Arme ausstreckte und Tyrgan berührte.
Nur an seinen Augen konnte sie erkennen,
daß er es war und daß sich nichts verändert hatte..
. In seiner Kralle zappelte der Falke und krächzte protestierend.
Ohne es zu bemerken, lächelte die Heilerin.
" Sie ist immer noch trotzig und will nicht aufgeben, Tyrgan..."
Dann strich sie über die Federn und Ohren des Adlerkopfes und seufzte. " Die anderen haben uns gesehen. Du wirst auch ihnen alles erzählen müssen...."
Die Flammen des Lagerfeuers malten flackernde Schatten auf Tyrgans Gesicht und Arme,
als er vor der einzigen Lichtquelle außer den Monden stand
und die Männer, Frauen und Kinder musterte, die ihm aufmerksam gelauscht hatten.
" Nun wißt ihr es. Ich bin einer der Unsterblichen von Alyindiz,
die ihr auch die .Herbstinsel nennt
und in deren zerklüfteten Bergen und grünen Tälern die Unsterblichen leben.
Die Zeit ist für uns nebensächlich.
Vor Äonen zogen sich die, die genug davon hatten,
von Jägern wie Tiere gejagt zu werden,
hierhin zurück. Aber glaubt mir, das Leben in- mitten dieser idyllischen Berge und Wälder kann langweilig sein. Irgend- wann kannte ich alle Farben, mit denen die Phönixherrin die Blätter der Bäume färbte,
alle Spiele und Aufgaben, mit denen wir uns zu beschäftigten pflegten
- langweilige Zauber.
Und so verabschiedete ich mich schließlich von dem Drachenkönig und der Phönixkönigin,
die über uns alle wachten und an deren Hof ich gelebt hatte.
Ich machte mich auf die Reise, die Ring-Ebene in der Gestalt eines Menschen oder Elfen zu erforschen
und mich nur zu verwandeln, wenn ich Lust dazu hatte.
Das war der einzige Zauber, den wir in den Jahrtausenden
auf der Herbstinsel erfanden.
Doch in dem großen Gebirge dort drüben, im Himinin,
habe ich wohl einen Eiswurm zu sehr geärgert, und
er hat mich mit seinem kalten Atem so schwer getroffen, daß ich bis in dieses liebliche Tal abgedriftet bin.
Den Rest der Geschichte kennt ihr ja:
Ich stürzte in den See und wurde zu Tyrgan. Das ist auch mein Name, und er bedeutet in unserer Sprache:
" Ruheloser Jäger! Nun... ich bin kein Ruthym, kein Wer-Herr.
Ich habe jetzt mein Gedächtnis vollständig wiedererlangt und werde wieder das sein, was ich einmal war.."
Er suchte Jennike und Jhirun in der Menge.
Die Heilerin saß hinter ihrer Tochter und hatte die Arme um diese gelegt, als wolle sie aufpassen,
daß sie nicht noch einmal davonflöge.
Das Mädchen hatte sich diesmal leichter zurückverwandelt und von den Strapazen erholt.
Und es fieberte danach, sich wieder zu verwandeln, und wieder...
Tyrgan seufzte innerlich.
Er hatte ihr Prügel angedroht, falls sie es noch einmal ohne seine Aufsicht wagen sollte!
Sie erinnerte ihn an seine eigenen, ungestümen Küken,
die er im Drachengebirge seiner Heimat aufgezogen hatte.
Diese würde er niemals wiedersehen.
- Sohn und Tochter.
Das gleiche wilde Blut wie in seinem Nachwuchs pochte auch in ihr.
Niemals würde er den Sterblichen erzählen,
daß er eigentlich von der Herbstinsel vertrieben worden war
- weil er trotz einer eigenen Gefährtin die Phönixkönigin begehrt und geliebt hatte
- und vor der Wut des Drachenkönigs geflohen war.
" Und wirst du fortgehen? ", fragte eine der Frauen, die ihn geliebt hatten.
Er sah diese an und lächelte. " Nein! Ich habe alle Zeit der Welt, warum sollte ich dann nicht noch bei euch bleiben?
Schließlich ist meine Tochter noch nicht erwachsen... und...",
er zwinkerte den Mädchen zu,
"... ich habe vielen von euch noch versprochen, Gewänder für das Herbst- fest zu nähen! "
Die Dorfbewohner murmelten sich etwas zu. Er hätte es verstehen können, verzichtete aber darauf.
Das, was er dachte, sprach er nicht aus.
" Und ich fürchte, ich muß bleiben, um euch zu beschützen,
denn unser Tun ist nicht unbeobachtet geblieben.. Der Wind aus den Bergen trug einen bitteren, fauligen Geruch heran,
den nur er wahrnahm, vielleicht auch noch Jhirun, die sich unruhig in den Armen ihrer Mutter bewegte.
Tyrgan ballte eine Hand zur Faust und spürte, wie die Nägel seiner Finger in sein Fleisch schnitten.
Dann entspannte er sich wieder und gesellte sich zu Jhirun und Jennike.
Seiner Familie...
© Kris 9/95
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:35
Nola
(Die Ring-Ebene)
v. Winfried Brand
Angestrengt lauschte Nola durch die Dunkelheit innerhalb der Hütte.
Die einzigen Geräusche, die sie vernahm, waren die regelmäßigen Atemzüge :ihrer Eltern,
die im Raum nebenan endlich fest zu schlafen schienen.
Es hatte ja auch lange genug gedauert, bis das Stöhnen und die rhythmischen Geräusche nachgelassen hatten.
Nola hatte noch eine ganze Zeit still dagelegen und gelauscht,
doch jetzt schien endlich Ruhe zu herrschen.
Vorsichtig darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen,
das ihre Eltern vielleicht aufgeweckt hätte,
glitt sie von der Strohmatratze, die ihr als Schlafstätte gedient hatte, solange sie denken konnte.
Rasch streifte sie sich ein Hemd über, stieg in eine Hose und schob dann den Vorhang zur Seite,
der ihre kleine Schlafkammer vom Hauptraum der Hütte trennte.
Es war immer noch alles ruhig, als sie die Außentür öffnete und ins Freie glitt.
Draußen wandte sich nach rechts, huschte um die Hütte herum
und lief auf den nahe gelegenen Wald zu.
Wenig später hatte sie die Stelle erreicht,
an der sie gestern einen Beutel
mit Vorräten und an- deren Ausrüstungsgegenständen versteckt hatte.
Sie atmete auf, als sie ihn immer noch in seinem Versteck vorfand,
warf ihn sich über die Schulter und verschwand
in der undurchdringlichen Nacht zwischen den Bäumen.
Sie hatte es geschafft, triumphierte sie innerlich,
bemerkte jedoch nicht die Gestalt, die fast unsichtbar wenige Meter neben ihr durch den Wald schlich.
Als Mekos, die kleinere der beiden Sonnen, aufging,
war Nola bereits mehr als fünf Stunden Fußmarsch von ihrem Zuhause entfernt.
Sie war in der Dunkelheit gut vorangekommen,
hatte sie den Weg doch schon seit Monaten gründlich ausgekundschaftet,
seit in ihr der Plan reifte, ihr Heim hinter sich zu lassen und
zu den Peruliah zu fliehen.
Sie wollte ihr Leben nicht so führen,
wie ihre Eltern es für sie vorgesehen hatten -
sich irgendwann einen Mann zu suchen und
mit ihm den kleinen Bauernhof ihrer Eltern zu bewirtschaften,
kam ihr nicht gerade als Erfülung ihrer Träume in den Sinn.
Sie wollte mehr erleben,
neues kennen lernen,
ihren Erfahrungshorizont erweitern
und vielleicht sogar Länder kennen lernen,
von denen sie an den Marktagen immer
die anderen Mädchen hatte erzählen hören ,
in denen die Männer das Sagen hatten,
so unglaublich das auch klingen
mochte.
Langsam wurde sie müde,
war sie doch die letzten Stunden ohne Rast gewandert,
und so langsam näherte sie sich Gebieten des Chainiz,
die ihr unbekannt waren.
Sie ließ sich auf einem Felsblock nieder
und machte sich an ihrem Beutel zu schaffen.
Nachdem sie eine Portion Reis verspeist hatte,
die sie vom gestrigen Mittagstisch entwendet hatte,
fühlte sie sich gestärkt.
Sie packte ihre Sachen wieder zusammen und
nahm ihre Wanderung wieder auf.
Der Wald um sie herum war in der letzten halben Stunde immer lichter geworden,
bis sie schließlich den Punkt erreicht hatte,
wo er nicht mehr Wald genannt werden konnte.
Hier begannen große Wiesenflächen,
auf der einzelne Herden von Tieren grasten,
die sie bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Sicher, das eine oder andere Tier war ihr schon bekannt,
aber meistens nur aus den Erzählungen der fahrenden Händler,
die das Dorf, zu dem der Hof ihrer Eltern gehörte,
manchmal besuchten und dann des öfteren bei ihren Eltern übernachteten.
Sie erzählten dann die Geschichten aus der großen weiten Welt,
bei denen Nola stets wie gebannt an ihren Lippen hing und jedes Wort einzeln aufzusaugen schien.
Sie zögerte einen Moment, dann schritt sie entschlossen weiter.
Wenn sie jetzt umkehrte,
würde sie nie wieder den Mut finden,
ihren Traum zu verwirklichen;
dann wäre sie auf ewig an den Hof gefesselt,
so wie ihre Mutter, und das einzige Vergnügen, das ihr noch bliebe,
wäre der unregelmäßige Besuch der Händler und deren Geschichten.
Nein, so wollte sie nicht enden,
das hatte sie sich schon seit langem geschworen
und alles für diesen einen Versuch vorbereitet.
Immer wieder standen einzelne Bäume zwischen dem grünen, hohen Gras,
das ihr bis fast zur Brust reichte.
Trotz der nun schon seit Tagen scheinenden Sonnen, die alles aus- trockneten,
das sie mit ihren Strahlen erreichen konnten,
war das Gras am Boden naß,
fast wie auf den Reisfeldern, die ständig unter Wasser standen.
Während sie oberen Teile der Gräser regelrecht gebleicht waren,
platschten ihre nackten Füße.
immer wieder durch kleine Pfützen, die sich am Boden gebildet hatten.
Wenig später hatte sie eine kleine Baumgruppe erreicht,
unter deren schützendem Blätterdach sie eine Rast einlegte.
Inzwischen mußte es Mittag sein,
und sie konnte die Müdigkeit kaum noch abwehren.
Erschöpft lehnte sie sich neben ihrem Päckchen an einen Baumstamm
und schloß die Augen.
Eigentlich wollte sie nur ein paar Minuten ausruhen, um dann den Weg wieder aufzunehmen,
doch schon nach wenigen Sekunden war sie eingeschlafen
und träumte von den Peruliah und den fremden Ländern,
die sie als eine von ihnen auf ihren Wanderschaften kennenlernen würde.
Den Schatten, der ihr noch immer folgte,
hatte sie noch nicht bemerkt.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als sie wieder aufwachte.
Verwirrt blickte sie sich um; sie konnte sich zuerst nicht erklären, wo sie sich befand,
doch dann fiel es ihr wieder ein.
Sie hatte schon mehrmals Nächte außerhalb des Hofes ihrer Eltern verbracht,
doch noch nie war sie so weit davon weg gewesen.
Auch fürchtete sie nicht mehr, daß ihre Eltern sie noch einholen würden.
Sie bezweifelte,
daß sie jemals so weit von ihrem Heim entfernt gewesen waren wie sie selbst
zu diesem Zeitpunkt.
Nur kurz dachte sie daran, was ihre Eltern jetzt wohl machen würden,
doch diesen Gedanken schob sie schnell wieder von sich.
Sie hatte ihnen eine kurze Nachricht hinterlassen,
die ihnen - wenn schon nicht alles, so doch das wichtigste erklären würde.
Zwar hatte sie nie wirklich gelernt zu schreiben,
doch hatten ihr die Händler das ein oder andere beigebracht,
so dass sie sich auf diese Art wenigstens verständlich machen konnte.
Das musste ihren Eltern einfach reichen. Außerdem bezweifelte sie,
dass ihre Eltern das Lesen und Schreiben besser beherrschten als sie selbst.
Sie schulterte ihr Päckchen und
machte sich wieder auf den Weg.
Richtung Norden in Richtung Himinin,
wo sie ein Kloster der Peruliah wußte.
Dorthin zog es sie schon seit drei Jahren,
als sie einmal eine der Peruliah gesehen hatte,
die auf ihren Wanderungen durch ihr kleines Dorf gekommen war.
Seither war sie die Gedanken an die orangegewandeten Geistlichen nicht wieder losgeworden,
die sich so bescheiden verhielten,
aber besser zu kämpfen wußten als alle anderen Frauen und
Männer im Reich der Drachenkaiserin.
Immer wieder hatte sie danach versucht, von den Händlern neue Informationen über die Peruliah herauszufinden,
doch mehr als Legenden hatte sie nie zu hören bekommen.
Die Geistlichen waren eben nicht auf Ruhm aus,
sondern wirkten fast immer im Verborgenen, so schien es.
Sie war noch nicht weit gekommen,
als sie ein seltsames- Geräusch hinter sich hörte.
Ihr war es, als ob irgendetwas sie verfolge.
Sie blieb stehen und lauschte, doch das Geräusch war verschwunden.
. Erst nach mehreren Minuten wagte sie wieder, sich zu bewegen,
und da war auch das Geräusch wieder. Jetzt war sie sich sicher'.
Irgendetwas verfolgte sie.
Sie mußte an die Shinah denken, die Nachtjäger,
die manchmal auch Menschen anfallen sollten,
wenn man den Erzählungen Glauben schenkte.
Sie schaute sich kurz um,
konnte jedoch noch immer nichts entdecken.
Sollte es jedoch wirklich eine Shinah sein,
war dies kein Wunder, denn das hohe Gras mußte sie
fast gänzlich verdecken,
und außerdem pirschten sie sich geduckt an ihre Opfer heran,
so daß dieses den Angreifer erst im letzten Moment bemerken würde.
Gehetzt blickte sie um sich und entdeckte in vielleicht hundert Metern Entfernung
eine kleine Baumgruppe; diese war jener,
die sie bis vor kurzem für ihr Nachtlager genutzt hatte,
nicht unähnlich. Zuerst vorsichtig, dann immer schneller begann sie,
auf die Baumgruppe zuzulaufen.
Wenn sie diese erreichen konnte,
wäre sie gerettet,
denn die Shinah konnten nicht klettern;
so zumindest erzählte man sich.
Ein kurzer Blick nach hinten spornte sie noch weiter an,
denn nur fünfzig Meter hinter ihr hatte die Shinah ihre Vorsicht fallengelassen,
als sie bemerkte, daß ihr Opfer ihr zu entwischen versuchte.
Mit weiten Sprüngen hetzte sie nun durch das hohe Gras
und war nicht mehr zu überhören.
Die Shinah kam rasend schnell näher.
Nola warf nun ihr Päckchen von sich und verdoppelte ihre Anstrengungen.
Ein leises Aufkeuchen drang an ihre Ohren;
dann hatte sie endlich die Baumgruppe erreicht,
griff nach einem der unteren Äste
und zog sich daran in die Höhe.
Sie kletterte von Ast zu Ast weiter nach oben,
bis sie schließlich mehr als zehn Meter über dem Boden endlich innehielt.
Dann schaute sie zurück.
Die Shinah lag wenige Meter von der Baumgruppe entfernt im Gras,
so daß sie kaum zu entdecken war.
Aus irgendeinem Grund rührte sie sich nicht,
aber Nola war das egal. Hauptsache, sie war in Sicherheit.
Jetzt brach die Aufregung in ihr hervor,
und sie begann zu zittern.
Stumm hielt sie den Stamm des Baumes umklammert,
während sie darauf wartete, daß die Shinah sich wieder rührte
und endlich davonlaufen würde, wenn sie einsah,
daß sie ihr Opfer nicht bekommen würde.
Noia schreckte hoch.
Sie mußte trotz der Aufregung eingeschlafen sein,
denn Mekos stand schon mehrere Fingerbreit über dem Horizont.
Sie hatte vom Sonnenaufgang gar nichts mitbekommen,
und es würde nur noch wenige Minuten dauern, bis auch Aliseth ihr Antlitz über die weite
Ebene erheben würde.
Sie mußte nun schon mehr als sechs Stunden auf dem Baum gesessen haben,
und als sie sich versuchsweise reckte,
konnte sie sich kaum bewegen,
so sehr schmerzten ihre Glieder,
die bis jetzt unter steter Anspannung gestanden hatten.
Als sie nach unten auf die grasbewachsene Ebene blickte,
konnte sie die Shinah noch immer regungslos im Gras liegen sehen.
So langsam wunderte sie sich über den Nachtjäger.
Normalerweise sollten diese bei Tagesanbruch
doch eigentlich in ihren Bau unter der Erde verschwinden,
hatte man ihr erzählt.
Doch diese Shinah lag immer noch unweit der Baumgruppe herum.
Neben der Shinah entdeckte Noia
jetzt auch ihr Päckchen mit ihren Sachen,
das sie letzte Nacht von sich geworfen hatte.
Es lag vielleicht einen halben Meter vom Kopf der Shinah entfernt.
Angestrengt dachte Nola nach.
Sie mußte unbedingt ihr Päckchen wiederbekommen,
denn sie wußte nicht, wie sie sonst in der Wildnis
überleben sollte.
Hier gab es außer dem Kloster der Peruliah
keine andere Niederlassung menschlicher Wesen.
Dieses Gebiet gehörte noch ganz den Tieren,
die selten in ihrer Ruhe gestört wurden.
Dafür sorgte schon die Drachenkaiserin,
die dar- auf bedacht war. diesen Zustand zu erhalten,
zumindest in diesem Gebiet,
vielleicht waren es aber auch die Peruliah,
die ihr diesen Gedanken eingegeben hatten.
Nola wollte dies nicht ausschließen,
denn sie wußte,
daß die Peruliah einigen Einfluß auf die Drachenkaiserin hatten,
wenn es ihre Belange anging.
Denn wer wollte es sich schon mit den Peruliah verderben?
So wurde es Nola jedenfalls erzählt.
Nachdem sich die Shinah nach vielleicht einer Stunde immer noch
nicht bewegt hatte und Aliseth schon lange ihren Weg
über die Ebene begonnen hatte,
wagte Noia es schließ- lich, sich zu bewegen.
Langsam, immer bereit,
wieder den Rückzug anzutreten,
wenn die Shinah auch nur die leiseste Bewegung zeigte,
begann Nola, von dem Baum herunterzuklettern.
Zuerst stöhnte sie leise bei jeder Bewegung,
die sie ihren verkrampften Gliedern zumuten mußte,
doch mit jedem Ast, den sie tiefer gelangte,
wurde es besser.
Immer wieder warf das Mädchen einen Blick zu der Shinah hinunter,
doch noch immer rührte sie sich nicht.
Regungslos lag sie neben dem Päckchen Nolas, die sich immer mehr wunderte.
Schließlich hatte sie den untersten Ast erreicht
und überlegte, ob sie nun die Sicherheit des Baumes ganz verlassen
oder oder vielleicht doch lieber warten sollte.
Doch das Hungergefühl, das sich in ihrem Magen .langsam breitmachte,
beeinflußte ihre Entscheidung schließlich zugunsten
der grasüberwachsenen Ebene.
Auch als sie wieder im hohen Gras stand,
rührte sich die Shinah immer noch nicht,
und so bewegte sich Nola weiter auf sie zu
. Je näher sie dem Nachtjäger kam, desto vorsichtiger wurde sie.
Doch als sie sie schließlich erreicht hatte,
stellte sie fest, daß ihre Vorsicht gar nicht notwendig gewesen wäre,
denn der Nachtjäger war tot.
Sie mußte wohl mit ihrem Päckchen die Shinah getroffen haben,
als sie es in Panik von sich geworfen hatte,
und dieser Treffer mußte den Nachtjäger so glücklich getroffen haben,
daß er sofort tot war.
Achselzuckend warf sich Noia ihr Päckchen wieder über die Schulter
und setzte ihren Weg nach Norden weiter fort.
Jetzt war sie entschlossener als je zuvor,
das Kloster der Peruliah zu erreichen
und eine von ihnen zu werden.
Allerdings würde sie von nun an nur noch tags weiterwandern und
sich für die Nacht einen Baum suchen,
den noch eine Begegnung mit einer Shinah würde wohl nicht so glimpflich ausgehen.
Der Schatten, der sich nur wenige Meter neben ihr befand,
bemerkte sie jedoch immer noch nicht.
Als der Tag sich dem Ende zuneigte hatte sie die Gras bewachsene Ebene bald hinter sich gelassen.
Am Horizont konnte sie bereits wieder den Waldrand erblicken,
doch war er noch zu weit entfernt,
als daß sie ihn heute noch würde erreichen können.
So machte sie es sich auf der Astgabel eines Baumes bequem und versuchte einzuschlafen.
Doch dauerte es lange, bis sie wirklich Schlaf fand.
Die Aufregung und die Gedanken an die Peruliah,
denen sie sich bald anschließen würde,
ließen sie lange Zeit keinen Schlaf finden.
Irgendwann jedoch schlief sie dann doch ein,
begleitet von den Geräuschen der Grasebene,
die allgegenwärtig schienen und die sie nun kaum mehr wahrnahm.
Als sie aufwachte, war die Nacht vielleicht gerade zur Hälfte vergangen, und zuerst wußte sie nicht, was sie geweckt hatte.
Dann spürte sie jedoch einen leichten Druck auf ihrem Oberkörper,
der sich verstärkte, als sie ver- suchte,
sich etwas vom Baumstamm wegzubewegen.
Nola war sich sicher, daß sie sich nicht am Baumstamm festgebunden hatte,
denn sie hatte gar kein Seil mitgenommen.
Aber was war es dann, was sie am Baum festhielt?
Plötzlich bewegte sich das Band um ihre Brust und zog sich enger.
Jetzt erst schaute sie an sich herunter und bemerkte,
daß eine große Schlange sie im Griff hatte.
Mit einem Schrei fuhr sie hoch und verlor die Balance.
Mit so einer Aktion schien auch die Schlange nicht gerechnet zu haben,
denn sie gab Nola frei,
die aus der Umklammerung herausrutschte und langsam zur Seite kippte.
Wenigstens hatte sie jetzt ihre Arme wieder frei, und so griff sie wild um sich
und bekam den Schwanz der Schlange zu fasen,
an dem sie sich festhielt,
als sie trotz aller Bemühungen dann doch von der Astgabel rutschte
und sich dem fünf Meter tiefer liegenden Boden immer schneller näherte.
Plötzlich fuhr ein Ruck durch ihre Arme,
der sie fast ausgekugelt hätte.
Aber er bremste den Fall.
Nola sah nach oben und sah, daß die Schlange, deren Schwanz sie immer noch umklammert hielt,
verzweifelt bemüht war,
sich an der Astgabel, auf der Nola eben noch geruht hatte, festzuklammern.
Doch es gelang ihr nicht,
und sie begann ebenfalls abzurutschen.
Langsam rutschte so auch Nola tiefer,
dem Erdboden entgegen.
Gerade in dem Moment, als die Schlange endgültig den Halt verlor,
ließ Nola los und fiel die letzten zwei Meter nach unten.
Während die Schlange neben ihr auf den Boden fiel,
rollte sich Nola ab und griff nach einem Stein,
auf den sie fast gefallen wäre.
Mit aller Kraft schmetterte sie den Stein der Schlange an den Kopf,
die leicht benommen schien.
Immer wieder schlug sie auf die Schlange ein,
bis diese sich nicht mehr rührte.
Dann setzte Noia sich schwer atmend auf den Boden und versuchte,
das Zittern unter Kontrolle zu bringen,
das ihren Körper wieder befallen hatte.
Sie fragte sich, ob sie immer zittern würde, wenn sie eine gefährliche Situation hinter sich hatte,
und sie fragte sich, ob das Zittern nicht irgendwann früher anfangen würde -
und sie irgendwann umbringen würde,
weil ihr Körper einmal nicht richtig reagieren würde.
Doch sie war noch zu jung,
als daß solche Fragen sie über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigt hätten,
und so hatte sie sie bald schon vergessen.
Wenig später war sie wiederr zur Ruhe gekommen.
Inzwischen war sie fast schon froh über den Angriff der Schlange,
denn er half ihr, ihre Vorräte wieder ein bisschen aufzufüllen.
Sie hatte schon öfters Fleisch dieser Schlange gegessen
und so wußte sie, dass es nicht giftig war.
Diese Schlangenart war fast so etwas wie eine Delikatesse unter den Dorfbewohnern ihrer Heimat
-und sie hatte mehrmals zugesehen,
wie man eine solche Schlange ausgenommen hatte.
So wußte sie auch,
wie man den Kontakt mit den Giftdrüsen vermeiden konnte,
die bei falscher Behandlung das ganze Fleisch .ungenießbar machen konnte.
Da sie so so schnell nicht wieder einschlafen konnte,
zog sie ein kleines Messer hervor
und machte sich daran, das Fleisch der Schlange von der Haut zu lösen.
Der helle Mond spendete ihr hierbei genügend Licht,
und als Mekos über den Horizont erschien,
hatte sie die Arbeit. vollendet.
Nachdem sie ein Feuer entzündet hatte,
briet sie darüber das Fleisch der Schlange
und machte sich dann daran, es zu verzehren.
Während sie dasaß und aß,
schaute sie immer wieder in Richtung des Waldrandes,
der in nördlicher Richtung nicht mehr weit von ihr entfernt lag.
Noch vielleicht drei oder vier Stunden,
und sie würde ihn erreicht haben.
Und irgendwo darin sollte das Kloster der Peruliah liegen.
Eine genauere Beschreibung hatte sie nicht,
denn die Peruliah schätzten ihre Einsamkeit und Abgeschiedenheit über alles.
Aber sie wußte, sie würde so lange suchen,
bis sie es gefunden hatte.
Den Blick nach vorne gerichtet, machte sie sich schließlich auf,
wobei sie immer noch von dem Schatten beobachtet wurde.
Sie hatte sich ein wenig verschätzt, stellte sie fest,
als sie schließlich den Wa!drand erreichte.
Immerhin war sie noch einen halben Tag hierhin unterwegs gewesen.
Glücklicherweise war ihr keine der unzähligen Gefahren der Grasebene
mehr über den Weg gelaufen;
trotzdem war sie nicht so schnell vorangekommen,
wie sie gehofft hatte.
Der Waldrand selbst sah seltsam aus.
Wie abgeschnitten war die Grasebene am Anfang des Waldes,
der gleich auf den ersten Metern undurchdringlich schien.
Es war fast so, als ob der Wald sich gegen Eindringlinge wehren würde,
sie erst gar nicht in sich hineinlassen wollte.
Nola bog ein paar Äste zur Seite und versuchte,
an dieser Stelle in den Wald zu gelangen,
doch schon nach wenig mehr als einem halben Meter stand sie vor einer undurchdringlichen Mauer aus Gestrüpp,
die ihr Weiterkommen verhinderte.
Sie zog sich wieder auf die Grasebene zurück und suchte
nach einem gangbaren Weg ins Innere des Waldes.
Trotz all ihrer Bemühungen dauerte es bis fast zum Abend,
bis sie endlich einen Weg gefunden hatte.
Eigentlich war es kein Weg,
sondern mehr oder weniger eine Art von .Nichtvorhandensein der dicksten Vegetation.
Die Stelle war so eng und kaum sehen,
daß sie fast an ihr vorbei gelaufen wäre,
doch aus den Augenwinkeln heraus hatte sie sie entdeckt.
Der Weg hinein in den Wald war trotzdem schwieriger als sie es sich vorgestellt hatte
Doch nach viel- leicht zehn Metern schien der Wald
seinen Widerstand gegen sie aufgegeben zu haben.
Es schien, als ob er ihr Platz machte, damit sie besser vorankam,
und nach weiteren zwanzig Metern erreichte sie so etwas wie eine Lichtung.
Vorsichtig schaute sie sich um,
konnte jedoch kein Anzeichen von Gefahr entdecken.
So ließ sie sich also nieder und ruhte ein wenig aus.
Sie setzte sich auf den Boden der Lichtung und drehte sich langsam im Kreis.
Doch außer dem Weg, durch den sie die Lichtung erreicht hatte,
schien alles undurchdringliches Gebüsch zu sein.
Warum hatte der Wald sie so weit kommen lassen,
wenn er sie jetzt nicht mehr weitergehen ließ?
Sie wußte keine Antwort auf diese Frage,
auch wenn sie sich sagte,
daß das Gefühl, das sie in bezug auf den Wald hatte,
eigentlich ziemlicher Blödsinn war,
denn wie konnte ein Wald wohl entscheiden,
ob man in ihn eindringen konnte oder nicht?
Noch während sie weiter überlegte,
wuchs anscheinend plötzlich ein Schatten aus dem Waldboden der Lichtung.
Eine rotgewandete Gestalt stand mit einemmal vor ihr
und lächelte sie an.
Ungläubig schaute Nola die fremde Gestalt an.
Sie hatte auf den ersten Blick erkannt, daß es sich um eine der Peruliah handelte,
die sie aufsuchen wollte.
„Hallo, Nola!"
„Hallo..."
„Ich bin Jeraga,
und es ist schön, daß du hierhin gefunden hast",
sprach die Peruliah mit ruhiger Stimme
und lächelte Nola weiter an.
Nola wollte etwas sagen,
doch die Peruliah bedeutete ihr, still zu sein.
„Ich weiß, was du sagen willst.
Aber es ist jetzt noch nicht die Zeit dafür.
Später vielleicht, wenn du die Fragen dann noch stellen willst,
wenn sie sich noch nicht von selbst beantwortet haben.
Für jetzt jedoch nur eins:
Ich beobachte dich schon, seit du deine Eltern verlassen hast.
Du hast alle Prüfungen bestanden, wenn auch etwas unkonventionell ",
Jeragas Lächeln wurde bei diesen Worten wärmer.
„Aber du hast sie überlebt,
das ist das einzige, was zählt.
Und du hast den Eingang in den Wald gefunden.
Jetzt ist es an mir, dich weiter zu führen, wenn du wirklich noch willst.
Bedenke, du wirst deine Eltern wahrscheinlich nie wieder sehen,
und es wird dir zeitweise überhaupt nicht bei uns gefallen,
so daß du dich oftmals zurückwünschen wirst,
aber das ist dann nicht mehr möglich.
Willst du wirklich eine von uns werden?
Oder möchtest du doch lieber zurück zu deinen Eltern?"
Nola schaute die Peruliah entsetzt an.
„Nein, schick mich bloß nicht zurück!"
Jeraga lächelte wieder.
„Schön. Eigentlich habe ich es gar nicht anders erwartet.
Und ich glaube, daß du eine der ganz großen Peruliah werden wirst.
Das hat mir dein Mut und deine Entschlossenheit
zusammen mit deinem Einfallsreichtum schon auf der Reise hierhin gezeigt.
Aber laß uns jetzt losgehen.
Allein würdest du unser Kloster nie finden,
deshalb werde ich dich von hier an begleiten.
Der Wald würde dich allein nicht bis zu uns durchlassen. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten,
denn ich bin jetzt bei dir.
Und irgendwann wird der Wald auch dir gehorchen."
Jeraga schritt zum Rand der Lichtung.
Vor ihr schien der Wald zurückzuweichen, denn plötzlich erschien ein Pfad vor ihr.
Nola war sich sicher, daß hier vorher kein Durchkommen gewesen war.
Aber sie dachte nicht weiter darüber nach,
denn sie war glücklich.
Sie hatte die Peruliah erreicht und würde eine von ihnen werden.
Das mit dem Wald würde sie auch irgendwann lernen,
und bis dahin war ihr diese Sache eigentlich ziemlich egal.
Sie stand auf und folgte der Peruliah, die immer weiter in den Wald eindrang.
„Jeraga?" sprach sie die andere an.
„Ja, meine Kleine?"
Jeraga hatte angehalten und sich zu ihr umgewandt.
„Woher wußtest du eigentlich, daß ich versuchen würde,
zu euch zu kommen?"
Die Peruliah lächelte nur und setzte ihren Weg fort.
ENDE © 10.03.96 by Winfried Brand
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:32
Die Oase
(Die Ring-Ebene)
von Winfried Brand
Seit einigen Stunden irrte sie bereits durch die Dünen der Sti-Ayate, ohne
daß sie auch nur wußte, was sie in dieser Wüste eigentlich verloren hatte
Ihre einzige Erinnerung bestand
aus zwei Worten, „Auftrag" und „Pharaonin".
Wenn sie doch nur wüßte, was damit gemeint war, aber sie
kannte noch nicht einmal mehr ihren Namen.
Ein wenig Wasser täte ihr jetzt
gut, aber leider hatte sie keines bei sich, genausowenig wie andere Ausrüstung.
Wenigstens würde es bald dunkel werden
. Die Hitze des Tages würde der Kühle der Nacht weichen und ihr so ein wenig Linderung bringen.
Doch sie ahnte, daß der kommende Tag ihr Ende bedeutete, wenn sie nicht bald Wasser finden würde.
Nicht nur, daß sie immer schwächer wurde
, auch war der nächste Tag um einige Stunden länger als der heutige.
Sie wußte sehr genau, daß sie keine 16 Stunden in der sengenden Sonne durchstehen konnte.
Was war das?
Hatte sie da nicht eben auf der nächsten Düne etwas aufblitzen sehen?
Oder hatten ihre Augen sie genarrt, die zu diesem Zeitpunkt in die untergehende Sonne geblickt hatten?
Vorsichtig schirmte sie ihre Augen ein wenig gegen die brennende Sonne ab
und versuchte, das Blitzen noch einmal zu entdecken.
Und wirklich, es schien so, als läge auf der Kuppe der Düne vor ihr ein metallischer Gegenstand.
Eigentlich konnte es ja kaum schaden, wenn sie ihn sich einmal ansehen würde,
auch wenn sie ein wenig dabei von ihrer eingeschlagenen Richtung abwich, dachte sie bei sich.
Lange hatte sie sowieso nicht mehr zu leben, wenn sie nicht bald Wasser finden würde.
Und die Aussichten darauf waren zur Zeit nicht gerade rosig.
Während die Sonne langsam in der Wüste zu versinken schien und den Sand in ein unwirkliches Licht tauchte, kroch sie mühsam auf allen Vieren die Düne hinauf. Mehr als einmal rutschte sie trotz aller Vorsicht ein wenig rückwärts,
als der lockere Sand sich unter ihrem Gewicht nach unten in das Tal bewegte.
Doch schließlich hatte sie es geschafft, wenn es ihr auch schwerer gefallen war als bei den letzten Dünen.
Ein sicheres Zeichen, daß ihre Kräfte langsam aber sicher für immer schwanden.
Dann erblickte sie den Gegenstand,
der ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, in einiger Entfernung.
Beim Klettern mußte sie auch noch die Richtung verloren haben,
denn eigentlich wollte sie die Düne wesentlich näher zu diesem Ding erklettert haben.
So konnte sie nur erkennen, daß da irgendetwas halb begraben im Sande lag.
Langsam raffte sie sich auf und stand schließlich leicht schwankend auf der Kuppe der Düne,
näherte sich mit kleinen, schlurfenden Schritten dem Etwas
und erkannte erst als sie es schon fast erreicht hatte, daß es sich um eine metallene Flasche handelte.
Dieser Anblick gab ihr neue Kraft, schließlich bewahrte man in Flaschen
meistens Flüssigkeiten auf,
und wenn diese noch gut verschlossen war,
war es vielleicht möglich, daß noch ein Schluck Wasser in ihr war.
Mit wenigen Schritten hatte sie die Flasche erreicht
und ließ sich neben ihr auf den Sand fallen.
Ihre zitternden Hände griffen nach der Flasche,
doch kaum berührten ihre Fingerspitzen das Metall, durchfuhr ein stechender Schmerz ihre Hand,
die sich reflexartig wieder zurückzog.
Daran hätte sie eigentlich denken können,
schalt sie sich selbst.
Schließlich lag dieses Metall seit wer- weiß-wie-lange in der Wüste,
und die Sonnenstrahlen hatten es bis fast zur Glut aufgeheizt.
Den Tränen nahe und leise vor sich hinfluchend riß sie sich einen Streifen Stoff von ihrer Kleidung,
wickelte ihn um ihre Hand und griff so geschützt nach dem heißen Metall. Zwar spürte sie auch so noch die Wärme, doch war sie im Gegensatz zu einem Griff mit ungeschützten Fingern noch gerade so auszuhalten.
Die reich verzierte Flasche wog schwer in ihren Händen,
und ihre Hoffnung, vielleicht mehr als einen Schluck Flüssigkeit in ihr zu finden, verstärkte sich bei jedem Versuch,
den Korken aus der Flasche zu ziehen, der diese fest verschloß.
Endlich gelang es ihr, den Korken zu lösen, und vorsichtig,
um nur ja keinen Tropfen zu verschwenden, wollte sie ein wenig des Inhaltes in ihre Hand schütten.
Doch nicht das erwartete Naß kam aus dem Flaschenhals,
sondern nur ein Häufchen knochentrockenen Staubs.
Mit einem Aufschrei der Verzweiflung warf sie die Flasche von sich
und brach auf dem heißen Sand zusammen.
Sie hatte sich von dem Eigengewicht der Flasche narren lassen,
das ihr vorgegaukelt hatte, es wäre etwas in ihr gewesen.
„Verdammt! Wo bin ich denn hier hingeraten?"
hörte sie eine klare Stimme, die nicht weit von ihr zu erklingen schien.
Verwirrt blickte sie auf, war jedoch durch ihre Tränen und den letzten Rest der untergehenden Sonne so geblendet,
daß sie zuerst nichts erkennen konnte.
„Mitten in der Wüste hat er mich also ausgesetzt!
So eine Scheiße! Ich sollte ihn ein wenig foltern, wenn ich nur wüßte, wo der Mistkerl ist!"
Langsam klärte sich ihr Blick, doch noch weigerte sich ihr Verstand zu begreifen,
was ihre Augen noch leicht verschwommen wahrnahmen.
An der Stelle, wo sie die Flasche hingeworfen hatte, schwebte eine Wolke feinen Rauchs in der Luft,
die sich langsam auflöste und die Gestalt einer Frau preisgab,
die für diese unwirtliche Gegend nicht gerade passend gekleidet war.
Vielmehr hätte man sie in irgendeinem Harem erwartet, aber nicht in dieser gnadenlosen Wüste.
Es mußte eine Fata Morgana sein, redete ihr Verstand ihr ein, und sie war bereit, ihm zu glauben.
Allerdings hatte sie noch nie von einer Fata Morgana gehört, die redete,
und schon gar nicht von ei- ner, die Flüche kannte, von denen sie noch nie etwas gehört hatte.
„He, Du", sprach die Fata Morgana anscheinend mit ihr. „Kannst du dir vorstellen, daß dieser blöde
Scheißkerl mich buchstäblich in die Wüste geschickt hat?
Mich? Sharina El Dabrifa aus dem Geschlecht der Mukala?!?
Der soll was erleben, wenn ich den in die Finger kriege!
Ich werde ihn zu Hackfleisch zermalmen, ihn braten und dann an die Löwen verfüttern!
" Vielleicht war es ja doch keine Fata Morgana, was da vor ihr im Sand der Wüste stand
. Vielleicht war die Frau ja doch echt?
„Wasser...", entfleuchte es kaum hörbar ihren Lippen.
Die Fremde unterbrach ihre Litanei, anscheinend verwirrt, daß sie ihr nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkte.
„Was? Sach' mal, kannst du auch deutlich reden?
Ich hab' dich echt nicht verstanden."
Sie schluckte trocken, versuchte die Reste des nicht vorhandenen Speichels in ihrem Mund zusammenzuführen,
und krächzte dann noch einmal: „Wasser..."
„Ach so, Wasser meintest du. Warum hast du das denn nicht gleich gesagt? Warte mal... Ich glaube...
Nee... Hier auch nicht..."
Sie fummelte in den Taschen ihres Gewandes, das eigentlich keinen Platz für Taschen bieten sollte, und
holte schließlich ein kleines Fläschchen hervor.
„Hier, trink das. Ist zwar kein Wasser, könnte dir aber auch helfen.
Mir jedenfalls hilft es immer, wenn ich durstig bin."
Gierig griff die Verdurstende nach dem Fläschchen, schüttete sich dessen Inhalt in den weit geöffneten
Mund und schluckte ein wenig der Flüssigkeit.
In einer weiten Sprühfontäne verließ der Rest der Flüssigkeit ihren Mund wieder auf dem
Wege, auf dem er hineingekommen war.
„Hei Was machst du da? Was soll der Mist?
Das Zeug ist zu wertvoll, um es einfach wieder auszuspucken! Gib sofort her!"
Sharina riß das Fläschchen an sich
, nahm einen kleinen Schluck daraus und warf es dann weg.
„Na siehst du, was du angerichtet hast. Praktisch alles ist verschüttet."
Der Verdurstenden wurde langsam schwarz vor Augen, was nicht nur daran lag,
daß die Sonne inzwischen vollkommen versunken war.
Sie kippte langsam zurück auf den Sand.
„Hm, vielleicht war gegorener Pflaumensaft doch nicht so ganz das richtige für die Kleine.
Mal sehen, was wir da machen können..."
Schlagartig wich die Wärme des Tages und machte einer angenehmen Kühle Platz.
Leise raschelte ein leichter Windstoß durch die Baumwipfel, und das Plätschern von Wasser drang an ihre Ohren.
Die Verdurstende öffnete die Augen und sah sich am Rand eines kleinen Teiches
mitten auf einer grünen Wiese liegen.
„Sorry, das ist das Beste, was ich auf die Schnelle gefunden habe.
Ist zwar nicht gerade die vornehmste Herberge, aber immerhin besser als nichts."
Mit einem Schlag kehrten die Lebensgeister der Verdurstenden zurück,
wahrscheinlich waren sie mindestens genauso durstig wie sie,
und so drängten sie sie dazu, sich fast in das Wasser hineinzulegen,
das angenehm kühl durch ihre Kehle drang.
„He, he, nur nicht so hastig. Das kann doch gar nicht gutgehen.
Na siehst du, ich habe es dir ja prophezeit."
Mit einem tadelnden Blick sah Sharina auf die andere Frau herunter,
die sich hustend aus dem Wasser zog. „So viel Wasser auf einmal ist ungesund, das hat meine Mutter
auch immer gesagt.
Deshalb halte ich mich auch lieber an andere Getränke. „
„Was ist passiert? Wie komme ich hierher? Wer bist du eigentlich?"
Die Verwirrung stand ihr im Gesicht geschrieben, als sie endlich ihren Hustenanfall überwunden hatte
und mit tropfnassen Haaren im Gras saß.
„Na, also hör mal, das sind ja gleich drei Fragen auf einmal.
Aber gut, ich will mal versuchen, dir die Sache so einfach wie möglich zu erklären.
Paß also gut auf: Ich bin Sharina El Dabrifa aus dem Geschlecht der Mukala.
Und ich bin eine Dschinni.
Und du bist hier, weil ich dich hierhin gebracht habe, um dich vor dem Verdursten zu retten.
So als kleine Dankbarkeit, weil du mich aus der Flasche befreit hast,
in der ich die letzten achthundert Jahre gesteckt habe.
Soweit alles klar? Na dann ist ja gut. Ach ja, wer bist denn du eigentlich?"
„Wenn ich das wüßte. Ich muß irgendwie mein Gedächtnis verloren haben."
„Hm, so ein Pech, ein Gedächtnis hab' ich nirgendwo herumliegen sehen.
Ich fürchte, ich kann dir in dem Fall auch nicht weiterhelfen.
Naja, macht ja auch nichts.
Wäre aber nicht schlecht, wenn ich wüßte, wie ich dich anreden sollte.
Immerzu 'Meisterin' zu sagen ist mir ehrlich gesagt ein bißchen zu blöde.
Außerdem ist das doch kein ordentlicher Name für eine Frau..."
„'Meisterin'? Wieso 'Meisterin'?"
„Ja, sag mal, hast du denn noch nie etwas von dem Gesetz der Dschinnis gehört?
Das ist doch ganz einfach: Der jenige, der eine von uns aus ihrer Flasche befreit,
ist unser neuer Meister,
und wir müssen ihm gehorchen.
Übrigens, ich glaube, ich werde dich Sandra nennen.
Ich find das irgendwie passend,
schließlich haben wir uns ja auch mitten im Sand getroffen -
findest du nicht?" 'Sandra' war nicht wenig verwirrt.
„Ja, ja, ist mir schon recht...", gähnte sie die Dschinni an.
„Na, dann ist ja gut.
Was meinst du eigentlich, was sollten wir als nächstes unternehmen?
Ich meine, wenn du hier genug getrunken hast.
Ist ja nicht gerade ein Ort,
an dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte,
vor allem, wenn man noch das ein oder andere Jahrtausend vor sich hat,
so wie ich.
Also, ich würde ja ganz gerne mal wieder..."
Sharinas Redefluß wurde von einem leisen Schnarchen unterbrochen.
„Na, sowas. Die ist doch tatsächlich eingeschlafen
. So eine Schlafmütze aber auch. Naja, dann kann
ich mich ja hier noch ein wenig frischmachen.
Die lange Zeit in der Flasche ist meiner Frisur eigentlich gar nicht bekommen."
Beim ersten Sonnenstrahl öffneten sich Sandras Augen.
Meine Güte, was hatte sie für einen verrückten Traum gehabt.
Die absolute Härte war ja diese verrückte Dschinni gewesen.
Sie blickte sich um, und der Schreck fuhr ihr in die Glieder.
Das Gras, der kleine See, die Bäume - anscheinend war es doch kein Alptraum gewesen,
der sie heimgesucht hatte.
Schleunigst schloß sie die Augen wieder,
nur um sie kurz danach wieder aufzumachen und festzustellen,
daß sie sich immer noch in derselben Umgebung befand wie vorher.
Schade, irgendwie hatte sie gehofft, sie träumte immer noch.
Nur wenige Meter neben sich erblickte sie nun auch die Flasche, in der sie die Dschinni gefunden hatte.
Von Sharina selbst jedoch war keine Spur zu sehen.
Na umso besser, dachte sie, dann
kann sie mich wenigstens nicht nerven.
„He", erklang da die helle Stimme der Dschinni hinter ihr
. „Na, auch schon aufgewacht?
Meine Güte, bist du vielleicht eine Schlafmütze.
Die ganze Nacht hast du verschlafen. Und dabei hätten wir uns so eine
schöne Zeit machen können.
Wenn ich da an die nächtlichen Bars von Sahur AI Beida denke.
Der 'Zuckende Turban' war da schon immer meine Lieblingskneipe.
Ich könnte dir da von Männern erzählen, die mit dir Sachen anstellen,
von denen du bisher noch nicht einmal geträumt hast.
Und wenn eine Dschinni sowas zu dir sagt,
kannst du ihr das ruhig glauben.
Und wenn dieser Mistkerl von Kamelreiter mich nicht in die Wüste geschickt hätte..
Aber ich habe da eine Idee.
Was hältst du da- von, wenn wir uns dort mal ein bißchen umsehen?
Ich bin gespannt, ob es immer noch so wild ist.
Und ich hab schon seit Ewigkeiten keinen Mann mehr gesehen.
Was meinst Du?
Es wird dir bestimmt Spaß machen, Sandra.
Na los, wünsch dir schon,
daß ich uns dorthin bringe. Nun mach schon."
Sandra war verwirrt.
Die Dschinni hatte sie mit ihrem Redefluß so zugeschüttet,
daß sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
„Moment, nicht so schnell.
Ich muß erst mal nachdenken.
Außerdem bin ich noch ziemlich schwach."
„Na, du bist mir aber eine lahme Trantüte.
Und wofür habe ich mich jetzt die ganze Nacht schöngemacht?
Meinst du etwa, ich hätte Lust, noch länger hier in der Einöde zu verbringen?
Na gut. du bis: schließlich die Meisterin.
Ich mach es mir noch ein wenig in der Flasche gemütlich.
Du kannst mich dann ja rufen, wenn du dich endlich entschieden hast.
Aber warte nicht zu lange, sonst gehe ich ohne dich."
„Das kannst du sowieso nicht.
Schließlich mußt du mir gehorchen, oder etwa nicht? „
„Mist, ich hätte dir nicht so viel erzählen sollen. Naja. bis später dann."
Kaum war die Dschinni in der Flasche verschwunden, griff Sandra nach dem Korken und verschloß die Öffnung.
Die Dschinni war sie erstmal wieder los.
Später konnte sie sie ja immer noch herauslassen -
aber nur, wenn sie ihr versprach, sich endlich ordentlich zu benehmen.
Inzwischen hatte sie wenigstens ihre Ruhe vor diesem Quälgeist.
Mit noch etwas steifen Gliedern entkleidete sie sich und stieg in das klare Wasser,
um ein Bad zu nehmen.
Es war herrlich erfrischend, und sie spürte ihre Lebensgeister wieder vollzählig in ihren Körper zurückehren,
und so schwamm sie quer durch den kleinen See bis an das andere Ufer.
Als sie es erreichte, kletterte sie den kleinen Abhang
empor und breitete ihren Körper in der Sonne aus,
die hier gar nicht so schlimm schien wie am gestrigen Tag.
Vielleicht war es aber auch nur der kühle Luftzug,
der über den See zu ihr hinwehte, der dieses Gefühl mit sich brachte.
Wohlig seufzend schloß sie kurz die Augen.
Sie mußte eingeschlafen sein, denn als sie die Augen wieder öffnete
, war die Sonne bereits ein ganzes Stück weiter am Himmel gewandert,
und auch die zweite Sonne schaute bereits über den Horizont.
Als sie über den See blickte, sah sie dort die Gestalt eines Menschen stehen.
Wie war diese verrückte Dschinni denn aus ihrer Flasche herausgekommen, dachte sie,
dann erkannte sie, daß es sich nicht um die Dschinni,
sondern um einen Mann handelte,
der sich neben ihre Kleidung gesetzt hatte und zu ihr hinübersah.
Erschrocken flüchtete sie in den See, damit das Wasser ihre Blöße bedecken konnte,
und schwamm dem anderen Ufer entgegen.
Der Fremde richtete sich auf, und sie konnte erkennen,
daß es sich um einen Wüstenreiter handelte. Er hatte einen weiten Umhang um sich geschlungen,
der in der leichten Brise um seinen wohlgebauten Körper herumwehte
. Auch sonst schien der Fremde nicht gerade schlecht auszusehen, auch wenn sie schräg in die Sonne blicken mußte, um ihn genauer zu betrachten.
Als sie näherkam, winkte der Fremde ihr freundlich zu.
So ganz wohl war ihr ja nicht in ihrer Haut,
aber dennoch winkte sie zurück und rief ihm zu:
„Könntet Ihr Euch wohl umdrehen, damit ich mich anziehen kann?"
„Gerne, meine Dame", rief der Fremde zurück,
und seine wohltönende Stimme ließ einen Schauer über ihre Wirbelsäule nach unten rinnen.
Sie überlegte, was ein Mann alleine in der Wüste machte,
und ob sie nicht etwas mit ihm anfangen sollte,
doch dann fiel ihr die Dschinni Sharina wieder ein.
Dieses Problem war erst einmal vorrangig.
Der Fremde drehte sich tatsächlich um, als sie sich anschickte, aus dem Wasser zu klettern,
und ging sogar ein paar Schritte zur Seite.
„Ich hoffe, ich habe Euch nicht allzusehr in Verlegenheit gebracht,
aber ich konnte einfach nicht anders, als zu Euch herüberzusehen.
Ich möchte mich dafür entschuldigen."
„Eure Entschuldigung wird von mir gerne angenommen, mein Herr.
Wartet nur noch ein kleines bißchen."
Sandra zog sich ihre Kleidung mit einer Geschwindigkeit an,
wie es nur Menschen können, die sich der Gefahr bewußt sind,
daß ein anderer sich doch jeden Moment herumdrehen und ihre Blöße sehen könnte,
obwohl er doch gegenteiliges versprochen hatte.
Doch ihre Sorge war unbegründet.
Als sie gerade fertig war und dem Fremden mitteilen wollte,
daß er sich wieder umdrehen könne, ertönte eine helle Stimme.
„Na endlich. Wurde aber auch Zeit, daß du dich mal wieder ein bißchen um mich kümmerst
. Was meinst du eigentlich wie eng es in
dieser... Oh... Du bist ja gar nicht..."
Alarmiert drehte sich Sandra um.
Bei dem Anblick, dessen sie nun gewahr wurde,
verfluchte sie sich, dem Fremden den Rücken gekehrt zu haben.
Dieser hatte die Flasche entdeckt, und sie auch noch geöffnet.
„Ohlala, wen haben wir denn da? Du bist aber eine wirkliche Schönheit."
„Ah, ein Kenner, habe ich den Eindruck.
Wie schön, daß du mich gefunden hast. Sag mal, weißt du eigentlich, wer ich bin?"
„Eine Dschinni?" fragte der Fremde.
„Richtig. Wie schön, ein Mann, der auch denken kann",
klang Sharinas glockenhelle Stimme fast flötend zu Sandra hinüber.
Dann wandte sich die Dschinni an sie.
„He, Kleine, tut mir wirklich leid,
aber du mußtest ja auch so trantütig sein,
dir die Flasche abnehmen zu lassen.
Weißt du, der Kerl ist jetzt mein Meister,
schließlich hat er mich befreit, und nach dem alten Dschinni-Gesetz...
Na, du kannst dir schon vorstellen.
War eigentlich ganz nett, dich kennen gelernt zu haben.
Auch wenn du ein wenig lahm bist.
Naja, die Bar werden wir wohl nicht mehr zusammen besuchen können."
Dann wandte sie sich wieder ihrem neuen Meister zu.
„Darf ich?"
Der Fremde schein ganz ihrem Bann verfallen zu sein,
denn er reagierte nur mit einem kurzen Nicken auf ihre Frage,
während er sie weiter anstarrte, als ob er noch nie in seinem Leben eine Frau gesehen hätte.
„Na, Kleine, du hast ja richtig Glück.
Dann mal auf Wiedersehen. Vielleicht treffen wir uns ja mal irgendwann."
Sandra wurde es für einen Augenblick dunkel vor Augen,
dann stand sie vor dem Regierungspalast der Pharaonin.
Wenn sie doch nur ihr Gedächtnis wiederhätte,
dann könnte sie ihren Auftrag auch ausführen.
Aber wenigstens war sie von dem Quälgeist befreit.
Ende
(c) 7/95 by Winfried Brand/
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:30
Gefangener der Geister
(Die Ring-Ebene)
von Heike Brand
" Nein, Jordyr, nein! "
Der Schrei holte den jungen Krieger ohne Übergang aus tiefstem
Schlummer in die düstere Wirklichkeit zurück,
in die mondlose Nacht, die er nahe der Kleinstadt am Innermeer unter freiem Himmel verbrachte. Hatte jemand nach ihm gerufen?
Bestand vielleicht Gefahr? Doch dann schüttelte er den Kopf.
Niemand konnte wissen, daß er zurückgekehrt war.
Es mußte ein Traum gewesen sein, ein Alptraum, wie er manchmal welche hatte; seltsam war nur, daß er sich für gewöhnlich beim Aufwachen erinnern konnte,
wovon er geträumt und was ihn in Angst und Schrecken versetzt hatte.
Er ärgerte sich ein wenig, denn er war durch den Schreck noch in Alarmbereitschaft und fühlte sich kaum mehr schläfrig.
Angestrengt lauschte er; doch durch die kühle Nacht
drang nur das leise Geräusch sanfter Wellenschläge gegen das an dieser Stelle steile, felsige Innermeerufer.
Mißmutig brummelnd versuchte er, sich wieder in eine bequeme, erholsame Schlaflage zu wälzen.
" Jordyr, laß es sein! Bitte, spring nicht,
du würdest ertrinken! Die Innermeerdämonen sind stärker als du! "
Da war sein Traum wieder.
Schon als kleiner Junge war Jordyr ein rechter Draufgänger gewesen,
keine Felswand war ihm zu steil, kein Baum hoch genug,
und er konnte keine Gelegenheit auslassen, sich
in irgendeinem tollkühnen Wettstreit mit den anderen Jungen zu messen.
Später brachten ältere Jungen ihm bei, daß man in dem kleinen See am Rand der Stadt schwimmen und tauchen konnte.
Kaum hatte Jordyr diese Sportart begriffen, war er nicht mehr aus dem Wasser herauszukriegen.
Er verließ das Naß erst, wenn er durch und durch fror
- und im Sommer dauerte das seine Zeit, denn dieser See war ein seichtes Gewässer,
das die Sonnenwärme schnell aufnahm und lange festhielt.
Seine Mutter hatte nichts dagegen,
daß er mit den anderen Jungen an dem kleinen See spielte
und in dem klaren Wasser mit ihnen um die Wette schwamm.
Bei Strafe verboten hatte sie ihm aber,
das ebenfalls nahe gelegene Innermeer aufzusuchen.
.Die Inseln der Zeit verursachen unüberwindliche Strudel!
" Wellengeister und die Dämonen des Meeres treiben dort ihr Unwesen! " , hatte sie immer gesagt.
" Wenn ein Strudel dich erst einmal ergriffen hat und die Wellen dich forttragen, bist Du für immer verloren. "
Und: " Die Kreisenden Inseln sind selbst Dämonen, grausame Geister der Zeit! "
, hatte sie behauptet. Geglaubt hatte Jordyr ihr nie; trotzdem hatte er versprochen,
nur im See zu schwimmen und sich vom Innermeer fernzuhalten.
Tief in seinem Herzen entstand jedoch schon der Ansatz zu dem Wunsch,
sich eines Tages über dieses Versprechen hinwegzusetzen und Ruhm, Anerkennung, ja Bewunderung einzuheimsen.
Schon daß ein männliches Wesen hierzulande von sich aus etwas Gewaltiges tun wollte,
war fast mit einer Sensation gleichzusetzen.
" Jordyr, bitte sei doch vernünftig! "
Die Strömung des Meeres sieht langsam und harmlos aus, doch sie reißt
dich sofort mit, du kannst nicht dagegen ankommen! Niemand kann das,
auch unsere Stärksten nicht!
BLEIB
HIER!!!. "
Lorija.
Jedesmal war sie es gewesen, die seine Mutter gewarnt hatte, wenn er in Richtung Meer losgezogen war.
Er hatte sich jedesmal wieder mit ihr darüber gestritten; er war der Meinung,
daß niemand sich ihm zu widersetzen hatte,
am allerwenigsten ein Mädchen. Sie waren schließlich nur locker befreundet gewesen.
Lorija hatte sich aber ständig aufgeführt, als sei sie seine ältere Schwester oder -
noch schlimmer - sein Kindermädchen.
Irgendwann wollte sie ihn gar heiraten.
Jordyr hatte immer nur darüber gelacht.
Auch jetzt, da er schlief, spielte ein überlegenes Lächeln um seine Lippen.
Er würde sein eigener Herr sein und sich von einer Frau niemals etwas befehlen lassen.
Ihm schwebte etwas besseres vor als eine Fortsetzung des Lebens,
das sein Vater immer geführt hatte;
er wollte nicht im Schatten einer Frau dahinvegetieren,
die davon überzeugt war, besser als irgendein Mann zu sein -
besser und stärker als der große Jordyr...
" Jordyr, zum letzten Mal flehe ich dich an:
Spring nicht ins Meer! Beim Zorn der Geister, du bist verloren!
So höre doch - JORDYR!!! "
Als er die Macht des Innermeeres versuchen wollte, war er etwa dreizehn Jahre alt gewesen; das war nun schon mehr als zwölf Jahre her.
Mit sechzehn hatte er die Gegend verlassen,
weil einige Leute hier sich zu sehr in seine Angelegenheiten mischten, wie er meinte.
Hauptsächlich waren dies Lorija und seine Mutter.
da sein Vater eh nichts zu sagen hatte -
und daß überhaupt jemand über ihn bestimmen wollte, paßte ihm nun mal nicht.
Und dann auch noch Frauen!
Es war hier zwar so üblich, aber trotzdem ging ihm das gewaltig gegen den Strich.
Manchmal redeten die Frauen hier in abfälligem Ton über Länder, in denen
- im Gegensatz zu hiesigen Gepflogenheiten - die Männer über die Frauen bestimmten.
Solche Aussichten reizten und lockten Jordyr sehr.
Er hatte denn auch alles und alle hinter sich gelassen:
Lorija, seine Freunde, seine Familie, die Stadt.
" Zu Hilfe!
Leute, kommt heraus und helft mir!
Jemand ist in das Meer gefallen!
Ein Seil, bringt ein Seil herbei! Zu
Hilfe, so helft mir doch!
H - I - L - F - E !
H - I - E - R - H - E - R ! "
Damals... Er wußte nicht mehr genau, wie er mitten in der Nacht unbemerkt sein Elternhaus hatte verlassen können -
aber mit schlafwandlerischer Sicherheit war es ihm gelun- gen. Er wollte seinen innigsten Wunsch ausleben, seine selbstgewählte Bestimmung erfüllen.
Ja, er war in das Innermeer gesprungen und hatte die allmächtige Kraft der Strudel gespürt, doch hatte er zunächst nicht den Eindruck gehabt,
daß er der Macht der Wassergeister auch nur eine Sekunde unterlegen gewesen sei.
In der Tat, er hatte sich ihnen ebenbürtig gefühlt.
Noch nie zuvor hatte sich ein Mensch in das Innermeer gewagt, weder als Schwimmer noch mit einem Boot -
niemand außer ihm,
kein Mann und
auch keine Frau!
In ihm stieg ein Gefühl von Macht auf, als sei er der Beherrscher der Ebene,
der ganzen Welt,
nein, des gesamten Universums.
In der Ferne sah er die Stundeninsel langsam dahintreiben.
" Die hat noch niemand aus der Nähe besehen können! "
schoß es ihm durch den Kopf.
Sofort erwachte der Forscherdrang in ihm, und er beschloß, dorthin zu schwimmen.
Doch da öffnete sich der Schlund eines weiteren Strudels genau vor ihm.
" Schnell, hierher! So beeilt Euch doch, Schwertschwinger, er ertrinkt! "
Dieser Strudel hier war stärker als die vorigen, die er fast mühelos durchschwommen hatte.
Es schien ihm nun, als griffen unsichtbare Hände nach ihm, deren einziges Ziel es war, ihn zu ertränken,
sein Leben auszulöschen
. Langsam regte sich in ihm doch so etwas wie Angst
- nur zu genau erinnerte sich Jordyr in seinem Traum daran,
und die Erinnerung beschämte ihn.
Sollte Mutter tatsächlich recht gehabt haben?
Würde sein Leben hier und jetzt zu Ende gehen?
Er dachte daran, wie er damals dem Tod ins Auge gesehen hatte
- und wie dann plötzlich eine Art rauhes, festes Band sich um ihn geschlungen und an ihm gezerrt hatte.
Jordyr konnte sich nicht mehr bewegen.
Er hatte Wasser geschluckt und konnte kaum noch atmen.
Als befände er sich irgendwie neben sich selbst
- mehr gefühlt als tatsächlich gesehen
- merkte er, daß wohl irgendein Kriegsmann ein langes Seil geworfen hatte;
eine Schlinge, mit der dieser wirklich und wahrhaftig das Ding der Unmöglichkeit vollbracht hatte,
ihn wieder einzufangen und dem Strudel zu entreißen. So nah konnte
Jordyr dem Ufer doch gar nicht mehr gewesen sein...
Nie war ihm klar geworden, wer den kampferprobten Mann zu Hilfe geholt hatte
. Lorija?
Mutter?
Jemand anders?
Woher war er so plötzlich gekommen?
Niemand hier schien ihn zu kennen; wohl nur aus reinem Zufall war er in dieser Gegend gewesen.
Sein Gedächtnis hatte noch die unbeherrscht herausgeschrienen Flüche
und Kraftausdrücke parat, mit denen der Krieger das leichtsinnige
.junge Gemüse. bedacht hatte.
Allzu deutlich waren ihm diese zu Ohren gekommen, als er völlig wehr- und hilflos näher an das felsige Ufer herangezogen wurde,
durch wilde Wellen und wütende Strudel hindurch, die ihr schon sicher geglaubtes Opfer nicht so leicht wieder hergeben wollten.
All diese Erinnerungen mischten sich mit seinen Phantasien und Träumen
wie ein weiterer Strudel, der ihn mit sich riß, ihn in einen Tunnel aus Ewigkeit zu schleudern schien;
in einen Tunnel, wo man nichts vergessen konnte
und auch selbst nicht vergessen wurde, weil dort alles allgegenwärtig war.
Doch mit einemmal war da nur noch Schwärze; dann wurde er plötzlich so heftig gerüttelt, daß ihm schwindlig wurde
. Eine schrille Frauenstimme ertönte.
" So wacht doch auf und helft mir, Kämpe, ich will.s Euch auch reich lohnen - mein Junge ist in das Meer gestürzt! "
Sofort war er wieder hellwach.
Es war nicht mehr ganz so dunkel wie bei seinem ersten Aufwachen, denn inzwischen war einer der Monde aufgegangen.
Lautstark verfluchte er den Tag, da er sich entschlossen hatte, hierherzukommen.
Bei den Waldgeistern, in Zukunft würde er diese Umgebung lieber meiden
Hier konnte er kaum seine Kampfkraft unter Beweis stellen, da es sich hierorts nicht ziemte,
daß Frauen mit Männern kämpften;
aber ihre eigenen Kinder konnten sie nicht selbst aus dem Wasser ziehen.
Frauen! Kinder!
Er schüttelte sich.
Immer noch fluchend griff er nach seinem langen Kletterseil,
lief hinter der Frau her zum Ufer und knotete sich dort eine Schlinge.
Diese schleuderte er unter weiteren unflätigen Schimpfworten in die Richtung,
wo man inmitten eines ungeheuren Strudels einen kleinen,
kaum mehr zappelnden Körper ausmachen konnte.
Der erste Versuch schlug fehl.
Beim zweiten aber hatte er den Jungen .an der Leine,
und begann, ihn an Land zu ziehen
wie einen frischgeangelten Fisch.
Wegen der Felsen unter Wasser und am Ufer mußte er sich ganz
schön in acht nehmen. Dabei schimpfte er ständig weiter wie ein Rohrspatz.
Als der Knirps - zwölf, dreizehn Lenze mochte der zählen -
zitternd, mit Blutergüssen und tiefen Kratzern übersät, endlich vor ihm stand,
war ihm trotz seines käseweißen Gesichts anzumerken, wie sehr er sich seiner leichtsinnigen Tat schämte,
denn selbst in dem schwachen Mondlicht sah man seine Ohren feuerrot leuchten.
Innerlich lachte Jordyr ihn aus. Er ließ es den Jungen jedoch nicht fühlen,
sondern sprach stattdessen nun etwas freundlicher:
" Das ist ja gerade noch mal gutgegangen, du grünes Früchtchen.
Erspare künftig deinen Alten die Sorge -
und Kriegern wie mir die Drecksarbeit.
Wie heißt du eigentlich?. „
Da sah der Junge ihn triumphierend an, und Jordyr fühlte beginnendes Entsetzen.
Ihm schien, als sei er in eine Art Wachtraum verfallen.
Oder hatte er etwa das rüde Aufwecken durch die Mutter des Jungen ebenfalls nur geträumt?
Schlief er vielleicht doch noch?
Und wenn nicht, was in aller Geister Namen war dann geschehen?
War nicht alles geauso gekommen wie damals bei ihm selbst?
Er hatte seinen .Ausflug. schließlich auch überlebt
und war sich trotz anschließender, gewaltiger Schelte
wahrhaft allmächtig vorge- kommen.
Wie aus weiter Entfernung hörte er die selbstbewußte Stimme des Jungen:
" Man nennt mich Jordyr, den Großen.
Ich werde einmal genau wie Ihr ein starker und tapferer Krieger sein. "
War so etwas möglich?
Jordyr wollte seinen Ohren nicht trauen.
Von den Anwesenden - wohl ein paar Verwandte und Freunde des Jungen,
aber vielleicht auch Spätheimkehrer
aus der Stadt, die nur neugierig waren - wurde Gemurmel und Gekicher hörbar.
Dann stellte der Junge eine Frage.
" Und wie heißt Ihr, Kämpe? "
Jordyr hörte sie wohl hundertmal in seinem Kopf als Echo widerhallen. Ihm wurde wieder schwindlig;
er schwankte. Das hier war kein Traum mehr;
es war wohl die ganze Zeit über keiner gewesen.
Es schien alles zu stimmen, bis ins kleinste Detail, aber - konnte man denn seinen eigenen Tod verhindern?
Er wußte noch,
als wäre es erst gestern gewesen, wie der ihm seinerzeit unbekannte Krieger auf diese Frage reagiert hatte.
Genauso hockte er sich nun vor diesen Jungen - oder besser vor sich selbst?
- und erklärte ihm leise:
" Dein Name ist auch meiner, und ich kenne dich ebensogut wie mich.
Auch ich bin als Kind einmal in das Innermeer gesprungen und wäre ebenfalls beinahe darin ertrunken.
Sei nur nicht wieder so leichtsinnig!
Ich gebe dir nun einen guten Rat,
Kleiner; höre wohl und gehorche dieses eine Mal:
Geh nicht weg von hier.
Werde bloß kein Krieger!
Du hast hier alles, was du brauchst
. Sei nicht so unzufrieden, sondern nimm die Dinge,
wie sie sind. Du kannst sie nicht ändern;
niemand kann das. Versuche, deine Bestimmung hier zu finden.
Vergiß die Länder der mächtigen Männer! "
Dann wandte er sich um.
Das ungläubige Gesicht, das der Junge machte, konnte er dadurch nicht mehr sehen; eben sowenig bemerkte er, wie der Kleine ein paar mal einen Finger gegen die Schläfe tupfte, um zu bekunden, was er von dieser Rede hielt.
Bis zum Morgengrauen würden noch Stunden vergehen, doch er wollte hier nicht länger verweilen.
Ebenso wie damals auch sein Retter nahm
er nun seine Ausrüstung an sich und
machte sich ohne weitere Worte auf den Weg;
wohin er allerdings gehen würde und wie sein Leben nun weitergehen sollte,
das wußte er noch nicht so genau. Die Dankesreden der Frauen wollte er nicht hören;
unwillig winkte er ab, als sie ihm Geld anboten.
Auch wollte er den Rest der Nacht nicht im Haus der Mutter des Jungen verbringen,
obwohl es sich eigentlich nicht gehörte, derartige Dankesbezeugungen auszuschlagen.
Alllein die Vorstellung, daß die Zeit hier Gefangene gemacht,
das Schicksal dieser Stadt und ihrer Bewohner untrennbar mit seinem eigenen verknüpft haben könnte -
und die Familie des jungen Jordyr gleichzeitig die seine sei - war ihm unerträglich.
Er antwortete einfach nicht mehr
und sah sich auch nicht mehr um, als sie ihn riefen und baten,
er möge doch noch bleiben;
stur ging er weiter seines Weges.
Zutiefst verwirrt war er und bis ins Innerste aufgewühlt.
Er machte sich Gedanken, versuchte zu verstehen,
was er da soeben erlebt hatte -
und warum, bei allen Waldgeistern -
doch er vermochte es nicht.
Nur eines war ihm klar:
Ihm war Unmögliches widerfahren.
Er hoffte, daß er durch den Rat, den er dem Jungen gegeben hatte,
die Geister irgendwann einmal überlisten und diesen Teufelskreis zu Ende führen konnte.
Seine Erinnerungen schienen ihn jedoch eines besseren belehren zu wollen.
Sollte es wirklich kein Entrinnen geben?
Er grübelte und überlegte noch geraume Zeit,
ob sich nicht eine Lösung fände. In seinem Kopf türmten sich Fragen über Fragen;
doch er fand niemanden, der auch nur eine davon hätte beantworten können.
Fast ärgerte er sich, daß er sich niemals mit Wissenschaft und den Geheimlehren der Magie auseinandergesetzt hatte.
Seufzend setzte er seinen Weg fort.
Vielleicht oblag die Lösung seines Rätsels ja wirklich ganz allein den Geistern der Zeit...
© Heike Brand, 1996-03-08,
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:27
-Die Insel
(Die Ring-Ebene)-
Von Roland Stephan
Auf der Grenze zwischen heute und morgen, oder war es doch gestern, schwimmt eine Insel im Innenmeer. Seit Ewigkeiten kreist sie um das Zentrum. Die Insel ist nicht immer sichtbar, manchmal versteckt sie sich hinterm Horizont, bedeckt sich mit dichtem Nebel oder versinkt sogar in den Fluten, um dann irgendwann unerwartet wieder als klarer Umriss an der Sichtlinie aufzutauchen. Schnell näher kommend gewinnt sie an Gestalt. Mal erscheint sie als zerklüfteter Felsen in einem tosend schäumenden Meer, mal als tropisches Eiland mit weitem Strand. Immer aber trägt sie ein Leuchtfeuer mit dem reinen weißen Licht der Liebe.
Wenn ich die Insel betrete habe ich sofort die Gewissheit, immer hier gewesen zu sein. Ich war nie weg, werde nie weg gehen. Ich und die Insel sind eins. Trotzdem sieht sie jedes Mal anders aus, zeigt neue Facetten und verweigert oft den Blick auf geliebte Erinnerungen, um ihn dann doch überraschend an anderem Ort freizugeben.
Meine Insel heißt Stundeninsel. Ein blöder Name, ich weiß, aber ich habe ihn mir ja auch nicht ausgesucht. Er war halt da, schon immer da, und wird immer da sein. Sie ist nicht sehr groß, gerade eine Stunde. Für eine Zeitinsel ist das wohl recht klein. Aber sie ist schön, mir gefällt sie; sie ist meine geliebte Insel.
Noch kleinere Inseln wie Minuten- und Sekundeninsel bilden fast so etwas wie ein gemeinsames Atoll mit meiner Insel, aber nur die Stundeninsel ist groß genug, um darauf zu leben. Hier gibt es alles was ich brauche: sanftes Wasser rinnt kristallklar durch schmale Bäche, die wie Finger die Insel umklammern; süße Früchte locken allerorten mit zarten Erinnerungen.
Leider bin ich hier auf immer und ewig allein; kein Besucher erscheint je hier, kein Schiff kreuzt auch nur in Sichtweite. Das war nicht immer so. Einen Tag, einen glücklichen, ewig langen Tag war ich hier mit meiner Geliebten zusammen. Aber das ist lange vorbei.
Nun bin ich hier allein und finde doch nicht die Kraft, die Insel zu verlassen und nach anderen zu suchen. Nein, ich finde nicht einmal mehr den Wunsch in mir, dies zu tun. Hier bin ich zuhause, hier sind meine Wurzeln. Warum sollte ich gehen und wohin? Jeder Versuch, die Insel zu verlassen, würde mich doch nur wieder zu ihr zurückführen.
Also lehne ich mich an einen Baum und träume.
Ende
Roland Stephan
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:22
Das zweite Attentat
(Commarvahn)
v. Uwe Vitz
mit Helden von Michael Breuer
Loven schlich sich zitternd zu seinen Taubenstall. Er mochte es kaum glauben. Es hatte geklappt. Eine zweite Chance, endlich.
Vor einem Jahr war das erste Attentat auf den König fehlgeschlagen, der Tyrann Creagan hatte überlebt. Tragan, der Blutrünstige war entkommen und niemand erfuhr zum Glück, dass Leutnant Loven ihn geholfen hatte, in den Palast einzudringen. Seit dem waren die Sicherheitsvorkehrungen im Palast um ein vielfaches verbessert worden. Überall waren nun die Agenten des Königs. Loven musste noch vorsichtiger sein. Ein zweiter Anschlag im Palast wäre Selbstmord gewesen. Gleichzeitig wurde die Flotte des Tyrannen immer größer. Creagan plante einen Vernichtungsschlag gegen die Rebelleninsel Patena, davon war Loven überzeugt. Gleich als er den Thron bestieg hatte Creagan das Volk der Caaniter in drei Kasten geteilt
Immer mehr Angehörige der niederen Kaste wurden als Rudersklaven auf die Galeeren des Tyrannen gebracht, um dort einen grausamen Tod zu sterben. Angehörige der bürgerlichen Kaste mussten in Creagans Armee dienen, manche taten es gerne, weil man ihnen erzählte, dass Feinde Caanan bedrohten und der König sein geliebtes Volk nur schützen wollte, oder weil sie auf große Beute hofften, doch Loven wusste es besser. Aber es gab auch noch die höhere Kaste, den Adel, viele Verblendete unter ihnen träumten davon mit Creagans Hilfe die ganze Ebene zu erobern. Dies alles musste zu einer Katastrophe führen, aber Loven wollte sein Volk retten. Lo-Pan zeigte, wie es den Völkern ergehen würde, wenn Creagan noch mächtiger wurde. Die Insel hatte der Tyrann vor über zwanzig Jahren erobert, die Bevölkerung war versklavt worden und musste nun die Lotos-Pflanze anbauen, eine Droge mit der Creagan die ganze Ebene überschwemmte, mit dem Gewinn kaufte er Söldner und Waffen, die ihn noch mächtiger machten. Die einzige Hoffnung, war Patena die Barbareninsel, wo sich alle sammelten, welche den Tyrannen stürzen wollten. Es war eine feine Ironie, dass ausgerechnet die Insel Lo-Pan dem Tyrannen nun zum Verhängnis werden würde. Creagan wollte diese Insel besuchen, eine Gelegenheit für die Rebellen ein zweites Attentat durchzuführen.
Diesmal musste es gelingen!!
Loven erreichte den geheimen Taubenstall, er nahm mit zitternden Händen eine der Tauben, steckte ihr die Nachricht zu und ließ sie frei, nun war das Tier auf den Weg nach Patena, nichts konnte den Vogel mehr aufhalten.
„ Ausgezeichnet, Leutnant Loven, Ihr habt mich nicht enttäuscht. Ein dummer Verräter ist mehr wert, als hundert treue Soldaten.“
Loven fuhr herum, er griff nach seinen Dolch, dann sah er, wer ihm gegenüberstand. Er schrie vor Entsetzen auf.
Der Agent des Königs hatte eine Armbrust in den Händen und drückte eiskalt ab. Ein Bolzen bohrte sich in Leutnants Lovens Hals. Sterbend stürzte er zu Boden. Zufrieden blickte der Agent hinter die davon fliegende Taube her. Sie würde helfen die Rebellen in eine Falle zu locken.
„ Endlich, Creagan will Lo-Pan besuchen, jetzt können wir seine Tyrannei beenden.“ sagte Tally O Dan, der Anführer der Rebellen zufrieden.
“ Wir werden einfach einen Sklavenjäger entern, mit ihn nach Lo-Pan fahren, die Königlichen Galeere angreifen und versenken, schon ist es aus mit dem Tyrannen.“
„ Ich wünschte es würde so einfach werden. „ erwiderte Fandor Tragan, ein Zwerg, der sich den Titel, der „Blutrünstige Tragan“ wohl verdient hatte. Fast wäre es ihn vor einem Jahr gelungen, den Tyrannen zu töten, aber eben nur fast. Beim Versuch in den Thronsaal einzudringen, war der Zwerg entdeckt worden und nur knapp der Wache entkommen.
„ Doch Creagan wird gut geschützt, so leicht wird der Tyrann uns seine Vernichtung nicht machen.“ mahnte der Zwerg.
„ Aber er kennt unsere Geheimwaffe nicht, sie wird sein Verhängnis sein.“ antwortete der Rebellenchef.
„ So soll es geschehen!“ sagte eine helle Stimme, Hogan Flammenlanze trat mit seiner Waffe zu vor und richtete sie auf ein Schild, welches mitten auf dem Platz aufgestellt war. Ein Energiestrahl traf das Schild, es begann erst zu glühen, dann schmolz es. Der junge, dunkelhaarige Mann senkte seine fremdartige Waffe und lächelte grimmig.
„ Und so werde ich auch die Königliche Galeere mit Creagan verbrennen.“
„ Ja, so könnte es gelingen, trotzdem wird Fandor die Leitung des Unternehmens haben.“ bestimmte Tally O Dan. „ Er hat am meisten Erfahrung mit Anschlägen.“
Eine Woche später.
Das kleine Dorf auf einer der Farey Inseln schlief ahnungslos, die Bewohner ahnten nichts von den Kree-Sklavenjäger, die sich lautlos heranschlichen. Ihr Schiff hatte vor der Küste geankert . Sie würden auch dieses Dorf plündern, die Bewohner verschleppen und als Sklaven an die Caaniter verkaufen. König Creagan benötigte ständig neue Arbeitssklaven für Lo-Pan. Die Piraten waren erstaunt, als sie das Dorf betraten. Es war leer.
„ Willkommen Freunde, jetzt ergebt ihr euch und wir nehmen uns euer Schiff und eure Waffen!“
Die Piraten fuhren herum. Ein junger Mann mit einem merkwürdigen Rohr in der Hand trat ihnen entgegen. Hinter ihn stand eine kleine Gruppe von Personen im Schatten der Hütten. Der Kapitän grinste und griff nach seinem Schwert.
„ Und was macht ihr, wenn wir keine Lust haben uns zu ergeben?“ schrie der Piratenkapitän.
Wortlos richtete Hogan Flammenlanze seine Waffe auf den Kapitän und drückte ab. Innerhalb von Sekunden verbrannte der Sklavenjäger-Kapitän zu Asche. Alle seine Männer ergaben sich sofort.
Die Rebellen wunderten sich dann, weshalb Fandor Tragan den ganzen Landeraum des geenterten Schiffes mit Fässern füllen ließ, welcher die ganze Zeit geradezu eifersüchtig bewacht hatte. Wein für die Siegesfeier? Manchmal war der Zwerg doch sehr seltsam. Da jedoch Fandor die Leitung des Attentates übernommen hatte, gehorchten sie ihm.
„ Es war klug, den Kree- Sklavenhändlern Tipps zu geben, wo sie reiche Beute finden.“ murmelte der Zwerg. „ Aber mir ist unwohl, wenn ich an all die armen Kreaturen denke, die wirklich in die Sklaverei verschleppt wurden.“
Fenryk Schädelspalter ein großer Kree-Nordmann, der sich den Patena-Rebellen angeschlossen hatte, lachte verächtlich.
„ Wir Kree sagen, wer sich in die Sklaverei verkaufen lässt, soll nicht klagen, dass er Sklave ist.“
„ Eine Philosophie, die nicht untypisch für Sklavenhändler ist.“ bemerkte Fandor Tragan.
“ Immerhin rauben, verschleppen und töten wir offen, anstatt wie ihr Zwerge, nur Waffen an andere zu verkaufen.“
Der blutrünstige Tragan seufzte auf. „ Es könnte alles besser sein, wenn wir alle besser wären.“ sagte er traurig.
„ Streitet euch doch nicht.“ mischte sich Hogan Flammenlanze ein. „ Ich war Sklave auf Lo-Pan, mich haben plündernde Kree an König Creagan verkauft. Ich bin von Lo-Pan entkommen. Deshalb darf ich sagen, alles ist gerechtfertigt, was zum Untergang Creagans führt.
Wenn wir den Sklavenjägern keine Tipps gegeben hätten, wären sie über andere Dörfer hergefallen und wir hätten uns nicht ihr Schiff nehmen können, als wir es brauchten. Deshalb wird Creagan sterben! Alle Sklaven werden befreit werden, man muss manchmal Böses tun, um das Böse zu besiegen.“
„ So ist es!“ stimmte Fenryk zu und klopfte dem jungen Mann anerkennend auf die Schultern. „ Wenn ich nur nicht so ein schlechtes Gefühl dabei hätte.“ sagte der Zwerg und sah nachdenklich in die Ferne.
Fenryk war ein glaubhafter Kree-Sklavenhändler, mit ihm als Kapitän, fuhren die Rebellen mit dem geenterten Piratenschiff Richtung Lo-Pan, mehrfach kamen sie an Caanitischen Patrouillenbooten vorbei. Die Kommandanten musterten sie misstrauisch, doch dann fragte Fenryk sie fröhlich ob die Sklavenpreise auf Lo-Pan noch so hoch seien, wie vor einen Monat. Die Kommandanten nickten dann und winkten den Kree-Sklavenhändler weiter. Kree waren eben doch alle gleich.
Einige Meilen vor der Küste Lo-Pans ankerten sie.
„ Ich kann es gar nicht erwarten.“ meinte Hogan Flammenlanze. „ Ja „ sagte Fandor „ Ich auch nicht. Wenn der Tyrann doch endlich sterben würde. Creagan hat so viel Unheil angerichtet, diesmal müssen wir ihn vernichten. „
“ Welche Chance soll der Caaniterkönig denn gegen meine Waffe haben?“ fragte Hogan lächelnd.
„ Ach und was wissen wir über seine Waffen?“ fragte der Zwerg.
Da rief der Ausguck: „ Die Königliche Galeere!“
„ Endlich!“ schrie Hogan Flammenlanze und holte seine Waffe.
Die Königliche Galeere war gewaltig. Es war eine schwimmende Festung, zweitausend Rudersklaven trieben das gigantische Schiff voran, tausendfünfhundert Soldaten befanden sich ständig an Bord. Der Aufbau war ein großer Turm, der mit Schädeln von tausend getöteten Feinden verziert war.
„ Zweitausend Rudersklaven.“ flüsterte Tragan traurig. „ Wir bringen sie um.“
„ Wir tun es für die Freiheit von Millionen.“ antwortete Hogan.
Dann tu es endlich.“
Der junge Mann zielte mit seinem Strahlengewehr auf die Galeere und drückte ab.
Ein Energiestrahl schoss auf die Königliche Galeere zu.
Doch was war das? Ein rotes Energiefeld bildete sich um die Galeere, der Energiestrahl wurde mühelos abgewehrt.
Hogan ließ fassungslos seine Waffe sinken.
„ Creagan lässt seine Galeere offenbar von Zauberern schützen.“ sagte der Zwerg neben ihn ruhig. Die Galeere setzte zwölf Kampfboote aus. In jeden Boot befanden sich zwanzig Soldaten und je ein Zauberer.
Die Rebellen sahen es und alle schwiegen, die Galeere fuhr weiter, während die Kampfboote die Jagd begannen. König Creagan würde sie nicht entkommen lassen.
„ Wir sind verloren.“ meinte einer der Seeleute. „ So schnell gibt man nun auch nicht auf, als ordentlicher Rebell. „ ermahnte ihn Fandor Tragan ärgerlich. „ Natürlich gibt es auch noch einen Ersatzplan. Was meint ihr, weshalb so wenig Personen an Bord sind und der ganze Laderaum voller Fässer ist?“
Alle schauten den Zwerg erstaunt an. Fandor Tragan seufzte. „ Ihr alle müsst noch viel lernen. Macht die Boote bereit, während ich im Laderaum alles vorbereite.“ Fenryk Schädelspalter der große Kree trat vor. „ Ich bin noch immer der Kapitän.“
„ Also befiehl die Boote fertig zu machen.“ riet der Zwerg grinsend und kletterte in den Laderaum.
Die Rebellen machten die Boote fertig, dann kam Fandor aus dem Laderaum und befahl ihnen das Schiff zu verlassen. Fenryk murrte zwar ein wenig, aber Fandor war eben der Anführer für den militärischen Teil. Nun saßen sie in drei Booten zu je zehn Mann. Sie ruderten rasch von dem Schiff fort.
„ So haben wir nicht die geringste Chance den Kampfbooten zu entkommen.“ schimpfte Fenryk Schädelspalter.
„ Rudert trotzdem schneller, wir müssen so weit weg, wie möglich.“
„ Wozu denn?“
„ Schneller rudern! „
„ Dir macht es wohl Spaß zu kommandieren?“ klagte Fenryk, ruderte aber trotzdem schneller.
„ Warte es doch ab.“ erwiderte der Zwerg.
Die Kampfboote kamen näher. Auch sie wurden von je einem roten Energiefeld geschützt. Die Zauberer waren es, die diese Felder aufrechterhielten.
„ Mach dich bereit noch mal zu schießen.“ befahl Fandor Hogan.
„ Es nutzt doch nichts.“ erwiderte der junge Mann.
„ Mach dich bereit noch mal zu schießen, verdammt!“
„ Jawohl.“ antwortete Hogan verdutzt, so hatte er den Zwerg noch nie erlebt, jetzt konnte er sich vorstellen wie dieser zu den Namen, der „blutrünstige Tragan“ gekommen war.
Hogan zielte hoffnungslos auf eines der Kampfboote.
„ Nicht auf die Kampfboote, auf unser Schiff.“ Hogan starrte den Zwerg an. Hatte der Kleine den Verstand verloren?
„ Jawohl“
Hogan visierte das verlassene Kree-Schiff an. Jetzt waren die Kampfboote schon bei dem Schiff! Das Kree-Schiff war nur geringfügig größer als die Kampfboote.
„ Schieß!“ brüllte Fandor Tragan.
Hogan drückte ab und der Energiestrahl traf das Kree-Schiff. Und dann glaubte Hogan die Welt ginge unter.
Das kleine Kree-Schiff verwandelte sich in einen gigantischen Flammenball, der sich brüllend ausdehnte und alles verschlang, auch die zwölf Kampfboote. Die Boote der Caaniter wurde von einer Flammenfaust zerschmettert und zerbrachen brennende Teile, welche in einem Meer aus Feuer verschwanden, die Flammenfaust griff nun auch donnernd nach den fliehenden Booten der Rebellen, doch kurz vor ihnen stoppten die Flammen, dafür jedoch erschien eine gewaltige Welle welche alle drei Boote zum Kentern brachte.
Als die Überlebenden wieder in die Boote kletterten, sahen sie die brennenden Überreste der Kampfboote und Hogan hatte seine Waffe verloren. Sie lag nun unerreichbar auf dem Meeresgrund. Von den Besatzungen der Kampfboote hatte nicht ein Mann überlebt.
„ Was war in den Fässern?“ fragte Fenryk Schädelspalter mit zitternder Stimme. „ Feuerpulver, wie wir Zwerge es nennen. Mein Volk benutzt es um Stollen in die Felswände zu sprengen, es ist ein Tabu meines Volkes es als Waffe zu benutzen, ich meine jedoch, man muss sich über so starre Regeln manchmal hinweg setzen.“ erwiderte Fandor Tragan lächend.
„ Der blutrünstige Tragan. Du trägst diesen Namen zu recht.“
„ Creagan lebt noch. Wir werden noch viele Regeln brechen müssen um den Tyrannen zu vernichten.“ sagte der Zwerg.
„ Ich bin für viele Tote verantwortlich, jetzt sind es eben zweihundert dreiundvierzig mehr, man muss sich entscheiden, entweder man leistet Widerstand oder man beugt sich dem Tyrannen und tötet für ihn.“
„ Ja, das Böse muss bekämpft werden.“ erklärte Hogan Flammenlanze leise.
„ Aber meine Waffe ist für uns verloren.“
„ Wohl wahr, aber kann Creagan das wissen?“ frage Fandor Tragan grinsend.
Dann schwiegen sie alle und ruderten. Vielleicht würde es ihnen gelingen den Patrouillenbooten der Caaniter auszuweichen, vielleicht würden sie es schaffen bis nach Patena zu kommen, vielleicht würden sie weiter gegen König Creagan kämpfen und vielleicht würden sie sogar eines Tages siegen.
Die Zukunft würde es zeigen.
Vielleicht..
Ende
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:16
23
(Commarvahn)
v. Uwe Vitz
„ Tempo um drei Schläge erhöhen.“ befahl der Offizier, sein Befehl wurde weiter gereicht an den Trommler, als sich die Geschwindigkeit der Trommelschläge erhöhte, stöhnte die Rudersklaven auf, während mit Peitschen bewaffnete Sklavenaufseher zwischen den Ruderbänken umher gingen und die Sklaven überprüften.
23 war müde. Aber wusste, er musste mithalten, es ging um den höchsten Preis, den ein Rudersklave auf einer caanitischen Galeere gewinnen konnte, einen weiteren Tag zu überleben.
Aber er war auch alt, ausgebrannt und erschöpft. Das Erinnern begann schon wieder. 23 versuchte es zu unterdrücken, wer sich erinnert ruderte nicht schnell genug und wurde gepeitscht. Er hatte gesehen wie Sklaven zu Tode gepeitscht wurden. Doch es war noch schlimmer wenn der Sklavenmeister sagte: „ Aus!“
Dann war alles aus, die Sklaven welche nicht mehr zu gebrauchen waren, wurden nach oben gebracht, dort entschied der Sklavenoffizier auf welche Art der Sklave getötet wurde. Niemand durfte irgendwo ausgesetzt oder lebend über Bord geworfen werden. Sklaven sollten keine Hoffnung auf Freiheit haben. Zu oft hatten Rudersklaven nur vorgetäuscht am Ende zu sein, um so zu entkommen. Daher hatte König Creagan befohlen, dass jeder Sklave vorher getötet werden musste, eher er über Bord ging. Meistens benutzte man die erschöpften Sklaven für die Foltermeister als Training.
„ Erhöhe dein Tempo Sklave 23!“
Die Stimme seines Sklavenaufsehers. 23 nickte und bemühte sich das Tempo zu erhöhen und zu halten. Doch er spürte die kalten Augen, die ihn kritisch beobachteten.
Dakun, 23 versuchte verzweifelt diesen Namen wieder zu vergessen. Er hatte keinen Namen mehr außer Sklave 23.
Dakun
Ich bin 23!
Dakun
Nein 23!
„ Halte das Tempo 23!“
23 nickte und kämpfte verzweifelt gegen seine wachsende Müdigkeit und das Erinnern.
Vor einer Ewigkeit war sein Name Dakun gewesen. Damals in dem kleinen Dorf an der Küste, bis eines Tages die Soldaten des Königs gekommen waren und seinen Bruder holten. Jedes Dorf musste zehn Knaben stellen, die für den Rest ihres Lebens als Rudersklaven dienen mussten.
Aber sein Bruder war bald auf der Galeere gestorben, zu schnell gestorben. So kehrten die Soldaten zurück und nahmen ihn mit. Ein früher Tod war Betrug am König, er musste den Platz seines Bruders einnehmen. Dies war vor zehn Jahren geschehen, zehn unendlich lange Jahre..
„ Rudere schneller 23!“ schrie der Aufseher und schlug mit der Peitsche zu. 23 stöhnte auf und versuchte es.
Doch er sah plötzlich wieder die Gesichter seiner Eltern, seine Geschwister und das hübsche Nachbarsmädchen. Sie alle sagten nur einen Namen: Dakun.
„ Du fauler Hund!“ wild schlug der Aufseher mit der Peitsche auf ihn ein. 23 krümmte sich zusammen, der Aufseher hörte auf zu schlagen, sah sein Opfer an und sagte: „ Aus!“
Ende
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:14
Hexentanz
(Commervahn)
v. Michael Breuer
(Die Legende von Flammenlanze Teil3)
Der junge Kree-Abkömmling Hogan Flammenlanze stand im Thronsaal
des großen Tally-O-Dan und hatte gerade den Mund geöffnet, um den
Herrscher der Barbareninsel anzusprechen, als das Inferno über Patena hereinbrach.
Gleichzeitig spielten sich die bisherigen Ereignisse noch einmal vor Hogans geistigem Auge ab.
Vor wenigen Tagen war er aus einem Gefangenenlager auf der Insel
Lo-Pan ausgebrochen und hatte bei
seiner Flucht durch die Gollar-Ratth- Sümpfe in einem geheimen Tempel- Komplex eine seltsame Waffe entdeckt, die tödliche Blitze verschoß.
Mit dieser Waffe hatte Hogan sich seiner nichtmenschlichen Verfolger,
den Sumpfdämonen, entledigt, wobei der Tempel zerstört wurde.
Kurze Zeit später erschien ihm Sindra, eine der drei Hexen, die einige Jahre nach seiner Geburt aus unerfindlichen Gründen Anspruch auf ihn erhoben
und das Dorf mit einem Fluch belegt hatten, als Hogans Mutter den kleinen Junge nicht hergeben wollte.
Sie schworen, dereinst erneut zu kommen und ihr Recht zu fordern, wenn die Zeit dazu reif war. Nun schien es soweit zu sein. Sindra eröffnete Hogan, daß sie und ihre Schwestern ein Attentat auf den Herrscher Patenas planten,
um das kosmische Gleichgewicht wieder in Einklang zu bringen,
und aus diesem Grunde hatte Hogan sich auf den Weg gemacht , nämlich um Tally O Dan zu warnen.
Doch nun, nachdem er die grauenhafte Schädelstadt - eine Falle für unwillkommene Besucher der Barbareninsel - hinter sich gelassen hatte und endlich angekommen war,
sah es so aus, als sei er letztendlich doch zu spät gekommen.
Denn soeben materialisierten die drei Hexenschwestern mit einem Fauchen,
das aus den Rachen aller Dämonen der Hölle gleichzeitig zu kommen schien,
und zückten Widerhackenbesetzte Opferdolche.
Opferdolche, mit denen sie Tally-O Dan töten wollten!
Bisher hatte der Barbarenfürst regungslos am Fenster gestanden und auf sein Reich heruntergestarrt.
Als er jedoch das unirdische Fauchen hinter seinen Rücken vernahm, fuhr er blitzartig herum und erfaßte mit einem Blick die seltsame Szenerie. In flirrenden, alptraumhaften Farben hatte sich der Schlund der Hölle geöffnet und drei Hexen ausgespien,
die in Augenhöhe im Raum schwebten und höhnisch dabei kicherten.
Ihre Hände hielten Stich- waffen, die sie - ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen -
auch bedenkenlos benutzen würden.
In der Mitte des Raumes stand ein junger, muskelbepackter Krieger,
der aussah, als habe er den Großteil seines bisherigen Lebens in einem Strafgefangenenlager des Tyrannen Creagan verbracht.
Der Fremde hatte die Hand auf dem Schwertgriff liegen und starrte fassungslos auf das,
was zwischen ihm und dem Herrscher der Barbareninsel materialisiert war.
Tally-O Dan war nicht minder erschrocken; doch nicht umsonst nannte man ihn in manchen Kreisen auch
gern den „Sofortumschalter" . Der schlanke, durchtrainierte Barbarenfürst warf sich mit einem Hechtsprung nach vorne auf die Erscheinung zu und rollte darunter her,
um dann neben Hogan wieder zum Stehen zu kommen.
Knapp nickte er ihm zu, bevor sie beide ihre Blicke wieder den Hexen zuwandten.
Jetzt erst zuckte auch Dans Hand zum Schwertknauf . Aber selbst in diesem Augenblick schien er nicht aus der Ruhe zu kommen.
„Weißt du, was das zu bedeuten hat, werter Freund?" fragte er gut gelaunt.
Hogan stammelte etwas unverständliches, riß sich dann zusammen und erwiderte:
„Das ist eine lange Geschichte, Lord Dan! Ich fürchte, sie ist zu lang, um sie ausgerechnet jetzt zu erzählen!"
Dan nickte. Seine stahlblauen Augen funkelten vor Kampfeslust, als er die drei Kreaturen der Hölle betrachtete, die so unverhofft in seinem Thronsaal erschienen waren.
„Gebt Euch zu erkennen, Dienerinnen des Bösen!" rief er pathetisch.
Er haßte alles, was mit Zauberei zu tun hatte; er war ein bodenständiger Mann, der nur an das glaubte, was er leibhaftig vor sich sah.
Daß er sich dennoch der abtrünnigen Magier bediente, um der Schädelstadt
in der Teskidan-Bucht den Anschein von Leben zu geben, mochte daher wie ein Widerspruch erscheinen, doch um gewisse Zugeständnisse an die Kunst der Magie kam selbst Tally-O Dan nicht herum.
Nur auf diese Weise hatte er überhaupt so lange überleben können!
Nun wurden die schemenhaften Gestalten der drei Frauen fleischlich,
und die irritierenden Lichterscheinungen verschwanden.
Schweißtropfen traten auf Hogans Stirn, als er die Gestalt der Hexe Sindra erkannte,
zu welcher er sich schon bei ihrer letzten Begegnung im Gollar-Ratth hingezogen gefühlt hatte.
Die beiden anderen waren ihm jedoch ebenfalls nur all- zu gut bekannt.
„Das sind die Schwestern der Nacht, Lord Dan!" flüsterte der junge Barbar ehrfürchtig.
„Ihre Namen lauten Mahhra, Evenya und Sindra - und ihr Begehr ist, Euch zu töten!"
Dan lächelte sanft. Offensichtlich war er nicht sehr beeindruckt.
Mit einem fast schon gelangweilt zu nennenden Gesichtsausdruck musterte er die Frauen.
Eine von ihnen war eine Greisin von unbestimmbarem Alter.
Bei ihr handelte es sich offenbar auch um die Anführerin der Gruppe,
denn die beiden anderen blieben einige Schritte hinter ihr zurück.
Die zweite war eine Frau mittleren Alters, deren Mund einen harten, grausamen Zug zeigte.
Bei der letzten hingegen handelte es sich um ein rothaariges Mädchen in der Blüte ihres Lebens.
Das hatte jedoch nicht viel zu sagen, denn mit Sicherheit handelte es sich nicht um die richtigen Gestalten der drei Hexen.
„Ich fürchte, hier ist unsere Kampfposition nicht sehr gut, junger Freund!" sprach Dan nach kurzem Überlegen.
Noch immer hatten die drei Hexen kein Wort geäußert. Das sollte sich nun ändern.
„ Sie wird auch nicht besser werden. Barbarenfürst!" sagte die Greisin kichernd,
und in ihren schwarzer. Augen lag ein bösartiges Funkeln.
Dann begann sie zu gestikulieren. Hogan ahnte, was das bedeutete.
„Wir müssen hier raus!" flüsterte er gepreßt.
Tally-O Dan schien das- selbe gedacht zu haben,
denn im gleichen Moment griff er nach dem Arm des jungen Barbaren, um ihn mit sich zu ziehen.
Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte der Anblick ihrer Flucht vielleicht komisch gewirkt.
Doch nicht einmal die Hexen lachten, als die beiden Fersengeld gaben.
Schwarze Schatten wogten um die Greisin Mahhra, Schatten aus den unheiligen Klüften jenseits von Raum und Zeit.
Das Gesicht der Hexe war in tiefer Konzentration zu einer regungslosen Maske erstarrt;
nur auf der Stirn zeigten sich Schweißperlen und zeugten von ihrer übermenschlichen Anstrengung.
Sie war dabei einen Dämon zu beschwören
– jenen Dämon, den sie dazu auserkoren hatte Tally-O Dans Ableben herbeizuführen.
Ihre Schwestern, die bis jetzt regungslos neben ihr gestanden hatten,
sahen sie fragend an. Sie hüteten sich jedoch, sie anzusprechen, da dies verheerende Folgen haben konnte. „ Was tun wir, Evenya? „ , flüsterte die jüngste Hexe
und fuhr sich mit der Hand durch das feuerrote, hüftlange Haar, während die sich entfernenden Schritte von Hogan und Dan auf dem Korridor verhallten.
Die Ältere kicherte leise.
„Wir verfolgen die beiden natürlich, Sindra, was dachtest du denn?"
Langsam setzten sich die beiden Hexen in Bewegung,
Mahhra hinter sich zurücklassend,
deren dürre, faltige Gestalt immer stärker von den schwarzen Schatten umwogt wurde.
Die beiden Sonnen standen mittlerweile im Zenit, und es war heiß auf der Barbarenwelt.
Im Palast des Herrschers von Patena war jedoch nicht viel davon zu spüren.
„Wohin fliehen wir?" fragte Hogan gepreßt, während er neben Tally-O Dan durch die endlosen Korridore rannte.
„Wir schaffen uns eine günstigere Ausgangsposition!" erwiderte der Herrscher knapp.
Er wirkte unglaublich ruhig und gefaßt. Nur wenn man genauer hinsah, bemerkte man, daß
auch er sich nicht allzu wohl in seiner Haut fühlte.
Das war allerdings kein Wunder. Wann hatte man es auch schon einmal mit Hexen zu tun?
Wenn normalerweise jemand ein Attentat auf ihn plante, was recht häufig vorkam,
dann handelte es sich dabei um gewöhnliche Meuchelmörder,
nicht aber um Geschöpfe aus dem Reich der Nacht,
deren Akzeptanz Tally-O Dan nach wie vor schwer fiel. Unvermittelt kam der Anführer der Patena-Barbaren zum Stehenund öffnete eine faustgroße Klappe im Mauerwerk.
„Zoquar!" brüllte Dan in einer Lautstärke dort hinein, die Hogan zusammenzucken ließ. „Wir brauchen dich im Studierzimmer - sofort!"
Der Fürst ließ das Kläppchen wieder herunterfallen und grinste Hogan an
. „Diese Öffnung ist durch einen Kanal im Mauerwerk mit den Gemachem unterhalb des Palastes verbunden , und so kann ich Zoquar jeder- zeit rufen, wenn es mir beliebt", stellte Dan fest.
„Eine äußerst praktische Erfindung! Man nennt sie, glaube ich, Telefon!"
Sprach's und schloß eine schwere Holzbohlentür auf, die wohl zu dem erwähnten Studierzimmer führte.
Tatsächlich befanden sich dann in dem Raum auch hunderte und aber hunderte staubiger Bücher
- jedenfalls nahm Hogan an, daß es sich um solche handelte. Schließlich hatte er noch nie eines gesehen. Wie denn auch, als Barbar?
Nachdem beide eingetreten waren, schloß Dan die Tür wieder ab
und begrüßte Zoquar, der sie aus unerfindlichen Gründen schon erwartete,
obwohl es keinen anderen Eingang zu diesem Zimmer zu geben schien.
„Feinde sind eingedrungen!" erklärte der Barbarenfürst knapp.
„Welcher Art?" fragte der weißhaarige alte Mann,
dem Hogan bereits kurz zuvor begegnet war,
als er sich auf dem Weg zu Dans Gemächern befunden hatte.
„Alpha-Kategorie! Es handelt sich um Hexen..."
„Oh, heiliger Rumpelstilz!" entfuhr Zoquar ein unverständlicher Fluch.
Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen,
hatte auch er nicht mit solch einem Ereignis gerechnet.
Dann schien er sich wieder gefaßt zu haben.
„Gehen wir mal logisch vor", sagte er. „Es handelt sich um schwarzmagische Geschöpfe -
also wäre es nur klug, wenn wir sie auch mit schwarzer Magie bekämpften."
„Das ist wahr!" erwiderten Hogan und Dan wie aus einem Mund.
„Ich werde mich also in die einschlägigen Werke vertiefen, auf daß wir baldigst eine Lösung finden!"
Ruckartig erhob sich der Alte aus dem Sessel,
in dem er gesessen hatte, und schritt auf eines der Bücherregale zu.
Während er verschiedene Werke herauszog,
um darin zu blättern, gab er leise Kommentare zu den Titeln von sich: „NECRONOMICON... Blödsinn, WARLOCK... nein,
Jungs, das ist es auch nicht, der
HEXENHAMMER... längst überholt...
Der LEITFADEN ZUM ÜBERLEBEN AUF HORROR-CONS..."
Letzteres Buch betrachtete Zoquar mit einem ungläubigen Kopfschütteln
und warf es dann achtlos in eine dunkle Ecke des Raumes, wobei ein Lächeln um seine Lippen spielte.
„Unglaublich, womit sich manche Leute die Zeit vertreiben!" murmelte der Alte,
um sich dann wieder in die verbliebenen Büchertitel zu vertiefen.
Nach unendlich lang erscheinender Zeit schien Zoquar dann endlich
das richtige Buch gefunden zu haben,
denn ein strahlendes Grinsen überzog sein Gesicht.
„Das ist es!" rief er aus
. „Die berühmte SCHWARZMAGISCHE ABHANDLUNG ÜBER HEXEREI UND DUNKLE KÜNSTE von Wmha-Ta-Glic!"
Gemessenen Schrittes begab sich Zoquar zu einem Studierpult und begann zu lesen.
Als Dan und Hogan nach einigen Minuten immer noch ratlos dastanden, sah der Alte noch einmal auf.
„ Ihr könnt schon einmal versuchen, die drei Hexen mit herkömmlichen Mitteln aufzuhalten, bis ich einen Weg gefunden habe! „
Dan, nun wieder ganz der Herrscher nickte.
-Gut!" sprach er mit fester Stim- me. „Wir werden tun, was in unserer Macht steht!"
Doch Zoquar war längst wieder in seine Studien vertieft.
Sindra, die rothaarige Hexe, die Hogan bereits im Gollar-Ratth begegnet war, fröstelte, als sie gemeinsam mit ihrer Gefährtin durch die Korridore schlich.
Sie ahnte bereits jetzt, daß die ganze Sache kein gutes Ende nehmen würde,
doch sah sie sich außerstande, etwas gegen diese Entwicklung zu tun.
Durch den Blutbund von Ssarkh war sie an ihre bösartigen Schwestern gebunden
und konnte nur gelegentlich versuchen, die positiven Eigenschaften der Barbarenwelt zu fördern
Die Resultate wurden allerdings meist sofort wieder zunichte gemacht;
was Sindra sehr frustrierte.
„ Hier müssen sie irgendwo sein! „, , zischte Evenya- jene Hexe,
die die Gestalt einer Frau im Alter von rund 40 Jahren angenommen hatte –
und ihr Gesicht nahm einen gierigen Ausdruck an.
Sindra nickte abwesend.
Sie hörte ihrer Schwester kaum zu.
Viel zu sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, als das sie sich konzentrieren können.
Hätte sie doch nur gewusst, wie der Blutbund von Ssarkh aufzulösen war!
Zehn Meter vor den beiden Hexen öffnete sich eine Tür, und Hogan und Dan traten auf den Flur.
Mahhra, die Greisin und Oberhaupt der drei Schwestern, wurde mittlerweile gänzlich von den schwarzen Schatten eingehüllt, als sie plötzlich eine Stimme vernahm.
Selbst ihr, die schon mehr Scheußlichkeiten erlebt und praktiziert hatte,
als es in einem normalen Menschenleben möglich war, rann ein Schauer über den Rücken.
„WOMIT KANN ICH DIENEN, HERRIN?"
fragte jemand, und aus den Schatten begann sich eine Gestalt herauszuschälen.
Mahhra betrachtete das unheilige Geschöpf, das sie beschworen hatte,
und nur mit Mühe schaffte sie es, einen Schrei zu unterdrücken.
„Verdammt!" fluchte Tally-O Dan, als er die beiden Hexenschwestern erblickte,
die ihnen in einiger Entfernung gegenüberstanden,
und Hogan konnte ihm das lebhaft nachfühlen,
Ohne weiter nachzudenken, brachte der Barbar seine ungewöhnliche Waffe in Anschlag,
die er nach wie vor als Zauberwerk betrachtete, obgleich sie lediglich das Produkt einer hoch stehenden Technologie darstellte.
Er wußte, die Waffe hatte ihn im Stich gelassen -
vor wenigen Stunden in der der Schädelstadt, als er einer Horde blutgieriger Untoter gegenübergestanden hatte- doch vielleicht handelte es sich dabei ja nur um einen Bedienungsfehler.
Hogan studierte das Display.
Die gelb leuchtende Anzeige, die dort erschienen war, als seine Waffe versagte, war wieder dem roten Symbol gewichen.
Wenn jetzt die Waffe tatsächlich funktionierte, dann würde er die Hexen vielleicht töten können.
Er hatte zwar im Gollar-Ratth einmal vergeblich auf Sindra gefeuert,
doch war sie ihm dort nur als Projektion erschienen, während ihm die beiden hier leibhaftig gegenüberstanden.
Ein Versuch kann ja nicht schaden, dachte sich unser Barbar, zielte auf Evenya und betätigte den Auslöser.
Und tatsächlich - das Energieelement im Inneren der Waffe hatte sich regeneriert!
Das Resultat war im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend.
Die Hexe wurde von der unvermittelten Wucht des fingerbreiten Feuerstrahls von den Füßen gerissen und an eine Wand des Gebäudetraktes geschleudert,
wo sie reglos liegenblieb.
In ihrem Körper klaffte ein faustgroßes Loch.
„Bei den Göttern!" entfuhr es Tal- ly-O Dan, der Hogans Waffe ja noch nicht kannte. „Ist sie tot?"
„Nein", erwiderte Sindra leise. „Ihre Brust hebt sich noch!
Es wird allerdings eine Weile dauern, bis sie sich regeneriert hat..."
Hogan legte erneut an,
feuerte aber nicht, fühlte er doch wieder jenes seltsame Gefühl der Zuneigung für Sindra in sich aufsteigen, das es ihm einfach unmöglich machte, auf sie zu schießen.
„Mach schon!" murmelte Dan und stieß ihm in die Rippen.
Hogan schüttelte den Kopf.
„Sindra!" sprach er stattdessen.
Die rothaarige Hexe hob den Kopf und blickte dem Barbaren tief in die Augen.
„Du erweckst den Anschein, als wäre in dir noch ein Funken Menschlichkeit!" stellte dieser fest.
„Immerhin hast du mich vor diesem Attentat auf Dan gewarnt.
Darum werde ich dich jetzt nicht erschießen -
es sei denn, du machst Anstalten, uns anzugreifen!"
„Hogan...", begann die Hexe und machte einen Schritt nach vone.
Die Finger des Barbaren näher- ten sich dem Auslöser.
Traurig lächelnd schüttelte die Hexe den Kopf,
wandte sich um und wollte sich langsamen Schrittes entfernen,
als der Gang in pulsierendem Schwarz explodierte und den Blick auf eine Kreatur freigab,
die nur dem Alptraum eines Wahnsinnigen entsprungen sein konnte.
Gräßliche, mit eitrigen Schwären bedeckte Tentakel peitschten den Gang entlang,
als sich das monströse Geschöpf auf die kleine Gruppe zuwälzte,
wobei sie dumpfe Laute aus- stieß, die entfernt an menschliche Schreie erinnerten.
„Runter!" rief Hogan,
und Sindra, die reglos dagestanden hatte, warf sich gehorsam zu Boden.
Einen Sekundenbruchteil später raste ein breitgefächerter Energiestrahl über ihren Rücken hinweg und traf den amorphen Körper des Monstrums,
dem dies jedoch wenig auszumachen schien.
Im Gegenteil, es schien sogar zu wachsen, als würde es die Energie aus Hogans Waffe auf seltsame Weise absorbieren.
Hogan schien dies nicht zu bemerken, .er war in Panik geraten.
Mit weit aufgerissenen Augen betätigte er erneut den Auslöser
und schaltete auf Dauerfeuer.
Die Kreatur stieß ein Lachen aus, das die Ohren der Männer schmerzen ließ,
und wälzte sich weiter in den Gang, während sie unaufhaltsam zu wachsen schien.
„Feuer sofort einstellen!" befahl Dan, der die Sachlage bereits erkannt hatte.
Wie betäubt nahm Hogan den Finger vom Auslöser und blinzelte.
Immer näher wälzte sich der schwarzpulsierende Leib des Dämonen auf die Gruppe zu
und füllte fast den gesamten Gang aus.
Da kam Sindra, die sich mittlerweile vom Boden erhoben hatte,
die einzige rettende Idee: „Mahhra - ihr müßt Mahhra finden!"
Die greisenhafte Hexe stand immer noch in tiefer Konzentration
im Thronsaal Tally-O Dans und bemühte sich den Dämon in dieser Welt zu halten,
damit er seinen Auftrag ausführte
Doch ihre Macht. hatte bereits abgenommen,
die Beschwörung erforderte große Kraft. Außerdem musste etwas mit Evenya geschehen sein; ihr magisches Potential war anscheinend nicht mehr für Mahhra verfügbar.
Diese Tatsachen machten es der Hexe immer schwerer den Dämon nicht zu verlieren.
„ Du hast ausgespielt, Mahhra! „
sagte da eine harte Stimme hinter ihr, und ein Teil ihrer Persönlichkeit tauchte wieder an die Geistesoberfläche.
Entfernt nahm sie wahr, daß Sindra zusammen mit dem Barbaren und dem Fürsten Patenas in den Thronsaal getreten war.
Mahhra stieß eine Verwünschung aus und begann, den Dämon zurück in den Saal zu dirigieren.
Die drei Neuankömmlinge erschraken unwillkürlich,
als sie den Saal betraten, denn der Leib Mahhras war seltsam aufgedunsen,
als hätten Hogans Schüsse und das daraus resultierende Mutieren des Dämons
auch Auswirkungen auf den sterblichen Körper der Hexe gehabt.
Tally-O Dan stand mit geweiteten Augen da und betrachtete grauenerfüllt
die schreckliche Szenerie. Für einen Mann, der jede Art von Zauberei am liebsten zum Teufel gewünscht hätte, mußte er in den letzten Stunden ganz schön was durchstehen!
„Was machen wir jetzt?" fragte er schließlich an Hogan gerichtet.
Dieser gab die Frage an Sindra weiter.
Die Hexe lächelte traurig. „Du wirst auf Mahhra feuern, so daß sie außer Gefecht gesetzt wird. Das wird sie zwar nicht töten, aber der Dämon wird dadurch verschwinden, denn ohne Mahhras Zutun kann er sich nicht in unserer Daseinssphäre halten."
Mit ruhigen Bewegungen legte Hogan an.
-Zwischen die Augen!" forderte Sindra, in der die Hoffnung keimte,
sich auf diese Weise von dem verhängnisvollen Blutbund zu lösen.
Hinter ihnen wälzte sich mit einem abscheulichen Schmatzen der amorphe Dämonenleib in den Saal.
Hogan feuerte.
Der Energiestrahl aus der Waffe des Barbarenkriegers traf die Anführerin der Schwestern der Nacht tatsächlich genau zwischen die Augen.
Mit einem gräßlichen Schrei löste Mahhra sich aus ihrer Konzentration und wurde zu Boden geschleudert, während sich die schwarzen Schatten abrupt verflüchtigten.
Der Dämon stieß ein unirdisches Seufzen aus,
wobei er zusehends kleiner wurde, bis er nach einigen Minuten endgültig verschwand.
Hogan grinste erleichtert. Dann fiel sein Blick auf Sindra.
„Warum hast du uns geholfen?" fragte er.
Die Hexe lächelte.
„Ich gehörte ihnen nicht freiwillig an, aber das ist eine lange Geschichte,
die ich dir ein anderes Mal erzählen werde, Hogan. Ich habe nämlich beschlossen, bei dir zu bleiben!"
„Du meinst, du wirst nicht mit deinen Gefährtinnen fortgehen?"
fragte er ungläubig. Sindra nickte.
„Der Blutbund von Ssarkh - der Bund,
durch den ich vor langer Zeit ein Mitglied ihrer Gesellschaft wurde -
ist zwar längst nicht hinfällig, doch ich bin jetzt stark genug, um offen dagegen anzukämpfen...", sie machte eine bedeutungsvolle Pause,
bevor sie weitersprach, „...wenn ihr mir helft!"
Nun lächelte Hogan.
Nickend sagte er: „Natürlich tun wir das, Sindra, aber sei gewiß, daß
wir dich gut im Auge behalten werden!"
„Ich verstehe, daß es dir schwer fällt, mir zu trauen, doch die Zeit
wird zeigen, daß ich es ehrlich meine, Hogan!"
Zu ihren Füßen krabbelte Mahhra umher und stieß unverständliche Laute aus, als habe sie den Verstand verloren.
Es war vorbei. Hogan und Dan mochten es noch nicht so recht glauben,
doch es war tatsächlich vorbei.
Sie hatten den Bund der Hexen vorläufig zerschlagen
und sich eine der ihren zur Verbündeten gemacht.
Nun, nachdem die Verwüstungen
im Thronsaal beseitigt worden waren
und die Soldaten des Barbaren- fürsten Mahhra und Evenya eingekerkert hatten,
saßen unsere drei Gefährten in einem kleinen, aber
nichtsdestotrotz prunkvollen
Gemach im Westtrakt des Palastes und speisten zu Abend.
„Ich danke euch beiden für euer Eingreifen!"
sprach Tally-O Dan und lächelte Hogan und Sindra an,
die sich -jetzt, da der Alltag wieder ein- gekehrt war - vor der Gestalt dieses legendären Herrschers etwas unbe- haglich fühlten. „Das war selbstverständlich für mich, mein Lord!" erwiderte Hogan mit fester Stimme
und blickte dem Langen Dan in die Augen.
Der machte eine wegwerfende Geste.
„ Nenn mich Dan - diese Titel haben so etwas Übermenschliches
.Aber -sag mir Freund, möchtest du nicht an meinem Hof bleiben und als Berater Dienst tun?"
Hogans Augen wurden groß.
Mit einem solchen Angebot hatte er nicht gerechnet.
„Natürlich, mein Lord!" antwortete er unwillkürlich, u
m sich dann zu verbessern: „...Dan ! „
Somit war das Eis gebrochen -
und als völlig unvermittelt Zoquar hereinkam,
der endlich ein Mittel zur Bekämpfung der Hexenplage gefunden hatte,
brach sich ihre gelöste Stimmung in einem befreienden Lachen Bahn.
ENDE des dritten Teils
c 28.-30.04.1993 by Mike Breuer/
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:11
Schädelstadt
Commarvahn)
v. Michael Breuer
(Die Legende v. Hogan Flammenlanze (Teil2)
Nachdenklich stand der junge Barbarenkrieger Hogan Flammenlanze an der Reling und blickte hinaus auf das weite Meer. Es lag bereits mehrere Tage zurück, daß er aus Creagans Strafgefangenenlager auf Lo- Pan geflüchtet war, doch manchmal meinte er, immer noch das Gewicht der Ketten an seinem Körper zu spüren. Bald würde dies für immer vorbei sein - wenn er Patena erreichte, um sich als Krieger für Tally-O- Dan zu verdingen.
Hogans stahlgraueAugen verengten sich leicht, als er des Anführers der Patena-Barbaren gedachte, denn nur allzu gut konnte er sich an die Worte der Hexe Sindra erinnern, die angekündigt hatte, auf Patena das kosmische Gleichgewicht wiederherstellen zu wollen - eine Tat, die nur durch den Tod von Dan geschehen konnte.
Es verhielt sich tatsächlich so, daß Hogan mit jener seltsamen Waffe, die er im Gollar-Ratth gefunden hatte, einen Trumpf für die Mächte des Guten auf der COMMARVAHN darstellte, und da das Gleichgewicht stets ausgeglichen sein sollte, mußte ein anderer Champion des Guten dafür abtreten. Dies sollte augenscheinlich der „lange" Dan sein, was Hogan jedoch zu verhindern wissen würde.
Er seufzte abermals.
Seit zwei Tagen befand er sich an
Bord der JEN-MALOR, eines kleinen, malorischen Frachtschiffes, das unterwegs zu einer der Feary-Inseln war und den Barbaren bei dieser Gelegenheit auf Patena absetzen wollte.
Hogan war froh, direkt nach Verlassen des Sumpfgebietes auf eine malerische Küstensiedlung getroffen zu sein, deren Bewohner tatsächlich Seehandel betrieben -
eine Sache, die einigermaßen ungewöhnlich für dieses rauhe Reitervolk war.
Der junge Barbar atmete tief durch, als er aus dem Krähennest
einen heiseren Schrei in malerischem Dialekt vernahm, der ihn aus
seinen Gedanken riß und nur bedeuten konnte, daß man endlich die
Küste der Barbareninsel erreicht hatte.
Angestrengt blickte er geradeaus. und tatsächlich konnte er in einiger
Entfernung einen dunklen Landstreifen erkennen, bei dem es sich um
Patena handeln mußte.
Ein grimmiges Lächeln huschte über Hogans narbige Züge, als er der
drei Hexen gedachte, deren Pläne er gründlich durchkreuzen würde.
Es handelte sich tatsächlich um die Küste der Barbareninsel
, und so verließ Hogan Flammenlanze in geringer Entfernung zur Hauptstadt im Schein der Morgendämmerung die JEN-MALOR, die ihn von der Küste
Irrghs bis hierher gebracht hatte
Froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, atmete
der junge Barbar aus und wurde sich wieder einmal bewusst, wie stark das malorische Blut in seinen Adern war.
Auf dem Wasser hatte er sich seit jeher unwohl gefühlt, was nicht ver-
wunderte, waren die Maloren doch ein wildes, urwüchsige; Reitervolk.
Gutgelaunt machte sich Hogan auf den Weg und verschwendete keinen Gedanken an mögliche Gefahren.
Hier auf Patena würde ihm nichts geschehen.
Schließlich war er selbst ein Ausgestoßener, und nur hier würde er eine Heimat finden können.
Auf einer Anhöhe blieb der Barbar stehen und blickte hinab auf Patena-Stadt.
Die Ansiedlung lag an der großen Tsskidan-Bucht und war der Anlaufpunkt für alle ankommenden Schiffe.
Hogan selbst hatte jedoch darauf bestanden, die Stadt zu Fuß betreten zu wollen,
was nicht zuletzt auf seine immer stärker werdende Seekrankheit zurückzuführen war.
Hogan lächelte. In der Mitte der Stadt erhob sich ein großer Berg, auf welchen sich ein prachtvolles Gebäude befand,
das zweifellos der Sitz des „ Langen Dans „ war. Um diesen Hügel herum,
befanden sich zahllose Wohnhäuser, Vergnügungsviertel und Basare.
Ein atemberaubender Duft stieg von den Dächern zu Hogan auf,
und kurz verzog er das Gesicht bevor er sich daran machte weiterzugehen.
Als er endlich die ersten Häuser von Patena-Stadt erreichte,
war es Abend geworden, und es dürstete ihn.
Vor seinem geistigen Auge sah er bereits prall gefüllte Bierhumpen tanzen,
woraufhin er entschied, daß es nicht schaden könne,
wenn er vor seinem Besuch bei Tally-O Dan noch einen Abstecher in eine der unzähligen
Schänken Patenas machen würde.
So geschah es also.
Frohen Mutes betrat Hogan ein
Lokal mit dem klangvollen Namen
ZUM KNOCHENBRECHER, und abermals huschte ein Lächeln über
sein Gesicht, als er jene Szenerie erblickte, die sich jedem Fantasy-Leser bei der Schilderung des Treibens
in einer solchen Schänke schon einmal offenbart hat. In seinem jungen Leben hatte er noch nicht oft Gelegenheit gehabt,
eine Schänke zu betreten, er war ja schließlich in Gefangenschaft aufgewachsen.
Nun jedoch würde er alle Versäumnisse nachholen!
Nichtsdestotrotz fühlte sich Hogan beunruhigt, wenngleich er auch nicht zu sagen vermochte, weshalb.
Müde vom langen Wandern ließ er sich auf einem der Hocker an der Theke nieder und musterte den fetten Wirt,
der gerade einige Krüge füllte.
„Heda!" rief er laut, um den Lärm der Musiker im hinteren Teil des Raumes zu übertönen.
Der Wirt reagierte nicht. Überhaupt schien niemand von dem Neuankömmling Notiz zu nehmen.
Hogan rief abermals, doch immer noch machte der Mann hinter der
Theke keine Anstalten zu reagieren.
Der Barbar fühlte einen leichten Groll in sich aufsteigen.
„Holla, schöner Kree-Krieger!"
wurde da eine sanfte Stimme an seiner Seite hörbar.
„Darf ich mich zu Euch setzen?"
Mißmutig blickte Hogan neben sich und sah eine grell geschminkte Dirne, die sich -
ohne seine Antwort abzuwarten - bereits niedergelassen hatte.
„Ihr sitzt doch schon, Mädchen!" stellte er brummelnd fest,
konnte sich jedoch ein Lächeln nicht verkneifen.
„Mein Name ist Linah, Fremder, nicht Mädchen."
Hogans Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen, als er des gespielten Hochmuts in ihrer Stimme ge- wahr wurde.
Unaufgefordert trat der Wirt hinzu und stellte Linah einen Krug Bier auf die Theke.
Der Barbar runzelte die Stirn.
„Ich rufe ihn schon fünf Minuten - aber ich bekomme kein Bier!"
stellte er murrend fest.
„Oh, das kann passieren!" erwiderte Linah, als wäre dies vollkommen selbstverständlich.
„Tassoq ist manchmal etwas abwesend."
Ihre Augen zeigten ein schelmisches Lächeln, als sie weitersprach
„Aber seid Ihr nur hergekommen, um zu trinken, Fremder?
Wollt Ihr nicht von den verbotenen Genüssen kosten, die mein Körper Euch zu bieten hat?"
Prüfend blickte Hogan an Linah herunter und stellte fest, daß ihr
Körper allerdings einige verbotene Genüsse zu bieten hatte.
Also verschob er das Bier auf später.
Sanft griff die Dirne nach seiner Hand, um ihn mit sich zu ziehen.
Sie wollte offensichtlich in einen hinteren Teil der Schänke,
doch so etwas hatte Hogan bereits erwartet.
Obwohl er sich in Gedanken bereits mit
dem Kommenden beschäftigte,
hatte er immer noch dieses dumpfe Gefühl der Unruhe,
das er sich einfach nicht erklären konnte.
Während sie gerade durch eine kleine Tür den Schankraum verlassen wollten,
blickte der Barbar noch einmal über die Schulter zurück.
Stirnrunzelnd beobachtete er, wie Tassoq, der Wirt, ein weiteres Glas Bier zapfte
und dieses genau an den- selben Platz stellte wie einige Augenblicke zuvor.
Das erste Glas wurde hierdurch von der Theke gedrängt
und landete klirrend auf dem Fußboden,
wo es zerbarst.
Der Wirt jedoch würdigte es keines Blickes, was Hogan reichlich seltsam vorkam.
Unwillkürlich griff er nach dem Schultergurt seiner seltsamen, neuen Waffe
und zog diese näher an sich heran
- eine Angewohnheit, die er sich schon während der Seereise zu eigen gemacht hatte.
Dann hatte er mit Linah den Schankraum verlassen und befand
sich nun in einem langen, schwach beleuchteten Gang mit zahlreichen
Türen, hinter denen Lärm und Gelächter zu hören war.
„Mädchen!" sagte Hogan - und mittlerweile war ihm die Lust auf ein
Schäferstündchen gründlich vergangen.
„Ich weiß nicht, was hier nicht stimmt, aber..."
Der Rest des Satzes verlor sich in unverständlichem Gebrummel.
Kurz entschlossen trat Hogan an eine der Türen heran und stieß sie auf.
Der Barbar traute seinen Augen nicht.
Er erblickte eine Horde bärtiger. trinkender Männer, die sich die Zeit damit vertrieben, mit einem kugelförmigen Gegenstand 12 Kegel zu treffen,
die am Ende einer hölzernen Bahn standen.
Hogan kannte dieses Spiel.
Er hatte es unter vielen Namen kennen- gelernt,
doch diese Variante war ihm gänzlich neu, handelte es sich bei der verwendeten Kugel doch um nichts anderes als einen ausgebleichten menschlichen Schädel!
Hogan fluchte - und mit einen--- mal war ihm auch klar,
was ihn vor- hin im Schankraum so gestört hatte.
Die Bewegungen der Menschenwiederholten sich. Sie taten immer dasselbe - ohne die geringste Abweichung - als seien sie Puppen. Es schien, als besäßen sie keinen eigenen Willen.
Vielleicht handelte es sich noch nicht einmal um menschliche Wesen,
um Dämonen oder Gespenster...
Hogan hütete sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken, denn er ge- fiel ihm ganz und gar nicht.
„Mädchen.'' zischte er. „Was für ein verfluchter Ort ist dies?"
Linah lächelte maliziös.
„Dies ist die Schädelstadt!" erwiderte sie.
„Eine Falle für all jene, die glauben, sie könnten heimlich nach Patena kommen, um unlautere Dinge zu tun." Die Schädelstadt!
Hogan erschauerte.
Wie hatte er nur annehmen können, daß er heimlich hierher kommen könne,
daß die Barbareninsel keine Sicherheitsvorkehrungen gegen Eindringlinge hätte?
-Was geschieht nun?" fragte er stockend
und ahnte bereits, daß die 'Antwort nichts Gutes verheißen würde.
„ Du wirst zu einem Bewohner der Schädelstadt werden- genau wie ich
und einige andere- und auf Ewigkeit deinen Dienst für Patena tun! „
„ Lebst du oder bist du ein Geist? „
fragte er, hegte er doch die ungute Befürchtung, von Untoten umgeben zu sein.
Nein. Ich lebe - in einem gewissen Sinne - auch die Spieler dort drüben!" erwiderte Linah.
„Doch die Menschen im Schankraum sind Projektionen,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O Dans Hof Dienst tun."
Hogan war ehrlich verblüfft.
„Du meinst, im Endeffekt ist die Schädelstadt nichts anderes als eine perfekte Gaukelei irgendwelcher Magier? „
Linah nickte.
“Ja ich muß zugeben, als solches erfüllt sie ihren Zweck!" murmelte der Barbarenkrieger.
„Wie dem auch sei, ich muß Tally-O Dan sprechen!"
Die Augen des Mädchens begannen zu funkeln.
„Ich fürchte, das ist unmöglich, starker Mann. Wir können dich nicht gehen lassen!"
Hogan brachte das „Gewehr" in Anschlag, welches ihm schon im Gol- lar-Ratth das Leben gerettet hatte.
„Hör mich an, Mädchen!" zischte er wütend.
„Das Leben von Tally-O Dan ist in großer Gefahr, und ich werde versuchen, ihn zu warnen!
Solltest du mich aufhalten wollen, so sei gewiß, daß ich keinen Augenblick zögern werde, dich zu töten!"
Linah kicherte, und plötzlich begannen ihre Umrisse zu zerfließen.
Hogan glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als aus dem wunderschönen Mädchen, mit dem er vor wenigen Minuten noch hatte schlafen wollen,
plötzlich etwas wurde, das frappante Ähnlichkeit mit einem halbverwesten Leichnam hatte.
Die vorher so üppigen Brüste Linahs wurden faltig und nahmen eine graubraune Färbung an.
Das Gesicht dessen sanfte Züge Hogan so sehr gereizt hatten,
verzerrte sich zu einer entstellten Fratze, aus der zwei leere Augenhöhlen den Barbaren voll unverhohlener Gier anstarrten.
Aus dem abscheulichen Maul lief gelber Schleim, der zähflüssig zu Boden tropfte.
„Bei den Göttern!" fluchte Hogan entsetzt und beobachtete keuchend,
wie sich eine Made aus Linahs rechtem Ohr ringelte.
„Willst du mich nicht küssen, Barbar?" hauchte die Untote, breitete ihre Arme aus und spitzte die fauligen Lippen.
Dann machte sie einen weiteren Schritt auf ihn zu.
Wie gelähmt blickte Hogan auf seine Waffe hinunter und versuchte
sich an die Tastenkombination zu erinnern, die ihm im Gollar-Ratth das Leben gerettet hatte.
Wahllos begann er auf den Bedienungsfeldanzeigen und Tasten her- umzutippen, bis er plötzlich die richtige gefunden zu haben schien.
Wie schon vor Tagen in den Sümpfen löste sich auch jetzt ein fingerbreiter Feuerstrahl aus der Waffe und traf Linah an jener Stelle, an der sich bei einem Menschen das Herz befand.
Mit einem Schrei, der direkt aus der Hölle zu kommen schien, ging die Untote in Flammen auf.
Der Blitz hatte ein faustgroßes Loch in ihren Brustkorb gerissen, so
daß der Barbar regelrecht durch Linah hindurchsehen konnte.
Ihre Haare fingen ebensoschnell Feuer
wie die Kleidung des Mädchens.
Eitrige Blasen bildeten sich auf der ver- westen Haut, und ein abscheulicher Gestank breitete sich in dem Gang aus.
Es war schnell vorbei.
„Teufelswerk!" fluchte Hogan, als er einen Augenblick später über Linahs rauchenden Überresten stand.
Erst in diesem Moment wurde er wieder der Gruppe von Spielern gewahr,
die das Drama aufmerksam verfolgt hatte und langsam näher rückte.
Hogan fröstelte.
Die Augen der sechs Spieler brannten voll unheiligem Zorn. Auch ihre Haut hatte jene Ekel erregende graubraune Färbung angenommen,um sich an einigen Stellen in eitrigen Schwären vom Körper zu lösen.
Es gab keinen Zweifel, daß diese Geschöpfe ihn bei lebendigem Leibe zerfleischen würden, wenn er nichts unternahm.
Hogan blickte hinunter auf seine Waffe und tat das einzig Richtige.
Der feuerrote Strahl traf die Untoten etwa in Hüfthöhe, trennte den Rumpf von ihren Körpern - das
schien jedoch nicht zu reichen, denn immer noch streckten sie die Arme nach Hogan aus, dem sich angesichts dessen die Nackenhaare aufstellten.
Noch einmal betätigte er die Taste und löste Dauerfeuer aus, bis von den lebenden Leichen nicht mehr übrig war als ein Haufen stinkender Schlacke.
Doch immer noch gestattete der Barbar sich kein Aufatmen.
Wer konnte schließlich schon sagen, was sich sonst noch in diesen Gängen aufhielt!
Nach kurzem Überlegen entschied sich Hogan dafür, daß es besser sei, erst einmal ins Freie zu gelangen. Zögernd drehte er sich her- um und schlich lauernd zurück in den Schankraum, in dem sich glücklicherweise keine Untoten verbargen,
sondern nur - wie Linah es ausgedrückt hatte -
magische Projektionen.
Der Barbar atmete auf - allerdings nur so lange, bis er die Schänke verließ
und sich vor einer rund fünfzigköpfigen Horde geifernder lebendiger Leichname
in verschiedenen Stadien der Verwesung wieder fand.
Ohne weiter zu zögern, legte Hogan einen Finger auf jenes matt leuchtende Bedienungsfeld seiner Waffe,
welches den Blitz auslöste.
und -
Nichts geschah!
Ungläubig blickte der Barbar auf jene Waffe, die ihm in den vergangenen Tagen so gute Dienste geleistet hatte.
Verzweifelt versuchte er, irgendeinen Schaden an ihr zu entdecken, fand ; jedoch keinen- sah man von der Tatsache ab, dass eine rot leuchtende Anzeige erloschen war und nun einer gelb leuchtenden Platz gemacht hatte.
Hogan, der die Bedienungsanweisungen auf dem Display nicht verstand,
konnte nicht ahnen, dass die Waffe- eine Strahlenwaffe aus einer fernen Zeit, von einem sich selbst erneuernden Energieelement gespeist wurde, das jedoch in gewissen Abständen Regenerationspausen brauchte.
Nach dem langen Zeitraum, den das komplexe Gerät in der Waffenkammer im Gollar-Ratth geruht hatte, hatten sich die Energiespeicher schnell entleert,
so daß es noch eine ganze Weile dauern würde, bis der Barbar wieder wie gewohnt feuern konnte.
Die Untoten gerieten in Bewegung.
Grunzend und stöhnend stolperten sie vorwärts- auf die Schänke.
Auf Hogan zu,
dem jetzt nur noch die Möglichkeit blieb, sein Heil in der Flucht zu suchen,
denn er wußte nur zu gut, dass er alleine mit seinem Schwertarm nicht gegen eine Horde von Monstern bestehen konnte.
Schwer atmend rannte er zurück in den Schankraum und entschloß sich nach einem kurzen Überlegen dazu,
erneut in den Gang zu flüchten, in den ihm vormals schon Linah gelockt und in dem er die Untoten zerstrahlt hatte . Irgendwo musste dieser Weg ja münden. Und wenn es in der Hölle war.
Müde bahnte sich Hogan seinen Weg, durch das schwach erleuchtete Labyrinth,
bis er schließlich in eine größere Halle gelangte.
Er wußte nicht, wie lange er schon gegangen war, aber es mussten wohl einige Stunden gewesen sein.
Er schluckte, als er eine Gruppe von prachtvoll gekleideten Männern erblickte,
die im Kreis auf dem Boden saßen.
Ihre Augen waren in tiefer Konzentration geschlossen, und wäre nicht der verkniffene Zug um ihre Münder gewesen, hätte man meinen mögen, sie schliefen nur.
Doch diese Männer schliefen nicht - nein, was sie taten, drohte Hogans Fassungsvermögen zu übersteigen. Ungläubig rief er sich Linahs Worte ins Gedächtnis.
Wie hatte sie zu ihm gesagt?
„Die Menschen im Schankraum - nun, sie sind nichts anderes als eine geschickte schwarzmagische Projektion,
durchgeführt von den abtrünnigen Zauberern, die an Tally-O- Dans Hof Dienst tun."
Demnach waren die Männer, die hier in tiefer Konzentration auf dem Boden hockten,
niemand anders als jene Magier, die die Schädelstadt erschaffen hatten
und ihr den Anschein reger Lebendigkeit gaben!
Hogan lächelte trotz der eben erst ausgestandenen Todesängste.
Tally-O-Dan. mußte ein sehr weiser und gleichzeitig verdammt gerissener Herrscher sein.
wenn er sich auf solche Tricks verstand, um sein Reich zu schützen.
Vielleicht würde er ja Hogans Hilfe gar nicht brauchen.
„ Was machst du hier?"
fragte eine harte, befehlsgewohnte Stimme und riß den jungen Barbaren aus seinen Gedanken.
Blitzartig fuhr er herum - das Schwert bereits in der Hand.
Hogan starrte in das Gesicht eines etwa zwei Meter große
weißhaarigen Greises, in dessen Augen der Zorn funkelte.
Plötzlich fühlte er sich verlegen, hier so heimlich eingedrungen zu sein.
„Ich...", begann er, „mein Name ist Hogan, ich bin von Lo-Pan geflüchtet
und habe eine wichtige Botschaft für Euren Herrscher Tally-ö Dan! "
Nun war es an der Reihe des Alten, sich vorzustellen.
„Ich bin Zoquar, der Wächter, mein junger Freund!
Ich wache über die Gemächer und halte unbefugte Eindringlinge davon ab, die Zauberer in ihrer heiligen Ruhe zu stören,
auf daß die Schädelstadt weiterbesteht!
Aber sag mir, welcher Art ist deine Botschaft?"
„Nun...", Hogan zögerte. „Ich habe von Attentatsplänen erfahren, die
gegen Euren Herrscher gehegt werden - und die Mörder sollen bereits
auf der Insel sein!"
Der alte Mann lächelte gütig.
„Ich höre kein Fehl in deiner Stimme, Hogan.
Wenn dem tatsächlich so ist, dann sollst du reich belohnt werden. Folge mir - ich führe dich nach oben..."
So sprach der Alte und griff nach Hogans Hand. Gemeinsam betraten sie wieder das Labyrinth aus Gängen, aus dem der Barbar vor wenigen Minuten gekommen war.
Während sie schweigend durch das Dunkel marschierten, kam eine Frage in Hogan auf.
„Was wäre eigentlich geschehen, wenn ich versucht hätte, Euch anzugreifen, Zoquar?"
Der alte Mann kicherte leise in sich hinein, bevor er antwortete.
„Sei versichert, Junge, der Tod wäre schneller als ein Lidschlag über dich gekommen!"
Von da an stellte Hogan keine Fragen mehr.
Eine Stunde später betraten Hogan Flammenlanze und Zoquar einen kleinen Raum, der sich nach den
Worten des alten Mannes bereits im Inneren des Herrscherpalastes befand.
Aus einem kleinen Fenster konnte der Barbar die Stadt Patena -
die wahre Stadt Patena - mit all ihren prachtvollen Bauten erkennen, und zum ersten Mal seit vielen Tagen fühlte er so etwas wie innere Ruhe aufkommen.
„Komm, Junge!" sprach der Alte „Ich bringe dich in den Thronsaal."
So geschah es dann.
Zum ersten Mal in seinem Leben betrat der Krieger die kühlen Hallen
der Residenz Tally-O-Dans und fühlte eine tiefe Ehrfurcht in sich aufsteigen.
Als sie kurz darauf durch ein riesiges Portal in den Thronsaal eintraten,
nickte der alte Mann Hogarn noch einmal lächelnd zu,
um sich zu verabschieden.
Am gegenüberliegenden Ende des Saales konnte der Barbar eine hochgewachsene,
kräftige Gestalt erkennen, die nachdenklich aus dem Fenster schaute.
Kein Zweifel, es war der Lange Dan, der dort auf sein Reich hinab sah!
Hogan Flammenlanze öffnete den Mund, um den Herrscher Patenas zögernd anzusprechen,
doch dazu kam es nicht mehr.
Denn in jenem Moment brach die
Hölle los.
ENDE der zweiten Teils
© 26. und 27.04.1993
by Mike Breuer/
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:10
Flammenprinz
v. Michael Breuer
(Commervahn)
Die Legende von Flammenlanze 1
Dunkelheit lag über dem ausgedehnten tropischen Sumpfgebiet, das von
den Bewohnern des Kontinents den
Namen Gollar-Ratth erhalten hatte;
und zum ersten Mal seit seiner
Flucht von Lo-Pan glaubte sich der
junge Barbar Hogan endlich in Sicherheit.
Aus diesem Grund hatte er beschlossen, sich ein wenig Ruhe zu
gönnen. So saß er nun hier, mit dem breiten Rücken gegen einen Baum
gelehnt, während er erschöpft zurückdachte.
Eine Woche war es jetzt her, daß
er den Ausbruch gewagt hatte, nach-
dem er fast zwei Jahrzehnte - also
seine gesamte Kindheit und Jugend
- an diesem furchtbaren Ort hatte
verbringen müssen. Er erinnerte sich
nicht gern daran.
Lo-Pan war früher einmal ein Ort
blühenden Lebens gewesen, bis vor
vielen Jahren der caanitische Tyrann
Creagan die Macht ergriffen und die
kleine Insel seinem Reich einverleibt
hatte. Alte Leute, Frauen und Kinder,
die noch nicht alt genug waren,
um körperlich zu arbeiten, starben einen grausigen Tod unter den
Schwertern der Soldaten, und die
verbliebenen Männer und Jugendlichen bauten fortan jenes Rauschgift
für den König an, mit dem dieser so
schwunghaften Handel trieb.
An diesem Ort war Hogan aufgewachsen.
Er war der Sohn eines
Kree-Kriegers und einer Malorin,
was man ihm durchaus ansah. Er
trug die gleichen Gesichtszüge wie sein Vater und hatte auch dessen
stahlgraue Augen geerbt. Von seiner
malerischen Mutter hatte er hingegen das tiefschwarze
Haar mitbe- kommen und auch die Geschicklichkeit im Sattel.
Das verwunderte nicht, denn die Maloren waren ein
tartarenähnliches Reitervolk, das die
weiten Steppen des Kontinents Irrgh bevölkerte
und des öfteren kleinere Auseinandersetzungen mit den
Kree hatte, welche an Wikinger erinnerten und sich auf See
heimisch fühlten .Hogan hatte nach seiner Geburt
einige Jahre zusammen mit seiner
Mutter innerhalb ihres Stammes
gelebt, als eines Tages aus unerfindlichen Gründen
drei Hexen Anspruch auf ihn erhoben und das Dorf
mit einem Fluch belegten, als Hogans
Mutter den kleinen Jungen nicht
hergeben wollte. Sie schworen, dereinst erneut zu
kommen und ihr Recht zu fordern, wenn die Zeit reif
war, doch wurden sie nie wieder gesehen. Ihr Fluch erfüllte sich dennoch.
Ein plündernder Kree-Stamm war wie der Sturmwind über das
Dorf gekommen und hatte es den Erdboden gleichgemacht.
Seine Mutter war einen grausigen Tod in den Flammen ihres Hauses gestorben
während man den weinenden Knaben
an die Caaniter verkaufte, die
ihn nach Lo-Pan verschifften, wo er bis vor einer Woche Zwangsarbeit für
den Tyrannen Creagan hatte leisten
müssen.
Dann, an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, hatte er sich endlich entschlossen,
seine lange gehegten Fluchtpläne in die Tat umzusetzen.
Gemeinsam mit einigen anderen Strafarbeitem hatte er die Wächter
auf eine falsche Fährte gelenkt, indem ein Gefangenenaufruhr inszeniert
wurde. Währenddessen hatten
die Ausbrecher genug Zeit gehabt, sich ein Boot zu kapern und in See
zu stechen. Am zweiten Tag ihrer Flucht waren sie dann in der Nähe der Küste
von Irrgh in einen Sturm geraten,
wobei das Boot an den Klippen zerschellte. Als Hogan, der hierbei das
Bewusstsein verloren hatte, wieder
erwachte, befand er sich an einem
Sandstrand unmittelbar vor den undurchdringlichen Wäldern des Gol- lar-Ratth.
In diesem Augenblick hatte er gewußt, daß er es geschafft hatte -
daß er gerettet war!
In die Wälder würde ihm niemand folgen. Kein Caaniter würde es wagen, das Risiko einzugehen, mit den
Daaih-Ta Bekanntschaft zu machen
- ganz zu schweigen von der Tatsache, daß sie wegen einer Handvoll
Flüchtlinge nicht die Strapazen ei- ner mehrtägigen Seereise in Kauf nehmen würden.
Nun war er also schon seit einer Woche auf der Flucht, doch ungeachtet dessen,
daß ihn die Caaniter endlich in Ruhe ließen, war Hogan kein
Frieden vergönnt.
Sofort, nachdem er den Dschungel des Gollar-Ratth betreten hatte,
vernahm er leises Wispern aus den Büschen - ein Wispern, das nur be-
deuten konnte, daß sich die Daaih- Ta auf seine Spur gesetzt hatten.
Schaudernd dachte Hogan daran, was ihm zustoßen würde, wenn er
diesen Kreaturen in die Hände fiel, und beschleunigte seine Schritte.
Über die Sumpfbewohner war Außenstehenden nur sehr wenig bekannt,
da kaum jemand das Gollar- Ratth lebend durchquert hatte. Es
handelte sich jedenfalls um degenerierte
Kreaturen, die von einem unstillbaren Hunger
nach Menschen- fleisch getrieben wurden und jeden
zerfleischten, der ihnen zu nahe kam.
Hogan erinnerte sich daran,
daß sein Vater ihm einmal eine Geschichte erzählt hatte. Damals hatte
noch Gunter der Grausame über das
Volk der Kree geherrscht. Eines Tages hatte dieser sich entschlossen,
eine Armee in das Gollar-Ratth zu entsenden,
von der nur wenige Männer zurückkehren sollten.
Hoffnungslos wahnsinnig und dem Tode nahe, berichteten sie von hageren,
braungrünen Dämonen des Sumpfes,
doch Gunter schob die Verantwortung für den Tod der Männer in seiner
Dummheit auf das Volk der Maloren, die am Rand des Gollar-Ratth
einen Tempel besaßen. So erklärte er
dem Reitervolk den Krieg - einen
Krieg, der andauern sollte, bis etwa 100 Jahre später der Wilde Isir an
die Macht kam.
Hogan stieß einen wilden Fluch aus, als er plötzlich nach Stunden der
Ruhe erneut jenes grauenerregende Wispern vernahm, und sprang blitzartig auf.
Suchend blickte er umher, um in einiger Entfernung rotleuchtende
Augen aufblitzen zu sehen, die nur den Daaih-Ta gehören konnten.
Hogan erschauerte, als er erkannte, daß die Monstren sich bereits in
seiner Sichtweite befanden, und tat das einzig Richtige - er rannte los!
Doch allzu schnell machte sich die Erschöpfung in Form von Seitenstechen und Atemnot
bemerkbar. Immer wieder verschwamm der Dschungel vor Hogans Augen, und
gern hätte er sich einfach fallen lassen, um den Dingen ihren Lauf zu
lassen, aber das barbarische Kreeblut seines Vaters protestierte dagegen.
So rannte er also weiter.
Augenblicke später blieb er jedoch wie angewurzelt stehen
. Grelles Tageslicht blendete seine Augen, als er
so unvermittelt auf einer gigantischen Lichtung innehielt,
denn im Dschungel herrschte ein trübes
Halbdunkel.
Als sich seine Augen einen Sekundenbruchteil später an das Licht der zwei Sonnen gewöhnten,
sog er den Atem tief ein, denn das,was er nun sah, entsprach ganz
und gar nicht dem, was er im Gol- lar-Ratth vorzufinden gedacht hatte.
Vor ihm ragte ein riesiger Tempel aus schwarzem Basaltgestein in den
Himmel. Hogan staunte. Er fragte sich, wie viele Generationen von
Sklaven wohl über dem Bau dieses Gebäudes ihr Leben gelassen hatten,
und ob die Erbauer vielleicht die Daaih-Ta sein mochten, schob diesen
Gedanken aber sofort wieder weit von sich.
Er hatte auch gar keine
Zeit, über solche Dinge nachzugrübeln.
Immer noch waren ihm die Sumpfdämonen auf den Fersen - und
sie würden nicht eher von ihm ab- lassen, bis er völlig zerfleischt zu ihren Füßen lag.
Immer lauter wurden die blutgierigen Rufe in Hogans Rücken, und
blitzartig setzte er sich wieder in Bewegung, um zielstrebig in Richtung Tempel zu laufen.
Wenn es im Sumpf überhaupt irgendeinen Ort
gab, an dem er sich verstecken konnte, dann war es dieser!
Mit weit ausgreifenden Schritten
hastete der junge Barbar die steilen Stufen empor, die zahlreiche bräunliche Flecken aufwiesen,
an getrocknetes Blut erinnernd.
Unangenehme Gedanken an Menschenopfer drängten sich in sein Bewußtsein.
Immer näher kam er dem dunklen, unheilverkündenden Schlund, der das Eingangsportal des Tempels darstellte.
Furchtbare Dämonenfratzen waren in den schwarzen Stein über dem Tor
gemeißelt worden, und wieder fragte sich Hogan, welch grauenerregenden Kreaturen hier gehuldigt worden sein mochte.
Unter den Strafgefangenen von Lo-Pan gab es Angehörige vieler
Glaubensgemeinschalten, und Hogan hatte dort mancherlei Dinge kennengelernt,
die andere Leute abgestoßen hätten. Dies hier jedoch ging
selbst über sein Fassungsvermögen hinaus!
Ein Daaih-Ta-Speer sirrte an sei- nem rechten Ohr vorbei,
und mit einem Hechtsprung rettete sich der junge Barbar in die kühle Dunkelheit des Tempels.
Sekundenlang blieb Hogan am Boden liegen und orientierte sich.
Die Halle, in der er sich nun befand, maß
etwa 100 x 100 Meter und hatte eine Deckenhöhe von ca. 5 Metern.
Links und rechts von Hogan ragten hohe Basaltsäulen auf, welche das Gewölbe stützten,
und sowohl die Decke als auch der Tempelboden waren mit
reichen Ornamenten und Mosaike-
verziert, die abstoßende Szenen darstellten, an die sich der Barbar später in seinen Alpträumen noch lange
erinnern sollte. Der Boden war dick mit Staub bedeckt, ein untrügliches
Zeichen dafür, daß dieser Ort schon seit langem verlassen war.
Das erfüllte ihn mit einer gewissen Zufriedenheit.
Vielleicht hatte er ja Glück, und die Daaih-Ta sahen diesen Tempel als
einen tabuisierten Ort an.
Andererseits jedoch würden sie sich dann mit Sicherheit vor den Tempel setzen und
warten, bis der Hunger ihn wieder hinaustrieb.
So oder so - es war eine ausweglose Lage, in der er steckte.
Hogan fluchte, als er die reglosen Schatten der Sumpfgeschöpfe im Eingangsportal erblickte.
Ihre Augen funkelten immer noch rot, doch schienen sie von einer gewissen
Nachdenklichkeit ergriffen worden zu sein.
Zumindest wagten sie nicht, in den Tempel einzutreten.
Das gab Hogan Zeit, sich eine neue Flucht- strategie zu überlegen.
Seufzend erhob er sich vom Boden und klopfte den Staub ab.
Langsam schritt er ins Innere des Tempels, der sich schier endlos auszudehnen schien.
Ab und zu drehte sich der junge Kree-Abkömmling um und betrachtete die Sumpfgeschöpfe, die nach
wie vor reglos vor dem Portal standen.
Hogan erschauerte, als er immer tiefer in den Tempel vordrang und
am anderen Ende des Gewölbes eine Art Sarkophag entdeckte.
Zumindest stellte es für den Kree einen Sarkophag dar.
Als er sich dem seltsamen Kasten bis auf zehn Schritte genähert hatte,
wurde seine Neugierde plötzlich größer als seine Angst, und kopfschüttelnd trat er heran
. Er frage sich, was er hier vor sich hatte, denn um einen Sarg schien es sich wohl doch
nicht zu handeln. Viel wahrscheinlicher war, daß dieses Behältnis etwas mit Zauberei und - Schwarzer Magie zu tun hatte.
An der Frontseite des Kastens befanden sich seltsame Schalter und
Kipphebel, an denen Hogan gerne einmal herumgespielt hätte, wäre er nicht so von Ehrfurcht ergriffen gewesen.
Einige Stellen waren matt, und dort blinkten seltsame Leuchtanzeigen, die sich ständig veränderten.
Nun erst wagte Hogan den Blick ins Innere des Kastens. Unwillkürlich hielt der junge Barbar den Atem an.
Vor ihm, innerhalb des sargähnlichen Behältnisses, lag
eine dunkelgekleidete, humanoide Gestalt mit der eindrucksvollen Körpergröße von
2,10 Metern. Der Anblick des Gesichts wurde Hogan verwehrt,
da der Kopf von einem undurchsichtigen, kugelförmigen Helm
umschlossen war, in den von allen
Seiten Schläuche und Kanülen hin- einführten.
Allerdings hatte der Barbar auch keine sonderliche Lust, das Gesicht
dieses fremdartigen Wesens zu erblicken, bei dem es sich um alles
mögliche handeln mochte, aber mit
Sicherheit nicht um einen natürlichen Bewohner der Barbarenwelt.
Wäre Hogan auf einer Welt aufgewachsen, wo man sich mit den Geheimnissen
der Raumfahrt beschäftigte, so hätte er zu Recht vermutet,
daß es sich bei dem reglosen Fremden um einen Außerirdischen handelte
- aber so hielt er ihn nur für einen Dämonen.
. Unfähig, sich länger zurückzuhalten, streckte der Barbar die rechte
Hand aus und legte sie zögernd auf die warme Glasplatte, welche leicht zu vibrieren begann.
Gleichzeitig begannen die Leuchtanzeigen an der Seite des Gerätes hektischer zu blinken.
Sekundenlang war ein durch- dringender Piepton zu hören
. Kurz sah Hogan nach hinten und erblickte dort die Daaih-Ta, die sich zögernd in den Tempel hineinwagten,
um sich ratlos umzuschauen.
Er fluchte abermals und nahm seine Hand von der Platte herunter.
Was er jetzt brauchte, war eine Waffe! Blitzschnell ließ der Kree-Ab- kömmling seine Augen durch den
Raum schweifen und erblickte an der Wand eines Seitentraktes eine kleine Tür.
Sofort rannte er darauf zu, fand jedoch keine Klinke oder etwas ähnliches.
Stattdessen befand sich an der rechten Seite des Rahmens ein kleines Bedienungsfeld mit mehreren Tasten.
Hogan überlegte. Nach einem kurzen Augenblick tippte er wahllos
auf den verschiedenen Knöpfen herum, bis die
Tür plötzlich mit einem metallischen Scharren zur Seite glitt.
Langsam betrat er den Raum. Seltsame Gerätschaften hingen an
den fensterlosen Wänden des dunklen Gewölbes, das nur von einem
schwachen Dämmerschein erhellt wurde, dessen Quellen nicht auszumachen waren.
Nachdenklich sah Hogan sich um und erkannte, daß es sich wohl um
eine Art Waffenkammer zu handeln schien. Da waren Kriegskeulen, wie
er selbst zwar nie eine besessen hatte, von denen er aber wußte,
daß sein Volk sie benutzte, prachtvolle Schwerter und andere Dinge, deren
Bestimmungszweck sich der Barbar beim besten Willen nicht vorstellen
konnte. Kurzerhand hängte er sich einige der kunstvoll gefertigten Waffen um
und widmete sich dann den Dingen, die ihm fremdartig erschienen.
Interessiert nahm Hogan eines der Geräte aus der Wandhalterung
und wog es in den Händen.
Es war relativ leicht, bestand jedoch aus einem ihm unbekannten Metall.
Die Waffe hatte an einem Ende einen Kolben, an welchem ein Schultergurt
befestigt war, während ihn die vordere Hälfte an einen Stock erinnerte.
Allerdings war dieser „Stock" hohl und innen von einem stetigen dunkelroten Glühen erfüllt.
Auch diese Waffe verlügte, ebenso wie der Sarkophag und die Tür zu diesem Raum
über mehrere Tasten und Bedienungsfeldanzeigen, deren Sinn der
Barbar freilich nicht verstand, da sie in einer für ihn fremden Sprache beschriftet waren.
Die einzige Tatsache, über die er sich im klaren war
war die, daß es sich bei diesem Gegenstand um eine Waffe handelte, die
ihn möglicherweise vor den blutgierigen Daaih-Ta retten konnte.
Neugierig auf die Funktionsweise des Gerätes preßte Hogan der
breiten Kolben gegen seine Schulter und aktivierte eines der Bedienungsfelder.
Ein fingerbreiter Feuerstrahl schoß aus dem dünnen Ende der
Waffe, um die gegenüberliegende Wand zu treffen. Das Ergebnis war umwerfend.
Die Explosion, die Hogans Schuß auslöste, schien desser Trommelfelle platzen zu lassen.
Erschrocken schleuderte er die Waffe von sich, die er nun als Teufelswerkzeug ansah.
Gleich darauf sah er jedoch lauernde Schatten in der Türöffnung
stehen und stellte fest, daß es keine schlechte Idee war, diese Waffe des Teufels
gegen seine eigenen Geschöpfe einzusetzen.
Er war erschöpft; er hatte in den
letzten Tagen kaum geschlafen. Er war war hungrig, und er hatte Angst.
Mit einer blitzartigen Bewegung griff er nach dem Gewehr, brachte
es in Anschlag und feuerte auf' die dunklen Gestalten im Türrahmen.
Schrille Schreie drangen an. seine Ohren, als die Daaih-Ta in einem Ball aus Feuer verglühten und so in die
Hölle zurückkehrten, die sie vor Jahrhunderten ausgespuckt hatte.
Hogan stieß ein irres Kichern aus. Die Ereignisse schienen zuviel für seinen Geist zu sein.
Langsam tastete er sich durch den Türrahmen und wurde weiterer Sumpfwesen gewahr,
die dichtgedrängt um den Sarkophag standen und dumpfe, rasselnde Laute ausstießen.
Der Barbar runzelte die Stirn, als er bemerkte, wie sie sich an dem
Gerät zu schaffen machten und wahllos Knöpfe drückten,
bis er dem Spiel schließlich mit einem gezielten Schuß ein Ende bereitete.
Sekunden später mußte er feststellen, daß dieser Schuß keine gute
Idee gewesen war, denn mit den Daaih-Ta hatte er auch den Sarkophag beschädigt,
und die daraus resultierende Explosion schleuderte den Barbaren quer durch den Raum.
Der Aufprall brachte ihn wieder etwas zur Besinnung.
So registrierte er jetzt auch die Stimme, die monoton irgendwelche
sinnlos erscheinenden Worte einer fremden Sprache aufsagte - ganz so,
als würde sie zählen. Gleichzeitig breitete sich ein beißender Flammengeruch im Tempel aus.
Hogan blickte sich um. Innerhalb des Gewölbes befanden sich zwar
keine Daaih-Ta mehr, doch er hatte ein äußerst ungutes Gefühl bei der
Sache. Am besten, so befand er, war es, wenn er den Tempel schnellstens
verließ. Das tat Hogan dann auch, doch im Eingangsportal blieb er wie angewurzelt stehen,
denn was er dort vor sich sah, das konnte - nein, das
DURFTE nicht sein!
Nur zu gut erinnerte er sich noch
an die drei Hexen, die seinerzeit den Fluch über sein Heimatdorf verhängt
hatten, doch hatte er nicht damit gerechnet, irgendwann einmal eine
von ihnen wiederzusehen.
Er hatte sich immer gefragt, warum die drei Frauen ihn wohl damals forderten, war aber stets zu dem
Schluß gekommen, daß sie ihn wohl einem ihrer unheiligen Götzen opfern wollten.
Offensichtlich war dies jedoch nicht so.
Eine von ihnen stand nun leibhaftig vor ihm.
Ohne mit den Füßen den Boden zu berühren, schwebte die Hexe im Eingang des
Tempelgebäudes und lächelte ihn provozierend an.
„Du?" rief er ungläubig, während
hinter ihm die Flammen immer höher züngelten und seinen Rücken versengten.
„Ich bin es, Flammenprinz!" bestätigte die Hexe,
die das Aussehen einer wunderschönen, rothaarigen
Frau im Alter von rund 20 Jahren angenommen hatte.
Hogan stieß einen grollenden Laut aus und brachte sein Gewehr in Anschlag.
Die Hexe kicherte.
„Ich bin nicht tatsächlich hier,
Hogan. Was du vor dir siehst, ist eine schwarzmagische Projektion."
Der Barbar ließ sie nicht ausreden, sondern feuerte auf ihre Körpermitte.
Der Schuß ging mitten hindurch, trat auf der anderen Seite
wieder aus und verbrannte in einiger Entfernung eine Baumkrone.
Abermals stieß die Hexe, deren Name Sindra lautete, ein gutgelauntes Kichern aus.
„Was willst du von mir?" presste Hogan hervor.
„Genüge euch dreien der Tod meiner Eltern nicht?"
Die Hexe lächelte und schlug- die Beine ineinander, um dann gewissermaßen im Schneidersitz vor ihm zu schweben.
Mit kalten Augen ließ der Barbar seine Blicke über ihren unbekleideten, üppigen Körper schweifen,
doch vermochte ihre Blöße ihn nicht zu reizen.
Immerhin hatte er hier kein menschliches Wesen vor sich!
„Es gibt Mächte auf dieser Ebene, Hogan, die an deinem Tod interessiert sind
-jetzt mehr denn je! Zukunft und Vergangenheit sind eins für diese Wesen, und so wußten sie,
daß du eines Tages hierher ins Gollar-Ratth kommen würdest.
Jetzt, da du in den Besitz dieser Waffe gelangt
bist, Flammenprinz, haben die Mächte des Guten auf der
COMMAR-VAHN einen entscheidenden
Trumpf, und das darf nicht sein! Das
Gleichgewicht der Kräfte muß stets
ausgeglichen sein - so wollen es die Götter..."
„Es ist mir gleich, was die Götter
- gute wie böse - von mir erwarten!" stellte Hogan klar. „Solange ich auf Lo-Pan war, haben sie sich auch nicht um mich gekümmert!"
„Da warst du auch nicht interessant für sie!"
erwiderte die Frau. „Erst jetzt, nach deinem Fund, bist du wichtig geworden.
Vormals war deine Rolle im kosmischen Gleichgewicht absolut unbedeutend,
du warst lediglich ein Statist in unserem Spiel -jetzt ist das anders!"
„Warum erzählst du mir das alles, Sindra?" rief er.
„Wer weiß, vielleicht möchte ich dich auf das vorbereiten, was dir nun bevorsteht.
Die Macht ist ein zweischneidiges Schwert, Hogan. Sie kommt und geht und hat auch große Nachteile.
Nie wieder wirst du dich sicher fühlen können."
Der Barbar runzelte die Stirn.
Die Worte der Hexe klangen ehrlich, und was Vor- und Nachteile der Macht betraf, mochte sie nur zu recht haben.
Die Frage blieb nach wie vor, was sie damit bezweckte.
„Ich werde jetzt gehen, Hogan". verkündete die schöne Hexe. „Meine Schwestern und ich haben den Auftrag erhalten, das Gleichgewicht wiederherzustellen – auf Patena!"
Auf Patena - der Insel der Barbaren!
Hogan, den Sindra den Flammenprinzen genannt hatte, erschauerte.
als er beobachtete, wie sich der Leib der Hexe in eine dünne Rauchsäule
verwandelte, die langsam vom Wind fortgetragen wurde.
Während hinter ihm der Tempel in Flammen aufging,
stieg der Barbar langsam die Stufen hinunter.
Unmenschlicher Gestank breitete sich über der Lichtung aus,
während Hogan sich fragte, wie die Hexen auf Patena wohl
das Gleichgewicht wiederherstellen wollten.
Dabei fiel ihm nur eine Möglichkeit ein.
Wenn er jetzt ein wichtiger Trumpf des Guten war, so mußte ein anderer dafür abtreten -
und da fiel Hogan nur eine Person ein, die hierfür in Frage kam.
Tally-O Dan - der Lange Dan! Der unumstrittene Anführer der auf Patena lebenden Barbaren,
bei denen es sich um jene Menschen handelte, die aus irgendeinem Grund
von Creagan und seinesgleichen geächtet worden waren - zu Unrecht
Verfolgte, die dort ihre neue Heimat gefunden hatten.
Hogan schulterte sein Gewehr und beschleunigte seine Schritte.
Er würde dieses Attentat zu verhindern wissen. Tally-O-
Dan durfte nicht sterben; er bedeutete Hoffnung
für tausende unschuldig verfolgte Menschen.
Während der Barbar im Dschungel verschwand, explodierte hinter
ihm der Tempelkomplex in einem gewaltigen Ball aus Feuer und
Rauch, doch er achtete nicht darauf. Das war jetzt Vergangenheit, es
zählte nicht mehr. Wichtigeres stand im Raum.
Dennoch mußte er jetzt wieder an Sindra denken.
Was hatte die Hexe mit ihren Warnungen bezweckt?
Kopfschüttelnd mußte der Barbar feststellen, daß er sich für einen kurzen Augenblick zu ihr hingezogen gefühlt hatte.
Aber das durfte nicht sein -
sie war eine Hexe, und seine Bestimmung war es, für das Gute einzutreten.
Wie hatte sie ihn doch gleich genannt?
Flammenprinz – Hogan lächelte angesichts dieses hochtrabenden Namens.
Nein, er war kein Prinz, beileibe nicht
. Er war nur ein einfacher Krieger mit einer besonderen Waffe,
von der er gerade mal wußte, wie er sie bedienen konnte.
Er war ein Kind, das mit dem Handwerkszeug eines Riesen hantierte.
Er war Hogan Flammenlanze.
ENDE des ersten Teils © Mittwoch, 07.04.1993, 10.24.15-15.00.55 Uhr by Mike Breuer/
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:08
Passage nach Patena
(Commervahn)
v. Michael Breuer
1. DER ATTENTÄTER
Es war Nacht, und das Pferd hatte bereits Schaum vorm Maul, doch der
Reiter kannte kein Erbarmen. Unbarmherzig trieb er es weiter an.
Immerhin ging es hier um sein Leben; denn nichts Geringeres würde er
- verlieren, wenn König Creagans Truppen ihn in die Hände bekämen.
Er war jetzt seit einer Woche unterwegs; - und endlich sah es so aus,
als habe er seine Feinde abgehängt, obwohl er sich da nicht sicher war. So
schnell würden sie gewiß nicht aufgeben; schließlich hatte er versucht,
in den Thronsaal von Vazzkor einzudringen. um den fettleibigen Tyrannen
endlich zu töten - so wie es der Plan Tally-O Dan's - des 'langen' Dan's
war. der nicht umsonst so hieß,
überragte er u.a. doch sämtliche Einwohner der Barbareninsel,
von der unser Attentäter kam, um mindesten zwei Kopfeslängen;
ansonsten so munkelte man unter den weiblichen Bewohnern Patenas)
war er allerdings auch recht lang!
Der Reiter erschrak, als er sich umblickte und hinter sich
am nächtlichen Horizont die Silhouetten der Feinde entdeckte,
die seine Spur offensichtlich wieder gefunden hatten.
Fluchend trieb er das Pferd noch mehr an, bis er vor sich plötzlich die
Stadttorevon Kroykkah sah, die sein
Ziel waren.
Ja. hier im Getümmel der riesigen Handelsstadt
würde er sich sicherlich gut verbergen können!
Das hoffte der Reiter zumindest,
denn ansonsten war sein Leben verwirkt...
2.TRAGAN, DER BLUTDURSTIGE
Loo Ahns verrufene Schänke am
Nordrand von Kroykkah war schon
immer gut besucht gewesen, doch am
heutigen Tag wurden alle bisherigen
Rekorde gebrochen. Immer mehr
Menschen strömten mit durstigen
Kehlen von der Straße herein, und
fast kam sich Loo Ahn vor wie auf
den berühmten Schwarzen Basaren
der Stadt Lebaah, die er in seinen
Jugendjahren einmal gesehen hatte.
'CREAGANS LOCH' hieß die
Kneipe - in Anspielung auf den
furchtbaren Tyrann, der von Vazzkor
aus das Land regierte und auf den
vor wenigen Tagen ein Attentat verübt worden war; leider war es fehlgeschlagen.
Dessen Besatzungstruppen war solch ein Name freilich ein
Dom im Auge, so daß Loo Ahn tagtäglich um seine Konzession bangen
mußte, doch bislang hatte noch niemand bei ihm vorgesprochen - kein
Wunder, war der Wirt doch schon
eine Institution in Kroykkah. Selbst
Edelleute hatten schon in seinem
Lokal verkehrt - und das in bei weitem mehr als einem Sinne.
Der vollschlanke Wirt, der entfernt von den Ureinwohnern der Insel Lo-Pan abstammte,
seufzte auf, als sich die Schwingtür ein weiteres
Mal öffnete und einen Sekundenbruchteil später wieder zuschlug,
ohne daß jemand hereingekommen wäre. „Scherzbold!" grunzte LooAhn kopfschüttelnd.
Da wurde plötzlich einer der Barhocker vor der breiten Theke wie von Geisterhand zurückgeschoben - und
als der Wirt das nächste Mal hinsah, glaubte er seinen Augen nicht zu
trauen, denn direkt vor seiner Nase saß ein zwei Fuß großer, grüngekleideter, freundlich lächelnder... Zwerg!
Loo Ahn grinste breit und beugte sich zu der kleinen Gestalt herunter.
Das Gesicht des Grüngekleideten wirkte trotz seines augenscheinlich hohen Alters recht jung, und der ellenlange weiße Bart unterstützte diesen Eindruck noch auf merkwürdige Weise. Die riesige rote Zipfelmütze mit der
unvermeidlichen Bommel
an der Spitze hatte etwas seltsam Groteskes.
„Was darfs denn sein?" fragte der Wirt gutgelaunt.
„Ein Glas Wurzelsaft?"
In den Augen des Zwerges blitzte es gefährlich - das heißt, sofern die Augen eines Zwerges überhaupt gefährlich blitzen konnten.
„Hast du nichts Besseres als dieses verwässerte Zeug, das alle hier saufen, Wirt!" zischte er in Loo Ahns Richtung.
„Ich will Wein, Mann!"
Achselzuckend korrigierte Loo Ahn seine vorgefaßte Meinung über
Zwerge und wandte sich ab.
Als er einen Augenblick später zurückkehrte, fand er den unbekannten Gnom
in eine heftige Diskussion mit einem Seefahrer von Irrgh -
offensichtlich einem Kree-Krieger - vertieft. Loo Ahn stellte den Weinkelch ab,
der fast ebenso groß wie der Zwerg war, und hörte den beiden interessiert zu.
„Ach, die Kree...", sagte der Gnom gerade gelangweilt, „das sind
doch bloß plündernde und mordende Barbaren!"
Die Augen des Krees verengten sich zu messerscharfen Schlitzen, als er langsam aufstand. „Zwerg, Ihr beleidigt mein Volk!" grollte er.
„Wir Kree sind ehrenvolle Krieger!"
„Natürlich", nickte der kleine Mann lächelnd, „wenn man Bäucheaufschlitzen und Vergewaltigungen als ehrenvoll bezeichnet, habt Ihr zweifellos recht!"
In Erwartung der kommenden Ereignisse hängte Loo Ahn den großen Spiegel ab
und begann, die Theke leerzuräumen.
Langsam griff der dunkelhaarige Kree, der den Zwerg um mehr
als fünf Haupteslängen überragte, an
seinen Rücken und zog dort seine mächtige Streitaxt hervor.
Seine Augen blitzten vor unterdrückter Wut, als er sagte:
„Kommt her, Zwerg! Ich will Euch ein schmerzloses Ende bereiten..."
Die nächsten Ereignisse bekam Loo Ahn nur schemenhaft mit
- zu träge war sein menschliches Auge, als daß er hätte sehen können, mit welch eleganter Bewegung der Zwerg auf die Theke sprang, sein kleines Schwert zog und es dem verdutzten Kree an die Kehle hielt.
„Laßt uns lieber trinken, junger Krieger - trinken ist besser als raufen!" lachte er grimmig.
„Außerdem könnte es sein, daß ich eine Aufgabe für Euch weiß, der nur ein Kree gewachsen sein mag!"
Sprach's und steckte sein Schwert wieder ein.
Atemlos staunend beobachtete Loo Ahn, wie der Kree seine Streitaxt sinken ließ
und stattdessen nach dem Weinkelch griff.
„Verzeiht mir, Sir, aber darf ich Euren werten Namen erfahren?" fragte der Wirt neugierig.
Der Zwerg lächelte, und noch bevor er sprach, wußte Loo Ahn seine Antwort bereits.
„Man nennt mich Tragan - Fandor Tragan!"
Sprachlos stieß der Wirt die Luft aus.
Dies war also der Blutdurstige Tragan - der einzige Barbarenkrieger, den das Zwergenvolk jemals her- vorgebracht hatte,
und dessen Name bereits zu seinen Lebzeiten zur Legende geworden war!
Mit einem munteren Achselzukken zog der barbarische Zwerg den für ihn riesigen Weinkelch zu sich
heran, tauchte gleich seinen ganzen Kopf in die rote, berauschende Flüssigkeit und begann schlürfend zu saufen.
Als sein Kopf wieder zum Vorschein kam, ließ der Blutdurstige Tragan ein markerschütterndes Rülpsen hören,
das einem Kree- Häuptling alle Ehre gemacht hätte,
warf den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen.
3. DES ZWERGEN WUNSCH
„Ihr besitzt doch ein Schiff, nicht wahr?"
sagte Fandor Tragan schmatzend und biß ein weiteres Mal herzhaft in die Rinderkeule,
die das Doppelte seines Kopfes maß, sich aber
unter seinen Bemühungen stetig verkleinerte.
Der junge Wikinger, der auf den Namen Fenryk Schädelspalter hörte,
nickte stumm.
Nach ihrem Disput an der Theke hatten sich die bei- den in ein ungestörtes Hinterzimmer
von CREAGANS LOCH zurückgezogen,
wo sie bei ihrem Gespräch nur von Zeit zu Zeit von Loo Ahn unterbrochen wurden,
der neue Getränke und Essen brachte.
„Nun gut, ich möchte eine Passage bei Euch buchen!" fuhr der Zwerg
fort, woraufhin Fenryk erstaunt die Augenbrauen hob.
„Es gibt genug Fähren, die Ihr nutzen könnt!" sagte er abweisend. Der Kree sah kein Abenteuer darin,
einen Zwerg - und sei es auch der
Blutdurstige Tragan - an sein Reiseziel zu befördern.
„Nun, es ist nicht ganz so einfach...", holte Fandor aus und blickte sich um, als erwarte er, irgendwo unwillkommene Zuhörer zu entdekken.
„Ich möchte nach Patena!"
Unwillkürlich erschrak Fenryk.
„Creagan hat die Insel geächtet!"
erinnerte er den Zwerg, als ob dieser das nicht selbst gewußt hätte.
„Außerdem dachte ich, Ihr kämt von dort!"
Fandor lächelte, wobei die tausend Falten
seines Gesichts in Bewegung gerieten und auf
seltsame Weise zu tanzen schienen,
„Natürlich lebe ich dort, verehrter Schädelspalter,
aber momentan komme ich aus Vazzkor und will in
meine Heimat zurück."
Fenryk blickte nun ziemlich mißtrauisch, denn er wußte, daß vor einer Woche in Vazzkor ein Attentat auf König Creagan verübt
worden war, dem der Tyrann jedoch mit knapper Not entkommen war.
„Ihr werdet gesucht, nicht wahr?" fragte er geradeheraus
Fandor Tragan nickte. „Natürlich, sonst würde ich weder nach Patena wollen noch diese Aktion heimlich durchführen!"
„
Bei Oskys Klumpfuß!" fluchte der Kree anerkennend,
„IHR seid der Attentäter'."
Fandor lächelte stumm - auch als ihm der junge Krieger überschwenglich auf die kleine Schulter schlugund seine Knochen entsetzt aufstöhnten.
„Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. "
sinnierte der barbarische Zwerg und wurde dann übergangslos wieder ernst.
„So denn, bringt Ihr mich nach Patena?" „Natürlich!" lachte Fenryk Schädelspalter und nahm einen Schluck Wein.
„Ich mag Creagan ebensowenig wie Ihr - und, im Vertrauen, mein Fürst - der Wilde Isir - plant längst ebenfalls, ihn zu stürzen..."
Leise öffnete sich die Tür, und ein junges Mädchen huschte herein.
Fandor und Fenryk flogen gleichzeitig auf ihren Stühlen herum,
die Hände bereits auf den Schwertgriffen.
„Was ist los, Mädchen?"
rief Fenryk mit lauttönender Stimme, und in seinen Augen blitzte milder Zorn über die Störung.
„
Mein Herr sagt, Ihr sollt gehen! Truppen sind auf dem Weg hierher..."
Der Blutdurstige Tragan stieß einen heftigen Fluch aus,
der an dieser Stelle aus Gründen des Jugendschutzes nicht wiedergegeben werden kann,
und fügte hinzu: „Ich hab's doch gewußt!"
„
Stellen wir uns dem Kampf, Freund Fandor?" fragte der Kree überflüssigerweise, stand ihrer bei- der Entscheidung doch schon längst fest.
Das Mädchen huschte wieder hinaus.
Aus dem Innenraum der Schänke wurden laute Stimmen hörbar
, die darauf schließen ließen, daß die
Truppen bereits eingetroffen waren.
Fandor und Fenryk zückten ihre Waffen und verließen das dunkle Hinterzimmer.
4. WENN WAFFEN SPRECHEN
CREAGAN S LOCH war immer noch voll, wenngleich sich auch keine Gäste
mehr in der Schänke befanden.
Diese waren vom Hauptmann der patrouillierenden Truppe auf die
Straße geschickt worden, nachdem man sich vergewissert hatte, daß sich
der Gesuchte nicht unter ihnen befand.
Lediglich einen Löffel hatten die Soldaten gefunden -
also, so folgerte der junge Hauptmann Irgim- Ta von der königlichen Besatzungstruppe Kroykkahs, mußte sich der Zwerg noch in der Schänke befinden.
Einen Sekundenbruchteil später sah und hörte er ihn.
Der kleine Mann, der hinlänglich als Blutdurstiger Tragan bekannt
war und momentan im Lande Caanan der Staatsfeind Nr. l war,
stieß einen schrecklichen Kampf- schrei aus, als er den Raum betrat.
Die Überzahl der Feinde, die sich in den letzten Minuten hier eingefunden hatten, um ihn zu töten, schreckte ihn nicht. Furchtlos stürzte Fandor sich ins Getümmel.
Fenryk, der seine Streitaxt gezückt hatte, tat es ihm gleich.
Der Kampf begann.
Wacker wehrten sich die beiden Männer gegen die Legion der Soldaten
. Mancher Kopf wurde von seinem Rumpf getrennt, um über den Boden zu kullern,wie es sonst Golfbälle zu tun pflegten.
„Bei Creagans Hoden!" fluchte Irgim-Ta laut, als er in einer Blutlache ausglitt und zu Boden ging,
wo bei die Streitaxt des Kree seinem Hals bedenklich nahe kam.
Sofort parierte er den Hieb mit seinem langen Beidhänder -
einem Schwert, das normalerweise ob seiner Schwere bevorzugt von Kree getragen wurde, das jedoch auch Irgim-Ta
schon oft gute Dienste geleistet hatte.
„Holla!" rief Fandor fröhlich und bohrte die Waffe einem Soldaten in
jene äußerst empfindliche Stelle, auf der man normalerweise zu sitzen pflegte.
Die Laune des Zwerges hatte sich in den letzten Minuten sehr gebessert, denn er - der schon in so vielen Schlachten gekämpft hatte -war hier in seinem Element!
Die Gefahr, in der er sich befand, schreckte ihn längst nicht mehr.
Zu oft schon hatte er um Leben und Tod gefochten - und den Sieg davongetragen...
Freund Fenryk erging es ganz ähnlich.
Auch er fühlte sich am wohlsten, wenn um ihn herum das Schreien der Verletzten und der Gesang der
Schwerter ertönte.. Gut gelaunt parierte er mit einer Hand einen neuerlichen Hieb des hageren Hauptmanns,
der erneut ausrutschte und sich den behelmten Schädel anschlug,
um übergangslos in tiefe Bewußtlosigkeit zu fallen. Gleichzeitig schwang Fenryk die Streitaxt in der
anderen Hand, woraufhin erneut ein Soldat fortan kopflos sein weiteres
Dasein fristen mußte, das jedoch naturgemäß nicht mehr lange währte.
Aber dennoch - die Zahl der feindlichen Krieger nahm nicht ab,
so daß es allmählich an der Zeit war, den
Rückzug zu planen.
Listig ließen sie sich in die hinteren Räume der Schänke zurückdrängen,
wo sich eine Art Lastenschacht befand, der in den Keller führte und
aus dem mit einemSeilzug die frischen Weinfässer herausgehievt
wurden. Fenryk und Fandor wechselten einen stummen Blick, dann hüpften sie hinein.
Der Zwerg stöhnte schmerzerfüllt auf, als er am Boden ankam.
„Ahhh...", seufzte er, „das ist nichts mehr für meine alten Knochen!"
Als Fenryk hochblickte, sah er die Köpfe der Soldaten über der Luke schweben
und wußte, daß es nur noch Sekunden dauern würde, bis ihre Feinde auch herunterkämen. „Komm, Freund!" rief er. „Wir müssen laufen!"
Und das taten sie auch.
Hals über Kopf rannten sie immer tiefer in die labyrinthischen Kellergewölbe unter der Schänke, die
schon manchem Flüchtling Asyl geboten haben mochten.
„Toller Plan!" grunzte Fandor, der kaum mit dem Kree Schritt halten konnte.
„Kannst du mir verraten, wie wir hier wieder rauskommen?"
„Ganz einfach!" gab Fenryk Schädelspalter zurück, ohne langsamer zu werden.
„Wir hüpfen in die Kloake!"
Fandor riß empört die Augen auf,
als Fenryk an der kreisrunden Öffnung der Verbindung zur Kanalisation Kroykkah's stehenblieb,
aus welcher ein atemberaubender Duft nach oben stieg.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst?" rief er. „Du erwartest, daß ich lieber durch Scheiße wate, als mich einem ehrlichen Kampf zu stellen..."
Wenn der Blutdurstige Tragan noch etwas sagen wollte, so kam er jedenfalls nicht mehr dazu, denn schon hatte der Kree ihn beim Kragen gegriffen und war herunter gesprungen.
Mit einem platschenden Laut landete das ungleiche Paar in einer feuchten, übel riechenden Masse.
Lediglich durch die kreisrunde Öffnung über ihnen drang ein wenig Licht,
und was Fandor sah, gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Verdammt, Kree!" fauchte er übelgelaunt und rümpfte die Nase.
„Wie willst du das jemals wieder gutmachen?"
5. IRGIM-TA'S RACHESCHWUR
Das erste, was Irgim-Ta hörte, als er wieder zu Bewußtsein kam, waren die verzweifelten Rufe des Wirtes Loo Ahn.
„Oh, nein!" rief der kleine dickliche Mann immer wieder.
„Was habt ihr nur mit meiner Schänke gemacht? Wie soll ich nun mein Geld verdienen?
Wer kommt mir für den Schaden auf?"
Irgim-Ta fluchte leise und wollte sich gerade vom Boden hochstemmen,
als eine kalte, arrogante Stimme ihn in seinen Bemühungen unterbrach.
„Bleibt ruhig liegen, Hauptmann!" sagte sie
- und wütend wälzte sich der Angesprochene herum, um dem Fremden gehörig die Leviten zu lesen.
Dann erstarrte er.
Vor ihm stand ein Mann, der ihm aus vielen Berichten nur allzu be- kannt war.
Die goldbeschlagene Rüstung, die ihn als General auswies, blinkte im spärlichen Licht und ließ ihn wie einen antiken Sonnengott erscheinen.
Lediglich die Augen des Fremden wirkten so kühl, daß sie Irgim-Ta an Eiskristalle erinnerten.
Völlig unvermittelt begann er wieder zu sprechen.
Seine Stimme klang unpersönlich und distanziert.
„Ich bin General Klaaw von der hochköniglichen Palastgarde
und von seiner Majestät, dem göttlichen Creagan, beauftragt worden,
vom Hauptmann der Besatzungstruppen den gefangenen Attentäter in Empfang zu nehmen..."
Irgim-Ta fluchte leise in sich hinein, als Klaaw fortfuhr.
„Ich nehme nicht an, daß Ihr ihn tatsächlich gefangen habt, oder?"
fragte der General, und sein Blick wurde noch eine Spur kühler.
Irgim-Ta senkte den Kopf.
„Seit dem Attentat in Vazzkor bin ich dem feigen Meuchelmörder auf den Fersen; seit einer Woche sitze ich im Sattel -
und nun scheitert meine Mission allein an EURER Unfähigkeit!"
Verächtlich spie Klaaw die letzten Wort aus.
„Nun, ich denke, daß der König nicht sehr erfreut sein wird, von Eurem Versagen zu hören!"
Das dachte sich Irgim-Ta im Stillen auch, allerdings sah er sich momentan außerstande, etwas daran zu ändern.
Stattdessen versuchte er erst einmal aufzustehen.
Auch das schaffte er jedoch nicht, denn ein brutaler Hieb des Generals warf ihn zurück auf den Boden.
„Bemüht Euch nicht, Hauptmann, Ihr gefallt mir dort unten!"
höhnte er und wurde sofort wieder ernst.
„Habt Ihr eine Ahnung, wohin er geflohen sein könnte?"
„Ich denke...", antwortete Irgim- Ta mit hochrotem Gesicht, „daß der Kerl ein Schiff kapern wird, denn in Kroykkah wird er nicht bleiben können..."
Ohne ein weiteres Wort warf sich Klaaw herum und verließ
mit wehendem Umhang die Schänke, bzw. was von ihr übrig geblieben war.
Zutiefst gedemütigt blieb Irglir.- Ta zurück.
„Ich werde dich verfolgen, Attentäterl" schwor der Hauptmann bitter.
„Und ich werde dich auch fangen - selbst wenn es das letzte ist, was ich tue!"
Nach einer Weile raffte er sich hoch, suchte seine verbliebenen Männer zusammen
und machte sich ebenfalls zum Hafen auf,
den er ganz zu Recht als Ziel unserer Helden vermutete...
6. KINDER DES SCHLAMMS
„Wenn man es sich recht überlegt", sinnierte Fenryk während einer Rast
auf ihrer Odyssee durch Kroykkah's Kanalisationssystem,
„dann hat Creagan doch eine Menge Gutes für uns getan!"
Die beiden ungleichen Gefährten saßen gerade auf einem kleinen Mauervorsprung,
wehrten von Zeit zu Zeit hungrige Ratten ab
und bemühten sich, ihre Beine nicht in die übel- riechende Masse unter ihnen baumeln zu lassen.
Als Fandor die Worte des Krees vernahm, brauste er wütend auf.
„Ja?" rief er empört. „Was denn zum Beispiel?"
„Naja", begann Fenryk kleinlaut, „zum Beispiel die Kanalisation! Bedenke doch mal. wie es früher immer stank..."
„Die haben die Lebaaher eingeführt..."
Ungerührt fuhr Fenryk fort: „Und der Vazzkor'sche Wein..."
„Ist kein Vergleich zu dem aus Patena!"
„Und keine Frau konnte früher sicher über die Straße gehen!"
„Das können sie heute auch noch nicht!" sagte Fandor trocken.
. 'Bin ich im falschen Film?', dachte der Zwerg bitter und beschloß, das Thema zu wechseln.
„Wie lange dauert es noch, bis wir hier raus sind?"
fragte er seinen großen Freund.
„Meinen Berechnungen zufolge müßten wir uns in der Nähe des Hafens befinden!" antwortete der Kree grübelnd.
Kurz darauf machten sie sich wieder auf den Weg,
wateten mürrisch durch den in allen Regenbogenfarben schimmernden Schlamm,
wobei Fandor des öfteren auf Fenryks Schultern Platz nehmen mußte,
da dieser schon bis zur Hüfte in der zähflüssigen Masse versank -
und der Kree maß immerhin gute zwei Meter! Fandor wäre wahrscheinlich hilflos im Matsch ertrunken, was kein sonderlich rühmliches Ende
für den berühmtesten Krieger des Zwergenreiches dargestellt hätte.
So vergingen einige weitere Stunden, als plötzlich ein spitzer Schrei
die beiden Gefährten aus ihren Gedanken riß.
„Eine Dame in Not!" erkannte Fandor -
in Erwartung eines Kampfes - fröhlich,
sprang (ohne an die Folgen zu denken) von Fenryks Schultern herunter
und versank wortlos in der Kloake.
„Wo bist du, mein Freund Fandor?" rief Fenryk entsetzt,
als er das Gewicht des Gefährten nicht mehr spürte.
Im letzten Moment sah der Kree die rote Bommel von Fandors Mütze
auf dem Schlamm treiben, beugte sich hinunter und zog ihn an der schlohweißen Haartracht aus der stinkenden Brühe heraus.
In diesem Augenblick vernahmen sie erneut einen Schrei,
der sich je- doch nun bedeutend näher anhörte.
„Grrgrgll!" gurgelte der Zwerg, während er angeekelt Flüssigkeit
und diverse Kleinstlebewesen ausspuckte, die er bei seinem Ausflug verschluckt hatte.
„Entschuldige!" sagte Fenryk sanft, nachdem er den Freund wieder auf seine
Schulter gesetzt hatte.
„Was hast du gesagt?"
„Grorogrogll!" gurgelte er erneut. „Ehmm.. .", begann der Kree, als ihm Fandor auch schon ins Wort fiel.
„Grorogrogll - so nennen wir sie in der Sprache unseres Volkes,
das heißt 'Kinder des Schlamms' - große, braune, stumpfsinnige Kreaturen,
die mit den degenerierten Daaih-Ta aus den Gollar-Ratth-Wäldern verwandt sind und in den Kloaken und Sümpfen hausen.
Wie es aussieht, sind sie auch hier heimisch geworden!"
„Oh!" machte Fenryk anerkennend.
„Du verfügst über großes Wissen, Freund!"
Dann sahen sie die junge Frau.
Sie kam um eine Biegung geschossen, als sei der Teufel hinter ihr her,
aber natürlich war es nicht der Gehörnte, sondern nur die großen, braunen, stumpfsinnigen Grorogrogll, aber das war ja auch schon schlimm genug!
Als das leicht bekleidete und trotz des Schlamms äußerst liebreizende
Geschöpf unserer Helden ansichtig wurde, warf es sich ehrfürchtig zu ihren Füßen in den Matsch und rief:
„Helft mir, Ihr Herren! So helft mir doch!"
Fandor und Fenryk wechselten einen kurzen Blick und zückten dann in stummem Einverständnis ihre Waffen.
Da kamen auch schon die Grorogrogll um die Biegung gekrochen,
und der Kree - der schon viel Scheußliches gesehen hatte,
aber noch nichts DERARTIGES - zuckte schaudernd zusammen.
Die Schlammgeschöpfe waren ungefähr so groß wie er,
besaßen jedoch keine festen Konturen,
sondern waren ständig in gräßlicher Bewegung begriffen.
Schmierig braune Gliedmaßen entstanden aus dem Nichts,
nur um Sekunden später wieder ins Nichts zurückzukehren.
Gelbe Augen brannten in stumpfsinniger Wut, und auf einer anderen Welt
hätten sich unsere Protagonisten vielleicht an eine Story von H.P. Lovecraft erinnert gefühlt; so aber stießen sie nur ein angewidertes „Blääh!" aus und stürzten sich in den Kampf.
In Ermangelung eines Stockdegens
setzten sie Schwert und Streitaxt ein -
allerdings auf sehr effektive Weise,
denn obwohl die Kreaturen keine feste
Konsistenz besaßen,
erwiesen sie sich doch als sehr
furchtsam und begannen sich bereits nach dem dritten Hieb zurückzuziehen.
„Nun denn, wie heißt Ihr, Maid?" fragte Fenryk mit jenem offenkundigen Interesse,
das Kree leicht- bekleideten Frauen stets entgegenbringen,
nachdem sich die Kinder des Schlamms endlich winselnd zurückgezogen hatten.
Das Mädchen hob schüchtern den Kopf und stand dann langsam auf
„Mein Name ist Lyssa."
„Das ist ein guter Name!" lächete Fandor freundlich.
„Ein heiliger Name!"
In der Tat war Lyssa der Name einer Schutzgöttin des Zwergenvolkes, die unser Held seit jeher verehrte.
„Was ist dir widerfahren, Kind? " begehrte nun Fandor zu wissen.
„Was hast du mit den Grorogrogll zu schaffen?"
„Sie wollten mich ihren schwarzen Gottheiten opfern, da ich noch jungfräulich bin." hauchte Lyssa
schüchtern und schlug die Augen nieder.
„Soso, die Jungfräulichkeit wollten sie dir rauben...", murmelte Fenryk leise und
dachte im Stillen darüber nach, daß er das ganz gerne selbst getan hätte.
Dann besann er sich jedoch und fragte: „Willst du mit uns reisen, Lyssa?"
„Wohin führt denn Euer Weg?"
fragte das Mädchen, das nicht viel älter als sechzehn Sommer sein konnte.
„Wir reisen nach Patenal" antwortete Fandor fröhlich,
und die Augen Lyssas erhellten sich, denn sie hatte schon in ihrer Kindheit soviel von den todesmutigen Männern der Barbareninsel gehört,
daß die Aussicht, nun dorthin zu reisen, für sie wie der Hauptgewinn beim GLÜCKSRAD war.
„Ja!" sagte Lyssa schlicht. Damit waren sie zu dritt.
7. DIE SCHLEICHENDE KBAHE
Nachdem sie Lyssa in ihren Kreis
aufgenommen hatten, dauerte es tatsächlich nicht mehr allzulange, bis
sie die Kanalisation verließen und sich wieder oberirdisch bewegten.
Unsere drei Gefährten waren nun im Hafen angekommen, wo sie Fenryk
gutgelaunt an zahlreichen stolzen Galeeren und Barkassen vorbeiführte, bis sie schließlich vor dem letzten
Schiff im Hafen stehenblieben.
„Bei Lyssas Zitzen!" fluchte Fandor und vergaß einmal mehr seine gute Kinderstube.
„Ja, was ist?" fragte Lyssa, aus ihren Träumereien bezüglich Patena aufgeschreckt.
„Herrgott'. Doch nicht DU!" blaffte der Zwerg;
dann, an Fenryk gewandt: „Was ist denn das für eine Nußschale?
Damit willst du doch nicht aufs offene Meer?"
Der kleine Segler vor ihnen faßte eine Besatzung von vielleicht zehn Mann
und sah aus, als habe er schon wiederholte Male auf dem Grund des Ozeans gelegen.
Die Segel waren grau und zerschlissen.
Im Mastbaum hing ein einäugiger, betrunkener Kree-Matrose,
der sich nur mit Mühe dort halten konnte.
Alles in allem - das Schiff, mit dem die drei nach Patena übersetzen wollten,
sah alles andere als vertrauenswürdig aus!
„Das", sagte Fenryk stolz, „ist die SCHLEICHENDE KRÄHE - das schnellste Schiff des Reiches Kree!"
„Verdammt, das Ding kommt doch nicht mal heil aus dem Hafen!" rief Fandor empört.
„Hör mal, ich war mit der KRÄHE schon in allen Ecken der COMMARVAHN, Kleiner!" erwiderte der Kree trocken,
winkte seinen Gefährten zu und machte sich dann daran, auf den Bootssteg zu kletten, als hinter ihnen plötzlich Lärm ertönte.
„Oh, nein!" hauchte Lyssa in leisem Entsetzen und deutete mit
ausgestrecktem Arm auf die waffenstarrende Horde,
die in einiger Entfernung sichtbar wurde und bei denen es sich um die blutrünstigen Soldaten General Klaaws handelte, die immer noch auf der Jagd nach dem Attentäter waren.
Eilig hüpften die drei Gefährten an Bord und machten sich ans Ablegen.
„Hey!" rief Fenryk dem Betrun kenen im Mastbaum zu.
„Komm runter, Cuuley! Wir haben's eilig!"
Hatte der Mann vorher noch einen ziemlich trägen Eindruck gemacht,
so kam nun Leben in ihn.
Wie ein Affe hangelte er vom Mastbaum herunter,
begann den Anker einzuholen und setzte die Segel,
was jedoch in Anbetracht der völligen Windstille etwas grotesk wirkte.
Fenryk war währenddessen unter Deck verschwunden
und kam die nächsten Minuten nicht mehr zum Vorschein.
„Und jetzt?" fragte Lyssa ängstlich
und drückte den ächzenden Fan-dor an ihre üppige Brust.
„Ich weiß nicht!" antwortete dieser, wobei er feststellte,
daß ihm die Nähe Lyssas recht gut gefiel.
„Aber wenn nicht bald etwas passiert, dann sind wir geliefert!"
Creagans Häscher waren dem Schiff jetzt schon bedenklich nahe gekommen,
und noch immer zeichnete sich kein Lüftchen am Himmel ab.
Dann geschah plötzlich das Wunder!
Mit einemmal wurde ein Brausen hörbar, das Fandor in den Ohren
wehtat. Zischend blähten sich die Segel auf,
während der Himmel eine dunkle Färbung annahm,
die auf Sturm hindeutete.
Langsam zu- nächst, dann immer schneller, gewann die SCHLEICHENDE KRÄHE an Fahrt,
verließ den ungastlichen Hafen von Kroykkah und schoß hinaus aufs offene Meer,
während Klaaws Mannen nun verblüfft am Kai standen und das einzige taten, das ihnen noch zu tun blieb -
nämlich ziemlich belämmert dreinzuschauen!
Und noch jemand hatte sich auf dem Kai eingefunden
- unser bereits bekannter Gardehauptmann. Er schaute zwar nicht wesentlich klüger drein, doch sein Herz war bitter und voller Haß.
Irgim-Ta stieß einen derben Fluch aus
und beschloß dann, sich Klaaws Soldaten anzuschließen.
8. MAGIER UND JUNGFRAUEN
So verließ die SCHLEICHENDE KRÄHE also die Bucht von Beenkumir
und machte sich endlich auf den Weg nach Patena.
Lyssa und Fandor, allseits bekannt als der Blutdurstige Tragan, standen gemeinsam an der Reling,
betrachteten den Sonnenuntergang
und waren sich in den Stunden seit dem Aulbruch beträchtlich näher gekommen.
Sanft flüsterten sie sich süße Koseworte ins Ohr und tausch- ten gerade erste Zärtlichkeiten miteinander aus,
als Fenryk wieder an Deck kam.
Mißmutig peilte er die Lage,
gab sich jedoch dann einer- Ruck und ging zu den beiden her- über.
„Kommt mit runter, ich möchte euch jemanden vorstellen!"
sagte er in nur gespielter Fröhlichkeit; denn er hatte selbst ein Auge auf Lyssa geworfen.
Und überhaupt - was wollte sie eigentlich mit diesem Zwerg?!
Der mochte vielleicht gut das Schwert schwingen können,
aber das reich nun mal nicht aus...
Mißmutig verdrängte Fenryk seine
eifersüchtigen Gedanken und führte die beiden Verliebten unter
Deck, wo sie von einem hellhäutigen hageren Mann erwartet wurden.
einen dunklen, mit seltsamen Symbolen
verzierten Umhang trug.
„Mein Name ist Wmha-Ta-Glick! „
begann der weißhaarige Fremde mit sonorer Stimme.
„Aber ich gestatte Euch, mich Glic zu nennen!"
'Kling wie eine verhinderte Darmblähung!', dachte Fandor im Stillen,
hütete sich aber, diesen Gedanken auszusprechen;
er ahnte, daß es sich hier um einen Zauberer handelte -
um eben den Zauberer, der ihnen mit Hilfe eines Windzaubers die Flucht aus dem Hafen ermöglicht haben mußte.
„Ich verzeihe dir deine unschönen Gedanken, Blutdurstiger Tragan!"
fuhr der Magier fort, und Fandor zuckte zusammen.
„Schließlich weiß ich um die geringen Geistesgaben des Zwergenvolkes..."
Unser Held bekam einen hochroten Kopf, beherrschte sich aber, denn
es hing weiterhin von der Gunst Glics ab, ob sie Patena erreichten
oder schon vor der Insel Lo-Pan von Creagans Truppen eingeholt wurden.
„Seid gnädig, Meister!" sagte er
darum und setzte seinem Gesicht ein etwas bemüht wirkendes Lächeln auf.
„Aber Ihr müßt zugeben, daß Euer Name wirklich etwas lächerlich klingt!"
Der Magier begann ebenfalls zu lächeln, wissend, daß Fandor Recht hatte- irgendwie klang sein Name wirklich wie eine Darmblähung...
„Ist mir eine Frage gestattet?" fragte unser kleinwüchsiger Held
zögernd und fuhr nach einem gefälligen Nicken des Magiers fort:
„Gehört Ihr einer der Gilden an - oder seid Ihr ein Patena-Magier?
Euer Elementarzauber - wenn es denn ein
solcher war - war sehr wirksam!"
Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist leicht erklärt.
Bei den Gilden handelt es sich um uralte Zusammenschlüsse von Zauberern,
deren größte im Faiidah-Massiv beheimatet war,
welches rund um die Regierungshauptstadt Vazzkor im Reich Creagans lag.
Die Gilden waren sehr konservativ, stur und nicht für neue Ideen zu begeistern.
Sie führten auch die Magier-Schulen,
welche jährlich von hunderten junger Leute aufgesucht wurden,
die glaubten, zum Zaubern geboren zu sein.
Wurde man von der Akademie akzeptiert, dann wurde man ziemlich hart rangenommen, konnte aber sicher sein, daß man anschließend sein Handwerk perfekt beherrschte.
Nach fünf Jahren wurde man zu den Abschlußprüfungen zugelassen und er- hielt bei Bestehen derselben ein Zertifikat
mit der Aufschrift
„Mitglied der Magier-Gilde" -
mit diesem Zertifikat hatte man gute Chancen für einen Job als Hofzauberer.
Die jenigen, welche die Prüfungen jedoch nicht bestanden, wurden freie Magier.
Manche zogen über den Kontinent und beeindruckten arglose Dörfler mit drittklassigen Taschenspielertricks.
Der Großteil jedoch ging nach Patena - zur Barbareninsel - wo es für ungebundene Magier immer etwas zu tun gab...
Insofern war Fandors Frage etwas indiskret- bedeutete sie doch im Grunde nichts anderes als:
Habt Ihr die Gilden-Prüfung geschafft oder nicht?
Wmha-Ta-Glic nahm ihm dies jedoch nicht krumm,
sondern erwiderte:
„Ich bin ein freier Magier, wenngleich
ich auch noch nie einen Fuß auf die Barbareninsel gesetzt habe.
Ebensowenig habe ich einen Gildenausbildung genießen dürfen -
wozu auch?!
Die verknöcherten Faiidah- Greise wissen doch gar nichts von den WAHREN Geheimnissen der Magie!
Warum sollte ich fünf Jahre meines Lebens an sie verschwenden?"
Nun lächelte auch Fandor wieder.
„Ihr seid ein sehr selbstsicherer Mann, Lord Glic!" sagte er.
„Ich bin erfreut, Euch kennenlernen zu dürfen!"
Wmha-Ta-Glic nickte freundlich und ließ die Maske der Arroganz,
hinter der er sein wahres Ich ver- barg, endgültig fallen.
„Wenn Ihr es nicht vorzieht, allein zu speisen,
so würde ich mich geehrt fühlen, wenn Ihr mir beim Abendbrot Gesellschaft leisten würdet!" sagte er
und meinte es ehrlich.
„Ich nehme an, ihr und Eure reizende junge Freundin möchtet Euch bis
dahin noch ein wenig frischmachen..."
Fandor und Lyssa nickten eifrig.
Fenryk, der bis jetzt stumm neben ihnen gestanden und vor sich hin gegrübelt hatte, schaltete sich jetzt erstmals ins Gespräch ein. „Kommt, ich zeige euch eure Kabinen!" sagte er,
wobei seine Stimme immer noch etwas mürrisch klang.
Er führte Fandor und Lyssa zurück auf den kleinen Gang und
brachte sie zu zwei getrennten Zimmern,
in denen sich je ein großer Waschzuber voll heißem Wasser befand.
Lyssa zog sich sofort zurück, um zu baden.
Einige Sekunden standen Fandor und Fenryk noch auf dem Flur,
dann ging auch Fandor in sein Zimmer.
Der Kree begab sich wieder an Deck.
Nach kurzer Zeit öffnete sich Fandors Tür.
Der Zwerg kam heraus, klopfte an Lyssas Tür,
und als diese sich öffnete, huschte er schnell in die Kabine.
„Hast du mich erwartet, Kind?" fragte der Blutdurstige Tragan
und ließ seine Blicke begehrlich über ihren wohlgeformten,
nackten Körper gleiten.
Lyssa lächelte.
Wieder etwas später hörte man
aus dem Zimmer des Mädchens leises Seufzen und Stöhnen,
und mit der Erkenntnis, daß die Jungfrau seiner Geschichte
nicht mehr länger eine solche war, zog sich auch der Erzähler zurück...
Die waffenstarrende Galeere,
die der SCHLEICHENDEN KRÄHE schon seit deren Aulbruch aus Kroykkah folgte
und auf der sich General Klaaw (der sich selbst auch gern als „der Unerbittliche" bezeichnete) und Hauptmann Irgim-Ta befanden, tat dies jedoch nicht!
9. FEINDGEDANKEN
Hauptmann Irgim-Ta von der Stadtgarde Kroykkahs lag auf der Pritsche
in seiner kleinen Kajüte an Bord der Galeere und starrte an die Decke
. Seine Gedanken waren schwermütig.
Er dachte an die Tage, bevor er Soldat geworden war und sich
damit in die Dienste eines der blutrünstigsten Tyrannen der bekannten
Welt gestellt hatte. Sein Vater hatte zu Lebzeiten immer gehofft, daß eines Tages dessen Hof übernehmen würde, um Felder zu bestellen oder als friedlicher Bauer sein Dasein zu fristen.
Nach seinem Tod hatte sein Sohn das Gut jedoch verlassen und war nach Vazzkor gegangen,
da die prachtvolle Stadt mit ihren geheimnisvollen, dunklen Freuden
schon immer einen großen Reiz auf den Knaben
und später auf den Mann namens Irgim-Ta ausgeübt hatte.
Schon bald war er in die Armee eingetreten, die er damals für etwas Gutes und Ehrenwertes hielt doch Creagans brutale Machtpolitik hatte ihn schon bald eines besseren belehrt
- und so erkannte er, daß KEINE Art von Armee gut oder gar ehrenwert war.
Heutzutage bedauerte Irgim-Ta seine Entscheidung oft,
doch konnte der Soldat in ihm nicht mehr aus seiner Haut.
Das Attentat auf den König hatte ihn verblüfft, und insgeheim bewunderte er den Täter für seinen Mut, aber er würde Jagd auf ihn machen und ihn zur Strecke bringen - so wie es Creagans Befehl war.
Daß er ins- geheim verbotene Sympathien für den Zwerg auf Patena hegte,
würde ihn nicht an der Durchführung seines Auftrags hindern.
Zudem war die durch Klaaw erlittene Demütigung zu tief in sein Bewußtsein eingebrannt, als daß Irgim-Ta jetzt von seinem gewählten Pfad hätte abweichen können!
Irgendjemand würde dafür büßen müssen, und momentan war dem Hauptmann ziemlich egal, wer!
Tief in seinem Inneren begann sich ein piepsendes, kleines Stimmchen bemerkbar zu machen,
das 'Gewissen' hieß. Aber Irgim-Ta hörte nicht darauf...
10. EIN SCHERZENDER DÄMON
Sie befanden sich jetzt auf dem offenen Meer.
Die auf Lo-Pan stationierten Truppen König Creagans hatten sich nicht gerührt,
und so hatte die SCHLEICHENDE KRÄHE unbeschadet weitersegeln können,
ohne daß jemand ahnte, daß sie längst verfolgt wurden.
Der nach Alkohol stinkende, einäugige Matrose,
den Fenryk zu Beginn als Cuuley bezeichnet hatte,
torkelte durch die Gänge und schlug den Essensgong.
Sein faltiges, altes Gesicht war in Erwartung der bevorstehenden Nahrungsaufnahme zu
einer fröhlichen Grimasse verzerrt.
„ESSSSEENN!" rief er, und es war schlicht unmöglich,
seine rauhe, kratzige Stimme zu überhören.
So fanden sich nach einer Weile alle Gäste zum Essen unter Deck ein.
In Fenryks großer Kajüte stand eine reich gedeckte Tafel,
an der rund zehn Männer Platz gefunden hätten.
Der Raum selbst war dunkel.
Die roten Samtvorhänge waren zugezogen, und nur die Kerzenleuchter,
die auf der Tafel standen, spendeten ein wenig Licht.
Als mit einiger Verspätung auch Fandor (der nach den aufregenden Ereignissen in Lyssas Kajüte, die keinen Eingang in diese Geschichte gefunden haben,
etwas schwach auf den Beinen war)
und das Mädchen ihren Weg in die Kajüte des Krees fanden,
erblickten sie dort folgende Gäste:
Am Kopf der Tafel saß Fenryk Schädelspalter;
rechts neben ihm war Cuuley damit beschäftigt, eine Rinderkeule zu vernichten;
daneben wiederum saß der große Wmha-Ta- Glic und ihm gegenüber
- Fandors Hand zuckte zum Schwertgriff,
als er des halbdurch- sichtigen, grauenvollen DINGS an- sichtig wurde, das dem Magier gegenüber saß
und aus einem reich verzierten Pokal Wein in sich hinein- schüttete, als handele es sich um Wasser.
„Beim Uurp!" schrie Lyssa und fiel in Ohnmacht.
„OH, JA!" sagte der Dämon.
„Oh, ja!" riefen auch die anderen im Chor.
„Seht ihr es denn nicht?!" fragte Fandor ungläubig.
„Seid ihr mit Blindheit geschlagen?"
Der Dämon lachte gutmütig, und seine riesigen, gelben Augen,
die ein Drittel des unförmigen Kopfes vereinnahmten, blitzten voller Schalk.
„NATÜRLICH SEHEN SIE MICH, ZWERG!" sagte er fröhlich.
„WOLLTE ICH EUCH VERNICHTEN, SO HÄTTE ICH MICH DAZU
NICHT AUF EURE UNBEDEUTENDE KLEINE REALITÄTSEBENE
HERABBEMÜHEN MÜSSEN!"
Fandor blickte ungläubig in die Runde und wunderte sich
über das unverständliche Grinsen der anwesenden Männer,
während sich seine Gefährtin langsam wieder erholte,
aber immer noch ziemlich verängstigt aussah.
„Was willst du dann?" fragte er - immer noch schockiert -
und fuhr dann, an den Magier gewandt, fort:
„Ihr müßt ihn bannen, Lord Glic!"
„Warum sollte ich meinen eigenen Dämon bannen, Freund Fandor?"
entgegnete dieser lachend
. „Kommt und speist endlich mit uns!"
„Euer... Dämon?" stammelte der Zwerg.
„NUN JA", warf der Dämon ein.
„WER HIER WEM GEHÖRT, STEHT NICHT SO GANZ FEST,
ABER ICH BIN TATSÄCHLICH DER FAMILARIS-DÄMON EURES MAGIER-FREUNDES..."
Fandor verwünschte sich selbst und schlug sich mit der flachen Hand vor die runzlige Stirn
. Natürlich - ein Familaris-Dämon!
Viele unabhängige Magier besaßen einen solchen,
um sich von diesem von Zeit zu Zeit Rat zu holen.
Warum also sollte Glic keinen haben?!
„Oh, verzeiht!" murmelte Fandor lahm
und nahm endlich Platz.
Lyssa folgte seinem Beispiel einen Moment später,
so daß das Mahl endlich beginnen konnte.
Es stellte sich heraus, daß der Dämon ein angenehmer Gesprächspartner
mit einem sehr ausgeprägten Sinn für Humor war;
er unterhielt die Gäste der Tafel mit einigen äußerst lustigen Anekdoten
aus seiner höllischen Heimat.
Darüber hinaus hatte er die Fähigkeit, Feuer zu spei
en, was beim Flambieren mancher Speisen recht hilfreich war.
„Wie heißt Ihr eigentlich, Freund Dämon?"
fragte Fandor nach einiger Zeit, da er es leid war, ihn ständig mit 'Freund Dämon' anreden zu müssen,
was in seinen Augen unhöflich war.
Wmha-Ta-Glics Familaris-Dämon
schlug schüchtern die Augen nieder
Seine blaßblaue, halbdurchsichtigr Haut verfärbte sich rosa und sah für einen kurzen Moment fast menschlich aus.
„MEIN NAME IST LAPISLAZuLI...", sagte er zögernd,
als befürch te er, es könne jemand über ihn lachen.
Gutgelaunt widmete sich Fandor wieder seinem Essen und proste dem Dämon zu
. Im Stillen wundererte er sich über all die seltsamen Gestaten,
die ihm in letzter Zeit über den Weg gelaufen waren:
Der Kree mit einem Schiff namens SCHLEICHENDE KRÄHE,
dessen einziges anderes Besatzungsmitglied ständig betrunken war;
die sechzehnjährige Maid, die sich in der Geborgenheit ihres Federbettes so unersättlich gezeigt hatte,
daß Fandor an seinem Verstand zu zweifeln begann;
der Zauberer, dessen Name sich wie eine Darmblähung anhörte
- und nun auch noch dieser Dämon!
Manchmal ging das Leben seltsame Wege...
„Was wollt Ihr eigentlich in Patena?" fragte Glic nach einer Weile
kauend an Fandor gewandt.
„Oh", erwiderte dieser lächelnd,
„ich komme von dort.
Mein Auftrag war es, den Tyrannen Creagan zu stürzen, aber ich habe versagt."
„EIN MEUCHELMÖRDER ALSO?" fragte der Dämon interessiert.
„JA, SOLCHE LEUTE KENNE ICH VIELE!
ES GIBT SIE ZUHAUF IN MEINEM HEIMATREICH.
SIE SORGEN IMMER FÜR ANGENEHME UNTERHALTUNG -
BESONDERS, WENN MAN SIE AUF KLEINER FLAMME GART!
ICH KANNTE DA EINMAL EINEN TYPEN NAMENS KAIN, DER..."
„Ich kämpfe für eine gerechte Sache!" empörte sich Fandor.
LAPISLAZULI lachte dröhnend.
„ES WAR NUR EIN SCHERZ, STERBLICHER!"
beschwichtigte er den Zwerg, der in seiner Wut starke Ähnlichkeit mit einer irdischen Märchengestalt namens Rumpelstilzchen hatte.
Grummelnd widmete sich Fandor wieder seinem Essen, und plötzlich war die unbeschwerte Fröhlichkeit verflogen.
11. SCHWERT DER VERGELTUNG
„SCHIFF NÄHERT SICH VON BACKBORD!" rief Cuuley von seinem Stammplatz im Mastbaum herunter,
und die Passagiere der SCHLEICHENDEN KRÄHE erstarrten in eisigem Schrecken.
Seit dem Essen in Fenryks luxuriöser Kajüte waren rund zwei Stunden ver-gangen.
Fandor, der das Schiff gleichzeitig mit Cuuley entdeckte,
befand sich immer noch in einer leicht niedergedrückten Stimmung,
als er den Ruf des Kree-Matrosen vernahm,
doch nun - in Erwartung eines Kampfes -
huschte erstmals wieder ein Lächeln über sein Gesicht.
„Was ist los?" fragten Fenryk, Lyssa und der Zauberer gleichzeitig,
als sie atemlos an Deck gestürmt kamen. LAPISLAZULI war bereits vor geraumer Zeit wieder entmaterialisiert,
um - wie er sagte - ein wenig zu ruhen.
Fandor deutete hinaus aufs Meer,
wo sich die waffenstarrende Galeere
General Klaaws näherte und langsam in Schußweite geriet.
„Das dürfte Ärger geben!" stellte er überflüssigerweise fest,
sah aber nicht so aus, als würde ihm das et- was ausmachen.
„SCHWERT DER VERGELTUNG!" las Lyssa mit zitternder Stimme vom Schiffsrumpf der Gegner ab.
„Bei Osky!" staunte Fenryk, der schon viel von diesem Schiff gehört hatte.
General Klaaw hatte durch seine brutale Vorgehensweise und die fröhlichen Gemetzel in den Dörfern in Creagans Reich so etwas wie eine traurige Berühmtheit erlangt.Darüber hinaus war er jedoch auch ein brillanter Schlachtenführer,
und manchmal wurde gemunkelt, daß er mit den Dunklen Mächten im Bunde stehe.
Derlei Gerüchte waren bislang allerdings unbestätigt geblieben.
Fest stand nur, daß General Klaaw eindeutig geisteskrank war.
„Da haben wird uns auf was Feines eingelassen!"
Glic schüttelte stumm den Kopf und sah etwas niedergeschlagen aus.
„Ich schätze, ich muß meine Fähigkeiten noch einmal bemühen!" murmelte er,
woraufhin Fenryk nickte.
Es war zwar nicht die Art des Krees, vor einem Kampf davonzulaufen,
doch gegen die Männer der SCHWERT DER VERGELTUNG anzutreten,
wäre kein Kampf, sondern glatter Selbstmord gewesen!
Ohne ein weiteres Wort schloß Glic die Augen.
Leise murmelte er fremdartige Verse vor sich hin -
dunkle, blasphemische Verse zur Anrufung der Elementargeister.
Seine langen, schlanken Finger krampften sich so fest um die Reling,
daß sich seine Knöchel weißlich verfärbten.
Und wieder geschah das Wunder - ein geisterhaftes Brausen wurde hörbar,
das an das Heulen blutgieriger Dämonen aus den tiefsten Tiefen der Hölle erinnerte. Zischend blähten sich die Segel auf, während der Himmel ein dunkle, fast schwarze Färbung annahm, die auf Sturm hindeutete.
Langsam zunächst, dann immer schneller begann die SCHLEICHENDE KRÄHE an Fahrt zu gewinnen, als plötzlich ein,
schmerzerfülltes Stöhnen die Besatung des kleinen Seglers,
der sich immer noch in Schußweite der SCHWERT DER VERGELTUNG
befand, aus ihrer Faszination auf- schreckte.
Im nächsten Moment sahen sie, wie Glic sich an die Schulter griff,
wo sich der Stoff seines Umhangs rot verfärbt hatte
und aus der der Schaft eines Pfeils ragte. Ohnmächtig sank
der Zauberer zu Boden - unfähig, seine begonnene Beschwörung zu Ende zu führen.
„Verdammt!" fluchte Fandor, als er erkannte,
was geschehen war. „Was machen wir nun?"
Fenryk schaute etwas hilflos drein.
Er bediente sich zwar eines Magiers, hatte aber ansonsten keine Ahnung von Zauberei - geschweige denn davon, wie man ein Dutzend entfesselter Elementargeister besänftigte.
Der schwarze Strudel, der die SCHLEICHENDE KRÄHE ergriffen hatte,
nahm nun tornado- mäßige Ausmaße an,
so daß unsere Helden unter Deck flüchten mußten, um nicht von Bord gerissen zu werden.
„Oh, großer Osky!" riefen Fenryk und Cuuley dort im Chor.
„Laß uns nicht über den Rand der Welt fallen...
laß uns nicht über den Rand der Welt fallen... laß uns nicht..."
Fandor begann ebenfalls zu beten.
Stumm kauerte er sich in eine Ecke und schwor sämtlichen Schutzgöttern seines Volkes, immer ein braver Zwerg zu sein, wenn es ihm nur vergönnt sei,
dieser mißlichen Lage zu entkommen!
Lyssa war dabei, den verletzten Magier notdürftig zu verarzten,
doch ihre Hände zitterten, und Tränen liefen über ihre Wangen.
Wenn das Schiff nicht bald zur Ruhe kam,
würde der Zauberer unter ihren Fingern wegsterben,
denn mit jedem Stoß, der die SCHLEICHENDE KRÄHE erschütterte, bohrte sich der Pfeil tiefer in seine Schulter,
und sie hatte nicht die Kraft, das Geschoß zu entfernen...
12. GESTRANDET IM NICHTS
Das Krachen, mit dem die SCHLEICHENDE KRÄHE auf Grund lief,
erschütterte das Schiff bis ins Mark. Fandor stieß einen erleichterten
Seufzer aus, als nun endlich wieder Ruhe eingekehrt war, und die Elementargeister
schienen sich zurück- gezogen zu haben. Cuuley, der zum ersten Mal seit Beginn der Reise
stocknüchtern war, schaute aus dem kleinen Fenster über sich, zuckte
dann zusammen und blinzelte Fenryk verwirrt an.
„Öörph!" sagte er
„Rülps mich nicht an!" tobte Fenryk und plazierte zornig eine Faust im Gesicht des Seemanns, der daraufhin zu Boden sank und beschloß,
daß es das beste sei, fortan zu schweigen.
„Ob das so klug war, Fenryk?!"
stellte der verwundete Glic stöhnend fest.
„Wir können jetzt jeden Mann gebrauchen!"
„Wir sollten feststellen, wo wir sind und wie groß der Schaden ist!"
schlug Fandor vor - und das taten sie dann auch.
Der Zwerg, der Kree und auch Cuuley gingen mutig an Land,
während Lyssa an Bord den verletzten Magier pflegte.
Wie es sich herausstellte, waren sie an den Ufern einer kleinen Insel gestrandet,
die über keinerlei Vegetation verfügte, sondern nur aus kahlem Felsgestein bestand
- aus jenem Felsgestein, das der SCHLEICHENDEN KRÄHE zum Verhängnis geworden war!
„Ich höre etwas!"
murmelte Cuuley plötzlich und stürmte eine Anhöhe hinauf.
„Vielleicht finden wir je- mand, der uns helfen kann!"
Die Anderen lauschten ebenfalls
kurz, um sich dann an Cuuleys Fersen zu heften, der jedoch plötzlich wie angewurzelt stehenblieb.
„Öörph!" wiederholte der Matrose, als der Rest der Gruppe ihn erreicht hatte,
und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Gipfel des kleinen Berges,
wo eine seltsame Kreatur hockte und die wackeren Helden böse anblickte.
„ DREI! DREI! DREI! DREI! DREI ! DREI! " sagte die seltsame Kreatur.
„Bei Osky's Eiternase!" fluchte Fenryk fassungslos, als er endlich erkannte, wo sein prachtvolles Schiff auf Grund gelaufen war.
„Was ist das, und wo sind wir hier?"
fragte Fandor mit einem An- flug von Ärger in der Stimme.
„Öörph!" sagte nun auch Fenryk, was eine Antwort auf beide Fragen war,
aber für Fandor ziemlich unverständlich blieb. Der Zwerg zuckte daher die Achseln und ging auf das pelzige, affenähnliche Wesen zu, das
ihn böse anblickte.
„Hallo!" grüßte Fandor. „Kannst du uns sagen, wo wir sind?"
„Öörph!" riefen Cuuley und Fenryk.
„ DREI; DREI; DREI; DREI .", murmelte das Wesen.
Kopfschüttelnd ging der Zwerg zu den anderen zurück, wo er von dem Kree an den Schultern ergriffen wurde.
. „Du Wahnsinniger!" tobte er.
„Weißt du denn nicht, wer das ist?"
Fandor verneinte.
„Wir Kree nennen ihn 'Den affengesichtigen Murmler mit der schlechten Laune', andere nennen ihn Zhe oder Öörph - wie auch diese Insel heißt!"
Fenryk holte Atem, bevor er fortfuhr:
„Niemand - ich wiederhole - NIEMAND darf ihn je in seinem Gemurmel unterbrechen, denn sonst..."
Urplötzlich materialisierte LAPISLAZULI in ihrer Mitte.
Er grinste breit und sah auch sonst sehr fröhlich aus.
„WAS DANN, KREE?" fragte er.
„WIRD DANN DIE ZEIT DES GROSSEN WÜRFELBECHERS KOMMEN...?"
Die scherzhafte Frage des Dämons blieb unverständlich.
Niemand lachte,
schon gar nicht der finster dreinblickende Kerl in der goldenen Rüstung,
dessen Schiff die Insel kurz nach der SCHLEICHENDEN KRÄHE erreicht hatte und der sich durch die blaßblaue Dämonengestalt nicht im geringsten beeindruckt zeigte, sondern ungerührt sein Schwert zog.
13. BLUTIGE KLINGEN
„Wenn ihr mir den Zwerg gebt, werde ich euch schnell tötenl"
versprach General Klaaw mit einem eiskalten
Grinsen und fuhr mit seinen behandschuhten Fingern fast zärtlich über
die Klinge seines schweren Beidhänders, als sich plötzlich eine zweite Gestalt näherte. Es war Irgim-Ta, der gekommen war, um Rache für die erlittenen Demütigungen zu nehmen. „Was wollt Ihr, Hauptmann?" fragte Klaaw abfällig, ohne den Blick von seinen Gefangenen abzuwenden. „Ich habe doch allen befohlen, auf dem Schiff zu bleibenl"
„Damit Ihr allein den Ruhm erntet, den Attentäter gefangen zu haben'."
erwiderte Irgim-Ta müde und erntete einen verächtlichen Blick seines Vorgesetzten.
„Verschwindet! Ihr habt Euch schon einmal als unfähig erwiesen,
Irgim-Ta! Es wäre ohnehin besser für Euch gewesen, wenn Ihr in
Kroykkah geblieben wärt!"
„'Nein'." erwiderte Gardehauptmann fest.
„Widersetzt Ihr Euch meinen Befehlen...?"
Die Stimme Klaaws bekam einen lauernden Unterton.
Irgim-Tas Gesicht zeigte einen Ausdruck ernsthaften Überlegens, der sich darauf begründete, daß sich wieder dieses kleine Stimmchen
- das Gewissen - in seinem Inneren regte.
„Ich habe es satt'." brummte er dann und zog ebenfalls sein Schwert.
„Ich habe EUCH satt'."
Klaaw lachte laut auf, während unsere Helden sich nur stumm anblicken konntenund beobachteten, wie sich die beiden unverhofften
Kontrahenten abschätzend betrachteten
und einander umkreisten wie zwei lauernde Raubtiere.
Es war der General, der den ersten Schlag führte.
Brutal schlug er mit seinem Schwert nach der ungepanzerten Stelle
zwischen Irgim-Tas Beinen, doch geschickt wich der
Hauptmann aus und parierte den Hieb mit seinem Beidhänder. Inner- halb weniger Sekunden entstand so eine Art grotesker Tanz
- ein Tanz ums Überleben allerdings, denn en- den konnte er nur mit dem Tod eines der beiden Kämpfer.
„Wollt Ihr nicht eingreifen, Freund Dämon?" wandte sich Fandor an LAPISLAZULI, als er sah,
wie Irgim-Ta unter Klaaws wütenden Schwerthieben in immer stärkere Bedrängnis geriet.
Der Dämon stand jedoch mit verschränkten Armen in der Landschaft herum
und betrachtete augenscheinlich mit höchstem Interesse ein einsames Edelweiß,
das zwischen zwei Felsen wuchs und das einzige Anzeichen von Vegetation auf ganz Oörph darstellte.
„ICH KANN NICHT'." sagte LAPISLAZULI freundlich.
„LAUT MEINEM ARBEITSTARIFVERTRAG BIB ICH LEDIGLICH DER BERATER DES MAGIERS UND DARF NICHT AKTIV EINGREIFEN'."
Sprach's und widmete sich wieder seinem Edelweiß.
Die Hände Fandors und Fenryks näherten sich den Schwertgriffen,
als sie den Fortgang des ungleichen Kampfes betrachteten, der sich nun seinem Ende zuzuneigen schien.
Immer größere Anzeichen von Erschöpfung zeigte Irgim-Ta.
Schweiß lief in breiten Bächen an seinem Gesicht herab,
und offenkundig hatte er Mühe, sich auf den Beinen zu halten,
während Klaaw immer noch wie ein Wahnsinniger auf ihn einschlug.
Der Hauptmann sank jetzt aufstöhnend in die Knie,
wobei er sein Schwert schützend nach oben gerichtet hielt.
Das war auch sehr vernünftig von ihm, denn als der General nun zum letzten Stoß ausholte und dabei über einen kleinen Stein stolperte,
von dem er sich vollkommen sicher war, daß dieser zuvor nicht dort gewesen war, stürzte er direkt in Irgim-Tas Waffe hinein,
die mit einem alptraumhaften Knirschen durch seinen Brustpanzer drang.
Röchelnd torkelte Klaaw zurück, riß sich das Schwert aus dem Leib
und beobachtete bestürzt, wie sich seine Eingeweide in einem grauroten Sturzbachauf das uralte Sedimentgestein der Insel Öörph ergos-sen.
„Verdammt seid Ihr!" sagte er schweratmend,
bevor er ohne ein weiteres Wort hintenüber fiel und tot am Boden aufschlug.
„Der Stein war vorher tatsächlich nicht da!"
stellten Fandor, Fenryk und Cuuley gleichzeitig fest und blickten den Dämon an.
Freundlich lächelnd zuckte LAPISLAZULI die Schultern.
„VERTRÄGE SIND DA, UM GEBROCHEN ZU WERDEN..."
, sagte er. „DAS HABE ICH VON EUCH MENSCHEN GELERNT!"
14. IRGIM-TAS ENTSCHEIDUNG
Der junge Hauptmann betrachtete erschöpft und ein wenig furchtsam
die bizarren Gestalten, in deren Händen
jetzt sein Leben lag - ein Zwerg; ein einäugiger Kree-Pirat;
ein weiterer Kree, der ihm wie ein Riese erschien...
und dieses schreckliche, blaßblaue Ding, dem Irgim-Ta sein Leben zu verdanken hatte,
obgleich er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußte.
„Tötet mich!" rief er eine Spur zu theatralisch. „Ich will in Ehre sterben!"
Die seltsame Gruppe lächelte einmütig.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein!" sagte der Zwerg.
„Für heute ist genug Blut vergossen worden!" „Ihr seid ein wackerer Kämpfer!" fügte der riesige Kree freundlich hinzu
und reichte Irgim-Ta die Hand, um dem Erschöpften beim Aufstehen zu helfen
. „Was wird nun geschehen?" fragte er, nachdem er wieder auf seinen eigenen Füßen stand
und sie einan- der vorgestellt hatten. „Ich vermute, man wird den Kampf beobachtet haben!"
stellte Fandor fest und deutete auf die SCHWERT DER VERGELTUNG,
deren Mannschaft bis jetzt noch keine Anstalten machte,
irgendetwas zu unternehmen, was er reichlich ungewöhnlich fand.
„Wenn das so ist, werden sie nicht gut auf Euch zu sprechen sein..."
Irgim-Ta senkte den Blick und bedachte die Konsequenzen seines Handelns.
Wenn er nach Kroykkah zurückging, würde man ihn ohne lange zu fackeln hinrichten!
Das war kein sonderlich erstrebenswertes Schicksal, fand er.
„Nun, wenn Ihr mögt, so könnt Ihr mit uns reisen!" schlug Fenryk vor und erntete einen dankbaren Blick des Hauptmanns.
„Wohin führt denn Euer Weg?" fragte Irgim-Ta.
„Wir segeln nach Patena!"
„Patena...", murmelte der Hauptmann und dachte einen Moment nach.
Auch ihn hatte es immer gereizt, die Barbareninsel einmal zu besuchen,
und in seiner jetzigen Si-tuation blieb ihm wohl kaum eine andere Wahl.
Schließlich nickte Irgim-Ta.
„Ja", sagte er dann, „Patena..."
Er wußte, daß er nun in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten war -
und bis jetzt gefiel er ihm recht gut!
Mit seiner Hauptmanns-Laufbahn hatte er ein für allemal abge- schlossen.
Lächelnd löste Irgim-Ta die roten Rangabzeichen von seiner Rüstung
und warf sie in den Staub. „Was geschieht nun?" fragte er.
„NUN", sprach der Dämon LAPISLAZULI, „SOLLTEN WIR UNS UM UNSER SCHIFF KÜMMERN..."
Die blaue Gestalt machte ein paar sehr kompliziert aussehende Gesten
und murmelte aufregende Verse aus einer uralten Sprache,
die schon alt gewesen war, als die Menschen sich noch von Ast zu Ast gehangelt und bevorzugt Bananen verspeist hatten.
Das Schiff bewegte sich. Unsere Helden glaubten ihren Augen nicht zu trauen,
doch die SCHLEICHEN- DE KRÄHE bewegte sich.
Die Wunden, die das harte Felsgestein in ihren Leib gerissen hatte, heilten.
Knirschend schlössen sich die klaffenden Öffnungen im Rumpf des Schiffes
, und nach etwa einer Minute sah es so aus, als könne es die Fahrt wieder aufnehmen.
LAPISLAZULI betrachtete prüfend sein Werk, verbeugte sich,
tippte zum Abschied mit den Fingern an einen imaginären Hut und löste sich in Luft auf.
„NUN HABE ICH MEINEN VERTRAG ZUM ZWEITENMAL GEBROCHEN!"
hörten unsere Helden seine Stimme aus dem Nichts.
„ICH HOFFE, IHR WISST DAS ZU SCHÄTZEN..." Mit diesen Worten verschwand er endgültig.
Müde verließen die vier wackeren Helden die sagenumwobene Insel
Öörph und gingen zurück an Bord, wo sie bereits sehnsüchtig von Lyssa und Glic erwartet wurden,
dem es bereits erheblich besser ging und der gerade in einen Zauber unbekannter Art
vertieft zu sein schien. Mur- melnd saß er im Schneidersitz auf
den Planken, und erst als die Freunde die Fahrt gen Patena wieder auf-
genommen hatten, löste er sich aus
seiner Erstarrung, um zu berichten, daß er es gewesen war, der mit Hilfe
eines Lähmungszaubers die SCHWERT DER VERGELTUNG in Schach gehalten hatte,
bis sich die SCHLEICHENDE KRÄHE außer Sichtweite befand.
So also setzten sie ihre Reise fort, die noch einige Zeit andauerte,
in der sich der Magier Glic zusehends von seiner Schulterverletzung erholte,
während Irgim-Ta den größten Teil grübelnd in seiner Kabine verbrachte
und nur langsam Vertrauen zu den anderen faßte.
Dann, am siebten Tag nach den Ereignissen auf Öörph,
war es endlich soweit.
„LAND IN SICHT!" grölte der einäugige Cuuley vom Mastbaum aus.
Sie waren am Ziel!
15. IN PATENA
Fandor Tragan stieß einen fröhlichen Jubelschrei aus,
als der einäugige Cuuley, der sich im Mastbaum befand, endlich Land meldete und die Reise sich ihrem Ende zuzuneigen
begann, hatte er doch nach all den unvorhergesehenen Zwischenfällen nicht mehr damit gerechnet,
die Barbareninsel jemals wiederzusehen. „Patena...", flüsterte Fandor mit Rührung in der Stimme, als sie in den Hafen der gleichnamigen Hauptstadt der Insel einliefen
und er vertrauter Häuser und Berge ansichtig wurde, die er so lange vermißt hatte.
Mit ihm an der Reling stand die junge Lyssa. Ihre Augen schimmerten feucht,
als sie fragte: „Willst du mich jetzt verlassen, Fandor?"
„Nein!" sagte er schnell, damit sie nur ja nicht auf dumme Gedanken kam
. „Nichts liegt mir ferner, Schätzchen..."
Er überlegte einen Moment und fügte dann hinzu:
„Und wenn du möchtest, Lyssa, werde ich nie wie- der kämpfen
- nie wieder in die Welt hinausziehen, um Tyrannen zu stürzen und meine Klinge in ihrem Blut zu baden - nie wieder..."
„Das wäre schön!" sagte Lyssa schlicht, obwohl sie wußte, daß er sie insgeheim belog, daß er dieses Versprechen gar nicht halten konnte.
Viel zu rastlos war der kleine Mann, um an einem Ort seßhaft zu wer- den...
So kam die Stunde des Abschieds.
„Wohl denn", sprach Fandor, als er mit Lyssa und dem ehemaligen Hauptmann Irgim-Ta die SCHLEICHENDE KRÄHE verließ
und mit Wohlgefallen endlich wieder den festen Boden Patenas unter seinen Füßen spürte.
„Lebt wohl, meine Freunde!"
Fenryk und Glic, dessen Schulter immer noch von einem dicken Verband geziert wurde, standen winkend an der Reling,
während Cuu- ley wie immer im Mastbaum schlummerte und so betrunken war, daß er unfähig war, auch nur die Hand zu heben.
Für einen kurzen Moment glaubte Fandor sogar, die blaßblaue Gestalt des Dämons an Bord zu sehen,
doch das mochte auch eine Täuschung gewesen sein.
Im Geist ahnte der Zwerg bereits, daß dies kein Abschied für immer sein würde!
„Kommt!" sagte er schließlich zu Lyssa und Irgim-Ta, und gemeinsam machten sie sich auf zum Hauptquar- tier des Herrschers von Patena,
um diesem über das fehlgeschlagene Attentat Bericht zu erstatten und -
vielleicht - einen neuen Plan zu ersinnen, wie man die grausame Tyrannei des Königs Creagan ein für allemal brechen konnte.
Irgendwann
ENDE
c-23.01.-28.01.1992 by Mike Breuer / DSP
Uwe Vitz - 1. Feb, 15:04